„Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen“, legte 1982 der bis heute gültige Traditionserlass fest, durch den der damalige Bundesverteidigungsminister Hans Apel (SPD) die Marschrichtung für den Umgang mit der militärischen Vergangenheit in der Bundeswehr vorgab. Was ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus anging, hieß es weiter, waren die Streitkräfte „teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht“.[1] Der Minister unterstrich mit dieser Formel die Trennlinie zwischen den militärischen und sicherheitspolitischen Institutionen der NS-Diktatur einerseits und der westdeutschen Demokratie andererseits, die sich nicht zuletzt in der normativen Konsequenz des Traditionsbruchs zeigte. Für unser wissenschaftsgeschichtliches Thema indes ist ein zweiter Aspekt interessanter: Als der Minister davon sprach, dass deutsche Streitkräfte an nationalsozialistischem Unrecht beteiligt waren, konnte er sich auf eine historische Forschung stützen, die nicht zuletzt im Geschäftsbereich seines eigenen Ministeriums in vollem Gange war.
Wenn in einem historischen Sinn von den „Vorläuferorganisationen“ die Rede ist, gilt das Interesse einem Zentralbereich des nationalsozialistischen Machtapparats und dem Funktionsmechanismus der Führer-Diktatur im Bereich des Militärischen. Wie gingen das Bundesministerium der Verteidigung und die Bundeswehr mit der NS-Vergangenheit deutscher Streitkräfte um? Sicher, im „Dritten Reich“ gab es kein effektives Kriegsministerium, so dass später auch keine institutionelle Verbindung zum Bundesministerium der Verteidigung (bis 1961: „für“ Verteidigung; BMVg) existieren konnte. Ohnehin hatte die Entmilitarisierungspolitik der Alliierten für einen zehnjährigen Kontinuitätsbruch gesorgt. Das Ministerium und die Streitkräfte sahen die nationalsozialistische Vergangenheit formal nicht als „ihre“ eigene an. Gleichwohl stand die „neue Wehrmacht“, wie es zunächst hieß, in einem unübersehbaren personellen und kulturellen Zusammenhang mit der jüngsten Vergangenheit – sonst wäre das im Traditionserlass nicht der Rede wert, ja wäre der Traditionserlass womöglich gar nicht erforderlich gewesen.
Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Zeithistorische Konjunkturen – Auftragsforschung und NS-Aufarbeitung in der Bundesrepublik“ gilt das Interesse im Folgenden den Mechanismen militärischer Auftragsforschung, ihrer Genese, Entwicklung und Rezeption im Kontext der westdeutschen Geschichte: Muss nicht demjenigen, der davon ausgeht, dass Militär und Wissenschaft nach antagonistischen Prinzipien funktionieren, militärische Auftragsforschung als ein Widerspruch in sich selbst vorkommen? Muss der Zusammenhang nicht umso paradoxer erscheinen, als es mit dem Zweiten Weltkrieg um einen Schlüsselmoment des militärischen Selbstverständnisses ging?[2] Dazu sollen drei Fragen diskutiert werden: Erstens ist die Frage nach der Elitenkontinuität aufzuwerfen. Wie wurden die personalpolitischen Weichen gestellt, als die Bundesregierung seit 1955/56 westdeutsche Streitkräfte aufstellte? Zweitens geht es ausführlicher darum, ob und wie sich das BMVg und die Bundeswehr mit der NS-Vergangenheit und dem Zweiten Weltkrieg befasst haben. Hier stehen die Risiken und Chancen der „amtlichen“ Militärgeschichtsschreibung in der Bundesrepublik vor 1989/90 im Mittelpunkt. Drittens soll der Rekurs auf die Zeit vor 1945 auf der Metaebene der militärischen Erinnerungskultur skizziert werden, auf die das Eingangszitat bereits hinwies. Dazu wird nach der Wechselwirkung von wissenschaftlicher Aufarbeitung, historisch-politischer Bildung und Traditionsstiftung zu fragen sein. Drei Thesen schließen die Überlegungen ab.
Chronologisch zielen die Überlegungen vor allem auf das Verhältnis, in dem das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr in den Anfangsjahren zu den Vorläuferorganisationen vor 1945 standen, sodann – zeitlich verschoben – auf die Beschäftigung mit eben diesen Anfangsjahren als Teil der im engeren Sinne eigenen Vergangenheit. Beide Zeitebenen werden mithin in einem doppelten Sinn thematisiert: zum einen als Realgeschichte, zum anderen und vor allem als Gegenstand einer Geschichtsschreibung, die, wie sich zeigen wird, in hohem Maße eine amtliche Geschichtsschreibung als Auftragsforschung war. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Bezeichnungen „amtlich“ und „Auftragsforschung“ werden im Folgenden – wie in den übrigen Beiträgen dieses Themenschwerpunkts, jedoch im Unterschied zur umgangssprachlichen Verwendung – wertneutral begriffen, um den spezifischen Strukturzusammenhang zu bezeichnen, in dem die Forschung in einer nachgeordneten wissenschaftlichen Fachbehörde eines Bundesministeriums (Ressortforschung) steht.[3] Umgekehrt lässt sich das Folgende auch als ein Fallbeispiel lesen, das sich dazu eignet, die Fährnisse der historischen Auftragsforschung im Bereich der Ressortforschung im Allgemeinen auszuloten.
I. Die Anfänge der Bundeswehr: Zwischen Kontinuität und Neuorientierung
Wohl kaum jemand konnte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vorstellen, dass Westdeutschland in wenigen Jahren wieder eine eigenständige Verteidigungs- und Sicherheitspolitik betreiben und neue Streitkräfte aufstellen würde. Viele mochten sich das auch nicht vorstellen: Kaum verdichteten sich Anfang der 1950er Jahre Gerüchte über einen westdeutschen Militärbeitrag, hagelte es aus der Bevölkerung Kritik von allen Seiten. Die „Ohne-mich-Haltung“ sorgte für die ersten großen innenpolitischen Konflikte der jungen Republik. Angesichts der Aufstellung einer Kasernierten Volkspolizei in der Sowjetischen Besatzungszone und verstärkt noch in der DDR, forderte Bundeskanzler Konrad Adenauer im April 1950 den Aufbau einer westdeutschen Bereitschaftspolizei. Am 24. Mai machte er den vormaligen Wehrmachtgeneral Gerhard Graf von Schwerin zu seinem Sicherheitsberater. Spätestens mit Beginn des Koreakrieges am 25. Juni 1950 stand für Adenauer und die westlichen Besatzungsmächte außer Zweifel, dass nur die Westbindung der Bundesrepublik ein wirksames Gegenmittel gegen ein Gesamtdeutschland von Stalins Gnaden sein konnte. Dazu gehörte nicht zuletzt die militärische Einbindung.
Unter konspirativen Bedingungen – noch galt das Entmilitarisierungsgesetz der Alliierten – tagte vom 6. bis 9. Oktober 1950 im Eifelkloster Himmerod eine militärische Expertenkommission. Sie legte schließlich die Himmeroder Denkschrift vor, die bis heute als Magna Charta der Bundeswehr gilt.[4] Ebenso geheim war die von Schwerin geleitete Zentrale für Heimatdienst, die für die Vorbereitungen des Aufbaus eines zukünftigen Verteidigungsministeriums zuständig war (nicht zu verwechseln mit der 1952 gegründeten Bundeszentrale für Heimatdienst, der späteren Bundeszentrale für politische Bildung). Damit die Alliierten nicht mit einem ehemaligen Wehrmachtangehörigen verhandeln mussten, ernannte Adenauer den Gewerkschafter Theodor Blank (CDU) zu seinem Beauftragten. Das von ihm geleitete sogenannte Amt Blank wuchs von Ende 1950 bis 1953 auf etwa 700 Mitarbeiter an, darunter ehemalige Soldaten. Die Leitung einer militärischen Abteilung übernahm der ehemalige Generalleutnant Adolf Heusinger. Nachdem der Plan gescheitert war, deutsche Streitkräfte als Kontingent einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) unter einheitlichem Kommando aufzustellen – das französische Parlament lehnte am 30. August 1954 die Ratifizierung ab –, schuf die Bundesrepublik eigene Streitkräfte und wurde als weitgehend souveräner Staat in die NATO aufgenommen. Am 6. Mai 1955 traten die Pariser Verträge in Kraft, am 9. Mai wurde die Bundesrepublik NATO-Mitglied, am 7. Juni 1955 das Amt Blank in das „Bundesministerium für Verteidigung“ umgewandelt.
Auf den ersten Blick stellte die Bundeswehr nach einem Jahrzehnt ohne Militär im Vergleich zur Wehrmacht etwas Neues dar:[5] Als Teil der NATO war sie, erstens, in die Befehls- und Kommandostruktur einer Militärallianz eingebunden – ein Zugeständnis an die westlichen Alliierten um den Vorteil der weitgehenden Wiedererlangung staatlicher Souveränität. Die Bundeswehr war, zweitens, dem Grundgesetz gemäß als eine reine Verteidigungsarmee aufgebaut; ein Angriffskrieg wäre verfassungswidrig gewesen. Sie war, drittens, als Gesamtstreitmacht organisiert. Zentrale Abteilungen (Rüstung, Haushalt, Personal) waren im BMVg zusammengeführt, es gab eine einheitliche zivile Bundeswehrverwaltung und einheitliche militärische Strukturen. Insofern unterschied sie sich ebenfalls von der Wehrmacht, deren Spitzengliederung sich trotz des zunächst vorhandenen Oberkommandos der Wehrmacht durch die weitgehende Unabhängigkeit von Heer, Luftwaffe und Marine auszeichnete – ein eher chaotisches System, das auch Hitler nicht planmäßig steuern konnte. Nicht zuletzt fiel das vierte Merkmal ins Gewicht, wenn es um die Frage von Kontinuität und Neuanfang geht. Die Bundeswehr war eine Armee in der Demokratie. Dahinter stand das Bemühen, einen „Staat im Staate“ zu verhindern und die pluralistische, demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung mit der hierarchischen Institution Militär zusammenzubringen. Zum einen wurden (außer-)parlamentarische Kontrollinstrumente geschaffen, wie der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages,[6] der Verteidigungsausschuss, das Budgetrecht, aber auch die erwähnte zivile Wehrverwaltung und namentlich die zivile Leitung der Bundeswehr. Zum anderen sollte deren Binnenverfassung, das innere Gefüge, infolge einer neuen Führungsphilosophie so beschaffen sein, dass sie den Soldaten in die Gesellschaft integrierte. „Staatsbürger in Uniform“: So lautete die zentrale Formel der „Inneren Führung“, die insbesondere der frühere Wehrmachtoffizier Wolf Graf von Baudissin konzipiert hatte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, galten die Grundrechte auch für die Soldaten.
Auf den zweiten Blick jedoch – den vor allem die seit den 1980er Jahren intensivierte Forschung zur Geschichte der Bundeswehr eröffnet hat, nicht zuletzt im Rahmen der Auftragsforschung des BMVg – werden Kontinuitäten deutlich, welche die skizzierten Bruchlinien verwässern. Nicht nur wäre zu diskutieren, inwieweit nach der Logik des Kalten Krieges initiatives militärisches Handeln nicht noch stets als reaktive Verteidigung (gegen die „kommunistische Gefahr“) interpretiert worden wäre oder inwieweit die zentrale Organisation der Bundeswehr durch dezentrale Tendenzen wie die Rivalität der Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe oder die relativ schwache Stellung des Generalinspekteurs - des ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr - unterlaufen wurde. Zudem galt weiterhin das Primat des Politischen. Auch der neue Soldat sollte ein politischer Soldat sein – freilich unter umgekehrtem Vorzeichen. An die Stelle der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ und ihres Führers trat die freiheitlich-demokratische Grundordnung als normativer Bezugsrahmen. In beiden Fällen war die Absicht eine militärische: die Steigerung der Kampfkraft durch Motivation.
Zwölf Divisionen mit maximal 500.000 Mann sollten die Westdeutschen als Verteidigungsbeitrag stellen. Doch woher sollten die Soldaten kommen? Die Rekrutierungsbasis war begrenzt. Zunächst hatten die Kriegsverluste von circa sechs Millionen Mann, davon eine Million aus dem Offizier- und Unteroffizierkorps, die Zahl möglicher Kandidaten drastisch verringert. Mancher Überlebende kam aufgrund der Generationenverschiebung nicht mehr in Frage. In den Zeiten des „Wirtschaftswunders“ zogen andere eine Karriere in der Wirtschaft vor oder lehnten die Wiederbewaffnung aus prinzipiellen Gründen ab. Nach ihrer Gründung erschien die neue Armee angesichts der schlechten Ausrüstung und geringen Besoldung wenig attraktiv – ganz zu schweigen davon, dass sie von einem Teil der Bevölkerung, der „Ohne-Mich-Bewegung“, abgelehnt wurde. Es liegt auf der Hand, dass die politische und militärische Führung angesichts der Bündnisverpflichtung und des Strebens nach Souveränität dem raschen Aufbau der Streitkräfte den Vorrang gab und dazu auf ehemalige Wehrmachtsoldaten zurückgriff.
Die Westalliierten störte das wenig; sie zählten auf den ostfronterfahrenen Wehrmachttyp. Vor diesem Hintergrund gaben sowohl Bundeskanzler Adenauer als auch der ehemalige General (und spätere US-Präsident) Dwight D. Eisenhower „Ehrenerklärungen“ für den deutschen Soldaten ab, um die Wehrmachtveteranen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit schlecht gelitten waren, zumindest moralisch zu rehabilitieren. Nun setzte sich das Personal in der Aufbauphase nicht nur aus ehemaligen Wehrmachtsoldaten zusammen. So gehörten zu den Stabsoffizieren und zu den Truppen- und Unteroffizieren auch die Flakhelfer der Jahrgänge 1927 bis 1930 und die „weißen Jahrgänge“ 1929 bis 1937. Die Kriegskindergeneration 1936 bis 1946 war auf der Ebene der Truppen- und Unteroffiziere ebenso vertreten wie unter den Mannschaftsdienstgraden und Wehrdienstleistenden.[7]
Die reaktivierten Veteranen blieben indes moralisch belastet wegen ihrer Vergangenheit in der Wehrmacht und misstrauisch beäugt von weiten Teilen der Gesellschaft, beim Bundeskanzler angefangen. Im Gegensatz zur Weimarer Republik, die sich mit einem Hunderttausend-Mann-Heer hatte begnügen müssen, wurden die Soldaten in der Gründungsphase der zweiten Republik nicht vermisst. Adenauer mochte sich denn auch für das eigene Militär nie richtig erwärmen und betrachtete die Bundeswehr pragmatisch als ein innenpolitisches Instrument zu dem außenpolitischen Zweck, die Souveränität Westdeutschlands zu stärken. Die überkommenen Pathosformeln, die Kämpferqualitäten beschworen, „hängen einem […] gegenüber der anonymen Tragik des modernen Krieges einfach zum Hals heraus“ – mit dieser Kritik, die auch Sprachkritik war, ging er auf Distanz.[8]
Unterm Strich wurden 13.438 Offiziere und bis zu 30.000 Unteroffiziere der Wehrmacht reaktiviert.[9] Die besten Chancen auf eine Karriere in der Bundeswehr hatten die ab 1906 Geborenen, lässt man die Sonderfälle Hans Speidel (1897-1976) und Adolf Heusinger (1897-1982) einmal außen vor.[10] Die Aufstellung von 500.000 Mann aus dem Stand binnen zwei, drei Jahren konnte indes nicht gelingen. Die organisatorische Neugliederung bedeutete angesichts der zahlreichen Mängel einen schlechten Start, sollte aber angesichts der in praktischer Hinsicht problematischen Ausgangslage – des Abbruchs der Tradition – und der, wie wir im Rückblick wissen, erstaunlich gut gelungenen Integration der Streitkräfte in die demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung nicht zu negativ beurteilt werden.[11]
Ein veritabler NS-Skandal blieb der Bundeswehr erspart. Mochte die DDR-Propaganda auch die „braune“ Personalkontinuität in der Bundeswehr anprangern: Ein Offizier, der als ehemaliger NS-Funktionär oder Kriegsverbrecher entlarvt und entlassen worden wäre, fand sich in den Reihen der westdeutschen Streitkräfte nicht. Dass es im Unterschied zu anderen staatlichen Institutionen keine Personalaffäre gab, lag nicht zuletzt daran, dass bei der Personalrekrutierung für die militärische Führungsebene besondere Anforderungen galten. Die Spitzenmilitärs, die den Alterskohorten der Jahrgänge 1889 bis 1900 (den Frontoffizieren des Ersten Weltkriegs) und 1900 bis 1913 (der Kriegsjugendgeneration des Ersten Weltkriegs) entstammten, wurden bei der Bewerbung systematisch auf ihre Einstellung gegenüber dem NS-Regime überprüft.
Ein unabhängiger, an Weisungen nicht gebundener „Personalgutachterausschuss“, der per Gesetz vom 23. Juli 1955 ins Leben gerufen wurde, sollte alle Bewerber vom Rang eines Oberst aufwärts auf ihre „persönliche Eignung“ prüfen und Richtlinien entwickeln, nach denen auch die übrigen Soldaten zu prüfen seien.[12] Die Einstellung von Wehrmachtveteranen ohne vorherige Zustimmung des Ausschusses wurde gesetzlich untersagt. Der Personalgutachterausschuss war von den Militärs des Amtes Blank im Sinne einer Militärreform angeregt und der Regierung vorgeschlagen worden. Die Parlamentarier hatten das Vorhaben gebilligt, aber verantworten mussten die Mitglieder ihre Entscheidungen nicht gegenüber dem Parlament, sondern nur vor ihrem Gewissen. Insofern handelte es sich um ein unabhängiges Gremium, auf dem die politische Verantwortung für die Auswahl des militärischen Führungspersonals lastete.
Zwar ging es ursprünglich um die künftigen „Offiziere des deutschen EVG-Kontingents und der nationalen Teile des deutschen Kontingents“. Doch auch nachdem der Plan für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft gescheitert war, setzte der Ausschuss seine Arbeit auf der Grundlage seiner selbst formulierten Geschäftsordnung fort. Dem Ausschuss gehörten 38 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an, die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung berufen wurden. Zu den Mitgliedern zählten auch Männer des 20. Juli 1944 und Angehörige der Verschwörer: Annedore Leber, Fabian von Schlabrendorff, Philipp Freiherr von Boeselager und Konrad von Woellwarth.
Zwischen August 1955 und November 1957 überprüfte der Ausschuss 553 Bewerbungen ehemaliger Wehrmachtoffiziere, die sich für eine Verwendung im Dienstgrad eines Obersten oder Generals empfahlen. Von vornherein nicht in Frage kamen einerseits Generale und Oberste der Waffen-SS, andererseits auch Angehörige des ehemaligen, von der Sowjetunion unterstützten Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD). (Ein 1956 eingesetzter Bundespersonalausschuss [Nr. 365/56] beschloss im August 1956, dass ehemalige Soldaten der Waffen-SS bis zum Obersturmbannführer – das entsprach dem Grad eines Oberstleutnants – mit ihrem alten Dienstgrad in die Bundeswehr aufgenommen werden konnten.[13]) 51 Bewerber lehnte der Personalgutachterausschuss ab, 32 zogen ihre Bewerbung zurück, so dass insgesamt 470 ehemalige Kriegsteilnehmer dem BMVg zur Einstellung vorgeschlagen und in die neue Bundeswehr aufgenommen wurden. Von den 38 Generalen, die „wiederverwendet“ wurden, waren 31 bereits im Generalstab der Wehrmacht tätig gewesen. Zu den abgelehnten Bewerbern gehörten sogar ehemalige Offiziere, die im Amt Blank und im Bundesministerium für Verteidigung beschäftigt waren. Im Fall einer Ablehnung gab es weder ein Recht auf Begründung noch die Möglichkeit, Einspruch einzulegen. Die mangelnde Transparenz des Verfahrens sorgte immer wieder für Kritik. Wohlweislich vernichtete der Ausschuss am Ende sämtliche Personal- und Prüfakten.
Die Prüfung galt als abschließend; späteren Verdächtigungen, der ein oder andere General oder Admiral habe ‚Dreck am Stecken‘, wurde nicht nachgegangen. Als die DDR Mitte der 1960er Jahre im Zuge ihrer sogenannten West-Arbeit ein „Braunbuch“ publizierte, das die NS-Vergangenheit unter anderem von Bundeswehroffizieren und -generalen mit Dokumenten zu belegen suchte, wurde das als kommunistische Propaganda eingestuft, die zunächst ebenfalls keine juristischen Konsequenzen hatte.[14] Der antikommunistische Konsens förderte die Schlussstrich-Mentalität. Eine prominente Ausnahme bildete Hans Speidel, der es bis zum Oberbefehlshaber der europäischen Landstreitkräfte der NATO gebracht hatte und vorzeitig abberufen wurde, wohl auf Druck des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle. Speidel war beim deutschen Militärbefehlshaber Frankreich eingesetzt gewesen und wurde nach 1945 für die Deportation von Pariser Juden und Geiselerschießungen mit verantwortlich gemacht. Zu den umstrittenen Personen gehörten namentlich Josef Kammhuber, Friedrich Foertsch, Heinz Trettner, Friedrich Ruge wie auch Adolf Heusinger, der erste Generalinspekteur der Bundeswehr. Der Personalgutachterausschuss, der Speidel für ungeeignet gehalten hatte, war von der Regierung einschließlich des Verteidigungsministers Theodor Blank übergangen worden und zeigte sich verärgert.[15] Auf einem anderen Blatt steht, dass sich ehemalige Wehrmachtangehörige in Netzwerken außerhalb der Bundeswehr organisierten und bis in die 1970er Jahre Einfluss auf die westdeutsche Gesellschaft und Politik ausübten.
Eine militärische Stunde Null gab es 1955 insofern nicht.[16] Zahlreiche „Gründerväter“ der Bundeswehr hatten zuvor eine Wehrmachtuniform getragen.[17] Wie sonst hätten zehn Jahre nach Kriegsende neue Streitkräfte aufgebaut werden können, wenn nicht durch den Rückgriff auf die kriegserfahrenen Soldaten?
Wie das Auswärtige Amt oder das Bundesjustizministerium[18] setzte das Bundesverteidigungsministerium auf vorhandenes Fachpersonal, das seine Kenntnis und Erfahrung einbringen sollte, wenn auch unter anderen politischen Vorzeichen. Man benötigte Offiziere, die wussten, wie der Militärapparat funktionierte. Dass die Vergangenheit nicht gleichgültig war, zeigte der Personalgutachterausschuss. Die Idealvorstellung der Generale von Kielmansegg, de Maizière und Graf Baudissin indes,[19] neue Streitkräfte ohne durch die NS-Vergangenheit belastetes Personal aufstellen zu können, zerbrach an den Erfordernissen und Erwartungen, nicht zuletzt der USA, in kurzer Zeit eine umfangreiche Streitmacht vorzuhalten.
Nach der Aufstellung der Bundeswehr wurden auch die institutionellen Weichen gestellt für die historische Erforschung der Vorläuferorganisation, der Wehrmacht, und des Krieges, den sie geführt hatte.
II. Auftrag Weltkriegs-Forschung
In Westdeutschland sollten für die Erforschung des Zweiten Weltkriegs vor allem zwei außeruniversitäre Forschungseinrichtungen eine Rolle spielen. 1949/50 übernahm das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München, zunächst noch unter dem Namen „Deutsches Institut für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit“, eine Vorreiterrolle in der Erforschung der jüngsten Vergangenheit, namentlich des „Dritten Reiches“ und des Zweiten Weltkriegs.[20] Die Grundlagenforschung zum Zweiten Weltkrieg stand dagegen nach einer längeren institutionellen Anlaufphase im Mittelpunkt der Arbeiten des Militärgeschichtlichen Forschungsamts (MGFA).
Das Wappen des MGFA zeigte Feder und Schwert, das Traditionssymbol der Kriegsberichtsschreiber, ergänzt um das Freiburger Georgskreuz und eine alte Sturmhaube. Nach dem Umzug nach Potsdam 1994 kam das Wappen der brandenburgischen Landeshauptstadt hinzu.
Bilder: Wikimedia Commons; Wikimedia Commons
Der Ursprung des MGFA lag in der „Militärgeschichtlichen Forschungsstelle“, die das Bundesministerium für Verteidigung zum 1. Januar 1957 vorläufig in Langenau bei Ulm (Baden-Württemberg) einrichtete.[21] Am 5. Juli 1956 hatte General Speidel den Aufstellungsbefehl für eine solche Forschungsstelle mit angegliederter Dokumentenzentrale unterzeichnet. Ihr stand in Personalunion der Historiker Oberst i.G. Dr. Hans Meier-Welcker vor, der im Ministerium seit 1955 und bis zum 31. März 1958 das bereits Ende 1951 eingerichtete Referat Wehrwissenschaften leitete. Dieses Referat, das zeitweilig auch unter dem Namen „Zeitgeschichte und Wehrwissenschaft“ firmierte, hatte die Aufgabe gehabt, eine militärgeschichtliche Forschungsstelle zu planen.[22] Die Forschungsstelle unterstand fachlich unmittelbar dem BMVg, war also weder Teil einer anderen militärischen Dienststelle noch bildete sie eine Abteilung im Ministerium. Ein Jahr später wurde sie nach Freiburg im Breisgau verlegt und am 13. Januar 1958 offiziell in „Militärgeschichtliches Forschungsamt“ umgetauft – ein Name, der bis Ende 2012 blieb, als das MGFA im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) aufging.[23] Das MGFA nutzte zunächst ein Gebäude der Deutschen Bank an der Kaiser-Joseph-Straße: die ehemalige Schalterhalle bot Platz für Bücherregale, wertvolle Archivalien konnten im ehemaligen Safe gelagert werden, und im Keller wurde der hauseigene Schießstand eingerichtet. Ab Januar 1963 zogen die Militärhistoriker zu einem Teil in einen Zweckbau in der benachbarten Grünwälderstraße (Haus Dietler); bis 1977 folgte der Rest.
In dem Amt arbeiteten zunächst 39 Personen, darunter 10 Offiziere und 10 wissenschaftliche Angestellte. Für ehemalige Wehrmachtsoldaten, die in der Truppe nicht wiederverwendet werden konnten, aber militärnah tätig sein wollten, war das MGFA ein interessanter Beschäftigungsort. Weil das Verfahren des Prüfungsausschusses nur für Offiziere, nicht aber für ziviles Personal galt, bewarben sich etliche Ehemalige für eine Tätigkeit im zivilen Status am MGFA als Historiker, Archivar, Bibliothekar. Den meisten fehlte freilich die in Meier-Welckers Augen notwendige fachwissenschaftliche Ausbildung und akademische Qualifikation. Zu den frühen wissenschaftlichen Mitarbeitern gehörte eine (einzige) Frau: Ursula von Gersdorff. Die Tochter des Generaldirektors der Staatlichen Museen zu Berlin, Wilhelm Waetzold, hatte bei Delbrücks Nachfolger Walter Elze in Berlin Kriegsgeschichte studiert und war 1937 promoviert worden. In Freiburg, wo auch Elze seinen Lebensabend verbrachte, war Gersdorff (seit 1941 verwitwete Gräfin Vitzthum von Eckstaedt) als „Schriftleiter“ des MGFA tätig. Die Mitarbeiter des Amts konnten auf eine eigene Arbeitsbücherei mit rund 6800 Bänden zurückgreifen. Die Nähe zur Universität, die Entfernung zum Ministerium in Bonn sowie die Erreichbarkeit der zugleich auf Abstand gehaltenen Zeitzeugen der Historical Division der US-Army in Karlsruhe (wo von 1946 bis 1961 rund 300 ehemalige Wehrmachtoffiziere operationsgeschichtliche Studien anfertigten) ließen das südbadische Städtchen als einen geeigneten Standort erscheinen.
Inhaltliche Ausrichtung und Struktur des MGFA
Kaum dass Meier-Welcker die Leitung der Forschungsstelle übernommen hatte, schrieb er dem ehemaligen Präsidenten der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres, Wolfgang Foerster (1875-1963), um ihm über den Aufbau der Militärgeschichtlichen Forschungsstelle „Bericht zu erstatten“. Dabei setzte er die neue Einrichtung der Bundeswehr zu Vorläuferinstitutionen der Wehrmacht in Bezug, die vor 1945 die entsprechenden Aufgaben wahrgenommen hätten. Als solche nannte er die kriegswissenschaftlichen Abteilungen der Oberkommandos des Heeres, der Luftwaffe und Kriegsmarine, die Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres sowie die zentralen Militärarchive des Heeres, der Luftwaffe und Marine. Insofern mag sich Meier-Welcker, mutatis mutandis, in der Nachfolge Foersters gesehen haben. Gegenüber Foerster brachte er noch im Januar 1957 die Aufgaben der neuen Institution auf den Punkt, wie sie sich dann 1959 in der Weisung des Generalinspekteurs Heusinger widerspiegelten, an dessen Vorbereitung Meier-Welcker beteiligt war: „Die Forschungsstelle hat die Aufgabe, militärgeschichtliche und kriegsgeschichtliche Vorgänge, vornehmlich des zweiten Weltkriegs zu erforschen und darzustellen, die Lehrer für Militär- und Kriegsgeschichte an den Akademien und Schulen der Bundeswehr auszubilden und den Lehrstoff für den militärgeschichtlichen und kriegsgeschichtlichen Unterricht zu bearbeiten. So wird das geschichtliche Erfahrungsgut für alle Teile der Bundeswehr nutzbar gemacht. In amtlichen Darstellungen wird die interessierte Öffentlichkeit unterrichtet. Offiziere mit besonderer wissenschaftlicher Eignung und Historiker in ziviler Stellung arbeiten hierbei zusammen. In die militärische Dokumentenzentrale wird das für die Forschung benötigte Schriftgut jeder Art […] aufgenommen.“[24]
Auf einer konzeptionellen Ebene zeigte sich die Ablösung vom Selbstverständnis des Faches in der NS-Zeit früh in der direkten Auseinandersetzung mit dessen Repräsentanten. Mit der Remilitarisierung im „Dritten Reich“ hatten in den 1930er Jahren die „Wehrwissenschaften“ geboomt. Historiker und Juristen wie Carl Schmitt, Ernst Rudolf Huber[25] und Gerhard Oestreich schrieben deutsche Geschichte als Wehr- oder Wehrverfassungsgeschichte und beteiligten sich so am „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“. Zehn Jahre nach Kriegsende – und kurz nach seiner Habilitation an der Freien Universität Berlin 1954 – schickte Oestreich[26] Meier-Welcker einen wehrgeschichtlichen Aufsatz aus dem Jahr 1940 mit der Bemerkung, dass er „im Grundsätzlichen“ an seinem Text festhalte.[27] Meier-Welcker ging in seiner Antwort in einem, wie sich zeigen sollte, für ihn und die Neukonzeptualisierung von Militärgeschichte zentralen Punkt auf Abstand zu Oestreich. Dieser hatte seinerzeit nicht nur die Wehrwissenschaft als eine politische Geschichte im „Dienst der völkischen Selbstbehauptung“ definiert, sondern auch die Exklusivität der Experten hervorgehoben. Oestreich sprach von einer „in sich geschlossenen Wissenschaftsgruppe“, die thematisch und methodisch untereinander in einem wesentlich engeren Zusammenhang stehe als zu den „alten Fachdisziplinen der Geschichte“. Wehrgeschichte war für Oestreich, wiewohl eine historische Teildisziplin, wissenschaftlich in der „Wehrwissenschaft“ verankert. Das entsprach dem wehrwissenschaftlichen Diskurs der 1930er Jahre, widersprach jedoch Meier-Welckers Vorstellungen von einer künftigen Wehrgeschichte. Er lehnte Oestreichs Position ab, weil er Wehrgeschichte „nur als einen Teil der allgemeinen Geschichte“ sah und auch, „weil bei einer anderen Sicht für die Wehrgeschichte als Wissenschaft eine ernste Gefahr besteht, die uns zur Genüge bekannt ist“. Nicht zuletzt aus dieser historischen Erfahrung, aus der politischen Instrumentalisierung des Faches im Nationalsozialismus, leitete der Chef des künftigen MGFA die Notwendigkeit einer fachlichen Neuorientierung ab. Kein Wunder, dass der MGFA-Mitarbeiter Rainer Wohlfeil Oestreichs Aufsatz 1967 heranzog, um die nationalsozialistische Belastung des Begriffs und der Konzeption „Wehrgeschichte“ nachzuweisen.[28]
Meier-Welcker verschob den Referenzrahmen. Nicht mehr das Militär, sondern die Wissenschaft sollte das neue Bezugssystem bilden, in dem auch die militärische Vergangenheit aufgearbeitet werden musste. Nur so wurde es möglich, das Korsett der Kriegsgeschichte zu sprengen und das Militär in den jeweiligen nicht-militärischen Kontext zu stellen. Ohne diese methodische Vorentscheidung wäre eine Aufarbeitung der Rolle der Wehrmacht im NS-Regime – mithin in seinen politischen, gesellschaftlichen Bezügen – nicht zu haben gewesen. Die Abgrenzung gegenüber dem älteren, in die 1950er Jahre hineinreichenden wehrwissenschaftlichen Diskurs der NS-Zeit lässt sich daher als ein wegweisender erster Schritt der Aufarbeitung eben dieser Vergangenheit auf der Metaebene der Methodendiskussion interpretieren.
Aufschlussreich für Kontinuität und Wandel in der Konzeption amtlicher Militärgeschichtsschreibung war die Organisationsstruktur des Hauses. Anders als im Kaiserreich und in der Zwischenkriegszeit, anders auch als in anderen Ländern, war die Erforschung der Militärgeschichte nicht mehr separat bei den Teilstreitkräften angesiedelt. Dieser von Beginn an integrale Ansatz war jedoch nicht nur das Resultat methodisch-theoretischer Überlegungen, sondern auch eine Konsequenz der militärstrategischen Realität der 1950er und 1960er Jahre. Heer, Luftwaffe und Marine waren gemeinsam zu behandeln, denn „der Stand der militärischen Entwicklung macht es erforderlich“. Die Totale der historischen Forschungsperspektive begründete die „Schriftleiterin“ Ursula von Gersdorff mit der Totalität des (Atom-)Krieges. Weil ein künftiger Krieg allumfassend wäre, müssten neben militärischen auch politische, wirtschaftliche, soziologische und kulturelle Faktoren als dessen Wirkungskräfte historisch erforscht werden. Was in der Rückschau als methodischer Fortschritt erscheint, war zunächst eine Funktion des militärischen Entstehungszusammenhangs. Noch vor ersten Forschungsergebnissen war bereits die Anlage des MGFA Ausdruck einer geschichtlichen Erkenntnis.[29]
Von der Zählebigkeit der teilstreitkraftfixierten Forschung zeugt indes die Organisationsstruktur auf der Abteilungsebene. Das MGFA gliederte sich in folgende historische Abteilungen: I: Allgemeine Wehrgeschichte, II: Führungs- und Organisationsgeschichte, III: Heeres- und Landkriegsgeschichte, IV: Luftwaffen- und Luftkriegsgeschichte, V: Marine- und Seekriegsgeschichte. Offenbar sahen die Teilstreitkräfte Erklärungsbedarf. Aus dem Führungsstab der Bundeswehr erhielten die Inspekteure des Heeres, der Luftwaffe und der Marine daher 1957 eine umfängliche Begründung, die fachwissenschaftlichen Erwägungen praktische Argumente voranstellte. Als Einrichtung der gesamten Bundeswehr habe sie die Unterstützung durch den Finanzminister gefunden; angesichts des Personalbestandes könne die Arbeit für alle Teilstreitkräfte nur durch eine Zusammenfassung der Kräfte geleistet werden; die Zahl qualifizierter Mitarbeiter sei für drei Institute viel zu gering. Dem folgte das fachliche Argument, dass die Komplexität des historischen Prozesses nicht verstanden würde, wenn man sie nur aus dem Blickwinkel der Teilstreitkräfte betrachtete. Gegen eine Teilung spreche auch die im politischen Raum gesehene Notwendigkeit, das Archivmaterial der gesamten Geschichtswissenschaft zugänglich zu machen und eine Isolierung unbedingt zu vermeiden, wie sie durch Aufteilung und Spezialisierung forciert würde. Schließlich wies das BMVg auf die Forderung der Öffentlichkeit nach einer „abschließenden amtlichen Gesamtdarstellung des zweiten Weltkrieges“ hin, die man „in unserer Lage“ nicht länger vom Standpunkt der Teilstreitkräfte schreiben könne. Ähnliches galt für die daraus abgeleitete Lehre.[30] Diese mehrteilige Rechtfertigung lässt das Bestreben im Militär erahnen, die militärhistorische Forschung zugunsten teilstreitkräftebezogener „historischer Dienste“ zu splitten. Die interne Aufteilung einer Institution nach teilstreitkraftgeschichtlichen Kriterien kann deshalb auch als ein Kompromissangebot an Heer, Marine und Luftwaffe verstanden werden, das zwischen Tradition und Neuorientierung vermitteln sollte. Personal- und Organisationsstruktur spiegeln daher die Vermittlung von Altem und Neuem in einer Übergangsphase wider.
Tätigkeitsbereiche des MGFA
In der Gründungsphase 1957/58 bis 1964 wurden vor allem im engeren Sinn Auftragsarbeiten für die Bundeswehrführung erledigt, wie etwa breit angelegte historische Untersuchungen zu aktuellen Fragen, das Handbuch zur Deutschen Militärgeschichte 1648 bis 1939[31] sowie erste Studien für die Publikationsreihe „Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte“, in der MGFA-Mitarbeiter, externe „Militärschriftsteller“ und ausländische Militärhistoriker seit 1960 vor allem operationsgeschichtliche Aspekte des Zweiten Weltkriegs beleuchteten.[32] Die Professionalität hatte Grenzen. Zum einen war das Amt längst nicht „voll arbeitsfähig“, weil die bestehenden Abteilungen personell noch nicht vollständig besetzt waren. Zum anderen befanden sich unter den Mitarbeitern nicht nur zivile Historiker und studierte Offiziere, sondern auch Offiziere mit „Neigung für die Geschichte“.[33]
Die zweite Hälfte der 1960er Jahre, bis zur Einführung der wissenschaftlichen Führungsfunktion des „Leitenden Historikers“ 1968/69, lässt sich als Konsolidierungsphase einordnen. Schließlich arbeiteten unter dem Amtschef, der als Leiter einer militärischen Dienststelle stets ein Oberst oder General war, 98 Personen am MGFA (Stand Mai 1969), darunter 20 zivile Wissenschaftler und 24 Offiziere, von denen 10, vom Amt betreut, studierten. Der Bestand der Fachbibliothek war auf 33.000 Bände angewachsen. Jetzt öffnete sich das Amt durch nationale und internationale Kooperationen und weitere Publikationsreihen wie die „Einzelschriften zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ und die „Militärgeschichtlichen Studien“ weiter nach außen. Seit 1967 erschienen halbjährlich die Militärgeschichtlichen Mitteilungen (MGM), die ausdrücklich dem Ziel dienen sollten, den Austausch der Behörde mit der Geschichtswissenschaft zu verbessern. Der Kreis der Leser der MGM (ab 2000: Militärgeschichtliche Zeitschrift, MGZ) ging deutlich über das militärische und militäraffine Milieu hinaus, in dem sich ältere Periodika wie die Wehrkunde bewegten. In der Diskussion über das Für und Wider der Herausgabe einer solchen Zeitschrift fehlte nicht der Hinweis auf die Zeitschrift für Militärgeschichte (ab 1972 Militärgeschichte), die ostdeutsche Militärzeitschrift, mit der in der DDR das Thema popularisiert wurde. [34]
Doch der Fokus lag nicht immer auf der Forschung. Wie schwierig es angesichts allerlei anderer Tätigkeiten blieb, sich auf die historische Aufarbeitung zu konzentrieren, lassen die Stoßseufzer in der seinerzeit nur für den Dienstgebrauch („VS-NfD“) vorgesehenen Bilanz zum 10-jährigen Bestehen ahnen. So klagte der Leiter der Abteilung I, Gerhard Papke, darüber, dass einzelne Mitarbeiter neben ihrer Forschung „zusätzlich mit zeitraubenden Aufträgen“ befasst seien, und auch der Leiter der Abteilung II (Geschichte der Wehrmachts- und Gesamtkriegsführung), Oberstleutnant i.G. Elble, bilanzierte, dass eine Konzentration auf den Auftrag „leider nicht möglich“ sei, weil die Abteilung – zu der die „Arbeitsgruppe Polenfeldzug“ gehörte, mit „einer ganzen Reihen von anderen Aufgaben des Amtes“ betraut sei, darunter Studien, Gutachten und Auskünften für das BMVg.[35]
Aus der umgekehrten Blickrichtung der „Hardthöhe“ – wie das Ministerium aufgrund seines Sitzes auf der Bonner Hardthöhe auch genannt wurde – schaute man zuweilen mit Argwohn auf die vor sich hin forschenden Historiker. Aus dem BMVg wurde Meier-Welcker wiederholt signalisiert, seine Mitarbeiter auf die konkreten Bedürfnisse des Ministeriums einzuschwören. Nach einem Besuch aus dem Führungsstab der Bundeswehr (Fü B III) am MGFA im Juli 1959 etwa wurde er daran erinnert, dass die Mitarbeiter sich auf das kurzfristige Anfertigen von „Studien“ einstellen sollten, auch wenn ihre „Passion“ eine andere sei. „Das MGFA ist ein Amt und kein Institut“, hieß es aus dem Referat, das denn auch für die Zukunft „vermehrt“ das Anfertigen von Studien mit Gegenwartsbezug ankündigte.[36] Wenig später empfahl der zuständige Major, jeden Mitarbeiter ein „Arbeitsbuch“ führen zu lassen, in dem die jeweiligen Tätigkeiten und Arbeitsleistungen verzeichnet würden.[37] Auf wenig Gegenliebe stieß am MGFA auch die Anregung, jeder Historiker solle sich auf ein wissenschaftliches Teilgebiet – zum Beispiel die „Heeresgruppe Mitte“ – spezialisieren, so dass man ihm gezielt (nur) die entsprechenden Akten zur Auswertung zuweisen könne und er automatisch zuständig für die entsprechenden Anfragen von außen wäre.
Die Mitarbeiter des MGFA und die universitäre Forschung
Eine Reibungsfläche zwischen BMVg und MGFA stellte in dieser Zeit auch die Frage der akademischen Weiterqualifikation der MGFA-Mitarbeiter dar. Was unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ein Plus war, konnte aus einem administrativen Blickwinkel schnell zu einem Minus werden, brachte doch die Qualifikation die Möglichkeit des Wechsels an eine Universität mit sich. Als sich 1960 herausstellte, dass ein Offizier eine Habilitationsschrift vorgelegt hatte, wurde dies zunächst begrüßt, und auch die Vorstellung, dass er fortan einmal wöchentlich für Lehrveranstaltungen etwa in Freiburg vom Dienst befreit würde, stieß im BMVg auf Verständnis. Verärgert reagierte man jedoch, als ruchbar wurde, dass der MGFA-Mitarbeiter überraschend einen Ruf nach Frankfurt am Main angenommen hatte. Damit werde „unser Beruf nun auch bei den geistig hochstehenden Köpfen zu einem Job als Übergangslösung degradiert“, hieß es. Meier-Welcker wurde aufgefordert, dem Generalinspekteur Heusinger zu melden, ob sein Mitarbeiter die Habilitationsschrift während seiner Dienstzeit angefertigt habe.[38] Der Leiter des MGFA verteidigte die Entscheidung seines Mitarbeiters jedoch und betonte, dass es im militärischen Interesse liege, wenn ein qualifizierter Dozent an einer Universität wirke, der „einen ausgeprägten militärischen Sinn“ hat. Zugleich informierte er über das laufende Habilitationsprojekt des jüngeren Mitarbeiters Rainer Wohlfeil. Für Meier-Welcker, der selbst seine akademische Karriere zugunsten der Tätigkeit im späteren BMVg aufgegeben hatte, stand fest: Auch die vorübergehende Tätigkeit im Hause von Historikern, „die das Format zur Habilitation besitzen“, konnte für das Amt wie für die Bundeswehr nur „von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung“ sein.[39]
Die unterschiedliche Bewertung wissenschaftlicher Weiterqualifikation und ihrer Folge für die Bundeswehr zeigt beispielhaft, wie die Erwartungen im Ministerium und das Selbstverständnis der amtlichen Militärhistoriker vor allem in den Anfangsjahren auseinanderdriften konnten. Bereits 1958 hatte Ulrich de Maizière – der ehemals zivile Mitarbeiter im Amt Blank war seit 1956 als Brigadegeneral im Truppendienst – gegenüber Meier-Welcker im Rückblick festgestellt, dass es eine gute Entscheidung gewesen sei, die Forschung außerhalb des Ministeriums zu institutionalisieren. Andernfalls „wären wir auf so viel Schwierigkeiten gestoßen, daß Sie nicht annähernd so arbeiten könnten, wie jetzt“.[40]
In den 1970er und 1980er Jahren entwickelte das MGFA eine rege Forschungs- und Publikationstätigkeit. In diese Phase fiel die langjährige, von 1976 bis 1985 währende Dienstzeit des Amtschefs Oberst i.G. Othmar Hackl (1932-2013), der 1959 in München zum Dr. phil. promoviert worden war. Bis 1988 stieg die Zahl der Mitarbeiter auf rund 160; von den 52 wissenschaftlichen Mitarbeitern waren 21 zivile Historiker und 31 „Historiker-Stabsoffiziere“. Die Summe der Publikationen kletterte auf über 230. Dass die hauseigene Bibliothek 1988 rund 70.000 Bände umfasste, ist ein weiteres äußeres Indiz für die fachwissenschaftliche Dynamik. Zur Selbstdarstellung gehörte fortan der Hinweis, „die größte historische Institution in der Bundesrepublik Deutschland“ zu sein.[41] Aussagekräftiger dagegen ist die Einschätzung von außen. Volker Berghahn, der in Warwick (Großbritannien) und ab 1988 an der Brown University in Rhode Island (USA) lehrte, stellte das Amt den Lesern von Geschichte und Gesellschaft vor. Freiburg sei, hieß es im publizistischen Flaggschiff der Sozialgeschichte, das „wichtigste bundesdeutsche Zentrum für Militärgeschichte“ geworden.[42]
Historisierung des früheren Vorgesetzten: Generalinspekteur Ulrich de Maizière (1912-2006) bei einem Besuch der Panzerbrigade 21 in der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf (Nordrhein-Westfalen), wahrscheinlich Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre. Zum 100. Geburtstag im Jahr 2012 erschien die Biographie „Ulrich de Maizière – General der Bonner Republik, 1912-2006“ des MGFA-Mitarbeiters John Zimmermann über den von 1966 bis 1972 ranghöchsten Soldaten der Bundesrepublik.
Bilder: Bundeswehr/Oed, Wikimedia Commons, CC BY 2.0; Bundeswehr/Ströter, Wikimedia Commons, CC BY 2.0
Am Forschungsamt waren Wehrmacht-Veteranen in den ersten Jahren fast unter sich. Bei den meisten Offizieren und Historikern handelte es sich anfangs um ehemalige, teils versehrte Kriegsteilnehmer, die zum Teil nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft studiert hatten und zuweilen aus ihrer eigenen Kriegsvergangenheit berichten und publizieren konnten. Der Anteil der Kriegs- und Schwerkriegsbeschädigten – das hieß mit einer Schädigung von unter bzw. über 50 Prozent – und der ihnen Gleichgestellten lag 1967 bei knapp über einem Viertel der Belegschaft. Der Kreis der wissenschaftlichen Mitarbeiter im höheren Dienst bestand im selben Jahr zu 61,7 Prozent aus Offizieren und zu 38,3 Prozent aus Zivilpersonen, darunter eine Frau.[43]
Meier-Welcker (1906-1983) ist selbst ein Beispiel.[44] Der ehemalige Reichswehr- und Wehrmachtoffizier, der in verschiedenen Stäben gedient hatte, hatte nach seiner Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft 1947 mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes in Tübingen unter anderem bei Hans Rothfels[45] Geschichte studiert und war 1951 mit einer Arbeit über Ämterkauf im Mittelalter promoviert worden. Als de Maizière, seit 1951 im Amt Blank Referent im Ressort „Militärische Verteidigung im Gesamtrahmen“ unter Generalleutnant a.D. Heusinger, 1952 bei ihm vorfühlte, ob er Interesse an einem Wechsel nach Bonn habe, hatte Meier-Welcker nach eigenem Bekunden die Option für eine akademische Laufbahn. Der frisch promovierte Mediävist hatte im März 1952 das Angebot erhalten, für einen einjährigen Forschungsaufenthalt nach Rom zu gehen und an seiner Habilitation zu arbeiten. Eine Stelle in Bonn hatte für ihn den privaten Vorteil, nicht länger von der Familie getrennt zu leben. Er sei, wie er de Maizière schrieb, seit 1938 durch Kriegsdienst, Gefangenschaft und Studium in Tübingen „nur noch ‚besuchsweise‘ zu Hause gewesen. Meier-Welcker war klar, dass der Wechsel in die Dienststelle Blank unter Wissenschaftlern als ein „Abspringen“ betrachtet und ihm von einigen übelgenommen würde.[46] Im April 1952 übernahm Meier-Welcker sein Amt in Bonn. Weil die Zukunft der Wiederbewaffnung seinerzeit in den Sternen stand, ging er damit kein geringes Risiko ein. Seine späteren autobiographischen Publikationen können als persönlicher Beitrag zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit verstanden werden. So zeugte ein Briefwechsel aus der Frühphase des „Dritten Reiches“, den er selbst 1973 in den Militärgeschichtlichen Mitteilungen öffentlicht machte, von der anfänglichen Begeisterung eines jungen Nationalkonservativen für den Nationalsozialismus (und italienischen Faschismus). „Je umfassender der Nationalsozialismus in Deutschland wird“ hatte Meier-Welcker im Juli 1933 einem Kameraden geschrieben, „umso besser wird es für uns alle sein“. 40 Jahre später erklärte er diese Einstellung mit der mangelnden Kenntnis des Nationalsozialismus im Offizierkorps – und konnte dazu auf Forschung aus dem MGFA verweisen.[47]
Zu den älteren MGFA-Mitarbeitern zählten weitere Doktoranden von Rothfels wie etwa Friedrich Hiller von Gaertringen (1923-1999) und Ernst Klink (Jg. 1923), ein Sohn der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink. Klink war Mitglied der Waffen-SS gewesen und gehörte später der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e. V.“ (HIAG) an, die 1951 als Traditionsverband gegründet wurde. Seit Oktober 1958 am MGFA, war Klink „einer der wichtigsten Lobbyisten für die hauseigene Geschichtsklitterung“ der HIAG.[48] Klink hielt Vorträge in kleiner Runde, lieferte Dokumente und Fachauskünfte und kultivierte die Legende von der sauberen Wehrmacht. Zu dem bunten Kreis der zwischen 1910 und 1930 Geborenen gehörten daneben Wolfgang von Groote (1911-2000, Amtschef 1964-1969), Georg Franz-Willing (1915-2008), Oberst i.G. Rolf Elble (Jg. 1916),[49] Friedrich Forstmeier (Jg. 1916, Amtschef 1972-1976), Volkmar Regling (Jg. 1918), Hubert Jeschke (Jg. 1921), Herbert Schindler (Jg. 1923), Horst Boog (Jg. 1928), Joachim Hoffmann (1930-2002) und Klaus-Jürgen Müller (1930-2011).
Für die wissenschaftliche Leitung suchte das Ministerium nach der Konsolidierung des Amtes den Kontakt zur akademischen Welt. Der erste „Leitende Wissenschaftler“, Andreas Hillgruber (1925-1989), erhielt denn 1968 auch gleichzeitig einen Posten an der militärischen Dienststelle und an der Freiburger Universität. Hillgruber hatte nach seiner Rückkehr aus französischer Kriegsgefangenschaft 1948 in Göttingen unter anderem bei Percy Ernst Schramm studiert, wo er 1952 promoviert worden war; er habilitierte sich in Marburg mit einer Arbeit zu Hitlers Strategie 1940/41.[50] Hillgruber hielt es nicht lange am MGFA; binnen Kurzem wechselte er ganz zur Freiburger Universität über, bevor er 1972 nach Köln ging. Hillgruber begründete sein Ausscheiden damit, dass das MGFA „weder personell noch strukturell geeignet“ sei, eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu schreiben. Die mangelnde Qualifikation der meisten Mitarbeiter – „mehr Geschichtsfreunde als ausgebildete Historiker“ – und ihre Fluktuation einerseits, die „Zwitterstellung des MGFA zwischen militärischer Dienststelle und wissenschaftlichem Gremium“ andererseits ließen ihn an der Realisierbarkeit des Projekts zweifeln.[51] Auch sein Nachfolger aus dem Haus, Rainer Wohlfeil (Jg. 1927), blieb nur noch kurz am MGFA. Er übernahm 1969/70 eine Lehrstuhlvertretung in Köln und folgte 1970/71 einem Ruf an die Universität Hamburg. Umso länger amtierte schließlich der dritte, aus dem Hause stammende „Leitende Historiker“: Manfred Messerschmidt (Jg. 1926), Jurist und Historiker, prägte die Arbeit über 18 Jahre, von 1970 bis 1988. Messerschmidt, der 1944/45 im ostwestfälischen Minden einen Lehrgang für Reserveoffizierbewerber absolviert hatte,[52] war 1954 bei Gerhard Ritter in Freiburg promoviert worden, hatte beide juristische Staatsexamina abgelegt, konnte damit aber nicht an eine der aus dem Boden schießenden Universitäten „abwandern“. Der in die Besoldungsgruppe B 2 eingestufte Dienstposten brachte die Amtsbezeichnung „Direktor und Professor“ mit sich. Die „Leitenden Historiker“ besaßen das Immediatvortragsrecht. Diese Möglichkeit, sich unmittelbar an den Minister oder einen Staatssekretär zu wenden, blieb bis 1988 erhalten.
Das langwierige Bemühen des BMVg um Verbindungen zur Welt der Wissenschaft deutet auf das Strukturproblem der Konstruktion des MGFA: das normative Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstverständnis und den Erfordernissen einer nachgeordneten Behörde, noch dazu einer militärischen Dienststelle, auf der einen Seite und den Gepflogenheiten und Bedingungen des Wissenschaftsbetriebs auf der anderen Seite, also zwischen der Bindung der „Historiker-Offiziere“ und Beamten an Befehle oder Weisungen und der im Grundgesetz verankerten Freiheit von Forschung und Lehre – ein Spannungsverhältnis, das freilich durch das auf Flexibilität und Selbstständigkeit setzende Prinzip „Führen mit Auftrag“ („Auftragstaktik“) abgemildert wurde. Zwar ließ sich im amtlichen Auftrag komfortabel forschen, doch die Gretchenfrage lautete: Wurden die Forschungsergebnisse in der Akademia wahrgenommen und hielten sie dem Säurebad der Rezensionen stand? Weil das Ministerium die Rahmenbedingungen festlegte, ist zunächst zu fragen, wie das BMVg die Funktionslogik des Amtes definierte. Sodann lohnt der Blick auf die Forschungspraxis.
Das BMVg und die Aufgabenbestimmung des MGFA
Zehn Jahre nach der Gründung des MGFA 1967 gab die Festrede von Karl Carstens (CDU, 1914-1992) – damals Staatssekretär im BMVg – einen seltenen, tiefen Einblick in das Verständnis des BMVg von seiner Auftragsforschung. Dabei handelte es sich nicht um eine interne Weisung, sondern einen öffentlich formulierten Anspruch, der durch den Abdruck der Rede in den Militärgeschichtlichen Mitteilungen fixiert wurde. Zum einen unterstrich der spätere Bundespräsident die Politikberatungsfunktion der amtlichen Militärgeschichte. Um historisch fundierte Patentlösungen für militärisches Handeln ging es ihm dabei indes nicht; dieses ältere utilitaristische Konzept lehnte er schon aufgrund der im Zeitalter der Abschreckung geänderten Sicherheitslage ausdrücklich ab. Carstens definierte das Verhältnis von Militärpolitik und Militärgeschichte anhand des politischen Nutzens, den er von „seinen“ Historikern erwartete: Vermittlung von Kenntnissen und historischer Bildung, Hilfe bei der „Lagebeurteilung aus historischer Sicht“, Studien zu „aktuellen Einzelproblemen zur Auswertung von Kriegserfahrungen“, Entlarvung von „politisch gefährlichen Legenden“ und Hinweise auf technologische Entwicklungen.[53] Diese staatliche Unterstützungsfunktion leitete Carstens nicht zuletzt daraus ab, dass Wissenschaft aus wirtschaftlichen Gründen auf den Staat angewiesen sei. Zum anderen brach Carstens eine Lanze für die wissenschaftliche Autonomie. Die (amtliche) Militärgeschichte könne die ihr zugewiesenen Aufgaben nur erfüllen, „wenn sie als Wissenschaft unabhängig bleibt und nicht in den Dienst der Politik gezwungen wird, um ein einseitiges unkritisches Bild nationaler Stärke und überragender Leistungen in vergangenen Kriegen zu geben“.[54]
Dieses Spannungsverhältnis unterschied die Auftragsforschung des MGFA von der seines ostdeutschen Gegenstücks, des Deutschen Instituts für Militärgeschichte (ab 1. Juni 1972: Militärgeschichtliches Institut der DDR, MGI). Darauf wies das BMVg zur Erläuterung seines Konzepts von Auftragsforschung explizit hin. „Im kommunistischen Machtbetrieb“ stehe Militärgeschichte „streng im Dienst der Militärpolitik“. Von dieser hing dort die Zukunft der Militärgeschichte ab, nicht von ihrer Wissenschaftlichkeit. In der Bundesrepublik galt das Gegenteil. Die Historiker des MGFA hätten – versicherte Staatssekretär Carstens ausdrücklich – „die Möglichkeit, wissenschaftlich frei zu forschen und ihre Arbeitsergebnisse zu veröffentlichen“.[55] Mit gleicher Stoßrichtung hatte bereits 1955 Hans Meier-Welcker in der Wehrwissenschaftlichen Rundschau den Zusammenhang von wissenschaftlicher und politischer Freiheit herausgestellt. Wissenschaft sei nicht etwas, das Nutzen bringe, sondern sie müsse „autonom“ sein. Diese Autonomie wissenschaftlicher Forschung wiederum sei, so argumentierte der spätere Amtschef, in einem totalitären Staat nicht möglich. „Der totalitäre Staat erkennt nicht das Absolute an sich an.“ Die Abgrenzung von der – nationalsozialistischen und sozialistischen – Diktatur und die Legitimation der Wissenschaftsfreiheit waren zwei Seiten einer Medaille.[56]
Wissenschaftliche Forschung und ihr Auftraggeber standen in der Demokratie in einer unauflöslichen Wechselbeziehung. Die amtliche Militärgeschichte als Wissenschaft war darauf angewiesen, dass sie dem politischen Auftraggeber von Nutzen erschien. Umgekehrt setzte dieser militärpolitische Nutzen zwingend die Wissenschaftlichkeit der amtlichen Militärgeschichte, das hieß: deren Unabhängigkeit von jeglicher Indienstnahme, voraus. Pointiert formuliert: Der dienstliche Nutzen schloss die Indienstnahme aus. Bereits 1967 prognostizierte das Ministerium, dass „der wissenschaftliche Rang des M.G.F.amtes [sic!] weiter durch saubere, wissenschaftliche Arbeit wachsen“ werde.[57] Die luzide Feststellung dieser bis heute gültigen Funktionslogik enthob alle Beteiligten fortan jedoch nicht der Notwendigkeit, das Spannungsfeld in konkreten Fällen immer wieder neu zu vermessen und die Möglichkeiten wie Grenzen der amtlich eingeschränkten Wissenschaftlichkeit auszuhandeln.
Aus dieser Ambivalenz, die im ideologischen Kontext des Ost-West-Gegensatzes konstruiert wurde, leitete Carstens die Konsequenzen ab, die er für die amtliche Geschichtsschreibung am MGFA als einer westdeutschen Ressortforschungseinrichtung zog und die im Umkehrschluss auf das Selbstverständnis des BMVg als Auftraggeber historischer Forschung „in unserer freien Gesellschaft“ folgern lassen.[58] Die Forschungsarbeit müsse „frei von politischen Weisungen jeder Art“ bleiben. Andernfalls „wäre auf Dauer keine wertvolle Wirkung militärgeschichtlicher Arbeit auf die Militärpolitik oder auf die militärgeschichtliche Bildung in der Bundeswehr zu erwarten“. Freilich setzte der Staatssekretär dieser Freiheit im selben Atemzug eine Grenze: Dem Verteidigungsminister oblag es, Forschungsschwerpunkte festzulegen und fallweise die vorrangige Bearbeitung anzuordnen. So legitimierte das Ministerium jene ältere „Weisung“ an das MGFA, schwerpunktmäßig die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu erforschen. Darauf ist gleich zurückzukommen.
Das strukturelle Spannungsverhältnis, das die Freiburger Geschichtsdeutung „im Dienst“ charakterisierte, lässt sich auch juristisch fassen. Zwar konnten sich auch die Wissenschaftler einer Ressortforschungseinrichtung auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit berufen. Doch im Falle einer vom Staat unterhaltenen wissenschaftlichen Einrichtung wurde der Abwehraspekt des Grundrechts teilweise überlagert, so dass eine staatliche Einflussnahme auf den Forschungsbetrieb möglich wurde. Das betraf nicht nur administrative und organisatorische Aspekte. Aufgaben, Schwerpunkte und ein Forschungsrahmen konnten vorgegeben werden. Danach lag ein Eingriff in das Grundrecht erst dann vor, wenn inhaltliche Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise der Forschung und der Forschungsergebnisse gemacht wurden. Angesichts dieser Rahmung von Forschung, die einen Mittelweg zwischen individueller Freiheit und institutioneller Kontrolle einschlug, galt deshalb, was Neil Gregor für die akademische Forschung in Sonderforschungsbereichen, an Lehrstühlen und Drittmittelprojekten über die Forschungsbedingungen beobachtete: die vermeintliche akademische Freiheit lasse sich aufgrund der sie prägenden Strukturen und Traditionen besser beschreiben als „a highly circumscribed, and therefore contained, pluralism“.[59]
Im Systemkonflikt von Ost und West sah sich die Nationale Volksarmee (NVA) als „Friedensarmee“ und Gegenstück zu der – aus ihrer Sicht – revanchistischen Bundeswehr. Hier paradieren zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1985 eine Ehrenkompanie des Wachregiments der NVA, das Stabsmusikkorps und der Spielmannszug der Stadtkommandantur Berlin vor der Neuen Wache, dem „Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus“ an der Straße Unter den Linden in Ostberlin.
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1985-0508-018, Foto: Bernd Settnik, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Forschungs- und Publikationspraxis
Die Selbstregulierungsmechanismen der Wissenschaft sorgten zudem für eine gewisse Selbstkontrolle. Das Risiko des Reputationsverlusts, der letztlich die Selbst-Legitimation als eine wissenschaftliche Institution in Frage gestellt hätte, wirkte wie ein Schutzschild gegen allzu offensichtliche Missachtungen von Grundregeln der Wissenschaftlichkeit. Regelverstöße hätten nicht nur den jeweiligen Historiker diskreditiert und marginalisiert, sondern auch die Ressortforschungseinrichtung, an der und für die dieser arbeitete. Dass diese Marginalisierung in der wissenschaftlichen Welt nicht im Interesse eines Ressorts war, dem es im Gegenteil um Zugriff auf anerkannte wissenschaftliche Expertise ging, die es wiederum nur von Historikern mit akademischer Integrität erwarten konnte, sicherte die Wissenschaftlichkeit der „amtlichen“ Militärgeschichtsschreibung in letzter Konsequenz ab. Auch deshalb wird man kontrafaktisch argumentieren dürfen, dass die Erforschung der militärischen Vergangenheit im Auftrag des Militärs in der Regel zu Ergebnissen geführt hat, zu denen die Militärhistoriker auch gelangt wären, wenn eine andere Seite ihre Forschung finanziert hätte. Für diese These spricht nicht zuletzt die Kritik, die die militärgeschichtliche Forschung der Freiburger aus dem militärischen und militärnahen Milieu immer mal wieder erfahren hat.
Ein Steuerungsinstrument war die amtliche Publikationspolitik. Während in der DDR die zur Veröffentlichung vorgesehenen Manuskripte am MGI der Politischen Hauptverwaltung (PHV) der NVA vorgelegt werden mussten, gehörte die ungehinderte Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse früh zur Wissenschaftsfreiheit unter den Bedingungen der historischen Auftragsforschung für das Bonner Ministerium. Erst die Publikation stellte, mit Steuergeldern gefördert, jene Öffentlichkeit her, ohne die Wissenschaftlichkeit nicht zu haben war. Das Modell eines Militärverlages, wie ihn die Militärhistoriker der DDR nutzen konnten, kam für das BMVg nicht in Frage. Der Militärverlag der DDR, 1956 als Volkseigener Betrieb (VEB) gegründet, unterstand der PHV. Das MGFA sollte stattdessen von Beginn an mit unterschiedlichen kommerziellen Verlagen zusammenarbeiten. Die Arbeitsergebnisse der Mitarbeiter wurden daher, sofern sie im Dienst erbracht worden waren, regelmäßig in verschiedenen renommierten Wissenschaftsverlagen publiziert – auch das ein Korrektiv gegen pseudowissenschaftliche Militärschriftstellerei und politische Instrumentalisierung. Die hauseigene „Schriftleitung“ bereitete die Manuskripte für den Druck vor – sofern der Amtschef das Imprimatur erteilt hatte.
Im Einzelfall konnte einem Mitarbeiter des MGFA der Zugang zu den Reihen des Hauses versperrt bleiben. Ein frühes Beispiel ist Georg Franz-Willing, der 1942/43 bei Alexander von Müller promoviert worden war und dem MGFA bis 1978 angehörte. Franz-Willing beschäftigte sich früh mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus, freilich in einer Weise, die bei aller Kärrnerarbeit „doch noch stark von den nationalsozialistischen Selbstdarstellungen abhängig“ sei und eine „deutlich apologetische Tendenz“ habe, wie ein Rezensent in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte kritisierte. [60] Franz-Willing wich daher auf entsprechende Verlage und Periodika aus. Während seiner Tätigkeit am MGFA – nicht aber in dessen Auftrag – publizierte er etwa im Organ der Waffen-SS-Veteranen Der Freiwillige, der Hauszeitschrift der HIAG, in den Deutschen Annalen, den Deutschen Monatsheften und Nation Europa. 1983 erschien, zum 50. Jahrestag der „Machtergreifung“, sein Buch mit dem bezeichnenden Titel im NS-Jargon „1933 – Die nationale Erhebung“.[61] Auch der Name des MGFA-Mitarbeiters Hartmut Schustereit, der 1995 durch sein rechtsgerichtetes „Gutachten“ gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ bekannt wurde, findet sich nicht im Publikationsverzeichnis des MGFA. Sein Manuskript zum Angriff auf die Sowjetunion 1941, das für Band 4 des großangelegten Reihenwerks Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg erarbeitet worden war, wurde aus fachlichen Gründen nicht durch die Behörde veröffentlicht. Es erschien 1988 im Herforder Verlag E. S. Mittler & Sohn.[62]
Weil die Möglichkeit bestand, außerhalb des MGFA zu veröffentlichen, sah das Verwaltungsgericht das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre durch die Entscheidung des MGFA nicht verletzt. Die Publikationspraxis spiegelte insofern, das sollen diese zwei Beispiele aus den ersten Jahrzehnten zeigen, die hausinterne Kontrolle wissenschaftlicher Qualität wider. Im Einzelfall wurde auch schon einmal von einem für das entsprechende Thema einschlägigen Experten ein externes Gutachten eingeholt – so war der Bonner Zeithistoriker und Politologe Karl Dietrich Bracher um eine Stellungnahme zum Manuskript des Bandes 1 des Reihenwerks gebeten worden. Ein weiteres Instrument der, wie man heute sagen würde, Qualitätssicherung bildete ein projektbezogener Beirat, die im November 1972 eingesetzte Kommission des BMVg für die „Entstehungsgeschichte der Bundeswehr“ (EGeschBw) unter Leitung des ehemaligen Generalinspekteurs, Ulrich de Maizière.
Dass sich hier ein Konfliktfeld behördlicher Auftragsforschung auftat, zeigte in den 1980er Jahren der auch öffentlich ausgetragene, politisch anders konnotierte Streit um die Veröffentlichung der Noske-Biographie des MGFA-Mitarbeiters Wolfram Wette (Jg. 1940), der ein Auftrag des Verteidigungsministers Georg Leber (SPD) zugrunde lag. Der zeitweilige Reichswehrminister Gustav Noske (SPD), der die Revolution von 1918/19 niederzuschlagen half, war umstritten. Den einen galt er als Retter des Vaterlandes vor dem Bolschewismus, den anderen als Verräter an der Arbeiterbewegung, weil er jene Spaltung mit verursacht habe, die den Aufstieg des Nationalsozialismus ermöglicht habe.
Das 1984/85 abgeschlossene Manuskript des jüngeren MGFA-Historikers sollte zunächst nicht veröffentlicht werden. Es sei „unfertig, unausgewogen und einseitig“, befand der Wissenschaftliche Beirat, den Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) 1985 dauerhaft eingesetzt hatte. Der Beirat hatte, hieß es in einer Pressemitteilung, die „Aufgabe, den Minister in konzeptionellen Fragen der militärgeschichtlichen Forschungsarbeit zu beraten, die wissenschaftliche Arbeit begleitend zu fördern und zu bewerten sowie fachliche Kontakte zu wissenschaftlichen Einrichtungen außerhalb der Bundeswehr zu pflegen“.[63] Durch die Anrufung externer Experten mit direktem Zugang zum Minister suchte das Ministerium nicht zuletzt die internen Wogen zu glätten. Dem Beirat unter dem Vorsitz des 81-jährigen Bundeswehr-Generals a.D. Johann Adolf Graf Kielmansegg gehörten seinerzeit neben dem Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr, Generalmajor Dieter Clauß, auch die Historiker Klaus Hildebrand (Bonn), Thomas Nipperdey (München) und Michael Stürmer (Erlangen) an. Sie empfahlen, das Imprimatur nicht zu erteilen.
Dagegen drückte der Freiburger Historiker Heinrich-August Winkler – auch er ein Schüler Rothfels’ – als ausgewiesener Kenner der Arbeiterbewegung dem Manuskript das Gütesiegel der Wissenschaftlichkeit auf. Winkler gab zu bedenken, dass ein Verzicht auf Kritik an Noske zu dem Verdacht geführt hätte, der MGFA-Mitarbeiter habe „gewisse außerwissenschaftliche Rücksichten“ nehmen müssen. Er warnte davor, dass sich die Bundeswehr durch ein freundliches Noske-Bild von der Geschichtswissenschaft abkopple und insofern zu einem „Staat im Staate“ werde. Vor dem Hintergrund des 1986 ausgebrochenen „Historikerstreits“ um die Bedeutung des Holocaust machte der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler den Grundsatzstreit öffentlich. Er präsentierte ihn als ein „Lehrstück“ neokonservativer Wissenschaftspolitik, das „in der kleinen Welt der bundesfinanzierten Forschungsinstitute“ spiele. Die Stellungnahme des Beirats sei „verzweifelt schwer von dem Versuch einer Zensurausübung zu unterscheiden“.[64]
Am Ende veröffentlichte das MGFA die Biographie. Der Amtschef, Oberst i.G. (später Brigadegeneral) Dr. Günter Roth, dessen Zuständigkeit sich in der allein ihm vorbehaltenen Druckerlaubnis zeigte, begründete dies mit der Bindung auch des MGFA an den Rechtsgrundsatz der Forschungsfreiheit des einzelnen Wissenschaftlers: „Die in der wissenschaftlichen Verantwortung des Autors liegende Aussage dieser Arbeit, ihre Veröffentlichung durch das Militärgeschichtliche Forschungsamt und ihre Herausgabe durch den Droste Verlag“ deutete Roth als „Zeichen für die Verwirklichung des Grundsatzes der Freiheit der Forschung, die in der Pluralität der Auffassungen sichtbar wird und damit ihre Vitalität beweist“.[65] Eine Entscheidung zulasten der Forschungsfreiheit im konkreten Fall hätte prinzipiell die Wissenschaftlichkeit der Institution, ihre Anerkennung unter Experten und damit letztlich ihren politischen Nutzwert infrage gestellt. Diese Auffassung entsprach der Legitimationsformel des Amtes, die Carstens zwanzig Jahre zuvor im Hinblick auf die Erforschung des Zweiten Weltkriegs erläutert hatte.
Der auch noch in den 1980er Jahren umstrittene erste Reichswehrminister der Weimarer Republik Gustav Noske (1868-1946, r.) und sein Amtsnachfolger Wilhelm Groener (1867-1939, l.) im Dezember 1930.
Bild: Bundesarchiv, Bild 102-10882, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; Droste
Das Reihenwerk Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg (1979-2008)
Das Thema Zweiter Weltkrieg brannte dem BMVg in den 1960er Jahren nicht allein deshalb unter den Nägeln, weil man sich einen nationalen Nutzen im skizzierten Sinne oder gar Aufklärung über die eigene Vergangenheit erhoffte. Vielmehr ging es darum, in der internationalen Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über den Zweiten Weltkrieg nicht den Kürzeren zu ziehen. Staatssekretär Carstens hielt es für „falsch, wenn sich das Bild des Zweiten Weltkrieges in der Weltöffentlichkeit nur aus der Sicht des Auslandes formen würde“. Zum einen ging er offenbar davon aus, dass nur deutsche Historiker deutsche Militärgeschichte, zumindest die der Jahre 1933 bis 1945, sachgerecht erforschen können – als ob die Nationalgeschichte und die Nationalität des Historikers in einem Erkenntniszusammenhang stünden.[66] Zum anderen ging es ihm unverhohlen darum, der ideologischen Konkurrenz in der DDR mit eigenen Deutungsangeboten entgegenzutreten. Schließlich beobachtete man im BMVg mit Sorge, dass sich „im anderen Teil Deutschlands“ eine offizielle Militärgeschichtsschreibung entwickelt hatte. Das Institut für Deutsche Militärgeschichte in Potsdam, das am 15. März 1958 gegründet worden war, veröffentliche nicht nur alle zwei Wochen eine Zeitschrift für Militärgeschichte, sondern gebe „ständig“ Studien zur jüngeren und älteren deutschen Militärgeschichte heraus. Mehr noch: Über Potsdam fanden auch kriegsgeschichtliche Arbeiten aus dem „Ostblock“ als Übersetzung ihren Weg zu den Lesern. Da diese Schriften, die man nur als „politische Kampfmittel“ verstehen könne, in der Nationalen Volksarmee Pflichtlektüre seien, dürfe man ihre Wirkung nicht unterschätzen, warnte der Staatssekretär.[67]
Carstens forderte die Mitarbeiter des MGFA auf, die militärgeschichtliche Literatur des Ostblocks genau zu verfolgen, „im Hinblick auf die voraussichtlich noch zunehmende geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus“. Weil diese Art der Militärgeschichte oft den Zweck habe, „Angriffe gegen uns zu führen“, sollten sich die MGFA-Männer wappnen – durch Wissenschaftlichkeit: „Die beste Abwehr ist die wissenschaftlich überzeugend dargestellte Wahrheit“,[68] hieß es ganz in adressatengerechter Diktion zum Deutungsringen nach außen. Die geschichtspolitische Funktion der neuen Militärgeschichte im Systemkonflikt galt von Anfang an als ausgemacht. Weil „die kommunistische Seite in großem Ausmaße die Militär- und Kriegsgeschichte zur Einflußnahme auf die freie Welt ausnutzt“, wurde, wie es 1963 hieß, auch von der Bundeswehr erwartet, „daß sie sich mit Dokumentationen und Publikationen streng wissenschaftlichen Charakters an der Bewältigung dieser Probleme beteiligt“. Das setzte für das BMVg die Kooperation mit Universitäten ebenso voraus wie die akademische Qualifikation des Amtschefs.[69] Weil die Wahrnehmung eine wechselseitige war, warnten ostdeutsche Militärhistoriker im Übrigen ihrerseits vor dem MGFA, dem sie als Einrichtung der „imperialistischen Militärgeschichtsschreibung“ eine „wichtige politisch-ideologische Funktion im Rahmen der ‚geistigen Rüstung‘ zuschrieben. Hier griff man die konventionellen operationsgeschichtlichen Studien dankbar auf um zu belegen, dass die Freiburger Militärhistoriker durch eine verzerrende Geschichtsschreibung und Traditionspflege daran arbeiteten, die „Siegeszuversicht der Bundeswehrsoldaten für einen dritten Weltkrieg“ zu stärken. Das Fazit lautete auch hier: beobachten, auswerten und entlarven.[70]
Ein anderes Problem – die aufgrund eines beschränkten Quellenzugangs tendenzielle Exklusivität ressorteigener Auftragsforschung – stellte sich für die Erforschung der Kriegs- und NS-Zeit dank der Aktenlage je länger, je weniger. Bereits 1954, noch vor der Gründung von Bundeswehr und MGFA, wurde ein Militärarchiv eingerichtet und dem Bundesarchiv angegliedert, das seinerseits dem Bundesinnenministerium unterstand. Das Bundesarchiv war zwei Jahre zuvor in Koblenz errichtet worden. Die zivile Zuordnung militärischer Unterlagen war neu und blieb lange umstritten. Nach dem Muster des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes favorisierte das Militär jedoch ein praktisches Ressortarchiv. Als Vorstufe eines solchen Archivs wurde am MGFA eine „Dokumentenzentrale“ eingerichtet, deren Bestand rasch wuchs, als die westlichen Alliierten Anfang der 1960er Jahre einschlägige Archivalien, die sie als Beuteakten nach London und Washington gebracht hatten, nach und nach zurückgaben. Kein Wunder, dass die Koblenzer Archivare die Freiburger Sammeltätigkeit als Konkurrenz empfanden. Zwar hatte eine interministerielle Vereinbarung das Jahr 1934 als Grenze der Zuständigkeit festgelegt.[71] Theoretisch sollten die älteren Dokumente in Koblenz aufbewahrt werden, die Archivalien der NS-Zeit dagegen in Freiburg am MGFA, wo sie die Arbeitsgrundlage der dortigen Militärhistoriker bildeten. De facto sammelte jedoch auch das Bundesarchiv Unterlagen zum Zweiten Weltkrieg.
Diese archivalische Praxis entwickelte eine Eigendynamik, die zu einem für alle Seiten unbefriedigenden Dualismus führte. Am Ende stand 1967/68 eine Kompromisslösung: Einerseits behielt das Bundesarchiv sein Militärarchiv, verlegte es aber nach Freiburg ins Zentrum der militärhistorischen Forschung. Andererseits wurde im Gegenzug die Dokumentenzentrale des MGFA aufgelöst und am 1. Dezember 1967 dem Bundesarchiv eingegliedert.[72] Die Leitung des Militärarchivs hatte bereits 1966 auf Vorschlag des BMVg Oberstleutnant Friedrich-Christian Stahl (1919-2011) übernommen. Meier-Welckers ehemaliger Hilfsreferent für Forschung und Bildung, der den Aufbau des MGFA von Bonn aus begleitet und von 1961 bis 1965 am MGFA die Abteilung II „Wehrmacht- und Gesamtkriegführung“ geführt hatte, leitete – nunmehr in Zivil – das Archiv am neuen Standort Freiburg bis 1980. Die enge Zusammenarbeit mit dem MGFA, zuvor in einem Protokoll schriftlich vereinbart, äußerte sich in regelmäßigen Leitungsgesprächen. Aus den immer wieder ventilierten Plänen für eine gemeinsame Unterbringung von MGFA und Militärarchiv auf einem bundeseigenen Gelände in Freiburg ist dagegen nichts geworden. Vor wie nach waren die Akten für jedermann zugänglich – eine Bedingung der Alliierten und eine wichtige Voraussetzung der Wissenschaftlichkeit ihrer Auswertung, da nur so die Forschungsergebnisse intersubjektiv überprüfbar waren.
Als ab Mitte der 1970er Jahre in der DDR, am Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften, die ersten Bände der siebenbändigen Gesamtdarstellung unter dem Titel Deutschland im zweiten Weltkrieg erschienen, wuchs der Druck auf das BMVg und sein MGFA gegenzusteuern.[73] Während in der erwähnten ersten Publikationsreihe Teilaspekte des Krieges – vor allem mit einem traditionellen ereignis- und operationsgeschichtlichen Ansatz – behandelt wurden, trieb Messerschmidt die konzeptionellen Überlegungen zu einer Gesamtdarstellung des Zweiten Weltkrieges voran.[74] Dabei profitierten er und seine Kollegen vom Fortschritt einer Grundsatzdebatte, die der Berliner Historiker und Publizist Hans Delbrück bereits vor dem Ersten Weltkrieg angestoßen hatte, seinerzeit sehr zum Ärger des Militärs.[75] In der seit den 1970er Jahren geführten Methodendiskussion ging es um die Rundumerneuerung der Militärgeschichte, ihre erkenntnistheoretische Lösung von älteren utilitaristischen Vorstellungen und ihre Integration in die westdeutsche Fachdisziplin, in der mit militärischen Themen bis in die späten 1980er Jahre kein Blumentopf zu gewinnen war.[76]
Irreführend wären indes zwei Annahmen, die auf den ersten Blick naheliegen mögen. Zum einen verliefen die Gräben, die sich in diesem Konflikt auftaten, nicht entlang der Trennlinie zwischen „Historiker-Offizieren“ und zivilen Mitarbeitern, die ihrerseits, sofern sie nicht den „weißen Jahrgängen“ angehörten, als Reservisten einen militärischen Hintergrund hatten. Boog und Hoffmann waren ebenso Zivilisten wie der ehemalige Zeitsoldat Wette und andere, jüngere Mitarbeiter, die den Kreis der Ehemaligen ergänzten, darunter Jürgen Förster, Gerhard Schreiber, alle wie auch Wette Jahrgang 1940. Es folgten 1978 Bernhard R. Kroener (Jg. 1948) und 1980 Bernd Wegner (Jg. 1949). Auch rückten jüngere Offiziere nach, wie 1972 Klaus A. Maier (Jg. 1940) und 1980 Bruno Thoß (Jg. 1945). Zum anderen legte die Zugehörigkeit zu einer Alterskohorte nicht per se bestimmte, auf gemeinsame Kriegserfahrungen zurückgehende Einstellungen fest. Hier ist an ein Ergebnis der neueren Generationenforschung zu erinnern: Die Jahre zwischen 1939 und 1945 bedeuteten für die in den 1920er Jahren Geborenen keine gemeinsame Erfahrung einer geschlossenen Jugendgeneration. Die Zeit während des Krieges war keine generationenstiftende Erfahrung, der Begriff „Kriegsjugend“ ist daher als Erfahrungskategorie irreführend.[77] Boog und Messerschmidt beispielsweise wurden 1926 bzw. 1928 geboren, Hoffmann und Deist 1930 bzw. 1931.
Die lebensgeschichtliche Verankerung älterer Mitarbeiter in der Wehrmacht konnte allerdings in methodischer Hinsicht die Tendenz zu einer militärisch-militärhistorischen Binnenperspektive festigen, den isolierten Blick auf das Kriegsgeschehen der Zeit in einem engeren Sinne, auf Strategie und Taktik, auf die Kampfhandlungen, die Rüstungstechnik. Der Krieg erschien dann als ein Krieg zur Zeit des Nationalsozialismus, nicht jedoch als ein spezifisch nationalsozialistischer Krieg. Um diese Kontextualisierung dagegen ging es neben Messerschmidt und Deist vielen Jüngeren, die wie Hans-Erich Volkmann (Jg. 1938) in den späten 1930er oder in den 1940er Jahren geboren wurden und den Krieg, wenn überhaupt, nur als Kind erlebt hatten.[78] Der Generationenwechsel, den das Amt in den ersten Jahrzehnten erlebte, sorgte für heftige Auseinandersetzungen, die der Öffentlichkeit nicht verborgen blieben und zum Teil vor Gericht ausgetragen wurden. Den Veteranen fiel es mitunter zwar leichter, militärische Vorgänge zu analysieren und darzustellen, aber schwerer, zu ihrem Forschungsgegenstand auf die gebotene wissenschaftliche Distanz zu gehen. Sie stießen sich an Vertretern der Nachkriegsgeneration, denen bei der Untersuchung der Kriegführung die eigenen Erfahrungen nicht in die Quere kamen.[79] Die Gleichzeitigkeit von Nationalsozialismus und Weltkrieg spiegelte sich freilich in einer Ambivalenz der Forschung wider, die einen Knackpunkt im Generationenkonflikt darstellten. Insofern reflektierte das Deutungsringen im Inneren die gesellschaftliche Entwicklung.
Manchmal machen nur wenige Lebensjahre den entscheidenden Unterschied: Es spielte eine Rolle für ihre Arbeit, ob die Historiker am MGFA als Erwachsene eigene aktive Kriegserfahrungen gemacht oder die Endphase des Krieges „nur“ als Kinder erlebt hatten. Links junge Soldaten in Stellung neben einem zerstörten sowjetischen Panzer in der Sowjetunion im Juni 1943, rechts Mitglieder der Hitler-Jugend beim Aufräumen von Schutt nach einem Luftangriff, ebenfalls 1943.
Bilder: Bundesarchiv, Bild 101I-219-0562A-31, Foto: Scheffler, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0;
Bundesarchiv, Bild 146-1974-120-37, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Seit den 1970er Jahren hatte die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs ihren festen Platz am MGFA, freilich neben der Forschung zur Formationsphase der Bundeswehr – und damit auch zu den Rahmenbedingungen, unter denen sich die eigene Auftragsforschung zur Vergangenheit vor 1945 entwickelt hatte. Beide Themen würden „gleichrangig“ bearbeitet, stellte das BMVg 1974 fest.[80] Im Deutungsringen nach außen kann als ein forschungspolitisches Signal verstanden werden, was auf den ersten Blick in der Wissenschaft selbstverständlich erscheint: dass diese Beiträge im Reihenwerk Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg ihren Autoren namentlich zugeordnet wurden. Im Weltkriegswerk der DDR war das – wie bereits zuvor im Werk des Reichsarchivs zum Ersten Weltkrieg – nicht der Fall. Hier hatten die Militärhistoriker keinen Namen; die unterschiedlichen Leistungen der jeweiligen Historiker verschwanden hinter der Maske eines Kollektivs. Die Entscheidung für Namensbeiträge würdigte insofern nicht nur nach außen die wissenschaftliche Arbeit des Einzelnen – ob ziviler Historiker oder Offizier –, sondern unterstrich auch nach innen seine grundgesetzlich gesicherte Freiheit der Forschung.[81] Das entsprach der Praxis, die sich am MGFA durchgesetzt hatte. Ohne sie wäre die Akademisierung der ursprünglich als Handbuch für ein breites Publikum gedachten Bände kaum denkbar gewesen. Dass man mit zehn Bänden das ostdeutsche Projekt bereits quantitativ übertrumpfen wollte (und dank der Akten in Freiburg auch konnte), sei nur am Rande erwähnt.
Als 1979 die ersten beiden Bände erschienen, zeigte sich der Auftraggeber, Verteidigungsminister Hans Apel (SPD), zufrieden. Auch jenseits der Fachzeitschriften riefen die Bände ein positives Echo hervor. Als einen „große[n] Wurf […], fast eine revolutionäre Tat in der militärgeschichtlichen Forschung“ lobte sie Die Zeit.[82] Die ost-/westdeutsche Rivalität schlug auch hier durch. „Nachgerade ärgerlich“ fand es ihr Rezensent Karl-Heinz Janßen allein, dass in der Vergangenheit „im Ausland die DDR die Lücke ausfüllen konnte, die noch in der westdeutschen Zeitgeschichtsforschung klaffte“, und die Ostberliner Historiker ihr Werk, das auch ein politisches sei, früher hatten beginnen können. Doch die Auftragsforschung barg auch im westdeutschen Fall als solche ein Risiko, mindestens das Risiko, als normative und daher stromlinienförmige Geschichtsschreibung missverstanden zu werden. So suchte Janßen diesen Eindruck denn auch gleich mit der Feststellung zu entkräften, dass das Werk „keine ‚amtliche‘ Kriegsgeschichte“ sei, auch wenn er von dieser Fehldeutung in der Öffentlichkeit und vor allem im Militär ausging. Die konzeptionelle Weiterung der Militärgeschichte zu einer Geschichte der Gesellschaft im Krieg mit ihrer Kritik an den bürgerlichen Funktionseliten und deren Nationalismus nahm er als Zeichen dafür, dass sich die Historiker des BMVg von der operationsgeschichtlichen Verengung gelöst hätten. In einem positiven, demokratischen Sinn hielt Janßen die Auftragsforschung für systemkonform: Er bescheinigte dem BMVg, die Freiheit der Forschung gewährt zu haben, charakterisierte die Historiker als „überzeugte Demokraten“ und lobte den Pluralismus als alleiniges Ordnungsprinzip des Reihenwerks. Mehr noch: Dass „dieses Werk überhaupt möglich wurde“ nahm er als einen Beweis „für den demokratischen Geist unserer Streitkräfte“. Auf der Negativfolie der preußisch-deutschen Geschichte und Geschichtsschreibung erschien die Erforschung der Vergangenheit des deutschen Militärs im Auftrag des zuständigen Ministeriums zwanzig Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik als Beleg ihrer Toleranz und Demokratietauglichkeit. Freilich war die Qualität der Auftragsforschung wohl kaum an den überholten Kriterien der Vorvergangenheit zu messen. Der eigentliche Lackmustest lag und liegt in der Frage, ob und inwieweit die amtliche Forschung eine – womöglich wegweisende – Rolle in der westdeutschen Geschichtswissenschaft spielen kann.
Auf eine andere Weise wurde die Toleranz auf die Probe gestellt, wenn gegensätzliche Auffassungen unter den Historikern des Amtes selbst aufeinanderprallten. Das markanteste Beispiel ist der 1983 erschienene Band 4 des Reihenwerks. Zwischen zwei Buchdeckeln wurde hier die These, dass der Überfall auf die Sowjetunion ein Präventivkrieg gewesen sei, ein Angriff, der einem Gegenangriff zuvorkam, von Autoren des MGFA zugleich vertreten und bestritten.[83] Man mag darin aus heutiger Sicht einen Beleg dafür sehen, dass die amtliche Militärgeschichtsschreibung Raum für Revanchismus bot. Man kann die gegensätzlichen Beiträge aber auch als Zeichen jenes wissenschaftlichen Pluralismus lesen, wie er in der Zeit gelobt worden, unter den Bedingungen einer Behörde Anfang der 1980er Jahre möglich und angesichts des Generationenwechsels wahrscheinlich war. Die 16 Mitarbeiter der Bände 1 bis 4 gehörten den Jahrgängen 1923 bis 1948 an, rekrutierten sich mithin gleichermaßen aus der Kriegs- und Nachkriegsgeneration. „Das ‚Weltkriegswerk‘ des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes [...] will kein geschlossenes Geschichtsbild vermitteln“, betonte der Amtschef anlässlich der Übersetzung des ersten Bandes ins Englische, „sondern ist – einer freien Gesellschaft gemäß – offen für kontroverse Auffassungen und Kritik“.[84]
Der Band schlug gleichwohl hohe Wellen, die im MGFA, im Ministerium und in der Öffentlichkeit für Unruhe sorgten. Den Auslöser bildete ein umfänglicher Artikel in der Deutschen Wochen-Zeitung. Die wiederholt als rechtsradikal eingestufte Zeitung war offensichtlich über Interna des Hauses bestens informiert, weshalb es Überlegungen gab, den Militärischen Abschirmdienst einzuschalten. Der anonyme Autor warf leitenden Wissenschaftlern Geschichtsfälschung vor, weil sie versucht hätten, Militärgeschichte „auf einen ‚antifaschistischen‘ Kurs zu bringen“. Die innerwissenschaftliche Auseinandersetzung über die Darstellung des Krieges gegen die UdSSR – „Präventivkrieg“ oder „Überfall“? – wurde dargestellt als Versuch, „zur Verfälschung des wahren Geschichtsbildes zu nötigen, zum Schaden der Wahrheit, des deutschen Volkes, zugunsten der bolschewistischen Propaganda und des sowjetischen Geschichtsbildes“. Die Suada, die den Projektleiter wegen seiner Schulzeit an der Reichsschule der NSDAP in Feldafing als „Führernachwuchs“ diffamierte, gipfelte in der scheinheiligen Frage: „Merkt das Verteidigungsministerium nicht, daß dieses Gift nicht nur das Blut des deutschen Volkes, seiner heranwachsenden Offiziere, sondern auch das der NATO zersetzt?“[85] Andere rechtsextreme Medien schlugen in dieselbe Kerbe.[86]
Die geschichtswissenschaftliche Entlarvung der nationalsozialistischen Präventivkrieg-Propaganda wurde noch Mitte der 1980er Jahre zu einer aktuellen politischen Sympathiebekundung gegenüber der vermeintlich friedliebenden Sowjetunion umgedeutet. Die fachliche Auseinandersetzung erschien weiterhin als Teil des politischen Systemkonflikts und führte zum Vorwurf an die Hardthöhe, auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft die Sache des Gegners zu betreiben. Analog wurde auch auf der methodisch-theoretischen Ebene argumentiert: Das von Messerschmidt verfochtene Programm einer „Geschichte der Gesellschaft im Kriege“, das an die Stelle der tradierten Kriegsgeschichte treten sollte, war für nationalkonservative Historiker und Soldaten auch deshalb ein rotes Tuch, weil es die westdeutsche Militärgeschichte durch ihre „sozio-ökonomische Ausrichtung“ an die marxistische Militärgeschichte des „Ostblocks“ anpasse. Die Affäre wurde zur Chefsache. Während den Betroffenen öffentliche Stellungnahmen zu dem Artikel untersagt wurden – auch um ihm nicht unnötig Aufmerksamkeit zu verschaffen –, wies der Stellvertretende Generalinspekteur Walter Windisch die Vorwürfe 1985 öffentlich als „unqualifiziert, niveaulos, undifferenziert und polemisch“ zurück. Windisch betonte die von der Bundeswehr gewollte Meinungsvielfalt.[87] Zuvor hatten sich zahlreiche renommierte US-amerikanische Historiker an den Minister gewandt und ihre Anerkennung für die fortschrittliche Weltkriegsforschung zum Ausdruck gebracht.
Doch auch im politischen Raum wurden Erwartungen geäußert, die bis hinab in die MGFA-Projektgruppen reichte. So hatte ein Mitglied des Deutschen Bundestages der CSU den Stellvertretenden Generalinspekteur bereits Ende 1983 aufgefordert dafür zu sorgen, dass die Teams für die Bände 9 und 10 des Reihenwerks „nicht wieder nur mit ‚Marxisten in Reinkultur‘ besetzt“ würden.[88] Auch der teils polemische Gegenwind, der dem Unternehmen von ehemaligen Kriegsteilnehmern und „Traditionalisten“ im Ministerium entgegen blies,[89] konnte den Dampfer Weltkriegswerk nicht zum Kentern bringen. Umgekehrt hatten die innere Demokratisierung der Bundesrepublik und der Generationswechsel die notwendigen Bedingungen für die kritische Aufarbeitung durch Auftragsforschung geschaffen. Dem zeitgenössischen Beobachter war klar, dass ein solches Weltkriegswerk zehn, zwanzig Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre. „Denn zu viele der Betroffenen spielten damals noch eine Rolle im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik, als daß eine solche Auseinandersetzung (die wirklich Vergangenheit ‚bewältigt‘) ohne Skandal über die Bühne gegangen wäre.“[90] Kurz: Die politische Funktion, die insofern auch das westdeutsche Weltkriegswerk für das Deutungsringen im Systemkonflikt besaß, war Ende der 1970er Jahre so wenig von der Hand zu weisen wie zwanzig Jahre zuvor. Die von der amtlichen Geschichtsschreibung angestoßene Forschung über den Krieg in Ost- und Südosteuropa – man denke auch an Hans Umbreits Pionierstudie über die Besatzungspolitik in Polen von 1977 – deutete bereits jenen öffentlichen Streit über den „Vernichtungskrieg“ an, den in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die Wanderausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung „Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ mit ungleich größerer Wucht anfachte.[91]
Besucher in der sogenannten Wehrmachtsausstellung am 30. November 2001 in Berlin. Die heftige öffentliche Debatte um die erste Auflage der Schau 1995 gilt als Meilenstein in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen. Die Ausstellung widerlegte die seit Jahrzehnten wissenschaftlich überholte, in der breiten Öffentlichkeit jedoch nach wie vor verbreitete falsche Auffassung, die Wehrmacht habe sich an NS-Verbrechen – anders als beispielsweise die SS – nicht beteiligt, sei also „sauber“ geblieben. Anlässlich der Neuauflage der Ausstellung äußerte sich der damalige wissenschaftliche Leiter des MGFA Hans-Erich Volkmann am 27. November 2001 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dessen Transkript hier nachgelesen werden kann.
1979 konnte niemand ahnen, dass sich diese Rahmenbedingung 1989/90 mit der Wiedervereinigung ändern, das MGFA 1994 mit dem MGI am Standort Potsdam zusammengeführt und von den NVA-Historikern kaum einer im Amt bleiben würde.[92] Unter veränderten fachwissenschaftlichen Voraussetzungen wurde das Weltkriegswerk in den folgenden Jahren fortgesetzt. Der vorher kurze Weg zu den Akten hatte sich allerdings deutlich verlängert, befand sich das Militärarchiv doch weiterhin in Freiburg. Mit dem Erscheinen des Bandes 10 fand 2008 ein Großprojekt der Auftragsforschung seinen Abschluss, dessen Genese und Entwicklung den erinnerungskulturellen Wandel in der Bundesrepublik in vielen Facetten widerspiegelt. Dass Der Spiegel die „quasi offizielle Erforschung des Zweiten Weltkriegs“ dreißig Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes als „eines des größten Projekte der deutschen Geschichtswissenschaft“ und die meisten Bände als „Standardwerk“ wertete, lag nicht zuletzt an der Aufklärungsfunktion. Hatte doch die Auftragsforschung des BMVg nicht nur die Rolle Hitlers und seiner Schergen gegen revisionistische wie marxistische Relativierungen herausgearbeitet, sondern auch das westdeutsche Bild von der „sauberen Wehrmacht“, das vom Kriegsende bis weit in die Siebzigerjahre vorherrschte, als Lebenslüge entlarvt.[93] Die auf umfängliches archivalisches Schriftgut statt auf Zeitzeugenberichte und Memoiren gestützte Forschung hatte gezeigt, dass die Wehrmacht kein Hort des Widerstandes, kein neutraler Boden und auch nicht bloß in den Nationalsozialismus „verstrickt“ war – wie die irreführende Metapher lange lautete –, sondern als Teil des NS-Regimes den verbrecherischen Angriffskrieg geführt hatte, der den Massenmord an den europäischen Juden ermöglichte. Es gab Widerstand, der freilich immer auch belegte und daran erinnerte, dass ein anderes Handeln als der Gehorsam möglich gewesen war.[94]
Das stieß am rechtskonservativen Rand sauer auf. Die Attacken auf die vermeintliche „rote Zelle“ am MGFA hatten sich auch nach Messerschmidts Ausscheiden und dem Wechsel des Forschungsamtes nach Potsdam 1994 fortgesetzt. Im Visier rechtskonservativer und rechtsextremer Kreise waren beispielsweise Wilhelm Deist, Hans-Erich Volkmann, Gerhard Schreiber und, nicht zuletzt, Wolfram Wette. In einer Besprechung des Bandes 8 des Weltkriegswerks für die rechtslastige Junge Freiheit freute sich der Militärhistoriker Horst Rohde, vordem selbst Mitarbeiter am MGFA und Ko-Autor des Bandes 2, über den kriegsgeschichtlichen Schwerpunkt. Er beklagte jedoch das dort gezeichnete negative Bild der Wehrmacht. Eine „Ironie der Geschichte“ sah Rohde darin, dass „die Männer, die diese Dienststelle 1957 aus der Taufe gehoben haben, vom ersten Amtschef angefangen fast ausschließlich der angeblich so ‚verruchten‘ Wehrmacht entstammten“.[95]
III. Auftragsforschung als Korrektiv militärischer Traditionsstiftung und Bildung
Die Erforschung der „eigenen“ Vergangenheit, ganz gleich ob eines Unternehmens oder einer staatlichen Einrichtung, hat immer auch eine traditionsbildende Funktion. Es wäre naiv zu glauben, dass die zweckfreie Neugier auf die Vergangenheit den Geldhahn des „Bedarfsträgers“ öffnete. Die Ressortforschung des BMVg diente nicht nur dem Interesse der Bundeswehr, den Diskurs über Militär in der Gesellschaft mitzugestalten und „nützliches“ Wissen zur Verfügung zu stellen. Sie sollte auch zu einer Traditionsstiftung beitragen, die den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatten Rechnung trägt. Auch Traditionsstiftung war ein Instrument im Systemkonflikt, mit dem sich die Bundeswehr von der NVA abgrenzte – und umgekehrt. Ging es hier um den „Staatsbürger in Uniform“, stand dort die „sozialistische Soldatenpersönlichkeit“ im Zentrum des Bemühens, Identitätskonstruktionen historisch zu unterfüttern. Positive Traditionen für die Bundeswehr lieferte insofern seit den 1970er und 1980er Jahren vor allem die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte der Bundeswehr und ihrer Einbindung in die NATO. Das MGFA nahm sich hier der „eigenen“ Vergangenheit an.[96] Auf die Geschichtsschreibung der Wehrmacht hingegen (wie auch der NVA) traf diese Funktion der positiven Sinnstiftung wegen des Kontinuitätsbruchs nicht zu, jedenfalls nicht ohne Weiteres. Allerdings prägte auch die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Auftrag des Ministeriums das Traditionsverständnis in der Truppe und deren historisch-politisches Bildungsangebot. Um diese Querverbindung zwischen Ressortforschung und Bundeswehr geht es im Folgenden.
Die Vergegenwärtigung der militärischen Vergangenheit im militärischen Raum vollzog sich daher nicht nur durch die amtliche Auftragsforschung, sondern auch durch die Traditionsstiftung in der und für die Truppe.[97] Weil sie im Traditionsbegriff angelegt ist, kam der Frage nach Kontinuität und Diskontinuität gegenüber Vorläuferorganisationen in diesem Bereich des Geschichtsverständnisses nachgerade eine Schlüsselrolle zu. Das Militär als staatliche Veranstaltung konnte nicht, wie die Bürgergesellschaft, auf den Wettstreit der Deutungsangebote in einer pluralistischen Gesellschaft setzen. Vielmehr zeigte sich schon bald, dass das Ministerium steuernd eingreifen musste, um den Wildwuchs eher unreflektierter Bezüge auf die jüngste Vergangenheit vor 1945 in Traditionsräumen und -ecken der Kasernen im Sinne einer verfassungskonformen Erinnerungspolitik zu reglementieren. Auf diesem bis in die Gegenwart währenden Spannungsfeld zwischen oftmals emotionalen Bindungen in der Truppe, rationalen Vorstellungen und Vorgaben des reformerischen Flügels im Ministerium und kritischen Erwartungen in der zivilen Öffentlichkeit entwickelte sich das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Als Theodor Blank in Bonn die ersten 101 Soldaten der neuen Streitkräfte ernannte, zierte ein Eisernes Kreuz den Veranstaltungsort, eine Kraftfahrzeughalle. Es stand für die Kontinuität (preußisch-)deutscher Streitkräfte, wies es doch über die jüngste Vergangenheit weit zurück in die Zeit der Befreiungskriege.
Das 1813 von Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. gestiftete Eiserne Kreuz überdauerte auch die Zäsur von 1945 und beherrschte 1955 ebenso wie 1939 die Szenerie. Auf dem Foto oben spricht Verteidigungsminister Blank bei der Vereidigung der ersten Soldaten der Bundeswehr am 12. November 1955 in Bonn; das Foto unten zeigt Generaladmiral Erich Raeder bei seiner Rede auf dem Staatsakt am ersten Heldengedenktag des Großdeutschen Reiches am 12. März 1939 in Berlin.
Bilder: Bundesarchiv, Bild 146-1995-057-16, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0;
Bundesarchiv, Bild 183-2008-1016-501, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Mit der Fiktion des Deutschen Heeres, der Deutschen Marine arbeitete auch der soldatische Totenkult der alten Bundesrepublik. Die einzelnen Gefallenendenkmäler der Teilstreitkräfte in Koblenz, Laboe und Fürstenfeldbruck – ein zentrales Ehrenmal der Bundeswehr gibt es erst seit 2009 – suggerierten mit ihren Widmungssprüchen lange eine Kontinuität über alle politischen Brüche hinweg. Diese symbolischen Traditionskonstruktionen besaßen den gesellschaftspolitischen Vorzug, dass die Gefallenen der Wehrmacht neben anderen in das staatspolitische Gedenken einbezogen werden konnten, obwohl der Staat sich durch die Abgrenzung von der NS-Diktatur legitimierte, der jene Soldaten gedient hatten.
Traditionsstiftung? Das 1972 errichtete Ehrenmal des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz (Aufnahme von 2011) wurde den Gefallenen beider Weltkriege gewidmet: „Den Toten des Deutschen Heeres 1914-1918 + 1939-1945 – ihr Vermächtnis: Frieden“ lautet der Widmungsspruch. 2006 wurde das Ehrenmal um eine Stele erweitert, die den im Auslandseinsatz zu Tode gekommenen Heeressoldaten der Bundeswehr gewidmet ist. Seitdem wird das Gedenken an die „eigenen“ Gefallenen, die im Auftrag des Parlaments gedient haben, auch symbolisch nicht gemeinsam mit jenen gedacht, die in der Wehrmacht des NS-Regimes zu Tode kamen. Hier zeichnete sich eine Entwicklung des militärischen Totenkults ab, die sich im Bau eines gesonderten Ehrenmals in Berlin 2009 und zuletzt in der Anlage eines „Waldes der Erinnerung“ auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos bei Potsdam im Jahr 2014 fortsetzte.
Bild: Holger Weinandt, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Die Legende von der „sauberen Wehrmacht“ nahm dem unkritischen Rückbezug auf die Vorläufer-Armee in den Augen der meisten Soldaten die Brisanz. „Der deutsche Soldat [der Wehrmacht] hat tapfer, treu und gehorsam seine Pflicht getan. Er durfte dabei glauben, sie für das Vaterland zu erfüllen. Er wurde missbraucht durch eine verbrecherische Staatsführung.“[98] So hatte der erste Bundesminister der Verteidigung Blank am 27. Juni 1955 vor dem Deutschen Bundestag den Kerngedanken auf den Punkt gebracht. Wie auch das Konzept der „Inneren Führung“, das den Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“, als einen politischen Soldaten mithin begriff, blieb die Traditionswürdigkeit des 20. Juli 1944 in der Bundeswehr lange umstritten. Angesichts des forcierten Aufbaus einer neuen Organisation mit altem Personal überrascht nicht, dass die „Innere Führung“ bis in die frühen 1970er Jahre weniger ein Merkmal der militärischen Praxis, als ein frommer Wunsch der Reformer war – „nach außen propagiert, nach innen torpediert“.[99] Als der Wehrbeauftragte Hellmuth Guido Heye in der Illustrierten Quick 1964 öffentlich Alarm schlug – „In Sorge um die Bundeswehr“ lautete die Schlagzeile –, drang der Widerspruch vorübergehend ins öffentliche Bewusstsein.[100]
In den Augen der „Traditionalisten“ lauerte am MGFA in diesem Kontext die Gefahr des Bildersturms. Sie warnten davor, dass die Freiburger Militärhistoriker einen gravierenden Traditionsverlust riskierten und am Ende womöglich militärische Vorbilder vom Sockel stießen, welche die Soldaten der jungen Bundeswehr doch dringend benötigten. Doch Amtschef Meier-Welcker lehnte es ab, historische Schützenhilfe bei der Stiftung einer Tradition zu leisten, die auf den Nachweis zeitloser soldatischer Tugenden hinauslief – ein ahistorisches Ansinnen, das mit dem Selbstverständnis des Historikers unvereinbar war, jedoch die an ihn gerichtete Erwartung vieler Militärs widerspiegelte, die für Meier-Welckers Weigerung denn auch wenig Verständnis zeigten. Auch Friedrich Forstmeier hielt Anfang der 1960er Jahre dagegen. Der spätere Amtschef (1972-1975) stellte zum einen klar, dass es nicht die Aufgabe des MGFA sei, historische Vorbilder zu schaffen und politische Traditionsstiftung im engeren Sinne zu betreiben. Mit Max Weber trennte er feinsäuberlich die wissenschaftliche Analyse politischer Sachverhalte von der praktisch-politischen Stellungnahme eines Historikers. Zum anderen widersprach er der stillschweigenden Annahme, dass deutsche Soldaten auf die überkommenen Leitbilder angewiesen seien, mit dem Hinweis auf die Aufklärungsfunktion von Geschichte. Den Soldaten „pseudohistorische Legenden“ zu vermitteln hieße, „der ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ bewußt aus dem Wege zu gehen“. Forstmeier warnte seinerseits vor dem „Nichtwahrhabenwollen neuer Erkenntnisse aus Furcht vor dem Traditionsverlust“.[101]
Während die Truppe in der Regel dazu neigte, die Wehrmacht in militärhistorische Kontinuitätslinien einzubeziehen und dabei von einem unpolitischen Konzept ausging, das den Soldatenberuf auf das militärische Handwerk reduzierte, pochten fortschrittliche Kräfte auf die Rückkopplung der Tradition an die Werte des Grundgesetzes. Was den freiheitlich-demokratischen Werten, auf die sich die Westdeutschen verpflichtet hatten, nicht entsprach, durfte in der Bundesrepublik keine traditionsstiftende Wirkung entfalten. Dieses Verständnis lief auf eine äußerst selektive Repräsentation der Geschichte hinaus. Für die Zeit des Nationalsozialismus kam daher einzig der militärische Widerstand in Frage, verdichtet im Attentat vom 20. Juli 1944 und verkörpert in Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Allein der normgebundene Zugriff auf einen Bruchteil auch dieser Geschichte diente gezielt der Traditionsstiftung. (Das war in der DDR nicht grundsätzlich anders. Auch die SED-Führung suchte seit den 1960er Jahren trotz des erklärten Internationalismus in der Nationalgeschichte nach Traditionsankern für ihre Nationale Volksarmee.)[102]
Der erste Traditionserlass von 1965 kann in dieser Hinsicht bestenfalls als ein Kompromiss verstanden werden, eine halbgare Zwischenlösung, die zwischen den politischen Vorstellungen und den Bedürfnissen der aktiven Soldaten vermittelte. Seit April 1981 hatte der sozialdemokratische Verteidigungsminister Hans Apel an den neuen, eingangs zitierten Traditionsrichtlinien gearbeitet, denn: „der alte Erlaß hat eine schwülstige Sprache, findet keine klare Abgrenzung zur NS-Zeit, ist historisch unrichtig und sagt nichts zur eigentlichen Funktion und Tradition der Bundeswehr: im Rahmen unseres Grundgesetzes den Frieden zu sichern“.[103] Apel wollte zudem, wie er in einer Rede vor dem Beirat Innere Führung im August 1979 betonte, die Bundeswehr-Institutionen wie das MGFA, das Sozialwissenschaftliche Institut[104] und die Hochschulen so vernetzen, dass die Soldaten noch besser „mit der Vergangenheit und Gegenwart unseres Staates und unserer Gesellschaft“ verbunden werden.[105] Darin spiegelte sich das Ziel der sozialliberalen Koalition wider, Forschung und Bildung in der Bundeswehr zu stärken.
Während das MGFA seine Grundlagenforschung zur NS- und Kriegsvergangenheit vorantrieb, verstärkte die nach dem Regierungswechsel 1982 proklamierte „geistig-moralische Wende“ traditionalistische Tendenzen in der Bundeswehr, die verschüttete Wehrmachttraditionen wiederbeleben wollten.[106] Korpsgeist und Kämpferkult konkurrierten mit gesellschaftlicher Integration und dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“. Der „Leitende Historiker“ des MGFA Messerschmidt hielt dagegen: Die Wehrmacht könne ihre „traditionsbildende Kraft für die Bundeswehr nur gewinnen durch schonungslose historische Kritik, die ihr systemkonformes Funktionieren deutlich macht und dabei jene Grenzsituationen aufhellt, in denen sich menschliches Verantwortungsbewußtsein im Versuch, sich gegen den Apparat zu behaupten, bewährt hat“.[107]
Im Zuge der von Apel angestoßenen Traditionsdebatte regte der „Leitende Historiker“ angesichts der Wehrmachtforschung eine Überarbeitung des Traditionserlasses von 1965 an. Weil die Wehrmacht das NS-Regime bejaht habe, kämen die Jahre 1933 bis 1945 für die Traditionspflege der Bundeswehr nicht länger in Frage. Diese kategorische Forderung nach einem aus der eigenen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit abgeleiteten Traditionsbruch provozierte Widerspruch. Der kam prompt. In Schreiben an den Verteidigungsminister verurteilten ehemalige Soldaten Messerschmidts Plädoyer als einen „Dolchstoß“. Eine derartige Auffassung der Leitung des MGFA, ausdrücklich als Nachfolger der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Generalstabs eingeordnet, „schlage jedem soldatischen Denken ins Gesicht“ und verletze die Gefühle der alten und jungen Soldaten.[108] Protest kam auch aus den Reihen der MGFA-Mitarbeiter. Nach einem entsprechenden Beitrag Messerschmidts in der Süddeutschen Zeitung erhielt die Redaktion einen Leserbrief aus Freiburg mit der Feststellung, dass die Mehrheit der Historiker des MGFA Messerschmidts Meinung „in dieser Rigorosität“ nicht teile. Weil die Soldaten am Ende gegen das Vorrücken der Roten Armee und damit für ihr Vaterland gekämpft hätten, sei ihr Kampf legitim gewesen, hieß es unter anderem.[109] Dem MGFA-Historiker blies daher aus Teilen der Truppe und der Bundeswehrführung ein rauer Wind ins Gesicht.
Bereits im August 1978, nach rechtsextremen Vorfällen in der Bundeswehr, erging die Weisung des Generalinspekteurs General Harald Wust an das MGFA, zur Verbesserung der historischen Bildung der Soldaten beizutragen. Das Amt richtete daraufhin eine neue Abteilung für „Ausbildung, Information, Fachstudien“ (AIF) ein. Zwar war dem Amt bereits Ende der 1950er Jahre die Aufgabe übertragen worden, die Lehrer, die an der Führungsakademie und den Offizierschulen Militär- und Kriegsgeschichte unterrichteten, durch Weiterbildung und Lehrmaterial zu unterstützen.[110] Dem Unteroffizier- und Offizierkorps, das zum Teil aus der Wehrmacht hervorgegangen war, sollte das MGFA von Beginn an durch historische Bildung nicht zuletzt die Führungsphilosophie der „Inneren Führung“ näherbringen. Doch fortan schlug sich der Bildungsauftrag auch in der Gliederung des Hauses nieder. Für die Forschung hatte dies eine strukturelle Konsequenz: Indem das MGFA eine neue, vor allem mit Offizieren besetzte Abteilung AIF einrichtete, wurde dem „Leitenden Wissenschaftler“ der Zugriff auf einen Arbeitsbereich des Hauses weitgehend entzogen. Er firmierte fortan als Leiter einer „Abteilung Forschung“. Die Grundlagenforschung wurde einerseits von zeitraubenden Aufgaben entlastet, musste aber andererseits um interne Ressourcen konkurrieren.
Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (MHM) in Dresden im November 2013. Das MHM ist dem ZMSBw fachlich und truppendienstlich nachgeordnet und übernimmt als kulturhistorisches Museum eine wichtige Rolle in der historischen und politischen Bildung. Nach einem umfänglichen und von Daniel Libeskind geplanten Umbau wurde das MHM Ende 2011 wiedereröffnet. Der keilförmige Einbau in das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, das seit 1972 das Armeemuseum der DDR beherbergte, weist in die Richtung, wo die Bomberverbände der britischen Luftwaffe im Februar 1945 Zielmarkierungen für die Luftangriffe auf Dresden setzten.
Bild: Maciek Lulko, Flickr, CC BY-NC 2.0
Historische Bildung des Militärs auf der Basis (eigener) militärhistorischer Forschung: So lautete fortan die Formel, die Ministerium, Bundeswehr und Auftragsforschung verband.[111] Für das MGFA war sie die Legitimationsformel. So modern die Kopplung von Bildung und Forschung auch anmutet, so ambivalent war die Verknüpfung indes im Strukturzusammenhang, weil sie dem Forschungs-Amt seine vorrangige, wenn nicht alleinige Legitimation durch Grundlagenforschung nahm.
Dass die historische Bildung nicht zuletzt Aufklärung über die NS-Zeit bedeuten sollte, entsprach dem Forschungsprogramm des Amtes. In diesem Zusammenhang entstanden auch die teils bis heute aktiven Wanderausstellungen „Deutsch-jüdische Soldaten 1914-1945“ von 1982 sowie „Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime“, vom MGFA 1984, zum 40. Jahrestag des Attentats auf Hitler, im Deutschen Bundestag eröffnet. Zum 30-jährigen Bestehen des MGFA 1988 betonte dessen Chef dann auch, welchen Beitrag die am MGFA tätigen Historiker zur „Aufklärung“ über die (nationalsozialistische) Vergangenheit, zum historischen Selbstverständnis der Deutschen, zur historisch-politischen Bildung der Soldaten geleistet hätten.[112] Das sagt freilich noch nichts darüber aus, inwieweit die Aufklärung verfing. Es unterstreicht indes das eigene Selbstverständnis und antwortet insofern für die einschlägige Institution auf die Leitfrage, wie man im Geschäftsbereich des Ministeriums mit der NS-Vergangenheit umging. Sicher ist auch: Die ressortgesteuerte historische Forschung und Bildung weisen ihrerseits eine Historizität auf, die sie wiederum zu einem lohnenden Objekt für Studien zur Erinnerungskultur der Bonner Republik macht – und damit zu einem Forschungsdesiderat.
Fazit
Was lässt sich im Hinblick auf die Entwicklung und die Bedeutung von historischer Forschung zur NS-Zeit und insbesondere zum Zweiten Weltkrieg im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung thesenartig festhalten? Drei Handlungsfelder lassen sich unterscheiden: das institutionelle, wissenschaftliche und erinnerungspolitische.
Institutionengeschichtlich ist erstens festzuhalten, dass im Gegensatz zur projektbezogenen Beschäftigung von Experten in Historikerkommissionen das BMVg mit der Institutionalisierung der Forschung durch die Einrichtung einer ressorteigenen, mit entsprechenden Dienstposten ausgestatteten Behörde frühzeitig eine feste Basis für eine dauerhafte Erforschung der militärischen Vergangenheit vor 1945 schuf. Mit dem Beamtenstatus verband sich zudem eine relative Unabhängigkeit der Urteilsbildung. Ohne diesen Rahmen wäre ein zweites Weltkriegswerk unmöglich gewesen. Im Gegensatz zur Historiographie des Ersten Weltkriegs fand sich im Geschäftsbereich des BMVg wie in der Bundesrepublik insgesamt kein staatlich-institutioneller Rahmen mehr für eine offizielle (und revanchistische) Darstellung der militärischen Vergangenheit. Vielmehr wurde dem MGFA frühzeitig eine Funktionslogik zugeschrieben, die Wissenschaftlichkeit zu seiner raison d’être machte. In seiner Institutionalisierung spiegelte sich das legitime Interesse des Staates an freier Forschung wider; mit einer Haus- und Hofgeschichtsschreibung wäre ihm nicht gedient (gewesen). Dahinter stand zum einen der politische Wille, anerkannte Expertise aufzubauen und vorrätig zu halten, zum anderen das ganz anders gelagerte Motiv, im Systemkonflikt der Unwissenschaftlichkeit des DDR-Pendants die in der Demokratie gewährleistete Forschungsfreiheit entgegenzuhalten. Unter diesen Rahmenbedingungen und in einem politischen Klima, das die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auf die Tagesordnung setzte, forcierte das Verteidigungsministerium die Geschichtsschreibung des Zweiten Weltkriegs auf wissenschaftlicher Basis. In den 1970er und 1980er Jahren tat sich in einer Institution unter militärischer Führung jener strukturelle Freiraum auf, den historische Forschung braucht und ohne den Aufarbeitung nicht stattfindet.
Dank des Ringens um die Deutungshoheit über die jüngste Vergangenheit mauserte sich das MGFA spätestens in den 1970er Jahren zu einer außeruniversitären Forschungseinrichtung, an der auch eine kritische Betrachtung der Wehrmacht und des Zweiten Weltkriegs möglich wurde, lange bevor andere staatliche Stellen und Wirtschaftsunternehmen ihre jeweilige Vergangenheit durch Historikerkommissionen aufarbeiten ließen.
Wissenschaftsgeschichtlich lautet der Befund, zweitens, dass die relativ umfassende, über das militärische Handwerk weit hinausgehende Forschung durch eine konzeptionelle Dynamik möglich wurde, die den Kurs der amtlichen Geschichtsschreibung seit den 1970er Jahren in Richtung einer, wie es viel später heißen sollte, „erweiterten“ Militärgeschichte festlegte. Die Neukonzeptualisierung kann als ein Prozess der Ablösung von der im Nationalsozialismus boomenden, auf die Mobilisierung der „Volksgemeinschaft“ gerichteten Wehrgeschichte als Teil völkisch definierter Wehrwissenschaft verstanden werden. Dabei handelte es sich nicht um ein Glasperlenspiel in abgelegenen Gelehrtenstuben. Es ging vielmehr um die notwendige methodisch-theoretische Bedingung der Aufklärung durch Auftragsforschung. Der Zusammenhang von Militär und Nationalsozialismus konnte überhaupt erst aufgrund des integralen Verständnisses von Militär-/Kriegsgeschichte und dank der schnell fortschreitenden NS-Forschung ins Blickfeld geraten. Kein Wunder, dass sich viele ältere Jahrgänge so vehement gegen die Neudefinition sperrten, die am MGFA für Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg durchgesetzt werden konnte.
Indem sie nach der Rückgabe der Archivalien über die Generals-Memoiren und die Studien zur deutschen militärischen Kriegführung hinausging, wurde eine kritische Aufarbeitung auch methodisch-theoretisch möglich. Die Anschlussfähigkeit der Auftragsforschung des BMVg gegenüber der „zivilen“ Wissenschaft war dafür eine weitere Voraussetzung.[113] Die historische Aufarbeitung der Militärgeschichte des „Dritten Reiches“ fügte sich – wie die Geschichte vieler Unternehmen und staatlicher Institutionen – im Ergebnis in breitere historische Narrative ein, die sich um die Rolle gesellschaftlicher Akteure in der NS-Zeit drehten, und prägte diese zugleich mit. Man erfährt, verkürzt formuliert, wie die Betroffenen (zunehmend) in das NS-Regime eingebunden waren, wie sie unter den Bedingungen der Besatzungsherrschaft und der transitional justice der Nürnberger Prozesse Glanz verloren, wie sie schließlich in der Bundesrepublik einen demokratischen Neuanfang versuchten. Die Prüfung auf Kontinuität und Diskontinuität zeichnet in der Regel eine zentrale Interpretationslinie vor. Das galt und gilt auch für das Militär.
Erinnerungsgeschichtlich ist, drittens, die Verzahnung von Auftragsforschung und Traditionsstiftung im Militär festzuhalten. Weil die Forschungsergebnisse der Militärhistoriker des MGFA prinzipiell in die historische Bildung der Bundeswehrsoldaten einflossen, reichte die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit über die Amtsflure hinaus auch in die Truppe. Auch wenn damit noch nichts darüber ausgesagt ist, inwieweit die etwa von Wehrgeschichtslehrern an den Offiziers- und Unteroffizierschulen vermittelten Inhalte bei den Soldaten verfingen, auch nichts darüber, wie sehr dies bei den Lehrstabsoffizieren selbst der Fall war, hat das MGFA durch die historisch-politische Bildung doch dazu beigetragen, dass die politisch-historische Kultur der Bundeswehr nicht durch einen noch tieferen Graben vom historischen Selbstverständnis der übrigen Gesellschaft getrennt wurde. Die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit hat das zivil-militärische Verhältnis positiv beeinflusst und zu der keineswegs selbstverständlichen Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft befördert.
Der Auftrag, zur Wehrmacht zu forschen, lief im Geschäftsbereich des Bonner Ministeriums auf ein doppeltes, nach innen und außen gerichtetes Deutungsringen hinaus: nach außen zunächst im Systemkonflikt mit der DDR, nach innen später in der Auseinandersetzung mit den fachwissenschaftlichen Fragen, die durch den Generationenkonflikt aufgeheizt wurden und sich in der schwierigen Selbstverständigung über das Konzept von Militärgeschichte verdichteten. „Wissenschaftlichkeit“ fungierte dabei als Differenzkategorie einerseits nach außen, weil sie die Auftragsforschung in der Demokratie von der in totalitären Staaten diachron (NS-Regime), aber auch synchron (SED-Herrschaft) abgrenzte und legitimierte. Nach innen diente die Wissenschaftlichkeitsnorm andererseits zur Abgrenzung gegenüber älteren, kriegsgeschichtlichen Traditionen, der Neudefinition der eigenen Disziplin mit dem Ziel ihrer Anschlussfähigkeit gegenüber der Geschichtswissenschaft sowie der Fundierung einer zeitgemäßen historischen Bildung in den Streitkräften, die sich vom gesellschaftlichen Diskurs abzukoppeln drohten. Die Ressortforschung entwickelte hier aufgrund der vorgegebenen Funktionslogik eine Eigendynamik, die dem einen verdächtig, dem anderen vielversprechend erschien. Ihr Schlüsselthema, die Rolle des Militärs im „Dritten Reich“, rückte zunehmend ins Zentrum auch der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit, was die Brisanz der Freiburger Militärgeschichte erhöhte. Diese Ambivalenz der wohl gewollten, aber nicht immer wohl gelittenen Auftragsforschung veranschaulichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung durch den Vergleich des MGFA mit einem „hin und wieder ungeliebte[n], aus Sicht der Hardthöhe manchmal ungezogene[n] Kind“, das am Ende „erwachsen“ geworden sei.[114]
Abkürzungen
AIF Ausbildung, Information, Fachstudien
BMVg Bundesministerium für Verteidigung, Bundesministerium der Verteidigung
EGeschBw Entstehungsgeschichte der Bundeswehr
EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft
HIAG Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e. V.
IfZ Institut für Zeitgeschichte
KVP Kasernierte Volkspolizei
MGFA Militärgeschichtliches Forschungsamt
MGI Militärgeschichtliches Institut der DDR
MHM Militärhistorisches Museum der Bundeswehr
MGM Militärgeschichtliche Mitteilungen
MGZ Militärgeschichtliche Zeitschrift
NKFD Nationalkomitee Freies Deutschland
NVA Nationale Volksarmee
PHV Politische Hauptverwaltung
SOWI Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
VS-NfD Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch
VEB Volkseigener Betrieb
WInstEBSK Wissenschaftliches Institut für Erziehung und Bildung in den Streitkräften
ZMSBw Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
[1] Die „Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr“ sind abrufbar unter: http://www.bundeswehr.de/portal/poc/bwde?uri=ci:bw.bwde.streitkraefte.grundlagen.geschichte.tradition.traditionserlass
[2] Zur Entwicklung des „Außenverhältnisses“ amtlicher Militärgeschichtsschreibung vgl. dagegen: Jörg Echternkamp, Wandel durch Annäherung oder: Wird die Militärgeschichte ein Opfer ihres Erfolges? Zur wissenschaftlichen Anschlußfähigkeit der deutschen Militärgeschichte seit 1945, in: ders., Thomas Vogel und Wolfgang Schmidt (Hg.), Perspektiven der Militärgeschichte. Raum, Gewalt und Repräsentation in historischer Forschung und Bildung, München 2010, S. 1-38.
[3] Hier ist der Hinweis angebracht, dass der Verfasser als Angehöriger des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw; vorm. Militärgeschichtliches Forschungsamt, MGFA) seit 1997 Teil des im Folgenden betrachteten Strukturzusammenhangs ist. Der vorliegende Beitrag, der nicht „im Auftrag“ erstellt wurde, gibt allein die Meinung des Autors wider. Für wertvolle Hinweise danke ich Winfried Heinemann (ZMSBw, Potsdam).
[4] Hans-Jürgen Rautenberg und Norbert Wiggershaus, Die „Himmeroder Denkschrift“ vom Oktober 1950. Politische und militärische Überlegungen für einen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur westeuropäischen Verteidigung, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 21 (1977), S. 135–206.
[5] Vgl. zum Folgenden: Rudolf Schlaffer, Der Aufbau der Bundeswehr: Reform oder Reformierung?, in: Karl-Heinz Lutz, Martin Rink und Marcus von Salisch (Hg.), Reform - Reorganisation - Transformation. Zum Wandel in deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen bis zur Transformation der Bundeswehr, München 2010, S. 331-344.
[6] Rudolf Schlaffer, Der Wehrbeauftragte 1951-1985. Aus Sorge um den Soldaten, München 2006 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 5).
[7] Schlaffer, Der Aufbau der Bundeswehr, S. 339 f.
[8] Theodor Heuss und Konrad Adenauer, Unserm Vaterland zugute. Der Briefwechsel 1948-1963. Bearb. v. Hans Peter Mensing, Berlin 1989, S. 216 f. Vgl. zum Kontext zuletzt: Jörg Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg. Historische Deutungskonflikte und westdeutsche Demokratisierung 1945-1955, München 2014.
[9] Vgl. die bei Detlef Junker entstandene Dissertation: Matthias Molt, Von der Wehrmacht zur Bundeswehr. Personelle Kontinuität und Diskontinuität beim Aufbau der Deutschen Streitkräfte 1955-1966, Diss. Universität Heidelberg 2007, S. 631.
[10] Zehn der Offiziere, die bei der Aufstellung der Streitkräfte über 50 Jahre alt waren, erreichten den Dienstgrad eines Generalmajors bzw. Konteradmirals, vier wurden Brigadegenerale, drei Oberst bzw. Kapitän zur See. Offiziere, die 1955/56 zwischen 46 und 50 Jahren alt waren, hatten ebenfalls gute Karriereaussichten. Von den sechzehn Offizieren wurde einer General (Kielmansegg) und einer Generalleutnant, zwei wurden Vizeadmirale, fünf Generalmajore und sechs Brigadegenerale. Wer 45 Jahre alt war oder jünger, konnte ebenfalls nicht klagen: Drei Generale (de Maizière, Brennecke, Ferber), zwei Generalleutnante, vier Generalmajore und (nur) zwei Brigadegenerale und Oberste gingen aus diesem Jahrgang hervor. Die Angaben nach Dieter Krüger, Das Amt Blank. Die schwierige Gründung des Bundesministeriums für Verteidigung, Freiburg/Breisgau 1993, S. 174 f.
[11] Zu diesem Urteil gelangt auch Krüger, Amt Blank, S. 181.
[12] Vgl. Georg Meyer, Zu Fragen der personellen Auswahl bei der Vorbereitung eines westdeutschen Verteidigungsbeitrages (1950-1956), in: Das deutsche Offizierkorps 1860-1960. Büdinger Vorträge 1977, in Zusammenarbeit mit dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt hg. v. Hanns Hubert Hofmann, Boppard 1980 (= Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit, 11), S. 351-365; Hans-Jürgen Rautenberg, Zur Standortbestimmung für künftige deutsche Streitkräfte, in: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956, Bd. 1: Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan, München 1982, S. 767-879, 795; Detlef Bald, Johannes Klotz und Wolfram Wette, Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege, Berlin 2001; Ulrich de Maizière, Die Bundeswehr – Neuschöpfung oder Fortsetzung der Wehrmacht?, in: Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann (Hg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, S. 1171–1183; Molt, Von der Wehrmacht zur Bundeswehr, S. 153-172; Reinhard Stumpf, Die Wiederverwendung von Generalen und die Neubildung militärischer Eliten in Deutschland und Österreich nach 1945, in: Klaus-Jürgen Bremm, Hans-Hubertus Mack und Martin Rink (Hg.), Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr, 1955 bis 2005, Freiburg/Breisgau 2005, S. 73-96. Der Ausschuss beschränkte sich auf Soldaten; Beamte konnten ohne Überprüfung eingestellt werden.
[13] Georg Meyer, Soldaten wie andere auch? Zur Einstellung ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS in die Bundeswehr, in: Festgabe. Heinz Hürten zum 60. Geburtstag, hg. v. Harald Dickerhof, Frankfurt/Main 1988, S. 545-594.
[14] Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland und Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR, Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West). Staat, Wirtschaft, Verwaltung, Armee, Justiz, Wissenschaft, 3. Aufl. Berlin 1968 [1965]; Norbert Podewin (Hg.), Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West). Staat, Wirtschaft, Verwaltung, Armee, Justiz, Wissenschaft, Berlin 2002 (Reprint der 3. Aufl. v. 1968).
[15] Georg Meyer, Adolf Heusinger. Dienst eines deutschen Soldaten 1915 bis 1964, Hamburg 2001. Vgl. zeitgenössisch auch: „Personalgutachterausschuß“, Der Spiegel, Nr. 26/1957 vom 26. Juni 1957, S. 13.
[16] Vgl. Agilolf Keßelring, Die Organisation Gehlen und die Verteidigung Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen und neue Militärstrukturen, 1949-1953, Marburg 2014.
[17] Vgl. Helmut R. Hammerich und Rudolf J. Schlaffer (Hg.), Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biografien, München 2011. Die Beiträge nehmen nicht nur erfolgreiche ältere Spitzenmilitärs wie Kammhuber, de Maizière, Röttiger und Zenker ins Visier, sondern auch junge Wehrpflichtige und ehemalige Wehrmachtsoldaten, die in der Bundeswehr auf Probleme stießen. Vgl. auch Klaus Naumann, Generale in der Demokratie. Generationsgeschichtliche Studien zur Bundeswehrelite, Hamburg 2007.
[18] Vgl. Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010; Manfred Görtemaker und Christoph Safferling (Hg.), Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit. Eine Bestandsaufnahme, Göttingen 2013.
[19] Vgl. Karl Feldmeyer und Georg Meyer, Johann Adolf Graf von Kielmansegg 1906-2006. Deutscher Patriot, Europäer, Atlantiker, Hamburg 2007; John Zimmermann, Ulrich de Maizière. General der Bonner Republik. 1912 bis 2006, München 2012; Rudolf J. Schlaffer und Wolfgang Schmidt (Hg.), Wolf Graf von Baudissin 1907–1993. Modernisierer zwischen totalitärer Herrschaft und freiheitlicher Ordnung, München 2007.
[20] Vgl. Horst Möller und Udo Wengst (Hg.), 50 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Eine Bilanz, München 1999.
[21] BArch-MA BW 2/1051 (Meier-Welcker an Ltr Abt. IV, Bonn, 7.1.1957).
[22] Norbert Wiggershaus, Die amtliche Militärgeschichtsforschung in der Dienststelle Blank und im Bundesministerium für Verteidigung 1952 bis 1956. Vorstellungen und Planung, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 20 (1976), S. 115-121; Krüger, Das Amt Blank. Spätestens ab 1953 arbeitete man mit der Gesellschaft für Wehrkunde zusammen, um einerseits die Expertise der Ehemaligen zu nutzen und andererseits Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben; BArch-MA BW 9/770.
[23] VMBl Nr. 4, 1958, Ausgabe A, S. 50. August 1958. Zur Aufbauphase 1959-1964 vgl. BArch-MA BW 2/55.
[24] BArch-MA N 241/85 (Schreiben Meier-Welcker an Wolfgang Foerster, Bonn, 28.1.1957). Unter Foersters Leitung waren 1956 der 13. und 14. Band des Weltkriegswerkes 1914-1918 abgeschlossen worden; Der Weltkrieg 1914 bis 1918, Bde. 1-9, hg. vom Reichsarchiv und Bde. 10-12 hg. von der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres, Berlin 1925–1943, Bde. 14-15 hg. vom Bundesarchiv, Koblenz 1956.
[25] Vgl. Jörg Echternkamp, Staat, Volk und Militär bei Ernst Rudolf Huber. Vom Primat der Wehrverfassung zur „völkischen Wehrgemeinschaft“, in: Ewald Grothe (Hg.), Ernst Rudolf Huber, vorauss. 2015.
[26] Oestreich (1910-1978) war 1935 bei Hartung in Berlin promoviert worden, hatte in den folgenden vier Jahren mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Herausgabe der Scharnhorst-Briefe gearbeitet und war als Assistent am Wehrpolitischen Institut der Berliner Universität tätig gewesen.
[27] BArch-MA BW 2/1051 (G. Oestreich an Meier-Welcker, Berlin, 24.4.1955; Meier-Welcker an G. Oestreich, Bonn, 15.6.1955) Gemeint war der Aufsatz Vom Wesen der Wehrgeschichte, in: Historische Zeitschrift 162 (1940), S. 231-257.
[28] Rainer Wohlfeil, Oberst i.G. Dr. Hans Meier-Welcker als Militärhistoriker, in: Hans Ehlert (Hg.), Deutsche Militärhistoriker von Hans Delbrück bis Andreas Hillgruber, Potsdam 2010, S. 33-52, hier S. 38.
[29] Ursula von Gersdorff, Das Militärgeschichtliche Forschungsamt, in: Truppenpraxis (1960), H. 1, S. 1-3, 3.
[30] BArch-MA BW 2/1051.
[31] Die erste Lieferung des Projekts unter der Leitung und Gesamtredaktion von Gerhard Papke und Wolfgang Petter erschien 1964, die letzte Lieferung 1979.
[32] Vgl. Gerhard Papke, Die Aufgaben des Militärgeschichtliche Forschungsamtes. Probleme militär- und kriegsgeschichtlicher Forschung, in: Wehrkunde (1961), H. 12, S. 642-645; Ursula von Gersdorff, Das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Freiburg im Breisgau (Stand Oktober 1969), in: Jahresbibliographie 1968. Bibliothek für Zeitgeschichte 40 (1968), S. 321-335. Anstelle der bibliographischen Einzelnachweise siehe das Publikationsverzeichnis des MGFA: http://www.mgfa.de/download/Gesamtverzeichnis_2009.pdf?PHPSESSID=f846829b7cc3342ba7da0bbcd7625f41.
[33] Gersdorff, Das Militärgeschichtliche Forschungsamt.
[34] BArch-MA, BW2/10257.
[35] Militärgeschichtliches Forschungsamt 1957-1967, Typoskript Freiburg/Breisgau 1967, S. 10, Herv. i. O.
[36] BArch-MA BW 2/1419 (Fü B III 4 an MGFA, 20.7.1959). So legte der Generalinspekteur beispielsweise für die Jahre 1963 bis 1965 drei Schwerpunkte fest: Vorarbeiten für die Gesamtdarstellung des Zweiten Weltkriegs, Handbuch der Militärgeschichte und – mit höchster Priorität – die Studie „Entwicklung der sowjetischen Führungsweise im zweiten Weltkrieg“. BArch-MA N 241/88 (Weisung Nr. 2 für MGFA, April 1963).
[37] BArch-MA N 241/86 (Fü B III 4 an MGFA, 8.6.1960).
[38] BArch-MA N 241/86 (Fü B III 4 an Meier-Welcker, 8.6.1960).
[39] BArch-MA N 241/86 (Meier-Welcker an Generalinspekteur, 14.6.1960).
[40] BArch-MA N 241/85 (de Maizière an Meier-Welcker, Hannover-Bothfeld, 10.11.1958).
[41] Das Militärgeschichtliche Forschungsamt, Freiburg/Breisgau 1988, S. 90.
[42] Volker Berghahn, Das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Freiburg, in: Geschichte und Gesellschaft 14 (1988), H. 2, S. 269-274, 270.
[43] Militärgeschichtliches Forschungsamt 1957-1967, S. 29.
[44] Vgl. Rainer Wohlfeil, Oberst i.G. Dr. Hans Meier-Welcker als Militärhistoriker, in: Ehlert, Deutsche Militärhistoriker, S. 33-52.
[45] Rothfels, der wegen seiner jüdischen Herkunft seinen Königsberger Lehrstuhl verloren hatte und 1939 ins Exil gegangen war, lehrte nach der Rückkehr aus den USA ab 1951 in Tübingen. Der Zeithistoriker, der 1953 seine bis heute nachwirkende Konzeption von Zeitgeschichte präsentierte und von 1958 bis 1962 dem Historikerverband vorstand, war in den 1950er und 1960er Jahren eine Integrationsfigur der westdeutschen Geschichtswissenschaft. Mittlerweile ist er wegen seiner antidemokratischen Einstellung in der Weimarer Zeit umstritten; vgl. Jan Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005; zur Diskussion: Johannes Hürter und Hans Woller (Hg.), Hans Rothfels und die deutsche Zeitgeschichte, München 2005.
[46] BArch-MA N 241/84 (Schreiben Ulrich de Maizière an Meier-Welcker, Bonn, 8.3.1952).
[47] Hans Meier-Welcker, Aus dem Briefwechsel zweier junger Offiziere des Reichsheeres 1930–1938, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 13 (1973), H. 2, S. 57-100, S. 87 (2.7.1933). Wenig später hieß es: „Wir können erst unsere inneren Möglichkeiten in Europa entfalten, wenn wir als ein Herrenvolk empfunden und geachtet werden“, wovon man noch weit entfernt sei; S. 90 (9.12.1933); vgl. auch ebd., S. 93 (14.1.1934). Meier-Welcker sprach auch von zensurbedingten Schutzbehauptungen (S. 66). Zur Kriegszeit vgl. ders., Aufzeichnungen eines Generalstabsoffiziers 1939–1942,. Freiburg/Breisgau 1982.
[48] Jens Westemeier, Himmlers Krieger. Joachim Peiper und die Waffen-SS in Krieg und Nachkriegszeit, Paderborn 2014, S. 569 (den Hinweis verdanke ich Markus Pöhlmann). Klink war in den 1960er Jahren mit Peiper befreundet, der zunächst Himmlers Adjutant, dann Regimentskommandeur in der 1. SS-Panzerdivision „Leibstandarte Adolf Hitler“ gewesen und wegen des Massakers von Malmedy zum Tode verurteilt worden war. Nach seiner vorzeitigen Entlassung 1956 arbeitete Peiper zunächst bei Porsche.
[49] Elble war 1934 in die Reichswehr eingetreten, war im Krieg Kompaniechef und Bataillonsführer (Inf.), 1944 an der Kriegsakademie und wurde nach seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft 1951 bis 1956 Offizier im Bundesgrenzschutz, dann Oberstleutnant der Bundeswehr. Nach einer Lehrtätigkeit an einer Offizierschule und Verwendungen in NATO-Stäben wurde 1964 der Abteilungsleiter und Fachleiter Heer am MGFA; 1970 wurde er in Freiburg promoviert.
[50] Vgl. Reiner Pommerin, Der erste Leitende Historiker des MGFA. Zur Erinnerung an Andreas Hillgruber, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 64 (2005), S. 210-216; und Jost Dülffer, Andreas Hillgruber. Deutsche Großmacht, NS-Verbrechen und Staatensystem, in: Ehlert, Deutsche Militärhistoriker, S. 69–84.
[51] BARch-MA BW 2/14185.
[52] Vgl. Manfred Messerschmidt, Meine Erfahrungen als Soldat 1944/45, in: ders., Militarisierung, Vernichtungskrieg, Geschichtspolitik. Zur deutschen Militär- und Rechtsgeschichte, hg. von Hans Ehlert, Arnim Lang und Bernd Wegner, Paderborn 2006, S. 383-394.
[53] Karl Carstens, Militärpolitik und Militärgeschichte, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 12 (1967), H. 2, S. 5-13, 9.
[54] Ebd., S. 9.
[55] Ebd., S. 14.
[56] Hans Meier-Welcker, Über die Kriegsgeschichte als Wissenschaft und Lehre, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 5 (1955), H. 1, S. 1-8, 3. Die Wehrwissenschaftliche Rundschau wurde seit 1957 vom Arbeitskreis für Wehrforschung herausgegeben.
[57] Carstens, Militärpolitik, S. 13
[58] Ebd., S. 10.
[59] Neil Gregor, History to Order? Commissioned Research, Contained Pluralism and the Limits of Criticism, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2012; ders., Neil Gregor, Wissenschaft, Politik, Hegemonie. Überlegungen zum jüngsten Boom der NS-Unternehmensgeschichte, in: Norbert Frei und Tim Schanetzky (Hg.), Unternehmen im Nationalsozialismus. Zur Historisierung einer Forschungskonjunktur, Göttingen 2010, S. 79-93.
[60] Georg Franz-Willing, Entstehung und Frühgeschichte der Hitlerbewegung 1919-1925. 3 Bde., Preußisch Oldendorf 1974-1977; dazu Hellmuth Auerbach, Hitlers politische Lehrjahre und die Münchener Gesellschaft 1919-1923. Versuch einer Bilanz anhand der neueren Forschung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1977), H. 1, S.1-45, 11.
[61] Vgl. Fabian Virchow, Gegen den Zivilismus. Internationale Beziehungen und Militär in den politischen Konzeptionen der extremen Rechten, Wiesbaden 2006, S. 417-423, 423.
[62] Hartmut Schustereit, Vabanque. Hitlers Angriff auf die Sowjetunion 1941 als Versuch, durch den Sieg im Osten den Westen zu bezwingen, Herford 1988.
[63] Der Bundesminister der Verteidigung, Informations- und Pressestab, Mitteilung an die Presse, 6.4.1984.
[64] Hans-Ulrich Wehler, Entsorgung der deutschen Vergangenheit? Ein polemischer Essay zum „Historikerstreit“, München 1988, S. 193-195, Zitate S. 191 f., 195 f.
[65] Wolfram Wette, Gustav Noske. Eine politische Biographie, Düsseldorf 1987, S. 8. Den Pluralismus betonte Roth auch in der Festschrift zum 30-jährigen Bestehen des Amtes: Da es das Geschichtsbild der Bundesrepublik nicht gebe, vermittele das MGFA auch nicht „eine Botschaft“, sondern liefere, ausgehend von der Perspektivität historischer Erkenntnisse, auch konkurrierende Thesen, damit der Leser ein eigenes Urteil fällen könne. Günter Roth, Zur Bedeutung der Geschichte und zum Selbstverständnis des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, in: Das Militärgeschichtliche Forschungsamt, Freiburg/Breisgau 1988, S. 9-20, wiederabgedruckt in: ders., Politik und militärische Macht, Potsdam 1995, S. 3-11, 7. „Einer muß der Bluthund werden“, Der Spiegel, Nr. 13/1988 vom 23. März 1988, S. 77-86, 79, dort das Zitat von Winkler.
[66] „Ausländische Historiker werden auch beim besten Willen nicht in jeder Hinsicht unserer besonderen Lage gerecht werden können.“ Carstens, Militärpolitik, S. 10 f.
[67] Vgl. zeitgenössisch etwa: Andreas Hillgruber und Hans-Adolf Jacobsen, Der „Große Vaterländische Krieg“. Sowjetkommunistische Geschichtsschreibung 1945-1961, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 12 (1962), Nr. B 5/1962, S. 29-40; dies., Sowjet-Kommunistische Kriegsgeschichtsschreibung. Axiome - Methoden - Wert - Tendenzen, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 11 (1962), H. 10, S. 545-556, 556: Für die Historiker des Ostblocks sei Geschichte „ein Instrument des Hasses und der unversöhnlichen Feindschaft, die den sowjetkommunistischen Historiker zwingt, sich selbst zum hochbezahlten Handlanger beim Aufbau des Kommunismus zu degradieren“.
[68] Carstens, Militärpolitik, S. 13.
[69] BArch-MA BW N 241/88.
[70] Martin Kapke, Abschlußarbeit im Fernstudium Militärgeschichte an der Karl-Marx-Universität, 1968, S. 27. Vgl. auch H. Schnitter, Die amtliche militärgeschichtliche Forschung in Westdeutschland. Das „Militärgeschichtliche Forschungsamt“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 10 (1962), H. 7, S. 1669-1676; Tibor Dobias, Zur Geschichtsfälschung in der Bundeswehr, in: Zeitschrift für Militärgeschichte 2 (1963), H. 3, S. 362-371; ders., Die Rehabilitierung der faschistischen Wehrmacht und ihres Generalstabes im Geschichtsbild der Bundeswehr, in: Zeitschrift für Militärgeschichte 4 (1965), H. 6, S. 726-733.
[71] Vgl. BArch-MA, BW 2/1406, dort die Vereinbarung zwischen dem Bundesminister des Innern und dem Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen über die Betreuung von militärischem Archivgut, 1954 (Kopie).
[72] Vgl. zeitgenössisch: Hermann Teske, Zehn Jahre Militärarchiv beim Bundesarchiv. Entwicklung und Probleme, in: Wehrkunde 13 (1964), H. 1, S. 299-301; Hans Booms, Zusammenfassung des militärischen Archivgutes im Bundesarchiv, in: Der Archivar 21 (1968), H. 3, Sp. 237-240. Vgl. für den Zeitraum 1958 bis 1967 auch BArch-MA, BW 2/9313.
[73] Deutschland im zweiten Weltkrieg, 6 Bde. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wolfgang Schumann und Gerhart Hass, Berlin (DDR) 1974-1985. Etwa zur gleichen Zeit veröffentlichte der Militärverlag der DDR die deutsche Übersetzung des sowjetischen Pendants unter dem Titel Geschichte des Zweiten Weltkrieges 1939-1945 in zwölf Bänden. Herausgeberkollektiv der DDR-Ausgabe, Berlin (DDR) 1975-1985.
[74] Vgl. zuvor: Hans-Adolf Jacobsen, Zur Konzeption einer Geschichte des Zweiten Weltkrieges 1939-1945. Disposition mit kritisch ausgewähltem Schrifttum, Frankfurt/Main 1964. Das Bändchen, das als Ausweis der Wissenschaftlichkeit auch eine Übersicht über die Forschung, Akten- und Quellenbestände umfasste, hatte eine erinnerungspolitische Funktion. Es richtete sich gegen „häufig in ihrem Wert durchaus zweifelhafte Publikationen“, die in der breiten Öffentlichkeit auf Resonanz stießen, weil sie „unbewußten Wunschvorstellungen“ entsprachen, wie der Herausgeber Jürgen Rohwer als Leiter der Stuttgarter Bibliothek für Zeitgeschichte/Weltkriegsbücherei in seinem Vorwort klarstellte (S. 7) – eine Kritik vor allem an der Memoirenliteratur der Veteranen. Jacobsen zielte denn auch auf die „sinnvoller[e]“ Behandlung des Themas in der „politische[n] Pädagogik“ und im Schulunterricht (S. 9). Jacobsen kritisierte das „militärische Betrachtungsprinzip“ für die Isolierung des militärischen Geschehens (S. 17). Vgl. hier auch die Darstellung von Wilhelm Arenz, Dokumentenzentrale im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (Freiburg), in: ebd., S. 156 ff. Vgl. auch Hans-Adolf Jacobsen, The Second World War as a Problem in Historical Research, in: World Politics 16 (1964), S. 620-641. Vgl. auch Klaus-Jürgen Müller, Gedanken zum Problem einer Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 12 (1962), S. 634-736.
[75] Sven Lange, Hans Delbrück und der „Strategiestreit“. Kriegführung und Kriegsgeschichte in der Kontroverse 1879-1914, Freiburg/Breisgau 1995 (= Einzelschriften zur Militärgeschichte, 40).
[76] Vgl. als zeitgenössische Diskussionsbeiträge etwa: Rainer Wohlfeil, Wehr-, Kriegs- oder Militärgeschichte?, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1 (1967), S. 21-29; Manfred Messerschmidt (Hg.), Militärgeschichte. Probleme – Thesen – Wege, Stuttgart 1982; rückblickend: Klaus A. Maier, Überlegungen zur Zielsetzung und Methode der Militärgeschichtsschreibung im Militärgeschichtlichen Forschungsamt und die Forderung nach deren Nutzen für die Bundeswehr seit der Mitte der 70er Jahre, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 52 (1993), S. 359-370. Für die jüngere Debatte: Thomas Kühne und Benjamin Ziemann (Hg.), Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000; Echternkamp, Vogel und Schmidt, Perspektiven der Militärgeschichte.
[77] Benjamin Möckel, Erfahrungsbruch und Generationsbehauptung. Die „Kriegsjugendgeneration“ in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften, Göttingen 2014, S. 14.
[78] Vgl. auch Jost Dülffer, Politische Geschichtsschreibung der „45er-Generation“. Von der Militärgeschichte des Zweiten Weltkriegs zur kritischen Zeitgeschichte (1950-1970), in: Geschichtswissenschaft im Geist der Demokratie. Wolfgang J. Mommsen und seine Generation, Berlin 2010, S. 45-60.
[79] Nicht zufällig stellte Der Spiegel 1976 fest, dass „eine Gruppe jüngerer Historiker“ die apologetischen Thesen ehemaliger Wehrmachtoffiziere, in deren Augen Hitler - und nicht die Generalität - die Katastrophe von Stalingrad zu verantworten habe, „drastisch revidiert“ habe. Dazu zählte Der Spiegel den 30-jährigen „Bundeswehr-Oberleutnant“ Hans-Heinrich Wilhelm und den „Bundeswehr-Oberleutnant Manfred Kehrig“. „Fremde Heere“, Der Spiegel, Nr. 7/1976 vom 9. Februar 1976, S. 60-65; „Kaukasus in der Hand“, Der Spiegel, Nr. 53/1974 vom 30. Dezember 1974, S. 24-36. Meine Hervorhebung, J.E.
[80] BArch-MA BW 2/14185 (Fü S I 7, Verfügung vom 4.12.1974). Vgl. dagegen 50 Jahre Militärgeschichtliches Forschungsamt. Eine Chronik. Hg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Bearb. v. Martin Rink, Potsdam 2007, S. 50. Zwei Drittel der Forschungskapazität galt um 1974 dem Reihenwerk Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg und ergänzenden Monografien. Für ein Viertel der wissenschaftlichen Mitarbeiter stand die Entstehungsgeschichte der Bundeswehr im Mittelpunkt ihrer Arbeit.
[81] Zu dieser Einschätzung gelangt Rolf-Dieter Müller, „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“. Konzeption und Erfahrungen eines wissenschaftlichen Großprojekts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 56 (2008), H. 4, S. 301-326, 28. Der Herausgeberschaft wurde erstmals in den Bänden 8, 9 und 10 durch die namentliche Nennung des Herausgebers Rechnung getragen.
[82] Karl-Heinz Janßen, Grauzone des Gewissens, Die Zeit, Nr. 47/1979 vom 16. November 1979. Dort die folgenden Zitate.
[83] Zum amtsinternen, öffentlich gemachten Grabenkrieg um die Präventivkriegsthese vgl. Müller, „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“, S. 316 ff.
[84] Einführung des Amtschefs zur englischen Ausgabe des Weltkriegswerkes, in: Günter Roth, Politik und militärische Macht. Ausgewählte Schriften, hg. von Wedig Kolster in Verbindung mit dem MGFAmt, Potsdam 1995, S. 41-45.
[85] „Deutsche Geschichte ‚amtlich‘ gefälscht“, Deutsche Wochen-Zeitung vom 18. Januar 1985.
[86] Vgl. Nation Europa 35 (1985), H. 2, S. 21 f.
[87] „Rat an Forschungsamt: Nicht beirren lassen“, Badische Zeitung vom 26. März 1985.
[88] BArch-MA, BW 2/25508
[89] Vgl. nur Rüdiger Proske, Wider den Missbrauch der Geschichte deutscher Soldaten zu politischen Zwecken, Mainz 1996; ders, Wider den liederlichen Umgang mit der Wahrheit, Mainz 1999.
[90] Janßen, Grauzone des Gewissens. Der historischen Auftragsforschung wurde eine friedenspolitische Aufklärungsfunktion zugeschrieben: „Auf daß es nie wieder geschehe – stellt dieses Buch und die hoffentlich bald folgenden Bände in jede Bibliothek, gebt sie jedem Offiziersschüler in die Hand, lehrt jeden Soldaten, was es aus dieser Geschichte zu lernen gibt!“.
[91] Hans Umbreit, Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei und Polens, Stuttgart 1977 (= Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte, 18). Vgl. für die Besatzungsherrschaft in Frankreich früh ders., Der Militärbefehlshaber in Frankreich 1940-1944, Boppard am Rhein 1968. Zum Gegenstand der „Wehrmachtsausstellung“ vgl. Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann (Hg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999.
[92] Skeptisch: Detlef Bald, Martin Kutz, Manfred Messerschmidt und Wolfgang Wette, Zurück, marsch, marsch!, Die Zeit, Nr. 19/1994 vom 6. Mai 1994.
[94] Vgl. nur Winfried Heinemann, Der militärische Widerstand und der Krieg, in: Jörg Echternkamp (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9/1: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939-1945. Politisierung, Vernichtung, Überleben, Stuttgart 2004, S. 743-892.
[95] „Historischer Weltanschauungskrieg“, Junge Freiheit vom 29. Februar 2008. Vgl. Wolfram Wettes Kritik an Rohde, der noch Ende der 1990er Jahre an der Legende der „sauberen Wehrmacht“ gestrickt habe, „Reibungslos umgesetzt“, Die Zeit, Nr. 4/2009 vom 15. Januar 2009.
[96] Der erste Band der neuen Reihe „Militärgeschichte seit 1945“ erschien 1975. Eine Gesamtschau bis Ende der 1950er Jahre bot: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, 4 Bde., München 1982-1996. Vgl. u.a. zur Kommission Entstehungsgeschichte der Bundeswehr: BArch-MA, BW 2/31413.
[97] Winfried Heinemann, Militär und Tradition, in: Handbuch Militär und Sozialwissenschaft, hg. v. Sven B. Gareis u. Paul Klein, 2. Aufl. Wiesbaden 2006, S. 449-458.
[98] Zitiert nach Rudolf Schlaffer, Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages: Aus Sorge um den Soldaten, München 2006, S. 45 f.
[99] Schlaffer, Der Aufbau der Bundeswehr, S. 337. Zu den Anfängen vgl. Frank Nägler, Der gewollte Soldat und sein Wandel. Personelle Rüstung und Innere Führung in den Aufbaujahren der Bundeswehr 1956 bis 1964/65. München 2009 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 9).
[100] Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 347.
[101] Friedrich Forstmeier, Kritische Forschung im Bereich der Militär- und Kriegsgeschichte, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 11 (1962), H. 6, S. 303-312, 312. „Unserem im Laufe seiner Geschichte so schwer geprüften Volk muß zugemutet werden können, die Taten seiner Vorfahren mit gereiftem Verständnis zu betrachten. So wenig, wie es nach 1945 angebracht war, in das Extrem zerknirschter Selbstanklage zu verfallen und den geschichtlichen Weg des deutschen Volkes als einen einzigen Irrweg darzustellen, genau so wenig geht es an, daß ein Volk wie ein unmündiges Kind mit pseudohistorischen Legenden gefüttert wird, damit es ‚moralisch stark‘ sei und dem äußeren Feind widerstehen könne“, ebd., S. 311.
[102] Vgl. zuletzt Rüdiger Wenzke, Ulbrichts Soldaten, Berlin 2014, S. 379-410.
[103] Hans Apel, Der Abstieg. Politisches Tagebuch eines Jahrzehnts, 4. Aufl. Stuttgart 1990, S. 221.
[104] 1974 war die Vorläufereinrichtung, das Wissenschaftliche Institut für Erziehung und Bildung in den Streitkräften (WInstEBSK), in Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr (SOWI) umbenannt worden. Beratung des Ministers durch empirische Sozialforschung lautete fortan der Auftrag.
[105] Apel, Abstieg, S. 101.
[106] Vgl. Detlev Bald, Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955-2005, München 2005, S. 60-69, 116-121.
[107] Manfred Messerschmidt, Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 31 (1981), Nr. B 17/81, S. 11-23, 22. Dagegen: Rolf Elble, Die Wehrmacht – stählerner Garant des NS-Systems? Stellungnahme zu dem Aufsatz von Manfred Messserschmidt in B 17/81, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 31 (1981), Nr. B 34/81, S. 37-42; Messerschmidt, Ein Nachwort zum Beitrag in B 17/81, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 31 (1981), Nr. B 34/81, S. 43-45. Messserschmidt, Die Militärs im NS-Staat. Kein gültiges Erbe, Süddeutsche Zeitung vom 21./22. Februar 1981, S. 9.
[108] BArch-MA, BW2/25510 (Schreiben an den Generalinspekteur, 8.3.1981). Zur öffentlichen Debatte vgl. etwa Karl-Heinz Hansen, Soldaten und Demokraten, Der Spiegel, Nr. 28/1980 vom 7. Juli 1980, S. 38 f.; „Das Kreuz mit der Tradition“, Der Stern vom 15. Januar 1981, S. 63-66.
[109] BArch-MA, BW2/25510 (Schreiben an die Süddeutsche Zeitung, 9.3.1983)
[110] Vgl. nur den Bericht des MGFA-Mitarbeiters Volkmar Regling über den 7. Lehrgang für Lehrer für Militär- und Kriegsgeschichte (MKG) im Juni 1965: Militär- und Kriegsgeschichte, in: Truppenpraxis (1966), S. 324. Vgl. BArch-MA, BW 2/25511 (1978-1987).
[111] Dazu gehörte ab 1969 auch die museale Präsentation von Militärgeschichte, nachdem das MGFA das ehemalige Badische Armeemuseum in Rastatt übernommen hatte.
[112] Günter Roth, Zur Bedeutung der Geschichte und zum Selbstverständnis des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, in: Das Militärgeschichtliche Forschungsamt, Freiburg/Breisgau 1988, S. 9-20, wiederabgedruckt in: ders., Politik und Militärische Macht, Potsdam 1995, S. 3-11; Zitat S. 7.
[113] Vgl. Echternkamp, Wandel durch Annäherung.
[114] Rainer Blasius, Getrennt marschieren, vereint schreiben, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. September 2007.