von Marek Frank

  |  

1. Januar 2012

1979. Moskau. Ein dunkelblauer Mercedes rast mit Furcht einflößender Eleganz über die Straßen der sowjetischen Hauptstadt. Am Steuer ein Mann, umgeben von lauter Musik, fernab von anderen Menschen, frei von der Tristesse des Alltags, wird der Zuschauer in eine Lebenswelt hineingezogen, die einerseits von der Macht des Systems und andererseits von einem unbändigen Willen zur Freiheit geprägt ist. Lediglich zwei Menschen in der Sowjetunion können es sich erlauben, einen solchen Wagen zu fahren: Leonid Breschnew und Wladimir Wyssozki. Ersterer, Konservator eines in die Jahre gekommenen Systems; Letzterer, Sänger eines Volkes, welches in und unter diesem System leben muss.

Obwohl man sich bei der Einordnung des Daseins mit Superlativen zurückhalten sollte, kommt man wohl nicht umhin, das kurze Leben Wladimir Wyssozkis als „extrem“ zu bezeichnen. 1938 in Moskau in eine Welt aus Denunziationen geboren, wurde seine Familie während des Zweiten Weltkrieges in den Ural evakuiert. Nach dem Abbruch eines Ingenieurstudiums kam er 1956 als Schüler zum Moskauer Kunsttheater. Ab Mitte der 1960er Jahre war er Ensemblemitglied des Taganka-Theaters. Wyssozki erlangte schnell Berühmtheit durch seine Rolle als Hamlet, aber auch durch seine Gedichte und Lieder. Oftmals passierten die Inhalte seiner Werke nicht die Zensur, jedoch kursierten in der Öffentlichkeit zahlreiche Mitschnitte seiner Konzerte. Sein Markenzeichen war stets eine rauchige Stimme, die am Ende der Lieder jede Gitarrenmelodie verschlang. Beobachtet vom Geheimdienst gewährte man ihm auf Grund seiner Popularität künstlerische Freiheiten. Im Alter von nur 42 Jahren starb Wyssozki vermutlich in Folge seines Alkohol- und Drogenkonsums. Selbst bei seinem Begräbnis forderte er die Machthaber nochmals heraus, als zahlreiche Trauernde – einige sprechen von über 100.000 – ihm das letzte Geleit gaben. 

 „Wyssozki – Danke, für mein Leben“ war der Eröffnungsfilm der russischen Filmwoche 2011 in Berlin und lief zeitgleich auch in Russland an. Bereits vor Drehbeginn und Ausstrahlung bauten die Produzenten am Mythos des Films. Niemand Geringeres als der Sohn des berühmtesten Liedermachers der Sowjetunion schrieb das Drehbuch über den eigenen Vater. Auch entgegen jeder Gewohnheit blieb bis zur Premiere der Hauptdarsteller ein Geheimnis. Nur der engste Kreis wusste, wer den berühmten Barden spielen würde. 

Der Film ist weniger ein Biopic, der ein gesamtes (künstlerisches) Leben nachzeichnen soll, als vielmehr der Versuch, einen eng gefassten Zeitraum im Leben Wladimir Wyssozkis (gespielt von Sergej Bezrukow) darzustellen. Anhand von fünf Tagen sollen Freud und Leid sowie seine Anziehungskraft, die er auf seine Zeitgenossen ausgeübt hat, geschildert werden.

Der eigentliche Film beginnt mit einer Intrige. Um den unliebsamen Künstler auszuschalten oder zumindest an die Kette zu legen, müssen Schwachstellen in seinem Leben ausgemacht werden. Neben den offiziellen Auftritten gibt Wyssozki zahlreiche „illegale“ Konzerte. Über diese versucht der Geheimdienst gezielt Informationen zu bekommen. Die Allgegenwart des KGB und dessen subtile Methoden werden bereits zu Anfang deutlich. In einem Klima der Angst gibt der Konzertveranstalter und Freund Wyssozkis seinen Namen preis. Der Protagonist selbst weilt unterdessen in Moskau. Insbesondere um seinen Gesundheitszustand steht es nicht gut. Jahrelanger Drogen- und Alkoholkonsum sowie eine angeborene Herzschwäche erfordern eine radikale Änderung seines Lebenswandels. Trotz der eindringlichen Empfehlung eines Arztes und der Bitten seiner Eltern verweigert er den Gang in die Klinik mit den Worten: „Wir machen weiter wie bisher.“

Die einzige Sorge, die den Künstler umtreibt, ist nicht die Angst um sich, sondern um seine Zuhörer. Als man ihm erzählt, dass Besucher direkt nach seinen Konzerten verhaftet und verhört wurden, kommen ihm Zweifel. Trotz aller Bedenken nimmt er ein Angebot, in Usbekistan ein Konzert zu geben, an. Auf dieser Reise begleiten ihn sein Künstlerkollege Kulagin (gespielt von Iwan Urgant), sein Arzt (gespielt von Andrej Panin) sowie ein Freund, welchen man heute am ehesten als Tourmanager bezeichnen würde (gespielt von Maxim Leonidow). Hier, abseits der Hauptstadt, sieht der KGB seine Chance und versucht Wyssozki eine Falle zu stellen. Es kommt zu einer Verfolgungsjagd, bei der man bis zum Ende nicht weiß, wer Jäger und wer Gejagter ist.

Schnell wird klar, dass Wyssozki nicht ohne seine Drogen auskommt. Die Reserven seines Arztes gehen rasch zur Neige, so dass seine in Moskau verbliebene Freundin (gespielt von Oksana Akinshina) ihm seine Drogen nach Usbekistan bringen muss. Verfolgt vom Geheimdienst macht sie sich auf den Weg. Doch bevor sie ihr Ziel erreicht, wird sie festgesetzt und von Agenten des KGB (u. a. gespielt von Andrej Smoljakow) vernommen. Nachdem sie ein Geständnis ablegt, kann sie weiterfahren. Gleichzeitig kommt der Zuschauer jenem Wyssozki näher, den er erwartet. Ein Mann, „bewaffnet“ mit seiner Gitarre, geladen mit Worten, steht auf einer leeren Bühne und fordert das Regime heraus. Waren die gebrochene Stimme und der tiefe Gesang bisher Zeichen seiner Krankheit, so werden sie auf der Bühne zum Symbol des Widerstandes.

Doch die körperlichen Schäden fordern ihren Tribut. Als Wyssozki im Hotelzimmer zusammenbricht, kommt es vor den wachsamen Ohren des Geheimdienstes zu einem Überlebenskampf. Nach acht langen Minuten vergeblicher Reanimation und dem Verlust jeglicher Hoffnung auf sein Überleben erwacht der Totgeglaubte wieder. Erst in der Minute des Todes meint er, sein wahres Schicksal erkannt zu haben, und geht wieder auf die Bühne. Doch die Fäden des Geheimdienstes werden immer dichter, und alles läuft auf einen Showdown hinaus. Das Duell der beiden Hauptprotagonisten wird zur Bühne des Rebellen und zementiert seinen Status als unabhängiger Künstler auf Generationen. Mit gebrochenem Körper, jedoch unbändigem Willen stellt Wyssozki sich der Entscheidung. Alle Versuche, ihn für die Interessen des Staates einzuspannen, scheitern letztendlich.

Usbekistan ist als Schauplatz durchaus bewusst gewählt. Natürlich hätte man jedes Konzert in Russland als Erzählrahmen nehmen können, aber man entschied sich, die Akteure in die „Fremde“ zu schicken. Das eröffnet Raum für Interpretationen. An manchen Stellen ist der heutige Zuschauer geneigt, eine Kritik am gegenwärtigen „System-Putin“ zu lesen. Eine subtile Angst, ein übermächtiger Gegner und staatlich kontrollierte Kunst sind heute noch präsent. Doch am Ende wird deutlich, dass der Film weniger als Abbild der Gegenwart zu sehen ist. Der Fokus liegt auf der Person Wyssozki.

Buslow bedient sich zweier Hauptmotive in der Bildsprache. Beide können ergänzend zueinander gesehen werden. Einerseits entfaltet er Bilderwelten in bester Cinemascope-Tradition. Hier muss sich der Film vor keiner Hollywoodproduktion verstecken. Die aufwändigen Landschaftsaufnahmen sind gelungen und wurden dezent eingesetzt. Sie dienen als Spiegel der Emotionen. Die Fahrt durch die trockene, heiße und todbringende Wüste kehrt das Seelenleben der Protagonisten nach außen. Doch ist nicht die Natur, sondern die Bühne die wahre Heimat Wyssozkis. Hier wird seine ganze Kraft erst wirklich deutlich. An dieser Stelle verwendet der Regisseur eindringliche und persönliche Bilder, die die Einsamkeit des Künstlers auf der Bühne präsentieren sollen. Einzig die Magie des Künstlers bewegt die Zuschauer dazu im Saal zu bleiben. So ist er zwar umringt von Bewunderern, doch steht er stets alleine auf der Bühne. So inszeniert der Regisseur den Rebellen mit seiner ganzen Faszination. Obwohl ihm alle abraten, ein weiteres Mal die Bühne zu betreten, geht er trotzdem ans Mikrofon. Zu schwach zum Singen, erzählt er seine Texte mit der gleichen Überzeugung. Hier entfaltet sich der eigentliche Topos des Films: ein Genie gegen die Allgegenwart eines übermächtigen Systems.

Der Showdown entwickelt sich zum Kampf der Ideologien. Auf der einen Seite die herrschende, unterdrückende und in alle Lebensbereiche eindringende Diktatur, auf der anderen Seite ein Individuum, das körperlich gebrochen trotzdem mit Hilfe seiner Worte für die Freiheit kämpft. Auf welcher Seite der Sohn seinen Vater sieht, daran lässt er keinen Zweifel. So zitiert Wyssozki zum Abschluss seiner Unterredung mit dem KGB-Agenten den Dichterfürsten Alexander Puschkin mit den Worten, dass Menschen sich Vögel in Käfigen halten, um sich selbst frei zu fühlen.

Der Film stilisiert Wyssozki zur Ikone, macht ihn zum Märtyrer, zu einem Getriebenen. Nachdem der Held nach allen medizinischen Merkmalen bereits für tot befunden wird, jedoch wieder ins Leben eintritt, bezeichnet sein Leibarzt dieses Wunder als „Auferstehung“. Endgültige Gewissheit hinsichtlich der Intention des Films gibt schließlich der Abspann. Hier wird nochmals versichert, dass der Todeskampf auch tatsächlich stattfand und in den Protokollen verbürgt sei. Diese Momente des Pathos hat der Film und vor allem die reale Person Wyssozki eigentlich nicht nötig, und sie haben dabei noch einen ironischen Beigeschmack: Nikita Wyssozki hebt seinen Vater empor, obwohl dieser stets gegen jede Art der Heroisierungen sang.

Bei aller Anerkennung des Handwerks (Dramaturgie, Bildsprache, Musik und insbesondere der Maskenarbeit) – deutlich ist der ungenügende Abstand zwischen Fakten und Fiktion. Welches Ziel der Regisseur auch verfolgte, menschlicher hat er Wyssozki nicht gemacht. Etwas Tröstliches bleibt dennoch: die zeitlosen Lieder Wyssozkis.