von Matthias Uhl

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1. Februar 2014

Am 4. Februar 1954 erhielt das Präsidium des Zentralkomitees der KPdSU ein Schreiben von Innenminister Sergej Kruglow, in dem dieser die Herauslösung der „operativ-tschekistischen Verwaltungen und Abteilungen“ aus seiner Behörde und deren Unterstellung unter ein beim Ministerrat der UdSSR anzusiedelndes Komitee für Staatssicherheit (KGB) „vorschlug“.[i] Am 8. Februar diskutierte das Gremium, dem die Spitze der sowjetischen Partei- und Staatsführung angehörte, die Aktennotiz auf seiner routinemäßigen Sitzung heftig. Strittig war vor allem, wer das neu zu schaffende Komitee leiten sollte. Die Wahl fiel schließlich, trotz bestehender Zweifel, auf den Geheimdienstfunktionär und Favoriten Chruschtschows Iwan Serow, der unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges den NKWD[ii] in der Sowjetischen Besatzungszone geleitet hatte und dann bis zum Ersten Stellvertretenden Innenminister der UdSSR aufgestiegen war. Zuvor hatte er bereits bei den stalinistischen Säuberungen in der Ukraine, der Deportation der Wolgadeutschen und der Niederwerfung der polnischen Armija Krajowa seine politische Zuverlässigkeit bewiesen. Am 13. März 1954 verkündete schließlich ein Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR offiziell die Errichtung der neuen Staatssicherheitsbehörde.

Mit der Schaffung des KGB endete zugleich ein bislang kaum beachteter Reformprozess innerhalb des sowjetischen Geheimdienstes, der im März 1946 eingesetzt hatte und dessen Ziel es gewesen war, die Arbeit des Staatssicherheitsdienstes effektiver als bisher zu gestalten. Hatten noch unmittelbar nach Kriegsende vor allem in den neu besetzten Gebieten der Sowjetunion „Massenoperationen“ nach dem Vorbild des Großen Terrors die Geheimdienstarbeit bestimmt, so zeichnete sich spätestens nach 1946 relativ rasch ein Ende dieser stalinistischen Praktiken ab. Der politischen Führung des Landes kam es jetzt darauf an, ihre schärfste Waffe im Kampf um den politischen Machterhalt gezielter gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle einzusetzen. Aus diesem Grund begannen bereits in der Zeit des Spätstalinismus erhebliche Bemühungen, das weit verzweigte Geflecht der sowjetischen Staatssicherheitsorgane zu konzentrieren und vorhandene Kompetenzen zu straffen. Verstärkt wurde dieser Prozess nach Stalins Tod.
Nach dem Ende des Diktators tobte innerhalb des Geheimdienstes ein erbitterter Machtkampf, der sich vor allem durch einen erheblichen Austausch des bisherigen Führungspersonals manifestierte. Hatte Lawrentij Berija zunächst durch die Eingliederung des Ministeriums für Staatssicherheit in das Innenministerium die Konzentration geheimdienstlicher und polizeilicher Elemente in einer Hand noch weiter verstärkt – der neuen Superbehörde unterstanden, Milizangehörige nicht mitgezählt, mehr als eine Million Mann –, so änderten seine Rivalen nach dessen Beseitigung die bisherige Zielsetzung. Die Ausgliederung der „tschekistischen Strukturen“ zielte vor allem auf die Wiederherstellung der verloren geglaubten absoluten Kontrolle der Partei über den Geheimdienstapparat. Gleichzeitig ging es um eine Neuausrichtung der Behörde, die effektiver und gezielter gegen vermeintliche Staatsfeinde vorgehen sollte. Damit wollte die neue Führung erreichen, den brutalen Massenterror der Stalinzeit hinfällig zu machen und durch eine Strategie der „konzentrierten Schläge“ zu ersetzen. Denn immer noch blieb die politische Sicherung der „Diktatur des Proletariats“ und damit der Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit das Hauptziel des geheimpolizeilichen Einsatzes.
Hierfür hatte sich der neu geschaffene Geheimdienst auf nachrichtendienstliche Kernkompetenzen zu konzentrieren, was zugleich eine beträchtliche Einsparung an Personal und Kosten versprach. So zählte das KGB zu Beginn seiner Tätigkeit kaum mehr als 80 000 hauptamtliche Mitarbeiter. Deren Zahl nahm zunächst noch weiter ab, gleichzeitig ersetzte die neue Führung unter Serow bis 1957 mehr als 18 000 als belastet eingestufte Mitarbeiter durch neue Kader aus der Partei und den Streitkräften.[iii] Fast alle Hauptabteilungs-, Abteilungs- und Referatsleiter der Zentrale waren durch neue Führungskräfte ausgetauscht worden. Die allgegenwärtige Präsenz des Staatssicherheitsdienstes nahm durch die Auflösung von 3 678 Stadt- und Kreisvertretungen erstmals merklich ab.

Gleichzeitig wies das Präsidium des Zentralkomitees der KPdSU eine Überprüfung der Inhaftierten an, die sich wegen sogenannter „konterrevolutionärer Verbrechen“ in den Lagern des Gulag-Imperiums befanden. Zwischen Mai 1954 und März 1956 sichteten Vertreter von KGB, Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium die Akten von 337 183 Personen, die sich in Lagern, Arbeitskolonnen, Gefängnissen oder der Verbannung befanden. Das heißt jedoch nicht, dass jeder Politinhaftierte mit einer Neubewertung seines Falles rechnen konnte, verbüßten doch am 1. Februar 1954 insgesamt 467 946 Inhaftierte wegen „konterrevolutionärer Tätigkeit“ eine Haftstrafe. Im Rahmen der Überprüfungen wurden schließlich 153 502 Personen amnestiert. Mit einer vollständigen Rehabilitierung konnte allerdings nur jeder zwanzigste politische Häftling rechnen. Der größte Teil der Gefangenen blieb unverändert in Haft.
Auch sonst behielt das KGB, insbesondere sein Vorsitzender Serow, gegenüber den „antisowjetischen Elementen“ eine harte Linie bei. Als es im Zuge des XX. Parteitages im Frühjahr 1956 u. a. zu Massenunruhen in Tiblissi kam, stellte der KGB-Chef in einem Schreiben an die Politbüromitglieder Anastas Mikojan und Michail Suslow fest, „dass die operativen Mitarbeiter ihre politische Schärfe in der Arbeit verloren hätten“. Zugleich wies er in aller Dringlichkeit darauf hin, „dass die Methode der Prophylaxe nicht zur Grundlage des Kampfes mit der subversiven Tätigkeit der antisowjetischen Elemente gemacht werden sollte“.[iv]
Alarmiert durch die Geschehnisse in Polen und Ungarn wies Ende November 1956 die Parteispitze das KGB an, den Kampf gegen „antisowjetische und feindliche Elemente“ zu verstärken. Als Folge dieses Kurses stiegen erstmals nach 1956 wieder die Zahlen der Verhafteten, die wegen „konterrevolutionärer Verbrechen“ festgenommen und verurteilt worden waren. 
Grundsätzlich löste jedoch im KGB die „Prophylaxe“, mit der eine weitere „staatsgefährdende“ Tätigkeit der betreffenden Personen verhindert werden sollte, die physischen Zwangsmaßnahmen der Stalinzeit weitgehend ab, was jedoch nicht heißen soll, dass auf deren Anwendung gänzlich verzichtet und das Staatssicherheitssystem humaner wurde. So ermordeten beispielsweise KGB-Offiziere 1957 und 1959 in München die ukrainischen Nationalistenführer Lew Rebet und Stepan Bandera mit einer Giftpistole.

Ende 1958 ließ Parteichef Chruschtschow seinen bisherigen Günstling Serow fallen. An seine Stelle trat der ehemalige Komsomolsekretär Alexander Schelepin, der die Säuberung des KGB-Personals weiter fortsetzte und jetzt vor allem ehemalige Parteigänger Serows aus den Staatssicherheitsorganen entfernte.
Gleichzeitig erhielt das Komitee für Staatssicherheit unter seinem neuen Chef erstmals eine „Verordnung über das KGB beim Ministerrat der UdSSR“. Aus ihr wurde deutlich, dass das KGB mittelweile das gesamte Spektrum nachrichtendienstlicher und geheimpolizeilicher Aufgaben beherrschte.
Rasch folgte auf Schelepin als neuer KGB-Chef Wladimir Semitschastnyj, der wie sein Vorgänger ebenfalls aus dem Komsomol stammte. Bis 1964 hatte der neue KGB-Chef weitere 23 000 ehemalige KGB-Angehörige entlassen und durch neue Kader ersetzt. Gleichzeitig war es ihm und seinem Vorgänger gelungen, weitere zusätzlicher Kompetenzen bei der Verfolgung politischer Gegner an sich zu reißen, so dass die Personalstärke des KGB jetzt bei 110 000 Mitarbeitern lag.
Gleichwohl zeigte sich, dass das engmaschige KGB-Netz nicht jeden „Widerständigen“ erfasste und selbst das unbestrittene „Heiligtum“ der kommunistischen Bewegung, der Sarkophag des Führers der Weltrevolution, vor Angriffen „antisowjetischer Elemente“ nicht sicher war. Am 14. Juli 1960 überwand der Tatare K. N. Minibaew die Absperrungen im Mausoleum und trat mit dem Fuß die gläserne Deckplatte der Grabstätte ein. „Im Ergebnis dieser Attacke waren das Gesicht und die Hände [Lenins] mit einer großen Anzahl von Glassplittern bedeckt“.[v] Ende des Jahres schien sogar Chruschtschow in das Visier von georgischen Nationalisten geraten zu sein. Zumindest meldete das KGB dem Partei- und Staatschef persönlich ein geplantes Attentat auf ihn. Seit Beginn der 1960er Jahre verstärkte das KGB zudem seine Tätigkeit in den Bereichen der Wirtschafts- und Schwerstkriminalität, was erneut die These bestätigt, dass der Staatssicherheitsdienst seine „Prophylaxe“ ständig auf weitere Gebiete des sowjetischen Lebens ausdehnte.
Im Juli 1967 ging schließlich aus dem Kampf gegen „antisowjetische Elemente“ eine eigenständige (5.) KGB-Verwaltung, bestehend aus sechs Abteilungen, hervor, der bei Bildung 2 250 Mitarbeiter angehörten. Sie sollte jetzt den Kampf gegen nationale Oppositionsgruppen, Propagandazentren, ideologische Diversion und kirchlich-sektiererische Elemente führen. Gleichzeitig waren in 200 Städten und Kreisen erneut KGB-Vertretungen einzurichten. Damit endete eine Entwicklung, die eigentlich davon ausgegangen war, dem KGB lediglich geheimpolizeiliche Kernaufgaben zu übertragen. Bereits beim Amtsantritt des neuen Geheimdienstchefs Jurij Andropov wurde deutlich, dass sich das KGB als geheimdienstliches Repressionsinstrument des Poststalinismus verstand, das alle Lebensbereiche der sowjetischen Gesellschaft erfasst hatte.

In der Sowjetunion schlug damit der Versuch fehl, das Machtinstrument NKWD in eine Geheimpolizei klassischer Prägung umzuwandeln. Zur Durchsetzung des Machtanspruches einer kleinen Führungselite genügten eben nicht die Mittel der Geheimpolizei, sondern war der Einsatz eines umfassenden Verfolgungs- und Unterdrückungsapparates notwendig. Dieser musste durch die immer stärkere Ausweitung seiner Tätigkeitsfelder der Politikwahrnehmung und der Bedrohungsperzeption der sowjetischen Führungen gerecht werden. Da sich diese trotz gelegentlicher Reformschübe nicht wesentlich änderten, verwandelte sich das KGB zusehends in eine immer mehr ausufernde poststalinistische Geheimdienstbürokratie, die in der Folgezeit ihre Hypertrophie noch steigerte. Gleichwohl konnte das allmächtig erscheinende und gefürchtete KGB Anfang der 1990er Jahre den Niedergang des Kommunismus in der Sowjetunion nicht aufhalten. Vielmehr sah der KGB-Apparat dem Zerfall des Staates weitgehend tatenlos zu und sicherte sich so den fast reibungslosen Übergang in ein neues politisches System, denn auch die neuen Herrscher im Kreml glaubten, auf die Methoden der Tschekisten nicht verzichten zu können.




[i] KGB (Komitet gossudarstwennoi besopasnosti); Schreiben von Kruglow an das Präsidium des ZK der KPdSU über die Ausgliederung der Organe der Staatssicherheit aus dem MWD, 4.2.1954, abgedruckt in: Lubjanka: Organy WTschK-OGPU-NKWD-NKGB-MGB-MWD-KGB. 1917-1919. Sprawotschnik, hrsg. von A.I. Kokurin und N.W. Petrow, Moskau 2003, S. 684.
[ii] Narodny kommissariat wnutrennich del (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten), Bezeichnung für das Innenministerium 1934-1946, ab 1946 MWD (Ministerstwo wnutrennich del / Ministerium für innere Angelegenheiten)
[iii] Als belastet galten zum einen Mitarbeiter, die „nicht in der Lage waren, die den Organen des KGB gestellten Aufgaben zu erfüllen“, zum anderen Personen, „die gegen die sowjetische Gesetzgebung verstoßen, ihre dienstliche Stellung missbraucht und amoralische Verfehlungen begangen hatten“, also auch Geheimdienstmitarbeiter, die während der Säuberungen der 1930er und 1940er Jahre für Folter-Exzesse und willkürliche Erschießungen verantwortlich waren. Vgl. Russisches Staatsarchiv für Zeitgeschichte (RGANI), Bestand 2, Vorgang 1, Akte 224, Bl. 59 f., Schreiben von Serow an das ZK der KPdSU über die Arbeit des KGB, Juni 1957.
[iv] Zentralarchiv des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation (CA FSB), Bestand 5-os, Vorgang 3, Akte 19, Bl. 265, Schreiben Nr. 984-s von KGB-Chef Serow an Mikojan und Suslow, 18.4.1956. Ich danke Herrn Nikita Petrov von Memorial für die Überlassung des Dokumentes
[v] RGANI, Bestand 5, Vorgang 30, Akte 321, Bl. 65, Schreiben von Kuraschow an das ZK der KPdSU, 16.7.1960.