von Gulnora Usmanova

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1. November 2011

„Manche Hotels haben fünf Sterne, manche von ihnen vier oder drei, doch dieses Hotel hatte lediglich einen Stern.“ Sterne spielen in diesem Film in vielerlei Hinsicht eine Rolle. Der Stern als Bewertungsmaßstab, der rote Stern des Kommunismus, frühe Sternstunden der Filmgeschichte und nicht zuletzt die Sterndeutung.

Was soll man erwarten, wenn sich Schauspieler Michael „Bully“ Herbig, der bisher eher mit Komik im Filmgeschäft auffiel, und Regisseur Leander Haußmann, dessen erfolgreichster Film („Sonnenallee“) eine humorvolle Verarbeitung des Mauerfalls ist, einen Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Komödie versuchen? Das Treffen der beiden deutet auf den ersten Blick nicht auf die nötige Empathie hin, um eines der düstersten Kapitel des 20. Jahrhunderts filmisch umzusetzen: die „Stalinistischen Säuberungen“.

Zugegeben, die Fußstapfen in die sie treten sind riesig. So sind Persiflagen auf Diktaturen und deren Diktatoren kein neues Genre. Roberto Begninis „Das Leben ist schön“, Ernst Lubitsch „Sein oder Nichtsein“ und Charlie Chaplins „Der Große Diktator“ sind wohl die cineastischen Höhepunkte, an denen sich jeder messen muss. Um es vorweg zu sagen: Das Projekt reicht nicht an seine Vorbilder heran. Und trotzdem (oder gerade deswegen!) hat diese zeitgenössische Interpretation ihre Vorzüge.

Hans Zeisig, Siggi Meyer und Frida van Oorten heißen die Protagonisten - zunächst. Hans (gespielt von Michael „Bully“ Herbig) und Siggi (gespielt von Jürgen Vogel) sind die Stars im Berliner Varieté der 30er Jahre. Ihr gemeinsames Bühnenstück ist eine Parodie auf Adolf Hitler und Josef Stalin. Beide Darsteller haben einen Traum. Siggi, Mitglied der Kommunistischen Partei und in der Rolle des Adolf Hitler, träumt von der Weltrevolution. Der unpolitische Zeisig, Darsteller des Josef Stalin, hingegen träumt von der großen Karriere in Hollywood. Beide, der eine wegen seiner Rolle, der andere wegen seiner Gesinnung, geraten im NS-Deutschland zunehmend in Gefahr.Sie fliehen. Auf der Flucht landet Zeisig ungewollt in Moskau. Mithilfe einer falschen Identität strandet er im Hotel Lux. Dort trifft er seine große Liebe aus Berliner Zeiten Frida (gespielt von Thekla Reuten) wieder. Schnell gerät Zeisig jedoch in die Mühlen der großen Politik. Ab jetzt heißt er Lohmann, ist aber Hansen. Die Verwirrung ist perfekt und hinzu kommt die, für Zeisig unangenehme, Bekanntschaft mit führenden Genossen aus Stalins Umfeld.

Das Hotel Lux ist keine filmische Erfindung. Erbaut 1911 als Hotel Franzija, beherbergte es seit 1933 kommunistische Führungskräfte aus Deutschland. Es war Zufluchtsort und Gefängnis, „Terror und Traum“[1] zugleich für deutsche Exil-Kommunisten, wie etwa Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck und Herbert Wehner, die für die Kommunistische Internationale (Komintern) in Moskau arbeiteten. Das Hotel war aber auch eine Denkfabrik, ein Laboratorium, eine Schmiede des „Nachkriegsostblocks“. Die Spuren der Bewohner des Hotels lassen sich in jedem späteren kommunistischen Regime wiederfinden.Der Film basiert auf den Aufzeichnungen von Ruth von Mayenburg[2]. Ihre Erinnerungen geben einen Eindruck in das Alltagsleben  im Hotel Lux. Die filmische Umsetzung verläuft parallel mit den Fragestellungen der Forschung. War die Kommunismusforschung bis in die 1990er Jahre von einer Ost-West-Dichotomie geprägt, so analysieren jüngere Arbeiten das Alltagsleben in der Diktatur. Nach der Öffnung bisher unzugänglicher Archive erschien eine ganze Reihe kulturgeschichtlich ausgerichteter Studien, so etwa über den „Alltag in der Ideologie“[3] bis hin zur „Kultur des Flüsterns“[4].

Nach einem Verhör mit dem NKWD[5]-Chef Nikolai Jeschow, erfährt Zeisig, dass er für Jan Hansen, den Leibastrologen Adolf Hitlers, gehalten wird. Um zu überleben, muss er ab sofort sein ganzes schauspielerisches Talent einsetzen. Er hat Erfolg, nach einem überzeugenden Auftritt von Zeisig, erklärt Stalin ihn zu seinem persönlichen Astrologen.Zeisig hat nur Augen für seine große Liebe. Er sucht das Glück zu zweit mit Frida, sie jedoch sucht das Glück für alle. Neben dem Kampf um die Liebe beherrscht der Kampf ums nackte Überleben ihr Dasein im Hotel Lux.Der Horror hingegen vollzieht sich leise. Menschen werden in der Nacht abgeholt und kehren nie zurück. Denunziationen werden erzwungen. Mütter vor den Augen ihrer Kinder verhaftet. Alle schauen weg. Jeder versucht sich wegzuducken, hofft, nicht der Nächste zu sein.

Bis zum Ende seines Aufenthalts in Moskau erlebt Zeisig allerlei Merkwürdiges. So ist es ihm zwar gelungen, aus Deutschland zu fliehen, aber aus dem Hotel Lux kann er ohne einen „Propusk“ (Passierschein) nicht heraus. Bizarr ist für ihn auch die allgegenwärtige Präsenz Stalins. So macht Zeisig auf einer Parteiversammlung eine Liebeserklärung an die schöne Kommunistin Frida. Allerdings denken die Anwesenden, dass er seine Liebe ausschließlich dem geliebten Generalsekretär bekundet.Ein „Happy End“ hat der Film dennoch. Allen dreien: Zeisig, Siggi und Frida, gelingt es aus dem „Gefängnis Lux“ zu entkommen. Brachten ihre Varietérollen sie zunächst in diese gefährliche Exil-Situation, so verhelfen sie ihnen am Ende zur Flucht.

Leander Haußmann inszeniert die Varietébühne als Treffpunkt der großen Staatsmänner. Hier begegnen sich die beiden wichtigsten Persönlichkeiten der 1930er Jahre des letzten Jahrhunderts. Auf der Bühne gelingt ihnen, was sie im realen Leben nie geschafft haben: Gemeinschaft. Dadurch entwickelt der Film seine Komik, vor allem aus dem Absurden: Hand in Hand tanzen, singen und unterhalten Hitler und Stalin ihr Publikum.Zeitgeschichte wird hier auf zwei Ebenen vermittelt. Dabei werden die historischen Fakten mit Hilfe einer Stimme aus dem Off erläutert. Der Film spielt während der „Stalinistischen Säuberungen“, gibt aber ebenso Auskunft über zukünftige Ereignisse. Wichtige Politiker der deutschen Nachkriegsgeschichte, die im Hotel unterkamen, werden mit vollständiger Namensnennung und späterer Funktion eingeführt. Zudem wird szenisch auf kommende Geschehnisse hingewiesen. So baut etwa der junge Walter Ulbricht am Esstisch eine Mauer aus Zuckerwürfeln.Mit dem Stilmittel der Retusche werden historische Details angedeutet. So wird der Sturz des ehemaligen NKWD-Chefs Nikolai Jeschow mit Verblassen seines Bildes auf einem Foto angedeutet.Zentrales Thema des Films sind die Auswirkungen eines totalitären Regimes auf den Alltag. Die systematische Denunziation wird als wesentliches Charakteristikum des Regimes hervorgehoben. Jeder konnte Opfer oder Täter sein, manchmal sogar beides zugleich. Selbst Geheimagenten vermuteten stets, ausspioniert zu werden. Auch Stalins Welt reduzierte sich auf die Größe seines Badezimmers. Das Aufdrehen eines Wasserhahns und das dadurch verhinderte Abhören werden zum Ritual des Überlebens.Das permanente Misstrauen, die systematisch erzeugte Angst bekommen im Laufe des Films eine eigene Dynamik und Logik. So bleibt der Hochstapler Zeisig trotz seiner Enttarnung die wichtigste Person im Arrangement Haußmanns. Zeisigs Lüge wird zur akzeptierten Wahrheit und entscheidet somit über Leben und Tod. Dass für Unwahrheiten auch Wahrheiten sterben müssen, zeigt der Tod des wahren Astrologen Jan Hansen.

In der Inszenierung Leander Haußmanns ist der Unterschied zwischen Nationalsozialismus und kommunistischer Diktatur nicht groß! Mit Hilfe der Gesichtsbehaarung will er dies verdeutlichen. Ironisch fragt Zeisig zu Beginn noch: „Was ein Bart doch alles ausmacht?“, und schaut dabei auf ein Foto von Charlie Chaplin und Adolf Hitler, die beide den gleichen Bart tragen. Ob Zweifinger- oder Schnurrbart, die Accessoires der Diktatoren sind einigende Markenzeichen. Politik ist Bühne, Show und Inszenierung mit den richtigen Kostümen. Bühne und Realität verschwimmen. Die Darbietung erfährt ihren Höhepunkt als ein rasierter Stalin (ohne Bart und Haar) von seinen eigenen Genossen nicht erkannt, gar ausgelacht wird. In Haußmanns Film wird Ideologie zur Maskerade und Diktatur zu einer gesichtslosen Gesellschaft.

(Deutschland 2011, Regie: Leander Haußmann)

Siehe dazu außerdem den Beitrag auf filmportal.de


[1] Karl Schlögel (2008): Terror und Traum. Moskau 1937, München. In seinem - zurecht - viel beachteten Buch erhebt der Osteuropahistoriker Karl Schlögel Moskau im Jahr 1937 zu einem Schicksalsort und Wendejahr für das Russland des 20. Jahrhunderts.

[2] Vgl. Ruth von Mayenburg (1978): Hotel Lux, München; Ruth von Mayenburg/ Heinrich Breloer (Hrsg.): Hotel Lux – die Menschenfalle, München.

[3] Vgl. Jochen Hellbeck: Alltag in der Ideologie. Leben im Stalinismus, in: Mittelweg 36, 19 (2010/11), 1, S. 19 – 32.

[4] Vgl. Orlando Figes (2008): Die Flüsterer. Leben in Stalins Russland, Berlin.

[5] Vorgänger des sowjetischen In- und Auslandsgeheimdienst KGB