von Andreas Ludwig

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1. Oktober 2014

Es kommt alles vor, was man sich gemeinhin unter K. u. K.-Herrlichkeit vorzustellen vermag: Prunk, Titel, Hierarchien, Byzantinismus, Faszination für die vorrevolutionäre Vergangenheit. Regisseur Johannes Holzhausen zeigt all dies in seinem Dokumentarfilm über das Kunsthistorische Museum Wien mit einiger Selbstironie, aber nicht ohne Faszination angesichts lebendiger Überreste Kakaniens. Vierzehn Monate lang begleitet er die Museumsmitarbeiter/-innen bei der baulichen und konzeptionellen Neuausrichtung des Museums und arrangiert seine Beobachtungen zu einer filmischen Collage, in der sich das Museum durch sein Personal, seine Räume und sein Selbstverständnis darstellt.

Unter dem protestantisch-nüchternen Blick des Berliner Betrachters fallen zunächst die kleinen Despektierlichkeiten auf, die sich zu einer milden Dekonstruktion des ehemals kaiserlichen Repräsentationsinstituts verdichten: Mit körperlicher und klanglicher Wucht schlägt ein Arbeiter inmitten eines leergeräumten Bildersaals seine Hacke in das Parkett, Reinigungskräfte pinseln einer antiken Figur den Staub zwischen den Beinen weg, die Kamera fährt über eine mit dem Doppeladler geschmückte Decke und begleitet eine Diskussion, mehr eine gegenseitige Verständigung, über einige Habsburger Majestäten auf einem Gruppenportrait, um dann länger bei den Charakterzügen der ebenfalls porträtierten Kaiserin Maria Theresia zu verweilen. Das sachkundig kommentierende Personal ist dermaßen engagiert, dass man glaubt, ein Gefühl für die Motive der Unterstützerkreise der Schlossrekonstruktionen in Potsdam und Berlin entwickeln zu können. Nur ist hier eben alles alt und echt und das Museumspersonal scheint die Kontinuität von ehemals kaiserlichen Sammlungen und Institution zu leben.
In der Publikumsdiskussion, der sich Regisseur Holzhauer in einer Preview in Berlin stellte, wurde denn auch prompt auf diese Sequenzen Bezug genommen. Die im Überlegenheitsgestus vorgetragene Meinung aus dem Publikum, es handle sich um eine Übertragung typischen Monarchiefolklorismus in das Medium Film, versinkt allerdings folgenlos in den schallschluckenden Plüschsitzen des Kinos, wo sie auch hingehört. Sie macht vor allem deutlich, was der Film nicht will: eine Bestätigung von Vorurteilen.

Ohne Kommentar und lediglich vom O-Ton begleitet, folgt die Kamera dem Museumspersonal in einer Vielzahl unterschiedlichster Tätigkeiten, die zunächst die miteinander verzahnten Aufgaben des Museumsbetriebs porträtieren: der fluchende und schwitzende Restaurator beim Versuch, den Mechanismus eines mit Spielmechanik ausgestatteten Schiffs zu verstehen, das Dreierteam, das mit unnachgiebiger Akuratesse das Plüschkissen einer Museumsvitrine von Stäubchen befreit, die Kuratorinnen, die die entgültige Hängung von Gemälden entscheiden müssen und sich der Bedeutung des von ihnen geschaffenen Gesamtkunstwerks "Wandabwicklung" durchaus bewusst sind. Jede dieser Filmsequenzen lässt Hingabe und Perfektion erkennen, mit der hier Museumsarbeit ausgeübt wird - als gäbe es nichts anderes auf der Welt.
Nun ist "Das große Museum" kein Heldenepos, dessen Szenen im großen, heroischen Finale der Wiedereröffnung des Museums münden - der Film ist eher ein zeremonielles Ereignis, das seinen Glanz und Schrecken vor dem Hintergrund des filmischen Arbeitsprotokolls verliert und in seinem höfischen Protokoll letztlich lächerlich wirkt. Ist es da Zufall, dass über die inhaltliche Seite des Museumsumbaus eigentlich nichts zu erfahren ist?

Neben den mit - überwiegend - großer Sympathie gezeichneten Portraits wird die Selbstbezüglichkeit des Museums deutlich, die durch seine Angestellten immer wieder neu bestätigt wird. Kaum eine Arbeit wird verrichtet, ohne dass ein ganzer Tross an Mitarbeiter/-innen zugange ist. Die "Teams" nehmen sich wie das Gefolge eines Hofstaats aus, dessen Hierarchie sich durch Befehlsketten täglich neu manifestiert. Die Bedeutung des eigenen Tuns erklärt sich nicht etwa durch die Kunstwerke, sondern durch den Umgang mit ihnen: Allerhöchste Vorsicht ist angebracht, Baumwollhandschuhe Pflicht, High-Tech selbstverständlich.
Der Film verdeutlicht dies als kritischen Grundton in vielen Szenen, gelegentlich an der Grenze zur Parodie, etwa bei der Beobachtung einer Ungeziefer protokollierenden Gruppe, die elektronische Fallen ausliest. Das Zeremonielle von Interaktion und Kommunikation wirkt dabei durchaus zeit- und ortlos, und mancher Zuschauer wird sich an die Gepflogenheiten bedeutsamer Kultureinrichtungen hierzulande erinnert fühlen.
Überraschendes und ein wenig Wehmut ist dabei, wenn ein älterer Herr, den man anfangs für einen lesenden Hausmeister hält, am Ende als Sammlungsleiter in den Ruhestand verabschiedet wird.

Historikerinnen und Historiker dürfen den Film durchaus professionell "lesen", als Bild einer Institution verortet in Zeit und Raum, als Dokument der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Das "große Museum" liegt unmittelbar gegenüber der Wiener Hofburg, errichtet im Stil des monumentalen Historismus am Ende des 19. Jahrhunderts zur Aufnahme der kaiserlichen kunst- und kulturhistorischen Sammlungen.
Allein die räumliche Dimension des Museumsbaus zeugt von Größe und Bedeutung; wie schön, dass seine schieren physischen Ausmaße hier durch eine rasante Rollerfahrt quer durch das Münzkabinett zum nächstgelegenen Fotokopierer ihrer archivierenden Erhabenheit entkleidet werden. In der Tat wirkt das Ambiente, ebenso wie das Verhalten einiger Protagonisten, aus der Zeit gefallen. Am deutlichsten wird dies in einer Szene, in der einige ehemals kaiserliche, seit 1918 republikanische Sammlungen aus Marketinggründen wieder das Attribut "Kaiserlich" erhalten. Sechzig Jahre nach "Sissy" lebt die Habsburg-Nostalgie ungebremst weiter, wenn auch unter dem Vorwand zeitgemäßer Vermarktungsstrategien. Da ist es tröstlich, wenn auch erwartbar, dass das Bellaria Kino derzeit nicht Hans Moser, sondern eben "Das große Museum" zeigt.
In seiner genauen Beobachtung ist "Das große Museum" mit Dokumentarfilmen wie "La maison de la radio" (F 2012, R. Nicolas Philibert) oder "Die Küche" (DDR 1986, R. Jürgen Böttcher) zu vergleichen: alles sympathisierende Protokolle fremder Arbeitswelten. Der Film läuft derzeit in mehreren Berliner Kinos. Da bleibt nur noch eins zu sagen: Hingehen!

 

Das große Museum, Regie: Johannes Holzhausen, Österreich 2013, 94 Minuten, FSK o.A., Dokumentarfilm, Kinostart: 16.10.2014