von Monika Magić Kovač

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1. November 2011

Der Fall der Berliner Mauer im November 1989 markierte den Beginn einer neuen Epoche europäischer Geschichte. In der Mehrheit der osteuropäischen Staaten wurde das kommunistische Einparteiensystem sukzessive durch ein demokratisches Mehrparteiensystem ersetzt. Von dieser Veränderung war auch das ehemalige Jugoslawien betroffen. Im Oktober 1991 brach das kroatische Parlament seine Verbindungen zu Jugoslawien ab. Zu diesem Zeitpunkt waren die Angriffe der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) und der serbischen Paramilitärs auf Vukovar bereits in vollem Gang. Dem militärischen Einsatz gingen zahlreiche serbische Versammlungen, sogenannte Meetings, voraus. Im April 1991 fanden diese Meetings u.a. in Borovo Selo, Jagodnjak und Baranja statt. Hintergrund der Meetings war es, den nationalistischen Hardlinern aus Serbien, vor allem den Politikern und Militärs Stanko Cvijan, Miroslav Paroški und Vojislav Šešelj, eine Stimme zu geben, wobei offen über die Pläne zur Gründung eines Großserbischen Staates diskutiert wurde. Die Versammlungen waren zudem ein Aufruf zum Widerstand gegen die neu entstandene kroatische Regierung. Die aggressive Rhetorik der Meetings mündete schließlich in Krieg: Als am 2. Mai 1991 kroatische Polizisten in Borovo Selo die jugoslawische Flagge gegen die kroatische austauschen wollten, kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen in deren Folge 12 kroatische Polizisten und drei serbische Paramilitärs getötet wurden. Nach diesem Vorfall begann in Vukovar sowie im ganzen kroatischen Gebiet die Mobilmachung.

In der kroatischen Grenzstadt Vukovar, die am rechten Donauufer liegt, lebten im Jahr 1991 neben andere Ethnien 47.2% Kroaten und 32.3% Serben. Durch die Einnahme Vukovars sowie durch die Eroberung ganz Ost-Slawoniens wollte die Jugoslawische Volksarmee (JVA) die Grundlage für den weiteren Durchbruch nach Zagreb und Varaždin schaffen.[1] Vukovar war insgesamt 87 Tage durch die Truppen der JVA besetzt. Während dieser dreimonatigen Belagerung wurden etwa 700 000 Granaten und Flugzeugbomben abgeworfen - im Durchschnitt waren das 7000 Bomben pro Tag. Kaum ein Gebäude blieb von den Angriffen verschont, es wurde weder Rücksicht auf das örtliche Krankenhaus, noch auf religiöse, kulturelle oder historische Denkmäler genommen. Die kroatischen Soldaten erhielten nicht den nötigen Waffennachschub und mussten gegen die viel größere und stärkere jugoslawische Armee kämpfen, die über eine wesentlich bessere Kriegsausrüstung verfügte.[2] Am 18. November 1991 wurde Vukovar erobert und dabei komplett zerstört. Mit dem Fall der Stadt begann eine neue Welle von Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung und Kriegsgefangene. So wurden am 20. November auf der Schweinefarm Ovčara 200 Personen getötet.[3] Bei den Ermordeten handelte es sich um verwundete kroatische Soldaten, Angestellte des Vukovarer Krankenhauses und andere Zivilisten, die nach dem Ende der Okkupation aus dem Krankenhaus entführt worden waren und wenig später von den Mitgliedern der Jugoslawischen Volksarmee erschossen wurden. Mindestens 1739 Menschen wurden im Laufe der dreimonatigen Okkupation der Stadt getötet, wobei weitere 22 000 vertrieben wurden.

Einige der Verantwortlichen für die damaligen Massaker wurden inzwischen vor dem „Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien“ in Den Haag sowie vor dem „Sondergericht für Kriegsverbrechen“ in Belgrad wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und für die Verletzung der Kriegskonventionen verurteilt. Unter den Verurteilten in Den Haag befanden sich die ehemaligen Offiziere der jugoslawischen Volksarmee Mile Mrkšić und Veselin Šljivančanin, die die Verantwortung für das Massaker von Ovčara trugen. In Belgrad wurden weitere Angeklagte für Kriegsverbrechen verurteilt, unter ihnen auch Miroljub Vujović, der damalige Kommandant der Territorialverteidigung.

Diese Strafverfahren spielen eine bedeutende Rolle in der Aufarbeitung der Kriegsgräuel im ehemaligen Jugoslawien, dennoch wird der Dialog zwischen Kroaten und Serben noch geraume Zeit in Anspruch nehmen bis es zu einer Versöhnung kommen kann. Es gibt noch immer Familien, die auf der Suche nach ihren Angehörigen sind. Nach offiziellen Meldungen aus dem Jahr 2006 sind beispielsweise 59 Personen, die aus dem Krankenhaus in Vukovar entführt wurden, bis heute nicht gefunden beziehungsweise identifiziert worden. Dennoch gibt es signifikante Verbesserungen auf politischer Ebene. So besuchte am 4. November 2010 der serbische Staatspräsident Boris Tadić die Stadt Vukovar, wo er sich mit dem kroatischen Präsidenten Ivo Josipović sowie mit der Premierministerin Jadranka Kosor traf. Im Verlauf der Gespräche entschuldigte sich Boris Tadić für die Kriegsverbrechen der Serben im Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre. Dies war nicht nur der erste Besuch eines Repräsentanten der serbischen Regierung in Vukovar – auch die offizielle Entschuldigung war ein Novum.

Bei der Kranzniederlegung in Ovčara sagte Tadić unter anderem folgendes:

“Ich bin heute hier, um mich vor den Opfern zu verbeugen und ich möchte ihnen Ehre erweisen. Ich bin hier, mich vor den Opfern verbeugend, um noch einmal die Worte der Entschuldigung auszusprechen, mein Bedauern auszudrücken und eine neue Möglichkeit für Serbien und Kroatien zu schaffen, eine neue Seite in der Geschichte aufzuschlagen.” [4]

Diese Worte bargen nicht nur eine enorme Symbolik, sondern sie gelten auch als Appell für eine Aussöhnung zwischen den betroffenen Völkern. Zugleich übermittelten beide Präsidenten die Botschaft, dass Versöhnung der ehemaligen Kriegsparteien in Ex-Jugoslawien möglich sei.

Der unabhängige Belgrader Sender B92 setzte sich bereits seit seinem Entstehungsjahr 1989 sehr kritisch mit dem Regime von Slobodan Milošević auseinander. Aufgrund seiner kompromisslosen Berichterstattungen entwickelte er sich schnell zum medialen Symbol des Widerstandes und war auch während der Oktober-Demonstrationen im Jahr 2000 ein entscheidender Faktor beim Sturz von Milošević.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bereits im Jahr 2006 im Rahmen des Projektes “Unabhängig für die Wahrheit” ein wichtiger Film veröffentlicht wurde. Der Film „Vukovar – The Final Cut“ ist eine Produktion des serbischen Radio- und Fernsehsenders B92. Produziert wurde der Dokumentarfilm vom Direktor des Senders B92 Veran Matić. An dem Projekt waren u.a. der kroatische Journalist Drago Hedl (Autor und Drehbuch) und der Belgrader Regisseur Janko Baljak beteiligt. Der Film erreichte ein enorm großes Publikum. Er wurde in zwei Fassungen gesendet, eine Version (103 Minuten) war für Kinos sowie für Filmfestivals bestimmt, hinzu kam eine dreiteilige Serie (je 40 Minuten) fürs Fernsehen. Das Besondere an dem Film ist die Zusammenarbeit von serbischen und kroatischen Journalisten und die Tatsache, dass Geschichte hier aus mehreren Perspektiven erzählt wird. Zahlreiche Zeitzeugen aus Kroatien und Serbien kommen zu Wort, die Aussagen der Opfer werden jenen der Täter gegenübergestellt. Jedoch findet man kaum Wut oder Hass, auf beiden Seiten herrscht Nachdenklichkeit und große Trauer. Sowohl das kroatische als auch das serbische Publikum erfuhr durch diesen Film Aspekte des Grauens, die bis dahin unbekannt waren. Für die kroatische Öffentlichkeit war es besonders wichtig zu sehen, wie sich die Spannungen zwischen Serben und Kroaten nach dem Scharmützel von Borovo Selo verstärkt hatten und wie, neben Kroaten auch Serben aus Vukovar verschwanden. Das heißt, dass es sowohl Opfer als auch Täter auf beiden Seiten gab, wenngleich die schlimmsten Kriegsverbrechen in Ovčara von der jugoslawischen Armee und den serbischen Paramilitärs begangen wurden. Auch die Zeugenaussagen von Tätern sind sehr wichtig, da man dadurch erfährt, wie die Belagerung der Stadt aus der gegnerischen Sicht wahrgenommen wurde. Schließlich sieht man Szenen, die unmittelbar nach dem Fall der Stadt gedreht wurden und in denen Reaktionen von serbischen Zivilisten gezeigt werden. Bestürzend sind besonders jene Momente in denen ortsansässige Serben ihre kroatischen Mitbürger denunzieren.

Der Film erzählt die Geschichte des Krieges, indem er sich jeglichen Kommentars enthält, nur unter Verwendung dokumentarischen Filmmaterials. Seine Botschaft wird dennoch deutlich: Aussöhnung und Zusammenarbeit zwischen den einst verfeindeten Seiten ist durchaus möglich. Ohne die Aufarbeitung der Kriegsereignisse und Anerkennung der Gräueltaten als Kriegsverbrechen wird es jedoch kaum möglich sein die schmerzhafte Vergangenheit bewältigen zu können.

 


[1] Dies bestätigte der ehemalige Bundessekretär für Volksverteidigung, der General der JVA Veljko Kadijević in seinem Buch: Vgl. Kadijević, Veljko: Moje viđenje raspada (Meine Ansicht des Zerfalls), Beograd 1993, S. 137. 

[2] Mehr dazu in: Marijan, Davor: Bitka za Vukovar (Die Schlacht um Vukovar), Zagreb/Slavonski Brod 2004, S. 214-223.

[3] Ovčara liegt fünf Kilometer südöstlich von Vukovar.

[4] Serbiens Präsident entschuldigt sich bei Kroaten, in: Die Presse, unter: http://diepresse.com/home/politik/zeitgeschichte/607581/Serbiens-Praesident-entschuldigt-sich-bei-Kroaten (abgerufen am 11.11.2010)