von Jasmin Lörchner, Bianca Walther

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8. März 2021

Bianca Walther und Jasmin Lörchner sind die Macherinnen der Geschichtspodcasts Frauen von damals und HerStory. Wir haben sie pünktlich zum Women's History Month, in dem sie miteinander auf Twitter kooperieren und 31 Tage lang Frauengeschichte sichtbar machen, interviewt.

 

 

zeitgeschichte|online: Frau Lörchner, Sie sind Journalistin und beobachten seit Jahren den Wissenschaftsbetrieb, bearbeiten selbst historische Themen für ein breites Publikum. Was könnten Wissenschaftler*innen von Ihnen lernen, hinsichtlich der Vermittlung von Geschichte?

 

Lörchner: Im Journalismus funktioniert Geschichtsvermittlung nur mit lebendigen Beschreibungen. In meinen Texten schaffe ich anhand der mir zugänglichen Fakten Szenen für die Leser*innen, damit sie ein Bild von dem Ereignis und Zeitalter bekommen, über das ich schreibe. Das geht in Forschungsbeiträgen natürlich nur in begrenztem Rahmen, weil sich Wissenschaftler*innen dort an akademische Vorgaben halten müssen. In der Kommunikation mit breitem Publikum finde ich das aber sehr hilfreich.

Für meine Recherchen spreche ich häufig mit Historiker*innen in Deutschland und den USA und stelle immer wieder fest, dass viele in den sozialen Medien Einblicke in ihre Forschung geben. Meiner Meinung nach ist das ein großartiger Weg, um die Öffentlichkeit zu erreichen. US-Historiker*innen avancierten zum Beispiel während der Trump-Präsidentschaft zu Faktenchecker*innen und stemmten sich mit historischen Einordnungen gegen Desinformation und Geschichtsverfälschung.

Wie gut die sozialen Netzwerke auch im deutschen Raum für eine neue Form der Geschichtsvermittlung funktionieren können, zeigt für mich zum Beispiel der Twitter-Account @Krieg7071 von der Ruhr-Universität Bochum und der PH Ludwigsburg. Lehrende und Studierende betreuen den Account gemeinsam und rekonstruieren dort auf Basis historischer Quellen den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 beinahe wie in einem Liveticker. Die Followerzahlen und positiven Reaktionen zeigen, dass sie damit ins Schwarze getroffen haben.

Potenziale sehe ich für die Wissenschaftswelt außerdem in Podcasts. Forscher*innen teilen regelmäßig in Radiointerviews ihr Wissen, warum also nicht selbst auf Sendung gehen? Zumal das Format auch weniger formal ist und einen lockereren Ton zulässt. Geschichtspodcasts stoßen auf großes Interesse. Und zwar auch gerade dann, wenn sie an aktuelle Entwicklungen anknüpfen. Die Journalistin und Podcasterin Nora Hespers erzählt etwa in ihrem Format „Die Anachronistin“ von ihrem Großvater im NS-Widerstand und liefert dabei wichtige Denkanstöße für den Umgang mit rechten Gesinnungen in der heutigen Gesellschaft. Mit solchen Formaten können Wissenschaftler*innen Geschichtsvermittlung neu denken.

 

zeitgeschichte|online: Frau Walther, Sie bezeichnen sich selbst als „spätberufene Quereinsteigerin“ Was genau meinen Sie damit?

 

Bianca Walther: (lacht) Das ist eigentlich nur halb ernst gemeint. Aber in der Tat habe ich zunächst etwas anderes studiert. Ich habe einen Abschluss als Diplom-Dolmetscherin für Deutsch, Englisch und Französisch von der Universität Mainz/Germersheim und arbeite seit 1999 als freiberufliche Konferenzdolmetscherin. Das tue ich gern und möchte es nicht missen – schon allein, weil es so abwechslungsreich ist. Einen Tag geht es um das transatlantische Verhältnis, am nächsten über die Antriebstechnik. Wenn man das ganz große Los zieht, erzählt man am Tag darauf etwas über verbesserte Ergonomie in der Absamung von Zuchtebern.

Nach zehn Jahren im Beruf hatte ich aber Lust, in ein Fachgebiet einmal richtig tief einzusteigen, statt am nächsten Tag weiterzuziehen. Historikerin zu werden, die Frage hatte sich mir zu Schulzeiten nie gestellt. Erstens liebte ich nun einmal Fremdsprachen und wollte seit meiner Jugend immer nur Dolmetscherin werden, und zweitens hatte Geschichte mir so, wie sie in der Schule gelehrt wurde, nie Spaß gemacht. Irgendwann entdeckte ich dann aber, dass Geschichte gar nicht nur dröge Männersache mit Jahreszahlen war. Ich begann, Bücher über Frauenrechtlerinnen zu lesen, Biografien von Frauen, die Geschlechterrollen in Frage stellten. Rosemarie Nave-Herz ist mir da noch im Kopf, deren Buch über die Alte Frauenbewegung Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland es bei der Bundeszentrale für politische Bildung gab. Und Lillian Fadermans Surpassing the Love of Men über frauenliebende Frauen in der Geschichte. Das war ein wahrer Augenöffner! Überhaupt tat sich da eine ganze Welt auf. Aber wie gesagt, lange Zeit blieb das einfach nur ein Hobby – bis sich die Möglichkeit ergab, an der Fernuniversität Hagen in den Master „Geschichte der Europäischen Moderne“ einzusteigen. Das war perfekt. Es war genau der Zeitraum, der mich interessierte, und es ließ sich mit dem Beruf vereinbaren.

 

zeitgeschichte|online: Wo gab es auf dem Weg dahin, wo Sie beide nun sind, (geschlechtsspezifische) Hürden und wie haben Sie diese überwunden?

 

Lörchner: Ich wurde kurz vor dem Mauerfall in der DDR geboren und gehöre zur ersten Generation meiner Familie, die studieren konnte. Diese beiden Punkte prägen meine Biografie stärker als geschlechtsspezifische Hürden – ich hatte bisher glücklicherweise nie das Gefühl, dass mir aufgrund meines Geschlechts eine Tür verschlossen geblieben ist.

Für mich ging es auf meinem bisherigen Weg darum, meinen Platz an der Universität zu finden, das ostdeutsche Idealbild der frühen Familiengründung zu hinterfragen und mir als Arbeiterkind eine Karriere im Journalismus zu erschließen.

Das ging für mich über einen Abnabelungsprozess, bei dem ich mich wiederholt absichtlich weit vom Vertrauten wegbewegt habe: etwa die Entscheidung, nicht nahe meiner brandenburgischen Heimat, sondern in Aachen im äußersten Westen der Republik zu studieren. Nicht in den Lokaljournalismus zu gehen, sondern für überregionale Medien arbeiten zu wollen. Oder die Entscheidung, als freie Journalistin in die USA zu gehen.

 

Walther: Für mich selbst kann ich das verneinen. Ich komme aus einem Beruf mit einem Frauenanteil von etwa 75%. Frauen sind seit Jahrzehnten im Top-Management der institutionellen Sprachendienste, in Führungspositionen in den Berufsverbänden und auch sonst überall zu finden – wenngleich man sagen muss, dass auch bei uns die männlichen Kollegen ganz gut dafür sorgen, immer ein kleines bisschen wahrnehmbarer zu sein, als es ihr Anteil am Berufsstand hergibt. Das hat auf mich aber keine Auswirkung. Wichtig war mir, dass es immer Frauen als Vorbilder gab, an denen ich mich orientieren konnte.

An der Fernuniversität kann ich auch nicht von Hürden sprechen. Es herrschte insgesamt eine sehr wertschätzende Atmosphäre, und die Lehrenden waren es gewohnt, sich auf die unterschiedlichen Situationen der Studierenden einzustellen. Wir alle kamen ja von irgendwo her; viele hatten Familie und die allermeisten einen Beruf. Ich hatte nie das Gefühl, an irgendeiner akademischen, möglicherweise männlichen „Normalbiografie“ gemessen zu werden.

 

zeitgeschichte|online: Frau Walther, Sie arbeiten seit 1999 als Konferenzdolmetscherin und finanzieren damit Ihre Forschungsprojekte. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen Ihrer Arbeit als Dolmetscherin und den, in der Regel begrenzten, Projektlaufzeiten?

 

Walther: Indem ich auf öffentliche Förderung verzichte, sofern sie an Laufzeiten gebunden ist. Das Dolmetschen geht vor. Wenn meine Kund:innen einen kurzfristigen Termin haben oder eine dringende Übersetzung brauchen, müssen die alten Damen warten. Das bedeutet, dass sich die Sache mit der Dissertation etwas zieht, aber das ist eben so. Und es hat auch Vorteile, denn es gibt mir die Freiheit, das zu machen, was ich gerne tue.

 

zeitgeschichte|online: Frau Lörchner, in Ihrem Podcast „HerStory“ stellen Sie die Biographien von „starken Frauen der Geschichte“ vor? Nach welchen Kriterien/ Wie wählen Sie die Frauen, die Sie in Ihrem Podcast vorstellen, aus? Und welche (inter-)nationalen lebensgeschichtlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede fallen Ihnen in den Frauenbiographien maßgeblich auf?

 

Lörchner: Dazu sollte ich vielleicht vorwegsagen, dass „starke Frauen“ in meinen Augen nicht nur Frauen mit außergewöhnlichen Biografien sind. Sondern alle Frauen, die die Beschränkungen ihrer Zeit und ihrer Gesellschaft meistern. Im Podcast möchte ich darauf künftig auch mit besonderen Folgen mit Blick auf Alltagsgeschichte ein Schlaglicht werfen, arbeite aber derzeit noch an dem Konzept dafür.

Bei der Auswahl für „HerStory“-Episoden stelle ich mir selbst den Anspruch, auf verschiedene Genres, Zeiten und Länder zu schauen. Gerade der internationale Blick ist mir wichtig, um Geschichte nicht nur mit einem westlichen Fokus zu erzählen. Unabhängig von ihrer Nationalität und der Gesellschaft, in der diese Frauen lebten, ist ihnen meiner Meinung nach vor allem eines gemeinsam: dass sie den an sie gestellten Erwartungen nicht entsprochen haben. Die Motivationen dahinter sind vielfältig, aber letzten Endes eint diese Frauen, dass sie mit bestimmten gesellschaftlichen Normen nicht konform gingen.

Im Podcast behandle ich außerdem Frauen, die nicht als Vorbilder taugen. Weil ich persönlich das Gefühl habe, dass bei den negativen Seiten der Frauengeschichte noch Unsicherheit herrscht – etwa, wie die Biografien von Täterinnen thematisiert werden sollen. Dabei sind Frauen von problematischen und kriminellen Lebenswegen ja nicht ausgenommen. Ich kann diese Unsicherheit verstehen: Jetzt haben wir gerade erst angefangen, Frauen stärker ins Licht zu rücken, müssen wir jetzt gleich die Negativbeispiele beleuchten? Ich glaube: Ja, das müssen wir – nur so stellen wir sicher, dass wir in der Vermittlung von Frauengeschichte keinen blinden Fleck entstehen lassen.

 

zeitgeschichte|online: Auf Ihrem dazugehörigen Blog publizieren Sie Artikel zu Ihren jeweiligen Podcastfolgen. Wie sind Sie auf die Idee zum Blog gekommen? Was hat Sie motiviert, den Blog zu starten?

 

Lörchner: Der Blog war als Anreicherung gedacht, um Themenbereiche zu vertiefen und Hintergründe zu liefern, die ich in den jeweiligen Episoden nicht immer ausgiebig besprechen kann. Ich habe ihn eher als Begleitmedium zum Podcast angelegt. Wobei sich aktuell die Kommunikation über Twitter in den Vordergrund gedrängt hat. Ich habe gemerkt, dass ich mit Wissens-Häppchen in kurzen Tweets teilweise mehr Aufmerksamkeit für Themen generieren kann als mit einem Blogpost. Etwa zur Amtseinführung von Joe Biden, als ich einen Thread über die First Ladies der USA angelegt habe. Der bekam sehr viel Aufmerksamkeit und lenkte ein Schlaglicht darauf, wie die First Ladies über Jahrhunderte die Präsidentschaft mitgeprägt haben.

Aktuell führen Podcasterin Bianca Walther und ich auf Twitter einen gemeinsamen Thread für den Womens History Month. Im Wechsel stellen wir jeden Tag im März eine Frau vor – von der Römerzeit bis heute und von allen Kontinenten. Diese Wissenshäppchen sind für die Follower*innen interessant und bieten die Möglichkeit, jeden Tag neue Leser*innen zu erreichen und für das Thema Frauengeschichte zu begeistern. Deshalb war Twitter hier in unseren Augen das beste Medium dafür.

 

zeitgeschichte|online: Auf Ihrem Blog „Frauen von damals. Streifzüge durch die Frauengeschichte“ publizieren Sie, Frau Walther, „Kurzbiographien und Kuriositäten aus der Frauenbewegung um 1900 und Randnotizen aus der frauenhistorischen Forschung. Wie sind Sie auf die Idee zum Blog gekommen?

 

Walther: Das hat viel damit zu tun, wo ich mich als Historikerin sehe. Ich möchte meine Ergebnisse zugänglich machen. Außerdem haben sich im Zuge der Recherchen für meine Dissertation über weibliche Lebensgemeinschaften im Bürgertum um 1900 so viele Nebengleise ergeben, die viel zu schade sind, um in der Schublade liegen zu bleiben. Die Geschichte der Polizistinnen Martha Mosse und Friedrike Wieking zum Beispiel, die beide Pionierinnen der weiblichen Polizeiarbeit waren und deren Leben so unterschiedliche Verläufe nahmen. Oder der Lebenslauf der Ärztin Elisabeth Winterhalter, die sich mit ihrer Lebensgefährtin, der Malerin Ottilie Roederstein, ein gemeinsames Leben mitten in der Frankfurter bürgerlichen Gesellschaft aufbaute. Und es ist schön, zu sehen, wie das Angebot angenommen wird. Der Blog-Post über Elisabeth Winterhalter wurde kürzlich in einem Ausstellungskatalog zitiert; über den Artikel zu der Münchner Frauenrechtlerin Ika Freudenberg hat mich eine Nachfahrin der Familie kontaktiert. Aus diesem Kontakt entstand in Kooperation mit dem Archiv der deutschen Frauenbewegung ein Antrag auf ein Ehrengrab für Ika Freudenberg. Das sind genau die Früchte, über die ich mich riesig freue. Noch mehr freue ich mich natürlich, wenn Ika Freudenberg das Ehrengrab auch wirklich bekommt.

Dr. Martha Mosse testifies for the prosecution against Gottlob Berger during the Ministries Trial, 26.02.1948, Foto: United States Army Office of the Chief of Counsel for War Crimes (n.d.), photographer; Quelle: Wikimedia Commons; Lizenz: Public Domain.

 

zeitgeschichte|online: In der ersten Staffel Ihres gleichnamigen Podcasts „Frauen von damals“ stellen Sie die Biographien von deutschen Frauenrechtlerinnen wie Ika Freudenberg, Anna Pappritz, Gertrud Bäumer, Minna Cauer, Anita Augspurg aber auch internationale Frauenpersönlichkeiten wie die britische Ethnologin Mary Kingsley, die sierra-leonische Frauenrechtlerin Adelaide Smith Casely Hayford oder die schwedische Nobelpreis Trägerin für Literatur Selma Lagerlöf vor. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Frauen, die Sie in Ihrem Podcast vorstellen, aus?

 

Walther: Viele der Frauen entstammen meinem Dissertationsprojekt oder ich kenne sie sozusagen noch aus dem Studium. Letztlich entscheidet da die Chemie. Ich habe keine Strategie. Wenn ich über eine Frau lese und finde, dass ihre Geschichte dringend unter die Leute gehört, dann erzähle ich sie. Zu Mary Kingsley und Minna Cauer habe ich während des Studiums Hausarbeiten geschrieben; die Liebesbriefe von Selma Lagerlöf und den Frauen in ihrem Leben sind wichtige Quellen für meine Dissertation. Anna Pappritz ist mir besonders nah, weil ich im Sommer 2019 das Tagebuch ihrer Indienreise fand. Dessen Existenz war in der Forschung zwar schon vermutet, aber niemand wusste, wo man suchen sollte. Ich hatte auch nicht danach gesucht – aber plötzlich hatte ich es im Keller des Bundesarchivs in der Hand. Und da musste die Doktorarbeit eben ein Jahr auf die Warmhalteplatte, weil ich mich zuerst einmal damit beschäftigen wollte.

 

zeitgeschichte|online: Warum vertonen Sie diese Biographien von Frauenrechtlerinnen um 1900? Was genau hat Sie dazu motiviert?

 

Walther: (lacht) Akuter Mikrofonentzug! Als im letzten März plötzlich alle Veranstaltungen abgesagt wurden und damit auch alle Dolmetscheinsätze aus meinem Terminkalender verschwanden, habe ich mich gefragt: Wohin denn jetzt mit all den Wörtern? Und da kam mir die Idee, zunächst einmal ein paar Blogbeiträge einzusprechen. Es war ein sehr spontaner Beginn. Vom Podcasten hatte ich da noch keine Ahnung. Zuerst wollte ich einfach nur meine Blogposts als Hörversionen zur Verfügung stellen. Dass Podcasts ein eigenständiges Medium mit viel mehr Potential sind, habe ich erst nach und nach herausgefunden und lerne auch nach Ablauf der ersten Staffel noch jede Menge dazu. Aber gerade das macht den Reiz aus. Das, und der Community-Faktor. Ich habe über das Podcasten tolle Menschen kennengelernt, sowohl unter den Hörenden als auch unter den Mit-Podcaster:innen. Und es ist wunderschön, etwa auf Twitter oder sogar per Mail Rückmeldung zu den Folgen zu bekommen.

 

zeitgeschichte|online: Welche (inter-)nationalen lebensgeschichtlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es in den Frauenbiographien um 1900?

 

Walther: Was die lebensgeschichtlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede angeht, war ich immer wieder überrascht, wie sehr sich die Anliegen der Frauen im europäischen und nordamerikanischen Bürgertum ähnelten. Jedes Land hat rechtliche, jede Gesellschaft kulturelle Besonderheiten, aber die Unterschiede waren eher gradweise. So war die Mädchenbildung in manchen Ländern besser als in anderen, hatten Frauen in Großbritannien und Schweden zu vielen Berufen früher Zugang als in Deutschland. Aber im Großen und Ganzen waren die Anliegen ähnlich: Es ging darum, sich einen Lebensunterhalt verdienen zu können, Talente ausleben zu können, und ganz wichtig: sich ins Gemeinwesen einbringen zu können. Wo auch immer die bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert ihren Siegeszug angetreten hatte, waren Frauen ja explizit von den Verheißungen einer freieren, demokratischeren Gesellschaft ausgeschlossen worden. Das schuf ähnliche Problemlagen, über die die Frauen sich auch intensiv miteinander vernetzten. Kommunizieren konnten sie ja, denn wenn sie auf der Mädchenschule so gut wie nichts gelernt hatten – ein, zwei Fremdsprachen waren doch meist dabei.

Unterschiede bestanden eher innerhalb von Ländern, und zwar zwischen Frauen unterschiedlicher Schichten und Lebenswelten. Meine Ur-Urgroßmutter Friederike zum Beispiel, 1858 geboren, heiratete als hochschwangeres Dienstmädchen den Witwer ihrer kurz zuvor verstorbenen Schwester, bekam in einer winzigen, wahrscheinlich feuchten Kreuzberger Mietwohnung sieben weitere Kinder und starb mit 41 Jahren an Hirnhautentzündung, möglicherweise verursacht durch die katastrophalen hygienischen Zustände in den Mietskasernen. Das war eine völlig andere Welt als die der Frauen des Bürgertums, eine Welt mit immens hoher Kindersterblichkeit, Mangelernährung, Krankheiten und frühem Tod.

Dass ich das gegenüberstelle, heißt aber nicht, dass ich den bürgerlichen Frauen ihre Privilegien vorwerfe. Was zählt, ist für mich, was die Frauen aus ihren Privilegien machten. Und da sehen wir gerade bei vielen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen, dass sie nicht nur für ihre eigenen Belange kämpften, sondern auch immer diejenigen von Arbeiterinnen und in Armut lebenden Frauen mitdachten – und zwar nicht als Wohltätigkeitsdamen, die Almosen verteilen, sondern als Unterstützerinnen, die sehr oft bereit waren, ihre eigene Position zu reflektieren. Es waren bürgerliche Frauen, besonders in Deutschland maßgeblich viele jüdische Frauen, die die moderne Sozialarbeit entwickelten. Somit entstanden also, gerade motiviert durch die Frauenbewegung, viele Begegnungen zwischen Frauen unterschiedlicher Schichten, die natürlich nie frei von gesellschaftlichen Machtdynamiken waren, aber doch zu mancher interkulturellen Begegnung und manchem Perspektivwechsel führte. Das übrigens auch nicht nur in Deutschland; ausgegangen waren diese Impulse von den USA und Großbritannien.

 

zeitgeschichte|online: Arbeiten Sie eigentlich allein oder im Team?

 

Walther: Ich arbeite allein. Außer natürlich, es ergeben sich spontane Kooperationsmöglichkeiten wie etwa mit Jasmin Lörchner, die den Podcast HerStory produziert und mit der ich im letzten November eine sehr spaßige und, wie ich finde, sehr schöne Folge zu Anita Augspurg aufgenommen habe. Im Moment twittern wir gerade Hand in Hand zum Hashtag #WomensHistoryMonth 31 Frauenbiografien aus aller Welt. Projekte wie die Blogparade #femaleheritage der Monacensia München finde ich auch toll. Da bin ich unter anderem mit zwei Blogposts dabei. Für solche kurzen, knackigen Projekte bin ich immer zu haben – alles, was sich mit meinem manchmal sehr kurzzyklischen Arbeitsrhythmus vereinbaren lässt.

Fünf Mitglieder vom «Verein für Frauenstimmrecht», von links nach rechts: Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily von Gizycki, Minna Cauer und Sophia Goudstikker, um 1896; Quelle: Wikimedia Commons; Lizenz: Public Domain.

 

zeitgeschichte|online: Zurück zu Ihnen, Frau Lörchner: Wie ist das Feedback auf die Arbeit Ihres Blogs und Podcasts „HerStory“, beispielsweise auch auf Social Media?

 

Lörchner: Die Rückmeldungen sind wahnsinnig positiv, auch auf Social Media habe ich bisher überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Viele verstehen und wertschätzen, dass der Podcast, Blog und meine Präsenz auf Social Media von der Recherche bis zur Veröffentlichung viel Arbeit machen. Ich bekomme über Social Media Nachrichten, die mich erstaunen und bewegen. Weil die Hörer*innen mir schreiben, wie sie HerStory zum Teil ihres Alltags machen: manche machen damit den Hausputz, Künstler*innen zeichnen oder malen dazu.

Mein schönstes Feedback kam von einer bayerischen Lehrerin, die schrieb, der Podcast habe sie dazu inspiriert, im kommenden Schuljahr einen Kurs explizit zur Frauengeschichte auszuarbeiten. Als ich das gelesen habe, war ich baff – und habe mich wahnsinnig gefreut. Die Wertschätzung, die mir meine Hörer*innen entgegenbringen, ist eine große Bereicherung.

 

zeitgeschichte|online: Wovon haben Sie innerhalb Ihrer Laufbahn profitiert? Hatten Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn Vorbilder* oder Mentor*innen?

 

Lörchner: Mentor*innen bringt der Journalismus meiner Erfahrung nach nicht mit sich. Einen wichtigen Einfluss hatte ein älterer Kollege aus meinem allerersten Job im Lokaljournalismus. Mit einer Mischung aus Herausforderung und konstruktivem Feedback half er mir, erste Erfahrungen zu sammeln und als Berufsanfängerin ein Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten aufzubauen. Beim Sprung ins Volontariat bei einer überregionalen Zeitung waren diese Erfahrungen extrem wichtig, weil dieser Wechsel in eine neue Form des Journalismus ein kleiner Kulturschock war und bei mir anfangs auch Selbstzweifel auslöste, ob ich das kann.

In dieser Zeit im Volontariat und unmittelbar danach habe ich gelernt, dass ich mich vor allem auf mich selbst verlassen und meinen eigenen Fähigkeiten vertrauen muss. Dieses Selbstvertrauen aufzubauen ist nicht immer einfach, aber mir persönlich hilft, regelmäßig inne zu halten und Bilanz zu ziehen, auf welche Texte oder Projekte ich besonders stolz bin. In jüngster Vergangenheit ist das zum Beispiel HerStory.

Natürlich beobachte ich die Arbeit von Kolleg*innen, deren Schreibstil ich toll finde, deren Werdegang mich inspiriert oder deren Erfolge ich feiere. Für mich geht es heute aber weniger um Vorbilder als um Inspiration: Als Freiberuflerin umfasst mein Job nicht nur das Schreiben von Artikeln, sondern alles von der Entwicklung von Themenideen über die Kontaktaufnahme zu Medienhäusern, Werbung für die veröffentlichten Texte, bis hin zu Überlegungen, wie ich mein Ein-Frau-Unternehmen erfolgreich für die Zukunft aufstelle. Ich halte immer die Augen offen nach Menschen, die einen oder mehreren dieser Bereiche gut meistern und picke mir daraus die Learnings heraus, die ich für mich hilfreich finde.

 

Walther: Netzwerke. Starke Netzwerke von Frauen und auch Männern, die mir zu Anfang meines Berufslebens Vertrauen geschenkt haben, mich empfohlen haben, mir Aufträge zuspielten, und mit denen ich mich über Berufspraxis und Entwicklungen austauschen kann. Das versuche ich, weiterzugeben. Wenn wir uns gegenseitig nach vorn schubsen, landen wir alle weiter vorne, als wenn jede für sich selbst läuft.

 

zeitgeschichte|online: War die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Ihrem Werdegang ein Thema, und wenn ja, auf welche Weise?

 

Lörchner: Der Beruf und die Arbeit in der Branche schaffen gewisse Fakten, die sich auf eine Familienplanung auswirken. Für den Werdegang im Journalismus sind Studium und Volontariat eigentlich unumgänglich. Danach bekommen Jungjournalist*innen oft Jahresverträge oder werden als Elternzeitvertretungen eingestellt, bevor sie irgendwann entfristet werden. In dieser Situation ist es für jemanden am Anfang der Karriere beinahe unmöglich, eine Familienplanung zu machen.

Für Frauen stellt sich dann die Frage, ob sie die Situation so akzeptieren oder mit einer Schwangerschaft die Verlängerung eines befristeten Vertrags riskieren. Ich habe die Situation damals für mich so akzeptiert, weil zu diesem Zeitpunkt die Jobsicherheit wichtiger war.

 

Walther: Fragen Sie mich das nochmal im Mai; da kriegen wir nämlich einen Welpen! Nein, Spaß beiseite. Dadurch, dass ich keine Kinder habe und meine Frau und ich uns gegenseitig in dem unterstützen, was wir machen, hat sich das Problem nie gestellt.

 

zeitgeschichte|online: Inwiefern hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit beeinflusst/verändert?

 

Lörchner: Die ersten Wochen waren sehr ungewiss. Als hätte jemand bei voller Fahrt die Notbremse gezogen, kam wirklich alles zum Erliegen. Mitten in dieser Phase fiel dann bei mir die Entscheidung für den Podcast. Ich dachte: Bevor ich rumsitze und nichts zu tun habe, setze ich jetzt endlich die Podcast-Idee in die Tat um. Im Nachhinein betrachtet war das eine meiner besten Entscheidungen vergangenes Jahr.

Glücklicherweise folgte auf die anfänglichen Auftragseinbrüche eine schnelle Erholung. Viele Medienhäuser erkannten nach dem ersten Schock schnell, dass sie ihre Publikationen unter veränderten Bedingungen weiter produzieren mussten und dafür Autor*innen brauchten. Manche Veröffentlichungstermine wurden verschoben, aber die Budgets wurden zum Glück nicht komplett eingefroren.

Damit bin ich wesentlich glimpflicher davongekommen als viele Kolleg*innen: Ich bin bestürzt über die Lage freier Journalist*innen, die beispielsweise Kulturjournalismus oder Sportjournalismus machen und denen beinahe über Nacht alles weggebrochen ist. Für sie ist die Coronakrise eine Katastrophe.

 

Walther: Oje, grundlegend! Aber ich habe noch Arbeit, im Gegensatz zu vielen anderen Selbstständigen und Freiberufler:innen gerade im Kulturbetrieb, deren Markt komplett weggebrochen ist. Der Konferenzmarkt hat sich durch die vielen Absagen im letzten Jahr deutlich verkleinert, aber vieles findet mittlerweile wieder statt – nur eben anders. Die Veranstaltungstechnik hat sich darauf eingestellt, sodass es jetzt auch professionelle Dolmetschlösungen für Online-Konferenzen gibt. Den Rest fange ich auf, indem ich mich stärker aufs schriftliche Übersetzen verlagere. Es ist eine ganz andere Arbeit, die mir aber auch Spaß macht. Nur trägt die vermehrte Arbeit am Bildschirm und die stärkere Ermüdung durch Dolmetscheinsätze bei Videokonferenzen nicht gerade dazu bei, dass ich mich an einem freien Tag sofort mit Schwung an meine Disseration setzen kann. Aber vielleicht wird das auch wieder anders. Es kommt, wie es kommt. Alte rheinische Freiberuflerinnenweisheit.

 

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