von Stefanie Samida, Georg Koch

  |  

1. Dezember 2014

Wir backen besseres Brot als die Italiener, waren schon in der Steinzeit ordentliche Häusle-Bauer und mit Fug und Recht auch im Kulturellen die ‚Cleverle‘ ... Wie beginnt man einen Beitrag der kaum mehr als ein zynisches Klagelied auf die populären Geschichtssendungen im deutschen Fernsehen sein kann? Wieder einmal wurde uns an einem Sonntagabend (30.11.2014, 19.30 Uhr) im Zweiten Deutschen Fernsehen eine Kost serviert, die abgeschmackter nicht hätte sein können. Doch beginnen wir von vorn.

Das ZDF hat seinen Sendeplatz am Sonntag um 19.30 Uhr schon seit Jahrzehnten den Dokumentationen vorbehalten. Mal geht es um „Deutschland von oben“, mal um „Deutschlands Supergrabungen“, dann wieder um „Große Völker“, um die „Faszination Erde“ oder um „Schliemanns Erben“. Der Sendeplatz, so hört man, sei einer der teuersten beim ZDF; der ehemalige Leiter der Hauptredaktion ‚Kultur und Wissenschaft‘ im ZDF, Hans Helmut Hillrichs, hat ihn aus diesem Grund vor Jahren einmal als „Champions League, Königsklasse“ bezeichnet, da er hohe Ansprüche an die Budgetierung stelle. Im Umkehrschluss bedeutet dies: die Quote muss stimmen. Um das zu erreichen, bemühen Filmemacher alle denkbaren Superlative. Sonntag für Sonntag werden wir mit den scheinbar spektakulärsten archäologischen Entdeckungen, dramatischsten Naturkatastrophen und der bizarrsten Flora und Fauna zum Staunen angehalten.

Die neueste Skurrilität ist soeben auf Sendung gegangen. In sechs Teilen führt der in Australien geborene und in England lehrende Historiker Christopher Clark durch die „Deutschland-Saga“. Zahlreichen Geschichtsinteressierten ist er durch sein viel diskutiertes Buch „Die Schlafwandler“ bekannt, in dem er die Julikrise des Jahres 1914 und damit den Weg in den Ersten Weltkrieg zu erklären versucht. Autor und Regisseur der neuen ZDF-Saga ist Gero von Boehm - altbekannt im Gewerbe hat er schon an etlichen Dokumentationen, unter anderem für das ZDF, mitgewirkt. So stammt etwa die 6-teilige Reihe „Unterwegs in der Weltgeschichte – mit Hape Kerkeling“ (ZDF, 2011, aus seiner Feder bzw. Kamera). Um es vorweg zu nehmen, die „Deutschland-Saga“ knüpft nahtlos an diese Serie an: Clark statt Kerkeling ist dabei jedoch nicht gleichbedeutend mit ‚Wissenschaft statt Unterhaltung‘. Dem deutschen Fernsehpublikum wird, um es höflich auszudrücken, wieder einmal ‚Geschichte light’ serviert. Es wäre falsch und auch ungerecht, eine solche Form der Darstellung kategorisch zu verteufeln. Aus wissenschaftlicher Sicht muss man jedoch fragen, wohin uns diese Form der Wissenschaftspopularisierung führen soll. Eine Popularisierung, die mit Klischees und Stereotypen spielt, ja nur so um sich wirft und letztlich ein Bild der Vergangenheit liefert, das als ‚verzerrt’ zu beschreiben ein Euphemismus wäre.

Wollte man allein die erste Folge der neuen Sendung, die von über 4,8 Millionen Zuschauern gesehen wurde, Stereotyp für Stereotyp erläutern, würde eine weitere Monographie die endlosen Regalreihen einer Fachbibliothek zieren. Darin würde dann viel zu tradierten Vorstellungen, erfundenen Traditionen und dem Unterhaltungswert der Vergangenheit zu finden sein. In der „Deutschland-Saga“ wird kaum ein Klischee ausgelassen. Die Bilder zeigen uns den nach Süddeutschland ziehenden Homo Sapiens – ohne Reenactment ist heute kaum noch eine historische TV-Dokumentation denkbar –, der in einer kleinen Gruppe mühsam (verstärkt durch die Zeitlupe) die Schwäbische Alb hinaufstapft. Der Historiker Clark erklärt uns in der Off-Stimme: „Ja, die Ur-Deutschen waren Schwaben“. Überhaupt, die Schwaben, die haben es Clark besonders angetan: Ob als Tüftler und Erfinder, die schon vor 35.000 Jahren auf der Schwäbischen Alb lebten, oder als Germanenstamm: die Schwaben sind die „frühen Cleverles“. Und weil sie während der Völkerwanderungszeit zu den „lauffaulen Stämmen“ gehörten – Clark bezeichnet sie als „Couch-Potatoes“ –, hätten sie den größten Einfluss auf die 1.500 Jahre später lebenden Deutschen gehabt.

Abgesehen von dieser ‚ur-schwäbischen‘ Verwurzelung, kommen wir Deutschen in der ersten Folge übrigens ziemlich gut weg. Die Römer bzw. die ‚Ur-Italiener‘ müssen da schon deutlich mehr einstecken; da ist von „römischer Bunga Bunga-Gesellschaft“ die Rede und davon, dass die Nachfahren der Germanen auch heute noch mehr vom Brotbacken verstünden als die Italiener. Den Gipfel der Inklusion via Exklusion wird erreicht, als zu den Bildern der Plünderung Roms durch die Westgoten die heiteren Töne des Schlagers „Arrivederci Roma“ ertönen. Immerhin ging es in der „antiken Supermacht“ vornehm zu, ganz anders hingegen bei den Germanen: Es ist „kalt in Germanien und der Boden gibt nicht viel her“. Unterernährung, Gelenkerkrankungen, Infektionen und Kindersterblichkeit seien an der Tagesordnung – wieso diese Schilderung von Entbehrungen mit einer wohlgenährten Germanen-Darstellerin untermalt wird, erschließt sich der Zuschauerin wiederum nicht. Das gilt auch für eine andere der übrigens zahllosen Text-Bild-Scheren, die in die 45-minütige Wohlfühlgeschichte ‚eingeschnitten‘ sind. So ist aus wissenschaftlicher Perspektive zwar positiv hervorzuheben, dass Clark herausstellt, dass der römische Geschichtsschreiber und Autor der „Germania“ Tacitus niemals selbst in der ‚Germania magna‘ war – dass die Schauspielszenen dann aber einem römischen Gelehrten in das ach so dunkle Germanien folgen, gehört zu den augenscheinlichsten, gestalterischen Fehlgriffen.

Und selbstverständlich fehlt in der Clark’schen Erzählung das Menschenopfer nicht. Ein Fackelzug zieht durch die Nacht, angeführt von Priestern und einem – wie könnte es anders sein – weiblichen Opfer. Der Anblick der Prozession durch den finsteren Wald irritiert. Nicht nur, dass die orchestrale Begleitmusik des „Herrn der Ringe“-Epos im Hintergrund läuft, auch die Inszenierung der weißgekleideten Germanenprinzessin auf dem Weg zur Opferstätte erinnert unweigerlich an die Elbenkönigin ‚Galadriel’ aus dem fantastischen Mittelerde. Wenn dies als öffentlich-rechtlicher Vorgriff (oder sollte es ein Angriff sein?) auf die Ausstrahlung des „Hobbit“ direkt im Anschluss auf RTL gemeint gewesen sein sollte, so ist es den Filmemachern zumindest gelungen einen Teil des Publikums von der Idee abzubringen, sich nach der „Deutschland-Saga“ auch noch die Tolkien-Saga anzutun – denn die ZDF-Produktion haben fast 400.000 mehr Menschen gesehen.

Clark, der Anchorman, macht seinen Job: mit roter Fliege, VW-Käfer fahrend und britischem Humor. Ob sein Ausflug in die deutschen Wohnzimmer allerdings dem Geschichtsfernsehen zu mehr Seriosität verhilft, darf bezweifelt werden. Dafür bräuchte es etwas mehr, als immer wieder den Professorentitel einzublenden und auf die Traditionsuniversität Cambridge zu verweisen. Vielleicht war das aber auch nie gewollt. Der sich bereits seit den 1990er Jahren abzeichnende Trend zur Personalisierung, Dramatisierung und Emotionalisierung zeigt sich nämlich auch in der „Deutschland-Saga“. Hinzu kommt die Banalisierung wissenschaftlichen Wissens, die seit dem Jahrtausendbeginn in den TV-Dokumentationen ungehemmt wuchert. Der Historiker Wulf Kansteiner hat vor rund zehn Jahren die zeitgeschichtlichen TV-Dokumentationen Guido Knopps als „unterhaltsame Geschichtspornographie“ tituliert. Es lohnt sich, dieses Urteil heute erneut zu bemühen, das mittlerweile problemlos jenseits der Knopp’schen Zeitgeschichte auf alle historischen und archäologischen TV-Dokumentationen des ZDF übertragbar ist. Selbst wenn man dem Medium ‚Fernsehen‘ eigene, wissenschaftsferne Regeln zumisst – dazu gehört die Erzählstrategie, gute Bilder, mehr Fiktion als Fakt und anderes mehr – so muss doch die Frage erlaubt sein, warum Widersprüche, offene Fragen und Unklarheiten, die die Wissenschaft erst spannend machen, aus diesen Sendungen verbannt werden. Stattdessen wird uns zum 100. Mal der dunkle und düstere germanische Wald, in dem die Wölfe heulen, vorgesetzt; wir müssen uns die immer gleichen Reenactments in Zweit-, Dritt- und Viertverwertung ansehen und bekommen ‚unsere‘ Vorfahren abwechselnd als „Ur-Deutsche“ oder „Ur-Europäer“ geliefert, je nachdem, welches identitätsstiftende Narrativ gerade vorherrscht bzw. nötiger erscheint. Wie schlecht muss es um unsere Identität stehen, wenn das ZDF vehement von einem stereotypen Klischee zum nächsten immer wieder ‚Glanz und Gloria‘ deutscher und bisweilen europäischer Vergangenheit bemüht? Haben wir es wirklich nicht besser verdient?

Der hier geschilderten Entwicklung des deutschen Geschichtsfernsehens kann man auf zweierlei Weise begegnen. Man findet sich als Historiker, Archäologe oder Kulturwissenschaftler entweder damit ab, dass es schlicht keinen Spaß macht, sonntags um 19.30 Uhr ins ZDF zu schalten; will man nicht in kulturpessimistischem Jammer versinken, sollte man besser nicht hinschauen. Oder man setzt sich als Historiker, Archäologe oder Kulturwissenschaftler ganz bewusst am Sonntagabend vor den Fernseher und beobachtet die Darstellung der Wissenschaft und ihrer Erkenntnisse, wie sie uns die Fernsehmacher vorführen mit ethnographischem Blick. Welchem Modus man auch folgen mag, Fakt ist, dass Geschichtssendungen – wie sich leider immer wieder aufs Neue zeigt – herzlich wenig mit der Vergangenheit zu tun haben.

Eine weitere kritische Betrachtung der "Deutschland-Saga" finden sie hier auf zeitgeschichte-online in dem Beitrag von Moritz Hoffmann und Charlotte Jahnz: Abenteuerreise durch Deutschland.

Die „Deutschland-Saga“ (6 Teile; Termine: 30.11.2014, 2.12. 2014, 7.12. 2014, 8.3.2015, 15.3.2015 und 22.3.2015) jeweils um 19.30 Uhr im ZDF.