von Christian Mentel

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1. Juni 2012

 

Im November 2011 nahmen Prof. Dr. Constantin Goschler und Prof. Dr. Michael Wala (beide Ruhr-Universität Bochum) ein „Forschungsvorhaben zur Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950-1975, unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase“ auf. Während in vergleichbaren Fällen fast durchgängig Historikerkommissionen berufen wurden, wählte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in diesem Fall jedoch den Weg der öffentlichen Ausschreibung. Doch standen diese Anforderungen schon bald als zu ausgreifend in der Kritik.[1]

Zeitgeschichte-online (ZOL) befragte Constantin Goschler und Michael Wala zu den rechtlich-organisatorischen Rahmenbedingungen ihres Projekts, zur Forschungspraxis und Bedeutung der Medien in diesem von Historikern bislang kaum erschlossenen, geheimnisumwitterten Bereich. Das Interview wurde im Mai 2012 auf schriftlichem Wege geführt, die Fragen stellte Christian Mentel.

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ZOL: Als wir Sie für dieses Interview anfragten, entgegneten Sie uns, dass Sie mit Ihrem Forschungsprojekt eigentlich gar keine Auftragsforschung betrieben. Warum verstehen Sie sich nicht als im Auftrag forschende Historiker?

Goschler/Wala: Weil wir keine im Auftrag forschenden Historiker sind. Bei der Einschätzung, ob es sich um Auftragsforschung oder nicht handelt, geht es nicht um Gefühle, sondern um eine klare rechtliche Unterscheidung, die auf das Verhältnis von Geldgebern und Forschern zielt. Auftragsforschung beruht auf einem vertraglichen Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, bei dem ersterem das bezahlte Werk am Ende auch gehört. Was bei Tiefgaragen und Hochzeitstorten jedem als selbstverständlich erscheinen mag, wirft im Hinblick auf wissenschaftliche Werke ebenso selbstverständlich Fragen der wissenschaftlichen Unabhängigkeit auf. Deshalb funktioniert Wissenschaft – zumindest im geisteswissenschaftlichen Bereich – in der Regel im Rahmen des sogenannten Zuwendungsrechts: Die Forscher erhalten das Geld somit als finanzielle Zuwendung, behalten aber die Rechte an den Ergebnissen ihrer Arbeit und müssen lediglich bestimmte wissenschaftliche und finanzielle Spielregeln einhalten. Das ist im Vergleich zu den Bedingungen, unter denen ein Großteil der Menschen für ihre Arbeit bezahlt wird, ein ziemliches Privileg, das aber in unserer Community überraschend selten thematisiert wird.

Der Vertrag, den wir für das Projekt ausgehandelt haben, sieht eine finanzielle Zuwendung vor; die Verfügungsgewalt über die Studie, die wir erstellen, bleibt in unseren Händen, was wir veröffentlichen, bleibt uns überlassen. Unser Selbstverständnis, wonach wir keine Auftragsforschung betreiben, beruht somit auf einer klaren juristischen Definition unseres Verhältnisses zum Geldgeber, ähnlich wie es bei Wissenschaftlern der Fall ist, die ihr Geld von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder einer anderen wissenschaftlichen Fördereinrichtung erhalten.

ZOL: Obwohl die Tatsache der öffentlichen Ausschreibung des BfV-Projekts durchweg als vorbildlich gelobt wurde, entzündete sich an den Anforderungen doch auch erhebliche Kritik. So seien u.a. die Berichts- und andere Pflichten zu ausufernd, ebenso gingen Einflussmöglichkeiten des BfV auch in inhaltlich-thematischer Hinsicht zu weit. Sie haben bei der Vorstellung des Projekts betont, dass Ihr Vertrag nichts mehr mit jenem Ausschreibungstext zu tun habe. Was sind die wichtigsten dieser Veränderungen?

Goschler/Wala: Wir können die Kritik am ursprünglichen Ausschreibungstext und den dort enthaltenen Bedingungen sehr gut nachvollziehen. Zunächst muss man sich aber klar machen, wie es dazu gekommen ist. Da das BfV zum ersten Mal in seiner Geschichte ein solches Forschungsprojekt initiierte, fehlte ihm jegliche Erfahrung über das übliche Procedere. Es beauftragte deshalb das Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums mit der Ausschreibung. Die Ausschreibung folgte dann dem gesetzlich vorgeschriebenen Muster, nach dem öffentliche Aufträge ausgeschrieben werden müssen. Die Übertragung von Leistungskatalogen und Zahlungsmodalitäten, wie sie etwa bei öffentlichen Bau- und Beschaffungsaufträgen üblich sind, auf ein zeithistorisches Forschungsprojekt führte dann aber zu einer geplanten Vorgehensweise, die in unserem Bereich – der, wie gesagt, an die Maßstäbe des Zuwendungsrechts gewöhnt ist – als Kontrollexzess erscheint. Wir haben aber bei unseren Vertragsverhandlungen von Anfang an deutlich gemacht, dass wir uns darauf nicht einlassen wollen, da wir nicht bereit sind, unsere wissenschaftliche Unabhängigkeit und Seriosität in Zweifel ziehen zu lassen. Es hat sich schnell herausgestellt, dass diese Kontrollanforderungen nicht das eigentliche Ziel des BfV waren, sondern eher eine Konsequenz der Logik des Auftragsrechts. Wir konnten uns daher relativ schnell darauf einigen, dass wir durch die Änderung der Rechtsform unseres Vertrages ein anderes Verhältnis konstituieren. Praktisch bedeutet dies in erster Linie, dass uns die vollständige Unabhängigkeit unserer Forschung und unserer Forschungsergebnisse rechtlich garantiert wird, wozu auch gehört, dass wir über die abschließende Publikation selbst bestimmen werden.

Ein wichtiger Punkt war übrigens bereits von Anfang an Teil der Abmachungen und musste von daher gar nicht erst von uns heldenhaft erkämpft werden: Alle in unserer geplanten Publikation zitierten Akten werden nach Abschluss des Projekts im Bundesarchiv der Forschung zugänglich gemacht, unsere Forschungsergebnisse können dann durch andere Wissenschaftler überprüft werden. Und mit Blick auf die Praxis, die sich in den letzten Monaten bei der Zusammenarbeit mit dem BfV etabliert hat, können wir feststellen, dass sich das Bundesamt nicht nur an den Buchstaben, sondern auch an den Geist dieser Abmachungen hält. Uns werden bei unserer Arbeit keinerlei Steine in den Weg gelegt. Im Alltag unserer Forschung stoßen wir beim BfV neben gelegentlicher professioneller Skepsis der Nachrichtendienstler vor allem auf Neugier auf die Ergebnisse unserer Arbeit, aber keinesfalls auf Versuche, den Zugang zu den Quellen zu kontrollieren. Das war für uns selbst eine positive Überraschung.

ZOL: Das BfV hat klare Anforderungen formuliert, etwa hinsichtlich des thematischen Fokus’ und der zu untersuchenden Periode. Wie groß war angesichts dessen noch Ihr eigener konzeptioneller Spielraum?

Goschler/Wala: Den Anstoß für dieses Projekt lieferte ja zunächst ein politischer und kein genuin wissenschaftlicher Impuls, nämlich die Frage nach personellen Kontinuitätslinien aus der Zeit des Dritten Reiches im Kontext einer Organisationsgeschichte des Bundesamts für Verfassungsschutz im Zeitraum von 1950 bis 1975. Die Öffentlichkeit interessiert sich zumeist vor allem dafür, ob Herr X im Amt Y ein Nazi war oder nicht. Als Wissenschaftler dagegen besteht unsere Aufgabe darin, diese politische und moralische Frage in den Kontext genuin zeithistorischer Erkenntnisinteressen zu überführen und einen entsprechenden konzeptionellen Rahmen zu entwickeln, der auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern verspricht. Mit Nazi-Fliegenbein-Zählen, da sind sich alle Kolleginnen und Kollegen aus ähnlichen Projekten einig, ist es dabei nicht getan. Selbstverständlich führte dies auch zur Ausweitung des Untersuchungsspektrums, und das ist ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Auch hier müssen wir wieder auf die Praxis verweisen: Bislang hat uns das BfV an keiner neuen Verzweigung unserer sich ja in der Auseinandersetzung mit den Quellen ständig weiter entwickelnden Neugierde und Fragestellungen ein Stoppschild vor die Nase gehalten.

ZOL: Können Sie uns Näheres zum Umfang und zur Zusammensetzung Ihres Mitarbeiterteams und auch zu den Quellenbeständen außerhalb des BfV sagen, die Sie in Augenschein nehmen werden?

Goschler/Wala: Wir sind unter den Projekttankern, die dieses Themenfeld zumeist durchpflügen, eher eine kleine Barkasse. Als Projektleiter betreiben wir beide die Forschung in erster Linie selbst und werden am Ende auch die geplante Publikation selbst verfassen. Unterstützt werden wir einerseits von einigen studentischen Hilfskräften und andererseits von der Firma Facts & Files. Deren Mitarbeit bezieht sich in erster Linie auf die Quellenrecherche außerhalb der Bestände des Bundesamts für Verfassungsschutz. Hier geht es vor allem um die Teilbestände, die heute schon im Bundesarchiv Koblenz liegen, aber auch um den Bestand des Berlin Document Center oder der Stasi-Unterlagenbehörde.

ZOL: Profitieren Sie in Ihrer Arbeit von der Aufmerksamkeit in Medien und Politik für die Geheimdienste, die seit einiger Zeit aufgrund spektakulärer Enthüllungen (Klaus Barbie, Walther Rauff – aber auch die Vorgänge um den „Nationalsozialistischen Untergrund“) und Auseinandersetzungen um Akteneinsichtnahme (Peter Hammerschmidt) bestehen?[2] Nehmen Sie eine gesteigerte Erwartungshaltung an Sie wahr?

Goschler/Wala: Die Auswirkungen dieser gesteigerten medialen Aufmerksamkeit auf unsere Arbeit sind ambivalent. Die grundsätzliche Entscheidung für die Initiierung unseres Projektes ist ja schon vor einigen Jahren erfolgt, insofern kann man nicht sagen, dass es unser Projekt ohne diese Welle gar nicht gegeben hätte. Und zudem sind im Rahmen der medialen Aufmerksamkeitsökonomie vor allem „sensationelle Funde“ gefragt, die sich kurzfristig in öffentlichkeitswirksame Stories und heroische Selbstinszenierungen konvertieren lassen. Das hilft uns bei unserer Arbeit eigentlich wenig. Wir gewinnen damit zwar kurzfristig öffentliche Beachtung, aber uns werden gewissermaßen laufend die „falschen“ Fragen gestellt, zumal wir ja mit unserer Forschung noch eher am Anfang stehen. Unsere Medienarbeit bestand deshalb in den letzten Monaten vor allem darin, Anfragen abzusagen, da wir uns weder über böse Buben im Solde des Verfassungsschutzes, noch über dessen Rolle beim behördlichen Versagen im Zusammenhang des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ vor Kameras und Mikrofonen produzieren wollen – weil wir dazu keine wissenschaftliche fundierte Positionen einnehmen können.

ZOL: Sie forschen über die frühen NS-Bezüge des BfV – das Bundesministerium des Inneren (BMI) als übergeordnete Behörde lehnt jedoch seit Jahren vehement eine Aufarbeitung seiner Geschichte ab. Es stehe „nicht in der Kontinuität oder Tradition des nationalsozialistischen Reichsministeriums des Innern“, die Erforschung des Reichsinnenministeriums sei „eine wichtige Aufgabe der Geschichtswissenschaft“ – aber, so mag man ergänzen, nicht des BMI. Wirkt sich diese Haltung auch auf Ihr Projekt aus? Sehen Sie Bedarf für ein auf das BMI insgesamt bezogenes, vergleichbares Forschungsprojekt?

Goschler/Wala: Nochmals: Es besteht in der Regel ein Unterschied zwischen öffentlichen Interessen, die auf politischen und moralischen Motiven beruhen, und wissenschaftlichen Erkenntnisinteressen. Wissenschaftlich gesehen wird das Bundesinnenministerium nicht dadurch zu einem relevanten Thema, weil es bislang noch nicht erforscht wurde. Erst eine überzeugende Erläuterung, welchen wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt die Erforschung dieser Institution bietet, erhebt dies zu einem würdigen Forschungsgegenstand – allein die Frage nach der Zahl „ehemaliger Nazis“ in den Reihen des BMI wäre hier noch ein wenig zu dürftig. Sobald also jemand plausibel sein Forschungsinteresse erklären kann, haben wir hier ein relevantes Thema. Die Chancen dafür scheinen aus unser Sicht durchaus gut zu stehen. Im Übrigen unterstützt uns das BMI sehr bereitwillig bei unserer Forschung über die Geschichte des BfV.

ZOL: Herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, uns für dieses Interview zur Verfügung zu stehen!