von Tino Schmidt

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1. Februar 2010

Gedämpftes Licht, das auf asphaltfarbenen, blaugrauen Grund trifft und das klickende Ge­räusch der Bildwechsel eines Diaprojektors im Hintergrund sind die atmosphärische Kulisse des cineastischen Spaziergangs durch Metropolis, zu dem die Kuratoren der Ausstellung, Kristina Jaspers und Peter Mänz, den Besucher einladen möchten.

In der vierten Etage ihres Gebäudes am Potsdamer Platz auf 250 m² zeigt die Deut­sche Kinemathek seit dem 21. Januar diesen Jahres die Aus­stellung „The Complete Metropolis“. Der Titel spielt auf die geglückte Rekon­struktionsarbeit der ver­gange­nen zwei Jahre an, deren Ergebnis am 12. Februar 2010 weltweit der Öffent­lichkeit präsen­tiert wurde. Ein spektakulärer Fund von verloren geglaubtem Filmmaterial in einem argentinischen Archiv ermöglichte die Wiederher­stellung des kurz nach der Urauf­führung 1927 stark gekürzten Films. Anlässlich der Weltpremiere dieser restaurierten Film­fassung ist es erstmalig gelungen, alle noch existierenden Originaldokumente an einem Ort zu verei­nigen, um die „Geschichte von der künstlerischen Vision und der gigantischen Pro­duktions­geschichte“ des Films zeitgemäß dem Publikum zu präsentieren. Unter den 196 ausge­stellten Objekten finden sich Auszüge aus dem Drehbuch, die Partitur der Film­musik, Architektur- und Kostüment­würfe, Medienstationen zu verschiedenen Filmtricks, Requisiten, Kameratechnik und 200 Werkfotos als großformatige Diaprojektionen.

Bevor der Besucher vollends in den Film eintauchen kann, steht noch eine Art Briefing an. Kurz wird er mit der Handlung, den Figuren und den Orten vertraut gemacht, um schließlich auf die filmgeschichtliche Einordnung von Metropolis zu treffen: „Gewaltige Hochhausschluchten, durch die Flugzeuge und Hochbahnen rasen, stoisch mar­schierende Arbeiterkolonnen in düsterer Kleidung, ein von Leuchtringen umstrahlter Roboter – der Maschinenmensch: Er[…] „ist sicherlich einer der visuell einflussreichsten Filme der Filmgeschichte.“ Seine […] „Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.“[1] Nun ist der Besucher bereit, Metropolis zu betreten. Die „Stadt der Söhne“, die „Maschinenräume der Arbeiterschaft“, die „Oberstadt“, „Rotwangs Haus“, die „Katakomben“ und der „Dom“ heißen die zu besichtigenden Stationen. Jeder dieser Orte folgt einem gleichartigen Präsen­tationskonzept. Sie zeigen die zentralen Szenen des Drehbuchs, sowie Ausschnitte der Partitur Gottfried Huppertz ergänzt durch Fotografien, Skizzen, Diaprojektionen und einer so genannten Medienstation, die noch einmal die „Szene“ unter dem Aspekt der trick- und film­technischen Leistungen im Zusammenspiel mit der Musik darstellt. Beispielsweise setzte Eugen Schüfftan, Kameramann am Set von Metropolis, das nach ihm benannte Verfahren, eindrucksvoll bei der Erschaffung monumentaler Bauten ein. Ein Spiegel vor der Kamera fängt das Bild eines Modells ein, nur der Ausschnitt für die Aufnahme der Darsteller wird aus dem Spiegel entfernt, so dass er an dieser Stelle durchsichtig ist. Für die „Stadt der Söhne“ konnte er so die riesigen Dimensionen des Stadions realistisch abbilden. An den anderen Orten der Stadt  erfährt man etwas über die synchrongeschaltete Rückprojektion oder über Lichttricks die durch Mehrfachprojektion und Mehrfachbelichtung realisiert wurden. Am Ende des filmhistorischen Exkurses kommt der Besucher in der Gegenwart wieder zu sich und stößt auf eine Leuchtreklamewand, die in ihrer Erscheinung an Filmnegative angelehnt zu sein scheint. In weiß auf schwarz leuchten die Worte und Bilder, die die technisch aufwendige Rekonstruktionsarbeit der wiederentdeckten Filmteile beschreiben und bebildern.

Nachdem der Besucher alle Orte der Stadt gesehen hat, wird er zu einer weiteren Reise eingeladen: Der Dokumentarfilm „Reise nach Metropolis - Die Geschichte eines filmischen Meisterwerks und seiner Restauration“ von Artem Demenok schildert die Verwandlung des Films von einem Kassenflop zu einem der wichtigsten Werke der Filmgeschichte. Er zeigt die zeitgenössischen Einflüsse aus Kunst und Architektur auf die Entstehung von Metropolis und berichtet über die späteren Anstrengungen den Film in seiner Originalfassung wieder herzustellen. Diese Geschichte beginnt lange vor dem Fund in Buenos Aires. Seit den 1970er Jahren wuchs das Interesse und damit die Bemühungen zahlreicher Filmhistoriker und Archivare, verlorene unbekannte Filmschnipsel des Originals aufzuspüren, um der Originalfassung von 1927 ein Stück näher zu kommen. Der vielleicht bedeutendste Fund vor 2008 war die Zensurkarte, die eine genauere Kenntnis der Einstellungs- und Szenenfolge vermittelte. Auf ihrer Grundlage in Verbindung mit Drehbuch und Partitur erstellte Enno Patalas eine Studienfassung mit Hinweisen auf die fehlenden Szenen. Der Film geht ferner auf die Neumontage und Auseinandersetzung mit dem Filmerbe ein. An dieser Stelle wird besonders auf die Bedeutung der schillernden Pop Bearbeitung des Stoffs durch Giorgio Moroder eingegangen. Diese Fassung inspirierte viele Künstler wie z. B. den Regisseur David Fincher in seinem Musikvideo für Madonnas Titel „Express Yourself“. Ein Gemeinplatz ist der Einfluss von Metropolis auf Filme wie „Blade Runner“.

Neben den zitierten Filmen kommen die Protagonisten des Restaurationsprozesses Paula Félix-Dedier, Direktorin des „Museo del Cine“, in dem der Film gefunden wurde, der Filmhistoriker Enno Patalas, Martin Koerber, Filmrestaurator der Friedrich Murnau-Stiftung und der Initiator der Geschichte, Fritz Lang zu Wort.

Interessanterweise distanziert sich Lang von der Handlung des Films und schreibt die Hauptverantwortung für den Plot seiner damaligen Frau, Thea von Harbou, zu. Zwar sei er mitverantwortlich gewesen, jedoch stand für ihn immer die Umset­zung neuer revolutionärer Filmtechniken im Vordergrund. Dieses Statement Langs überrascht nicht angesichts der öffentlichen Reaktionen nach der Uraufführung von 1927. Sicherlich hatte der Film das Publikum beeindruckt, es waren aber in erster Linie die Kraft der Bilder und die filmtechnische Seite, die begeisterte.[2] Unter den Lobeshymnen auf die deutsche Filmkunst finden sich auch kritische Töne, die das ambivalente ästhetische Spiel mit der Masse monierten.[3] Vor allem aber wurde die Handlung als naiv und rührselig abgetan. Harbous Drehbuch wurde als „Ideen-Cocktail“ aus „zusammengerafften Ingredienzchen“ „aus etwas Sozialideologie“,  „drei Tropfen Verbrüderungshimbeer“ und „einem Spritzer indischer Kapitalweisheit“ bezeichnet.[4]  So wurde Metropolis für seine Filmtechnik gefeiert und für seine Handlung belächelt. In finanzieller Hinsicht war das Mammut-Projekt ein Desaster für die UFA.

Die Ausstellung versteht sich als Rahmenprogramm der Uraufführung am 12. Februar 2010. Mit dieser konzeptionellen Entscheidung sind leider zahlreiche interessante Aspekte unterbelichtet geblieben. Auch Demenok streift in erster Linie den politischen Kontext der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Metropolis. Dabei hätte ein Vergleich der jeweils zeitgenössischen Interpretationen, zumindest ein Vergleich der 1930er Jahre mit den ersten Jahren des neuen Jahrtausends, einen spannenden Einblick in den Wandel des Zeitgeists erlaubt.[5]

Begleitende Veranstaltung: Mi., 24.4.2010 Symposium "Mann – Frau – Maschine” / Veranstaltungsraum im 4. OG, Deutsche Kinemathek In Kooperation mit dem Einstein Forum, Potsdam Weitere Informationen folgen.

 

 


[1] „Complete Metropolis“.  Austellungstext „Prolog“, online unter URL: <http://www.deutsche-kinemathek.de/>.

[2] Siehe dazu: Presseschau, „Klischee,Platitude und Chaos“, in: Zeit-online vom 2.07.2008, online unter URL: <http://www.zeit.de/online/2008/27/metropolis-kritiken>.

[3] Ebd. : Theodor Heuß in „Die Hilfe“ vom 15.02.1927

[4]Kinematographisches. Metropolis.  Zur Premiere des Ufafilms im Orientcinema, in: NZZ, 1927, online unter URL: <http://static.nzz.ch/files/4/1/3/metropolis_1.3943413.pdf>.

[5] Minden, Michael (Hrsg.): Fritz Lang´s Metropolis. Cinematic visions of technology and fear, Rochchester 2000; Kracauer, Siegfried: Von Caligari zu Hitler: eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Frankfurt a. Main 1984.