von Dieter Thomä

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1. Januar 2010

Es war spätabends oder frühmorgens, jedenfalls mitten in einer Berliner Nacht und fern aller Werktage, als ich bei einer Party Zeuge einer kleinen Abschiedsszene wurde: Jemand brach auf mit der Begründung, er müsse »noch arbeiten«; auf die neugierige Rückfrage, woran er denn jetzt noch zu arbeiten hätte, sagte er: »An mir selbst.« Mir ist diese Antwort nicht mehr aus dem Sinn gegangen, und je länger sie in meinem Kopf herumschwirrte, desto mehr ging sie mir auf die Nerven. Am liebsten hätte ich den nächtlichen Schlauberger direkt gefragt, was er — nach Abzug aller Ironie, die sicher auch im Spiel war — eigentlich gemeint hat; ersatz­weise muss ich hier nun meinen Ärger und meine Gedanken dazu nachtragen. Dabei will ich gleich vorwegschicken, dass mich diese Gedanken am Ende über den Gegenstand meines Ärgers hinausführen werden. Der Selbst-Arbeiter ist nur eine kleine Figur in dem großen Panorama, auf dem das moderne Individuum, seine Lebensführung und sein Verhältnis zur Arbeit zur Schau gestellt sind; einen Blick auf dieses Panorama will ich erhaschen.

Wer nur an sich selbst arbeitet, redet zwar noch von Arbeit, doch faktisch gehört er zu denjenigen, die versuchen, das wahre Leben jenseits der Welt der Arbeit anzusiedeln. Sie schwärmen von der Muße, dem Fest, dem Spiel, der Freizeit oder dem Konsum — und auch wenn diese Bereiche nicht allesamt miteinander kompatibel sind, gehen von ihnen doch Verlockungen aus, denen man sich nur schwer entziehen kann. Legt man diese Kontrastfolien aus, dann sieht man, wie sich über die Welt der Arbeit ein Grauschleier legt. Bis vor kurzem ging diese Entwicklung noch mit der Absicht auf die reale Abschaffung der Arbeit einher: Man gab sich der Hoffnung hin, mit einer weitgehend automatisierten Produktion im Rücken sein Leben in Muße zu verbringen und nach Höherem streben zu können. Diese Hoffnung ist, wenn ich das richtig sehe, zerstoben, doch geblieben ist die ideelle Demontage der Arbeit, in deren Folge man sich fast dafür schämen müsste, wenn man irgendwo zupackte oder Hand anlegte.

Die Gegenstrategien, die sich gegen diese Abwertung der Arbeit richten, tun sich schwer; es sind dies Strategien, die im Übrigen auch heftig miteinander im Streit liegen. Da gibt es zunächst die Strategie der Desillusionierung, die in dem Hinweis gipfelt, dass jenes vermeint­liche Paradies der Nicht-Arbeit allenfalls in eine kleine Nische gehört und das Leben insgesamt, weit über den Beruf hinaus, von Arbeit bestimmt und gezeichnet ist. Eigentlich arbeiten wir demnach fast immer, ob wir damit nun Geld verdienen oder nicht. Wer so denkt, steckt die Freizeitgesellschaft in die Ausnüchterungszelle, aber besonders verführerisch wirkt diese Strategie nicht.

Anders gehen jene vor, die auf die Transformation der Arbeit setzen. Sie wollen den Bereich der Arbeit nicht einfach ausdehnen, sondern verwandeln. Wer arbeitet, soll sich demzufolge nicht damit begnügen, stereotype Handgriffe auszuführen, er soll sich vielmehr darum bemühen, anders zu arbeiten: kreativer, unternehmerischer. Der Ausweg aus dem Reich der Not, der Notdurft, der Notwendigkeit liegt dort, wo man sich nicht mehr als Rädchen im Getriebe fühlt, sondern als Subjekt seines Tuns gefragt und gefordert ist, das sein Produkt und sich selbst optimiert. Man kann der Arbeit zuliebe den Akzent aber auch noch etwas anders setzen. Dann enthält man sich nassforscher Forderungen, wonach jeder Arbeiter zum Selbst-Unternehmer mutieren soll, doch man behält die Intuition bei, dass der Prozess der Arbeit selbst nicht unter Wert gehandelt werden darf. Man betreibt eine Rehabilitierung der Arbeit als Möglichkeit, sich einzusetzen, zu entfalten, zu bewähren, zu spüren, dabei zugleich die Welt zu gestalten und das Leben zu bewältigen. So schrieb Henry David Thoreau Mitte des 19. Jahrhunderts: »Es ist bemerkenswert, dass wenig oder nichts Denkwürdiges darüber geschrieben wurde, wie man den Lebensunterhalt verdient; wie man das Bestreiten des Lebensunterhalts nicht nur ehrbar und ehrenwert, sondern insgesamt zu etwas Verlockendem, Wunderbarem machen könnte; denn wenn der Lebens-Unterhalt es nicht ist, dann ist es auch das Leben nicht.«

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Idee von der realen Abschaffung zu den Illusionen der Fortschrittsideologie rechne; die ideelle Demontage der Arbeit ist nur ein parasitärer Effekt dieser Idee, vor dem man sich hüten sollte. Wenig hilfreich finde ich dann aber die Strategie der Desillusionierung, wonach am Ende fast das ganze Leben aus Arbeit besteht und man nur noch darüber nachdenkt, wie deren Anerkennung über verschiedene Entlohnungs­systeme organisiert werden kann. Unbehaglich ist mir auch bei dem Versuch, den Arbeiter in einen Unternehmer zu transformieren (oder ihn zum Unternehmer zu befördern). Nicht nur geht dieser Versuch mit einer erheblichen Schönfärberei über die faktischen Handlungsspiel­räume der Menschen heutzutage einher; selbst wenn man diesen Ansatz als Anweisung an alle generalisieren könnte, bliebe doch die Frage, ob den Betroffenen damit gedient ist, wenn sie alles, was sie tun, auf dessen Verwertbarkeit in einem von Konkurrenz bestimmten sozialen Umfeld abklopfen.

Wenn man freilich auf die Geschichte der Idee des Unternehmers zurückgeht, zu der Joseph Alois Schumpeter, Werner Sombart und indirekt auch Friedrich Nietzsche Beiträge geleistet haben, dann merkt man, dass die Grenze fließend ist zwischen der Energie und Dynamik des Unternehmers einerseits, der aktiven Lebensgestaltung und der Arbeit des Subjekts, wie sie von Hegel, Max Weber und anderen beschrieben wurden, andererseits. Auch Schumpeter betont die »Freude am Tun«, die »Freude am Werk«. Damit gelange ich zu dem Anliegen einer Rehabilitierung der Arbeit — und dieses möchte ich mir zu eigen machen. Es wäre abwegig, in der Arbeit, sofern sie der Selbsterhaltung dient, nur einen quasi-natürlichen Pro­zess, ein blindes, zwanghaftes Funktionieren zu sehen. Immerhin sind die Tätigkeiten, die in diesen Bereich gehören, eingebettet in komplexe technische Lernprozesse, soziale Zusammenhänge und kulturelle Traditionen. Nichts hindert deshalb daran, die Arbeit als positiven Ausdruck der Lebensführung des Individuums zu rehabilitieren.

Damit ist der Moment erreicht, an dem ich zu dem Stein des Anstoßes zurückkehren kann, der mich am Anfang stolpern ließ: jene aus einer Berliner Nacht heraussickernde Auskunft, da wolle jemand »an sich selbst arbeiten«. Man könnte einwenden, dass ich mich an eine kleine Abstrusität verliere, wenn ich auf dieser Wendung, »an sich zu arbeiten«, so herumhacke. Ich will der Sache auch nicht mehr Gewicht geben als nötig, aber sie kommt nicht allein, sondern gehört zu einem ganzen Reigen rhetorischer Figuren, die sich bei der Selbstverständigung des modernen Individuums in den Vordergrund gespielt haben. Ihr gemeinsamer Grundzug ist, dass sie zu einem Kurzschluss im Selbst führen: Es werden Ziele verfolgt, bei denen man gewissermaßen immer schon an der richtigen Adresse ist — bei sich selbst. So trifft man neben der Arbeit an sich selbst etwa auf die Rede von Selbstinszenierung, Identitätsmanage­ment, Ego-Marketing und — besonders verbreitet — Selbstverwirklichung. »Selbstdesign« sei »der nächste Trend«, behauptet das Hamburger Trendbüro. Tückisch an der speziellen Figur der Arbeit an sich selbst ist nun, dass sich in ihr die Bewegung, in der man sich von der Arbeit abkehrt, gewissermaßen selbst überschlägt. Man verabschiedet sich von der Arbeit, wie man sie früher gekannt hat, doch man redet sich selbst und anderen ein, dies, was man da tut, sei doch wieder nichts anderes als eben — Arbeit. Wer nur »an sich selbst« arbeiten will, versucht offenbar, die Anforderungen herkömmlicher Arbeit ad absurdum zu führen. In Abwandlung einer berühmten (Fehl-)Übersetzung aus der Luther-Bibel wäre demnach zu sagen: »Und wenn das Leben köstlich gewesen, so ist es Arbeit an sich selbst gewesen.« Dies finde ich nun aber alles andere als köstlich.

Vor allem vergeht man sich dabei an einer Eigenart der Arbeit, die ihren besonderen Reiz ausmacht: dass sie nämlich eine Brücke zwischen Selbst und Welt errichtet. Wenn man arbeitet, hat man, kurz gesagt, die Welt am Wickel — und ist sich zugleich seiner selbst, seiner eigenen Tätigkeit bewusst. Man kann dies noch etwas anders ausdrücken, und dann ist man — oh Wunder! — bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Er führt einen ganz einfachen Gedanken ins Feld, mit dem man die schlechte Laune, die um die Arbeit kreist wie eine Krähe, vertreiben kann. Dieser Gedanke lautet in seiner kürzestmöglichen, also unweigerlich sperrigen Formulierung: »Die Arbeit […] bildet.« Hegel spielt hier mit der Doppeldeutigkeit des Bildens, das einerseits das Formen und Gestalten, also das Bilden des Dinges, anderer­seits die Bildung oder Entfaltung des Menschen meint. Alexandre Kojève hat hierzu in seiner Hegel-Interpretation bemerkt: »Die Arbeit ist Bildung im doppelten Sinne des Wortes: einerseits bildet sie die Welt, bildet sie um […]; andererseits bildet sie den Menschen um, bildet, erzieht […] ihn«.

Blickt man von Hegel her auf den Selbst-Arbeiter, dann merkt man sofort, was an ihm faul ist: Er meint, mit halber Kraft, mit einer halbierten Arbeit, die sich nur auf sich selbst kapriziert, reüssieren zu können. Von Hegel her kann man sagen, mit dem Selbst-Arbeiter sei das Ende der Bildung besiegelt. Er begnügt sich damit, sich selbst zu bilden, und schneidet sich dabei von den Ressourcen ab, auf die die Bildung doch angewiesen ist. Wenn man die Verbindung zwischen Arbeit und Bildung ernst nimmt, dann muss man sich nun auch jenem Schauplatz zuwenden, auf dem die Bildung seit jeher heimisch ist: dem Schauplatz der Erziehung. Zur Bildung gehört das Verhältnis von Erziehenden und Erzogenen, also das Verhältnis zwischen den Generationen. Damit kommt ein weiteres Defizit des Selbst-Arbeiters ans Licht. Indem er sich aus diesem Verhältnis heraushält, erscheint er als Symptom einer Krise, von der die moderne Gesellschaft insgesamt ergriffen ist: einer Krise im Spiel zwischen den Generationen.

Diese Krise im Generationenspiel steht in einem engen Zusammenhang mit der modernen Vorstellung, dass man als fertiges, über sich selbst verfügendes Individuum eine Soll-Distanz zur Welt einhalten und sich erst nach eingehender Prüfung auf sie einlassen will. Wer so denkt, pfeift auf die Verwicklungen und Verstrickungen, in denen man erst wird, wer man ist; sie sind ihm lästig oder geradezu unerträglich. Ein Mensch kommt aber nicht zur Gesellschaft wie ein Gast zur Abendeinladung: aus freien Stücken, fertig eingekleidet, ein Lächeln auf den Lippen. Ein Mensch gehört schon zur Gesellschaft, wenn er als kleines Bündel im Arm der Mutter oder des Vaters liegt. Entsprechend ist er auch in seinem Bildungsprozess auf das Zusammenspiel mit anderen angewiesen.

Fast alle Helden der Emanzipation, die in der Moderne auftraten, waren besessen von Szenarien der Neugründung, vom totalen Neuanfang. Dies gilt etwa für den self-made man, von dem es in der amerikanischen Populärkultur des 19. Jahrhunderts heißt, er sei ein »Genie«, das ohne »alle fremde Hilfe« auskommt und sich auf dem »Weg zum Ruhm« selbst »unterrichtet«. Wer so denkt, lügt sich aber nur in die eigene Tasche. Es ist bemerkenswert, dass der Ökonom Joseph Alois Schumpeter, der den Unternehmer doch wie kein zweiter gefeiert hat, genau Bescheid wusste über die Unzulänglichkeit der Versuche, alles von sich aus schaffen und erreichen zu wollen. Bei ihm heißt es: »Es müßte jeder Mensch […] ein Riese an Einsicht in alle Bedingungen des sozialen Lebens und an Willen sein, um nur durch seinen Alltag zu kommen, wenn er alle die kleinen Akte, aus denen dieser besteht, jedesmal geistig erarbeiten und schöpferisch gestalten müßte.«

Die Gesellschaft besteht nicht aus Individuen, die sich selbst im Griff haben, sich selbst bilden, souverän an sich selbst arbeiten; sie bildet im Glücksfall ein Netzwerk, das Halt gibt und die Generationen untereinander verbindet. Der Bildungsprozess der Menschen ist nur denkbar als Spiel von Überlieferung, Anpassung und Abweichung. Energie wird hier nur freigesetzt, wenn die Beziehungen, die zu diesem Prozess gehören, ihre hohe Intensität behalten. Ich will drei Entwicklungen herausheben, die aus meiner Sicht eine Gefährdung dieser Intensität und damit auch des Generationenspiels mit sich bringen; dabei komme ich auch nochmals auf die Verbindung zwischen Bildung und Arbeit zu sprechen.

 

Die Austreibung der Arbeit aus dem privaten Leben

Bildung und Erziehung finden heutzutage in einem eigenen, geschützten Raum statt, der durch die Privatsphäre und pädagogische Institutionen aller Art gebildet wird. Die Bildung ist auf eine solche Sphäre angewiesen, denn sonst gäbe es keinen Schutz dagegen, dass die Kinder direkt von der Arbeitswelt vereinnahmt und in ihr ›verwertet‹ werden. Doch keines­wegs ist die Arbeit im geschützten Raum der Bildung die große Abwesende. Zum Heran­wachsen gehört auch, dass man eigene Aufgaben übernimmt, Fähigkeiten unter Beweis stellt, Anstrengungen aushält und Verantwortung trägt. An diesem Punkt liegt, was die Privatsphäre der Familie betrifft, heute einiges im Argen. Dass das Stichwort vom Hotel Mama überhaupt aufkommen kann, dass die Kinder den Raum der Familie als bloße Versorgungsstation ansehen, liegt darin begründet, dass sie den Schutzraum, der ihnen jenseits der Arbeitswelt gegönnt wird, zum Freizeitpark umdeuten. Auffällig ist die Untüchtigkeit, die sich deshalb bei vielen Heranwachsenden ausbreitet; sie tun sich in vielerlei Hinsicht schwer mit Belastungen, auch mit der alltäglichen Lebensbewältigung, wenn sie diese denn mal selbst in Angriff nehmen müssen. Dass der private Haushalt doch auch ein Haushalt, ein oikos ist, dass in ihm Kompetenzen eingeübt werden, die der Selbsterhaltung dienen, darf nicht in Vergessenheit geraten. Beschädigt wird sonst die Verbindung von Bildung und Arbeit, also auch die Bildung selbst.

 

Der Abschied von der Vergangenheit in der peer group

Eigentlich haben Kinder und Jugendliche ein akutes Bewusstsein ihrer Unfertigkeit; dies ist auch Quelle ihrer Neugier und ihrer Bereitschaft, Neuland zu betreten und Neues zu schaffen. Angewiesen ist dieses Bewusstsein jedoch auf den Kontrast zu den Erwachsenen, die aus der Sicht der Jugendlichen ›fertig‹ sind (ich lasse offen, ob damit eine Form der Vollendung oder eine Form der Erledigung — ›Mein Gott, ist der fertig!‹ — gemeint ist). Nun wachsen viele Jugendliche heute aber in einer Welt fast ohne Erwachsene auf; ihr Heil suchen sie in der peer group. Kurioserweise versuchen auch viele Erwachsene, sich dieser peer group anzuschließen, indem sie sich in Berufsjugendliche verwandeln. So steht gar die Verwandlung der ganzen Gesellschaft in eine peer group an, die dem Ideal der Jugendlichkeit nacheifert. Wenn die Eltern selbst in den Bann des Jugendkults geraten, dann ergeht an die Kinder das Signal, dass sie so bleiben können wie sie sind, dass ihre Lebensreise schon ans Ziel gelangt ist. Mit der Idealisierung der Jugend redet man ihr ein, sie sei nicht zu ›toppen‹. Das Bewusst­sein der Jugend von der eigenen Unfertigkeit verwandelt sich in Selbstgefälligkeit. Damit geht die Ignoranz der Vergangenheit einher: Wenn alle jung sind oder sein wollen, hat das Alte ausgespielt. Dagegen ergeht der Bescheid Alexis de Tocquevilles: »Wenn die Vergangenheit die Zukunft nicht mehr erhellt, tappt der Geist im Dunkeln.« Dem Geist fehlt dann, anders gesagt, Bildung.

 

mixed signals ohne Ende

Das Generationenspiel in Deutschland nach 1945 ist eine Geschichte von mixed signals, die Geschichte eines in verschiedenen Formen wiederkehrenden double bind. Die Elterngeneration der Nachkriegszeit war eine in Normalität erstarrte und doch zugleich gebrochene Generation; entsprechend war der Aufstand von 1968 ein Protest gegen das Sitz­fleisch der Alten, gegen die Verlogenheit, die tief in das Wirtschaftswunder hineingewebt war, aber auch eine Suchanzeige für ein anderes Verhältnis zwischen den Generationen.

Wie wirkte nun diese Generation, die selbst mit den mixed signals ihrer Eltern umzugehen hatte, ihrerseits auf die Nachgeborenen? Wenn man das Zeitfenster hier nun etwas weiter fasst und über die Achtundsechziger im engsten Sinne hinausgeht, dann trifft man auf eine Generation, die unter anderem dadurch in die Geschichte eingehen wird, dass sie die Schulden der öffentlichen Hand in Deutschland zwischen 1970 und 2008 von 63 Milliarden auf rund 1.500 Milliarden Euro hochgetrieben und gleichzeitig ihren Beitrag zu der ökologischen Katastrophe geleistet hat, in die ihre Kinder hineingeraten werden. Aktuell wird noch eine Finanz- und Wirtschaftskrise frei Haus geliefert. Es gibt also haufenweise Gründe dafür, die Älteren als Vorbilder für die eigene Bildung abzulehnen. Und doch fällt die Ablehnung gar nicht so leicht, denn die jüngere Generation hat nun Eltern, die so verständnisvoll, nachsichtig und großzügig gegenüber ihren Kindern sind, dass es schwer fällt, sie in Bausch und Bogen zu verdammen. Diejenigen, die im neuen Jahrtausend erwachsen werden oder geworden sind, müssen also — aus ganz anderen Gründen als ihre Vorgänger und Vorvorgänger — mit mixed signals umgehen, die schrill klingen wie Warnglocken.

Mit welchem Selbstbild, mit welchem Selbstverständnis könnten die Mitglieder dieser neuen Generation — sowie auch alle Älteren, die deren Ehrenmitglieder werden wollen — antreten? Sie würden, wie mir scheint, gut daran tun, auf Arbeit und Bildung zu setzen. Dazu gehört die Bereitschaft, sich den Anstrengungen zu stellen, in die die Welt den Genuss eingewickelt hat; dazu gehört auch die Bereitschaft, sich zu bilden, und das heißt: Geduld mit sich selbst zu haben und in den Fluss des Lebens einzutauchen, der die eigene Zukunft aus der Vergangen­heit hervorgehen lässt. Wie würde man wohl diejenigen beschreiben, die sich diese Haltung zu eigen gemacht haben? Von ihnen könnte gesagt werden: Sie sind diejenigen, auf die sie gewartet haben.

»Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben. « Dieser Satz aus einer Rede Barack Obamas vom 5. Februar 2008 bringt Schwung ins Verhältnis zwischen Vergangenheit und Zukunft. Hier wird eine Stimmung verbreitet, in der der Knoten platzt, in der plötzlich möglich erscheint, was vorher undenkbar war. Doch in diesem Satz feiern nicht Selbstgefälligkeit und Machbarkeitswahn neue Triumphe — und zwar deshalb nicht, weil er neben der Hoffnung auch Demut zum Ausdruck bringt. Diejenigen, die auf sich ›warten‹, müssen sich in Geduld fassen; ihnen liegt nicht daran, sich nach Belieben aus dem Hut zu zaubern oder selbstverliebt an sich zu arbeiten. Sie begeben sich auf eine Reise, in der sie — um ein Wort Heinrich von Kleists abzuwandeln — durch die schöne Anstrengung, die auf sie zukommt, mit sich selbst bekannt gemacht werden. Früher nannte man so etwas eine Bildungs-Reise. Gute Fahrt!