In den letzten Jahren hat eine steigende Zahl von Museen damit begonnen, sich mit der Geschichte der Migration auseinanderzusetzen. Obwohl der Arbeitskreis Migration des Deutschen Museumsbundes seit 2010 Handlungsempfehlungen für Museen diskutiert und 2015 einen entsprechenden Leitfaden[1] veröffentlichte, haben viele Museen weiterhin Schwierigkeiten, die Normalität von Migration anzuerkennen und sie angemessen in ihre Dauerausstellungen zu integrieren. So ist etwa das Thema Einwanderung in der ständigen Ausstellung des Hauses der Geschichte nur als „Inselthema“ präsent, das lediglich als punktueller Zusatz zum nationalen Geschichtsnarrativ der Bundesrepublik erscheint. Zumindest in Wechselausstellungen (z.B. „Das neue Deutschland – von Migration und Vielfalt“ im Deutschen Hygiene-Museum Dresden) und in Neu-Lesungen bestehender Sammlungen (wie dem Projekt “NeuZugänge“ im Friedrichshain-Kreuzberg Museum oder dem Projekt „Blickwinkel“ im Kölnischen Stadtmuseum[2]) wird das Thema Migration in den letzten Jahren vermehrt aufgegriffen. Sechzig Jahre nach dem ersten Anwerbeabkommen und siebzehn Jahre nach der ersten, vom Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD e.V.) organisierten Ausstellung zum Thema Migration mit dem Titel „Fremde Heimat“ setzt sich das Haus der Geschichte in Bonn in einer aktuellen Ausstellung mit der Geschichte der Einwanderung auseinander. Von Dezember 2014 bis August 2015 war die Wechselausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ in Bonn zu sehen. Sie wurde anschließend von Oktober 2015 bis April 2016 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig gezeigt.
Laut Presseerklärung präsentiert die Ausstellung das „Einwanderungsland Deutschland in all seinen Facetten“. Tatsächlich nimmt sie die Migrationsgeschichte in Deutschland seit 1955, dem Jahr des ersten mit Italien geschlossenen Anwerbeabkommens, in den Blick. Methodisch folgt die Ausstellung einem gemischten Ansatz: Ihrer groben Struktur nach schreitet sie chronologisch von den ersten Anwerbeabkommen in der Nachkriegszeit bis zu aktuellen Debatten um „neue Gastarbeiter“ fort. Gleichzeitig ist die Ausstellung in thematische Blöcke untergliedert, die einzelne Themen in den Blick nehmen, wie eine getrennte Sektion zur Einwanderungsgeschichte der DDR oder ein Nebenraum zum Thema Rechtsextremismus. Dabei wird ein weites Themenspektrum von Sport- und Kulturvereinen über die Wohnsituation von Migrant_innen und religiösen Praktiken bis zur Frage der Integration abgedeckt. Die Vermischung thematischer und chronologischer Abfolgen bringt allerdings das Problem mit sich, dass einzelne Themen wie „Flucht und Asyl“ oder „Rechtsextremismus“ als zeitlich begrenzte Phänomene erscheinen, während historische Kontinuitäten und Brüche aus dem Blick geraten. Auffällig ist darüber hinaus, dass selbst grundlegende Begriffe wie Migration oder Integration nicht definiert werden. Die Ausstellung bleibt damit im wahrsten Sinne des Wortes begriffslos. Sie nimmt jedoch durch die Beschränkung auf grenzüberschreitende Bewegungen oder die Nicht-Thematisierung von Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg eine implizite definitorische Rahmung vor.
Die Ankunft der Anderen
Die Frage nach der räumlichen und kulturellen Trennung zwischen Migrant_innen und Deutschen zieht sich durch die gesamte Ausstellung. So liest man zum Thema „Aussiedler“: „Man spricht Russisch - In manchen deutschen Städten entstehen Siedlungen, in denen fast ausschließlich Aussiedler wohnen. Sie bleiben häufig unter sich und haben nur wenig Kontakt zu anderen Einwohnern.“ Wie diese Trennung zustande kam und welche staatlichen Politiken gegebenenfalls dazu beigetragen haben, wird nicht thematisiert. Viele Begriffe werden nicht in ihren jeweiligen Kontexten hinterfragt. Dies zeigt sich beispielsweise an der Übernahme der skandalisierenden Bezeichnung „Getto“ zur Beschreibung städtischer Segregationsprozesse, als deren Verursacher_innen Migrant_innen ausgemacht werden.
Auf einer Texttafel heißt es: „Angst vor Fremden - "Der Spiegel" berichtet 1973 über türkisch geprägte Stadtviertel in Deutschland. Manche Stadtverwaltungen wollen die Entstehung von Gettos verhindern, indem sie Ausländern verbieten, in bestimmte Stadtteile zu ziehen. Die Betroffenen protestieren gegen diese Maßnahmen und fordern gleiches Wohnrecht für alle. Die "Zuzugssperren" erreichen ihr Ziel nicht, da ihre Einhaltung nur schwer zu überwachen ist." Besonders problematisch ist, dass auch Begriffe wie „Gastarbeiter“, „Asylant“ oder die Titulierung des Ford 100 Transit als „Türkenkutsche“ nicht reflektiert beziehungsweise nicht explizit als diskriminierende Bezeichnungen entlarvt werden, sondern lediglich über ihre populäre Verbreitung berichtet wird. Der Begriff „Gastarbeiter“ wird in der Ausstellung fast durchgängig ohne distanzierende Anführungszeichen verwendet, während seine ideologische Funktion im staatlichen Migrationsregime der Nachkriegszeit unhinterfragt bleibt. Die vermeintlich neutrale Wiedergabe zeitgenössischer Debatten reproduziert damit die zeitgenössische diskriminierende Terminologie, weil sie die seit Jahrzehnten geäußerte Kritik an ihnen ausblendet.[3]
Dieser unreflektierte Umgang mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Begriffen setzt sich in der gesamten Konzeption der Ausstellung fort. Deutschland wird bereits im Titel als ein „immer bunteres“ Land präsentiert, in dem es, wie Ulrich Op de Hipt im hauseigenen Museumsmagazin erläutert, die „Einheit der Verschiedenen“[4] zu gestalten gilt. Die im Vergleich zu ökonomischen, sozialen und politischen Differenzen überragende Bedeutung einer angeblich erst durch den Zuzug von Migrant_innen entstandenen kulturellen Vielfalt wird dabei als stillschweigende Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.
Die Unterscheidung zwischen einer einheimischen und importierten „fremden“ Kultur ist das Ergebnis einer zweifachen Homogenisierung. Kulturen werden als voneinander unterscheidbare Kollektive beschrieben, die Werte, Traditionen und Gebräuche teilen. Individuelle Differenzen innerhalb der konstruierten Kulturgemeinschaften hingegen geraten ebenso aus dem Blick wie die Heterogenität der in nationale bzw. religiöse Communities eingeteilten Migrant_innen. Die angenommene Existenz unterscheidbarer kultureller Kollektive führt zu einer Dramatisierung kultureller Differenz, und sie produziert jene Gegenüberstellung eines deutschen „Wir“ mit dem fremden „Anderen“, die es den Ausstellungsmacher_innen zufolge in einem anschließenden Prozess der „Integration“ zu „bewältigen“ gilt. Durchbrochen wird die Dichotomie des Eigenen und des Fremden lediglich durch die hierarchisierende Unterscheidung besser und schlechter „angepasster“ Migrant_innen. Dieser Logik entsprechend werden „Kinder von Deutschen in Russland“ auf einem Textschild dafür gelobt, „weniger Probleme mit der Anpassung als Kinder anderer Einwanderergruppen“ zu haben.
Auf Texttafeln ist zudem immer wieder von der „ausländischen Bevölkerung“ die Rede, wenn auch Deutsche mit Migrationshintergrund gemeint sind. So wird beispielsweise von Reaktionen der „ausländischen Bevölkerung“ auf rassistische Gewalt berichtet, obwohl diese sich keineswegs ausschließlich gegen Ausländer_innen, sondern in gleichem Maße gegen all jene richtet, die trotz deutschem Pass als Nicht-Deutsche identifiziert werden. Letztlich stellt die Bezeichnung „ausländische Bevölkerung“ für Deutsche mit Migrationshintergrund eine sprachliche Ausbürgerung dar. Am Eingang der Ausstellung ausliegende pädagogische Kärtchen, welche die Besucher_innen als Gesprächsstoff nutzen sollen, werfen provokativ die zentralen Fragen der Ausstellung auf: „Bin ich Deutsch genug?“, „Ist Deutschland ein Einwanderungsland?“, „Brauchen wir eine Leitkultur?“ oder: „Gehört der Islam zu Deutschland?“.
Die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, und die graphische Gegenüberstellung eines Dönerladenschilds mit einer Schützenuniform implizieren allerdings bereits eine binäre Unterscheidung des Eigenen und des Fremden. In der Ausstellung selbst erfährt diese Dichotomie eine visuelle und thematische Zuspitzung. Im letzten Raum, der zur Debatte anregen soll, dienen eine Polizeijacke und eine Burka als Blickfänger, während sich in einer mit „Meinungsstreit“ überschriebenen Vitrine Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ und die salafistische Ausgabe des Korans gegenüberstehen.
Die „Nützlichkeitsfalle“: Migration als (kulturelle) Bereicherung
Ist die Differenz zwischen "Wir" und "Sie" einmal etabliert, stellt sich aus der Perspektive der „deutschen Bevölkerung“, die die Ausstellung überwiegend einnimmt, vor allem die Frage nach der „Nützlichkeit“ der Hinzugekommenen. Diese Perspektivbeschränkung zeigt sich bereits daran, dass sich die Ausstellung auf Konsequenzen von Migrationsbewegungen für die deutsche Gesellschaft konzentriert, während Auswirkungen auf die Herkunftsländer nicht thematisiert werden. Auf den Punkt gebracht wird das Nützlichkeitskalkül vom Präsidenten der Stiftung Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter, der in einer Presseerklärung erläutert: „Trotz vieler Ängste und Sorgen bereichern Menschen aus vielen Ländern, die zum Teil seit Jahrzehnten mit uns zusammenleben, unsere Gesellschaft.“[5] Welche Aspekte der Einwanderung als Bereicherung gelten können, wird schon durch das Plakat zur Ausstellung versinnbildlicht, auf dem eine Imbissbude abgebildet ist. Als weiteres Beispiel hebt eine Tafel mit der Überschrift „Auf Erfolgskurs“ die gesellschaftliche Bereicherung durch sportliche und kulturelle Leistungen der Eingewanderten hervor: „Zuwanderer aus vielen Ländern bereichern Gesellschaft und Kultur. Viele zeigen im Sport hervorragende Leistungen. Werke von Migranten sind wichtige Beiträge zur deutschen Literatur und zum Kino der Gegenwart.“ Wie auf einem mit „Heimat in der Fremde“ übertitelten Textschild ausgeführt wird, stehen den Vorteilen von Pizza, Döner und Co. allerdings auch Risiken der Einwanderung gegenüber. Diese werden vor allem in den kulturellen Mängeln der Eingewanderten verortet, denn: „Sprachmängel, Bildungsferne, Arbeitslosigkeit und Vorbehalte gegenüber Fremden erschweren das Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung. Vielen Kindern fehlen Ausbildung und Perspektiven.“
Soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit werden hier zu kulturellen Differenzen umgedeutet und ausschließlich den Betroffenen angelastet. Besonders eindrücklich kommt diese einseitige Zuschreibung in einem ausgestellten Leserbrief aus der Mitgliederzeitung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zum Ausdruck. Dort fordert die inzwischen als Autorin bekannt gewordene Polizistin Tania Kambouri, die als „griechisch stämmig“ vorgestellt wird und damit als eine Art Kronzeugin mit Migrationshintergrund fungiert, „ernsthafte Sanktionen“ für Ausländer_innen, weil sich ihre Kolleg_innen wegen „[...] straffälliger Migranten, darunter größtenteils Muslime (Türken, Araber, Libanesen) […] in ihrem eigenen Land nicht mehr wohlfühlen“. Die mangelnde Öffnung der Polizei für Migrant_innen bleibt hingegen ebenso unerwähnt wie institutionelle Rassismen in Sicherheitsbehörden.
Diskriminierung am Arbeits- und Wohnungsmarkt oder die auf Dauer gestellte Unterschichtung der Gesellschaft durch Migrant_innen lassen sich an einigen Objekten ablesen, die die Lebensumstände von Migrant_innen dokumentieren.[6] Diskriminierung stellt jedoch keine systematische Analyseebene dar. Die unzureichende Auseinandersetzung mit der (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit führt dazu, dass die Kommentare der Ausstellungsmacher_innen manche ausgestellte Objekte konterkarieren. So werden die von Firmen eingerichteten Wohnheime für Arbeitsmigrant_innen auf einer Texttafel in Abgrenzung zu den mitunter „unzumutbaren Quartieren“ in privat vermittelten Unterbringungen als „modern und gut ausgestattet“ beschrieben, obwohl ein Ordner mit dokumentarischen Fotos die beengten Verhältnisse in eben jenen Heimen dokumentiert.
Das verdrängte Problem des Rassismus
Obwohl die Ausstellungsmacher_innen ankündigen, sich mit „dem Einwanderungsland Deutschland in all seinen Facetten“ auseinanderzusetzen und dabei auch Themen wie „Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie“ anzusprechen, wird der Frage rassistischer Diskriminierung nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das Thema „Fremdenfeindlichkeit“ wird in einem eigenen Bereich abgehandelt, in dem die gewalttätigen Pogrome in den Neunzigern dargestellt werden. Das Haus der Geschichte greift bei der Einordnung der Gewalttaten ausschließlich auf den vom Verfassungsschutz geprägten, in den Sozialwissenschaften jedoch höchst umstrittenen Begriff des Extremismus zurück.[7]
Rassistische Gewalt wird damit in zweifacher Weise verdrängt und verharmlost: einerseits indem sie (bis auf die Ausnahme des NSU) auf einen scheinbar begrenzten Zeitraum in den 1990er Jahren beschränkt, zum anderen indem sie zu einem Problem weniger Extremisten minimiert wird. Die Konzentration auf gewalttätige Erscheinungsformen von Rassismus führt zu einer Verdrängung rassistischer Diskriminierungen im Alltag. In diesem Sinne bezeichnet der Historiker und Ausstellungsmacher Ulrich Op de Hipt die gesellschaftliche Mitte in einem Artikel zur Ausstellung als weitgehend frei von ausländerfeindlichen Einstellungen: „Rechtsradikale Kräfte versuchten mit Parolen wie 'Ausländer raus' Unterstützung für ihre Politik zu finden. Fremdenfeindliche Gruppierungen stießen jedoch in der Öffentlichkeit kaum auf Zustimmung“.[8] Diese These steht in eklatantem Widerspruch zu sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen über die Verbreitung rassistischer und antisemitischer Einstellungen in der Gesellschaft.[9] Die Ausblendung der Kontinuitäten rassistischer Gewalt in Deutschland zeigt sich besonders deutlich daran, dass auch der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) lediglich am Rande erwähnt wird: „Die ausländische Bevölkerung reagiert auf die Anschläge [in den Neunzigern] mit Grauen, Wut und Angst. Sie fühlt sich in Deutschland nicht mehr sicher. Verbrechen wie die Mordserie des NSU verstärken diese Gefühle.“ Rechter Terror wird hier nicht nur als ein vorrangiges Problem der „ausländischen Bevölkerung“ dargestellt, sondern zu einem lediglich gefühlten Problem verharmlost.
In der Ausstellung „Immer bunter“ wird das Wort Rassismus auf keiner Texttafel erwähnt. Die Verdrängung alltäglicher Rassismen geht im Einzelfall soweit, dass rassistische Ausschlüsse implizit als gerechtfertigt dargestellt und rassistische Stereotype reproduziert werden. Auf einer Texttafel zum Thema „Sexualität“ schreiben die Ausstellungsmacher_innen: „Die lange Trennung von ihren Frauen kann Gastarbeiter in Versuchung führen. Deutsche Männer sehen sie auch als Konkurrenz. In Bars sind sie daher oft nicht erwünscht.“ Die zeitgenössische Diffamierung männlicher Arbeitsmigranten als sexuell promiske Ehebrecher wird hier unreflektiert übernommen und damit perpetuiert. Angesichts dieser Tatsache verwundert es kaum, dass rassismuskritische Stimmen aus der Wissenschaft nicht zu Wort kommen und ganze Theorieströmungen ungehört bleiben. Der Meinungspluralismus in der angeblich notwendigen Debatte über Einwanderung beschränkt sich in der Ausstellung “Immer bunter“ und in den ergänzenden Veröffentlichungen auf eine kleine Zahl ausgewählter Politiker_innen und Wissenschaftler_innen, die in der Mehrzahl nicht als Migrationsandere markiert[10] sind und eine mehrheitsdeutsche Perspektive einnehmen.
Migrationsgeschichte als staatliches Legitimationsnarrativ
Ein weiterer Aspekt, den die Ausstellung „Immer bunter“ kaum thematisiert, ist die politische Selbstorganisation von Migrant_innen. Einige eingewanderte Arbeiter_innen und Geflüchtete berichten in abrufbaren Videos über ihr persönliches Bemühen um Anerkennung in der deutschen Gesellschaft. Diese Beispiele werden jedoch als individuelle Schicksale präsentiert, während kollektive, von Migrant_innen geführte Kämpfe kaum zur Sprache kommen. Als eines der wenigen Beispiele politischer Auseinandersetzungen wird der „wilde“ Streik in den Kölner Ford-Werken 1973 thematisiert. Auf einer Texttafel heißt es zur Zerschlagung des Streiks: „Auch die deutsche und türkische Belegschaft sowie die Gewerkschaftsvertreter haben unterschiedliche Ansichten.“ Die Tatsache, dass Anerkennungskämpfe eingewanderter Arbeiter_innen im Falle des Ford-Streiks nicht nur gegen Arbeitgeber und Staat, sondern auch gegen deutsche Gewerkschaften geführt wurden, wird zum Meinungsstreit verniedlicht, und die Emanzipationsbestrebungen der (rassistisch) diskriminierten Arbeiter_innen werden damit ihres politischen Gehalts beraubt.[11] Erzielte Fortschritte in der staatlichen Integrationspolitik werden nicht als Resultat sozialer Kämpfe verstanden, sondern als vermeintlicher Lernprozess der Mehrheitsgesellschaft präsentiert, die allein als Handelnde der Geschichte erscheint. Selbstorganisierten Migrant_innen hingegen wird der Status politischer Akteure aberkannt. Auch das auf ihr Herkunftsland bezogene politische Engagement vieler Migrant_innen gegen diktatorische Regime oder die Unterdrückung gewerkschaftlicher Organisationen wird weitgehend ausgeblendet.
Anstatt das Versprechen einer multiperspektivischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Einwanderungslands Deutschland einzulösen, wird Migrationsgeschichte im Haus der Geschichte zum staatlichen Legitimationsnarrativ umgedeutet. Die Ausstellung „Immer bunter“ präsentiert schließlich eine positive Erzählung der „Gastarbeitergeschichte“ von der Auswanderung „aus der Armut“ bis zur gelungenen Integration in Deutschland. Rassismus und Diskriminierung erscheinen dabei als glücklich überwundene Probleme der Vergangenheit bzw. weniger Extremist_innen, während vermeintliche kulturelle Differenzen als (allerdings überwindbares) Haupthindernis eines geglückten Integrationsprozesses dargestellt werden. Die Botschaft der Ausstellung lautet: Deutschland wird immer bunter, und das ist auch gut so, weil es „uns“ nützt. Dass Migrant_innen diesem Narrativ zufolge als passive Objekte eines nationalen „Wir“ erscheinen, ist beredter Ausdruck des aktuellen Stands musealer Debatten zum Thema Migration in Deutschland.
Die Ausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ wurde vom 10. Dezember 2014 bis 9. August 2015 im Haus der Geschichte in Bonn gezeigt. Vom 8. Oktober 2015 bis 17. April 2016 wurde sie im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig ausgestellt.
Vom 21. Mai bis 16. Oktober 2016 wird die Ausstellung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Deutschen Historischen Museum gezeigt.
Hier der Link zur Rezension der Ausstellung auf H/Soz/Kult von Lukas Böhnlein
Begleitbuch zur Ausstellung:
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): „Immer bunter – Einwanderungsland Deutschland“, Mainz: Nünnerich-Asmus 2014.
Literatur:
Bojadžijev, Manuela: Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration, Münster 2007.
Butterwegge, Christoph: "Die Entsorgung des Rechtsextremismus", in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1 (2010), S. 12-15.
Butterwegge, Christoph/ Cremer, Janine/ Häusler, Alexander/ Hentges, Gudrun/ Pfeiffer, Thomas/ Reißlandt, Carolin/ Salzborn, Samuel (Hg.): Themen der Rechten – Themen der Mitte. Zuwanderung, demografischer Wandel und Nationalbewusstsein, Opladen 2002.
Deutscher Museumsbund e. V. (Hg): Museen, Migration und kulturelle Vielfalt. Handreichungen für die Museumsarbeit, Berlin 2015.
Decker, Oliver/ Kiess, Johannes/ Brähler, Elmar: Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme einstellungen in Deutschland, Leipzig 2014.
Demirovic, Alex/ Bader, Pauline: "Das Fürchten gelehrt. Das Extremismus-Schema, das die Demokratie schützen soll, erweist sich als demokratiegefährdend", in: Der Freitag, H. 12 vom 12.10.2010.
Hechter, Michael: “Group formation and the cultural division of labor”, in: American Journal of Sociology 84 (1978) H. 2, S. 293–318.
Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Deutsche Zustände, Folge 10, Frankfurt am Main 2012.
Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim: Soziologie des Fremdarbeiterproblems. Eine theoretische und empirische Analyse am Beispiel der Schweiz, Stuttgart 1973.
Haus der Geschichte: „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland: Neue Ausstellung im Haus der Geschichte“, 2014.
Huwer, Jörg: »Gastarbeiter« im Streik – Die Arbeitsniederlegung bei Ford Köln im August 1973, Köln 2013.
Karakayali, Serhat: „Sechs bis acht Kommunisten, getarnt in Monteursmänteln. Die wahre Geschichte des Fordstreiks in Köln 1973“, 2001.
Karakayali, Serhat: „Die freundliche Einwanderungsgesellschaft. Eine Analyse bundesdeutscher Einwanderungspolitik“, 2001
Krüger-Potratz, Marianne: Interkulturelle Bildung. Eine Einführung, Münster 2005.
Mecheril, Paul/ Melter, Claus: „Gewöhnliche Unterscheidungen. Wege aus dem Rassismus“, in: Mecheril, Paul/ Castro Varela, María do Mar/ Dirim, İnci/ Kalpaka, Annita/ Melter, Claus (Hg.): Bachelor/Master: Migrationspädagogik, Weinheim/Basel 2010, S. 150-178, hier S. 156.
Narr, Wolf-Dieter: "Der Extremismus der Mitte", in: Vorgänge 31 (1992) H. 6, S. 4-7.
Op de Hipt, Ulrich: „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“, in: Museumsmagazin 4 (2014), S. 8-11.
Oswald, Ingrid: Migrationssoziologie. Konstanz 2007.
Vacca, Sandra: “Project Blickwinkel: rediscovering, reinventing and reinterpreting collections at the Kölnisches Stadtmuseum (Cologne, Germany)”, in: Innocenti, Perla (Hg.): Migrating Heritage - Experiences of Cultural Networks and Cultural Dialogue in Europe, Farnham 2014, S .233-236.
Wiegel, Gerd: "Total extrem? Zur gegenwärtigen Alltagsdominanz des Extremismusansatzes". In: Hentges, Gudrun/ Lösch, Bettina (Hg.): Die Vermessung der sozialen Welt. Neoliberalismus – extreme Rechte – Migration im Fokus der Debatte, Frankfurt am Main 2011, S. 223-233.
[1] Deutscher Museumsbund e. V, (Hg): Museen, Migration und kulturelle Vielfalt. Handreichungen für die Museumsarbeit. 2015.
[2] Vgl. Sandra Vacca: “Project Blickwinkel: rediscovering, reinventing and reinterpreting collections at the Kölnisches Stadtmuseum (Cologne, Germany)”, in: Innocenti, Perla (Hg.): Migrating Heritage - Experiences of Cultural Networks and Cultural Dialogue in Europe, Ashgate 2014, S. 233-236.
[3] Vgl. Serhat Karakayali: „Sechs bis acht Kommunisten, getarnt in Monteursmänteln. Die wahre Geschichte des Fordstreiks in Köln 1973“, 2001; Marianne Krüger-Potratz: Interkulturelle Bildung. Eine Einführung, Münster 2005; Manuela Bojadžijev: Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration, Münster 2007.
[4] Ulrich Op de Hipt: „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“, in: Museumsmagazin 4 (2014), S. 11.
[5] Vgl. Haus der Geschichte: „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland: Neue Ausstellung im Haus der Geschichte“, 2014.
[6] Vgl. Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny: Soziologie des Fremdarbeiterproblems. Eine theoretische und empirische Analyse am Beispiel der Schweiz, Stuttgart 1973; Michael Hechter: “Group formation and the cultural division of labor”, in: American Journal of Sociology 84 (1978) H. 2, S. 293–318, sowie aktuelle Tendenzen zusammenfassend Ingrid Oswald: Migrationssoziologie. Konstanz 2007, S. 117-119.
[7] Zur Kritik des Extremismusbegriffs vgl. u.a. Wolf-Dieter Nar: "Der Extremismus der Mitte", in: Vorgänge 31(1992) H. 6, S. 4-7; Christoph Butterwegge: "Die Entsorgung des Rechtsextremismus", in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1 (2010), S. 12-15; Alex Demirovic/ Pauline Bader: "Das Fürchten gelehrt. Das Extremismus-Schema, das die Demokratie schützen soll, erweist sich als demokratiegefährdend", in: Der Freitag, H. 12 vom 12.10.2010; Gerd Wiegel: "Total extrem? Zur gegenwärtigen Alltagsdominanz des Extremismusansatzes", in: Gudrun Hentges/ Bettina Lösch (Hg.) : Die Vermessung der sozialen Welt. Neoliberalismus – extreme Rechte – Migration im Fokus der Debatte, Frankfurt am Main 2011, S. 223-233.
[8] Ulrich Op de Hipt: „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“, in: Museumsmagazin 4 (2014), S. 10.
[9] Vgl. Christoph Butterwegge/ Janine Cremer/ Alexander Häusler/ Gudrun Hentges/ Thomas Pfeiffer/ Carolin Reißlandt/ Samuel Salzborn (Hg.): Themen der Rechten – Themen der Mitte. Zuwanderung, demografischer Wandel und Nationalbewusstsein, Opladen 2002; Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Deutsche Zustände, Folge 10, Frankfurt am Main 2012; sowie Oliver Decker/ Johannes Kiess/ Elmar Brähler: Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Leipzig 2014.
[10] Der von Paul Mecheril und Claus Melter geprägte Begriff der „Migrationsanderen“ bezeichnet Unterscheidungspraxen, die Menschen als unterschiedlich hinsichtlich ihrer Abstammung und ihrer territorial gedachten kulturellen Zugehörigkeit konzipieren und den so konstruierten Anderen räumliche Positionen zuweisen („Wegverweisung“). Vgl. Paul Mecheril/ Claus Melter: „Gewöhnliche Unterscheidungen. Wege aus dem Rassismus“, in: Paul Mecheril/ María do Mar Castro Varela/ İnci Dirim/ Annita Kalpaka/ Claus Melter (Hg.) (2010): Bachelor/Master: Migrationspädagogik, Weinheim/Basel 2010, S. 150-178, hier S. 156.
[11] Vgl. Serhat Karakayali: „Die freundliche Einwanderungsgesellschaft. Eine Analyse bundesdeutscher Einwanderungspolitik“, 2001; Jörg Huwer: »Gastarbeiter« im Streik – Die Arbeitsniederlegung bei Ford Köln im August 1973, Köln 2013.