Die Einschätzung der Rolle der christlichen Kirchen in der NS-Zeit hat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Nach 1945 galten beide großen Kirchen zunächst als Institutionen, die die NS-Zeit organisatorisch und moralisch weitgehend integer überstanden hatten. Sowohl in der Selbstwahrnehmung als auch in der Erinnerungskultur des westlichen Nachkriegsdeutschlands erschienen beide – jeweils auf spezifische Weise – als Repräsentanten eines „anderen Deutschland“, das Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hatte. Heute ist die Einschätzung sehr viel differenzierter. Mitglieder der Katholischen und Evangelischen Kirche gelten nicht mehr nur als Protagonisten von Resistenz, Protest und Widerstand. Zur Geschichte der christlichen Konfessionen und ihrer Institutionen gehören auch Anpassung und Mittäterschaft im „Dritten Reich“.[1] In der Forschungsentwicklung spielten die zeithistorischen Kommissionen, die die Evangelische Kirche 1955 und die Katholische Kirche 1962 einrichteten, eine wichtige Rolle. Über Jahrzehnte prägten sie die historiografische Forschungslandschaft in erheblichem Maße mit und waren zentrale Akteure in den Deutungskämpfen um die Erinnerung und die „richtige“ Darstellung der Rolle der Kirchen in der NS-Zeit.
Dieser Beitrag zielt nicht darauf, die nach wie vor umstrittene Rolle der Kirchen im „Dritten Reich“ zu bestimmen und die Reichweite der Verstrickung der Kirchen in die Unrechts- und Verbrechensgeschichte des Nationalsozialismus auszuloten.[2] Sie ist innerhalb der kircheninternen und -externen sowie konfessionsgebundenen und -ungebundenen Geschichtsforschung nach wie vor umstritten. Es kann auch nicht darum gehen, einen vollständigen Überblick über die umfangreichen Forschungen zu geben, die die beiden konfessionellen Forschungskommissionen in den vergangenen rund 60 Jahren durchgeführt haben. Der Beitrag konzentriert sich vielmehr auf die Frage, welche geschichtspolitischen Interessen und Organisationsstrukturen diese Kommissionen hatten und inwiefern sie ihre Arbeit und damit ihre Rolle in der historischen und erinnerungskulturellen Debatte prägten.
Dabei widmet sich dieser Beitrag der evangelischen und der katholischen Seite in getrennten Abschnitten. Er folgt damit der Geschichte der beiden Kommissionen, deren Arbeit von Anfang an konfessionell gebunden war. Dass die Auseinandersetzung der christlichen Kirchen mit ihrer NS-Vergangenheit sowie die Erforschung letzterer konfessionell getrennt erfolgte, erklärt sich vor allem daraus, dass die Wechselwirkungen zwischen Kirchenverständnis, Erinnerungskultur und kirchlicher Zeitgeschichtsschreibung jeweils als so konfessionsspezifisch wahrgenommen wurden, dass eine Zusammenarbeit nicht möglich und sinnvoll erschien. Auf beiden Seiten gab es deshalb noch bis in die 1990er Jahre große Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit.
1. Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der Evangelischen Kirche
1.1 Deutungskämpfe der Erlebnisgeneration – Die erste Phase von der Gründung der Kirchenkampfkommission bis Ende der 1960er Jahre
Die Auseinandersetzung der Evangelischen Kirche mit der eigenen Rolle in der NS-Zeit begann unmittelbar nach dem Kriegsende 1945. Im Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945 findet sich der Satz: „Durch uns ist unendliches Leid über Länder und Völker gebracht worden.“ Die daran anschließende Selbstanklage, dass man „nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt“ habe, galt den Zeitgenossen als ein weitgehendes Schuldbekenntnis. Von ausländischen Kirchenvertretern, die ein Zeichen des Entgegenkommens von deutscher Seite erwarteten, wurde das Stuttgarter Schuldbekenntnis als eine Anerkennung von (Mit-)Schuld an Krieg und Verbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft interpretiert und öffnete die Türen für eine Rückkehr in die internationale ökumenische Gemeinschaft. Die Stuttgarter Formulierungen waren allerdings vage, insbesondere im Hinblick auf die Verbrechen an den europäischen Juden. Und sie implizierten das Bild einer Kirche im Widerstand, die eben nur nicht genug getan hatte.[3]
Dies entsprach dem Geschichtsbild weiter Teile der Evangelischen Kirche und der Gesellschaft, das sich unter dem Leitbegriff „Kirchenkampf“ zusammenfassen lässt.[4] Ursprünglich eine Selbstbezeichnung der Akteure aus den 1930er Jahren, wurde der „Kirchenkampf“ nach 1945 rasch zu einem Epochenbegriff für die gesamte NS-Zeit. Was damit genau gemeint war, blieb allerdings unscharf. Einerseits ging es um den „Kampf“ der protestantischen Kirche(n) gegen die totalitären Übergriffe der NS-Diktatur. Insbesondere zeitgenössische angloamerikanische Autoren wie etwa A. S. Ducan Jones[5] deuteten den Begriff als „Kampf zwischen Kirche und Staat, zwischen Gut und Böse, zwischen ‚Bekennender Kirche‘ und braunem Terror“.[6] Allerdings verstanden deutsche Verfasser aus dem evangelischen Spektrum unter „Kirchenkampf“ nicht in erster Linie die Auseinandersetzung der Kirche mit Ideologie und Herrschaftspraxis des Nationalsozialismus, sondern den von politischen Impulsen im „Dritten Reich“ ausgelösten Konflikt innerhalb der protestantischen Kirche(n).[7] Hierbei ging es nicht nur um die Auseinandersetzung zwischen den nationalsozialistischen Deutschen Christen und Gruppen, die sich der NS-Ideologie und der Gleichschaltung im „Dritten Reich“ entzogen beziehungsweise widersetzt hatten. Auch unter den widerständigen Gruppierungen gab es tiefgreifende Spannungen. Die Auseinandersetzungen zwischen diesen Gruppen setzten sich nach Kriegsende im Kampf um die historische Deutungsvormacht fort und prägten die innerkirchliche Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit bis weit in die 1960er Jahre.[8]
Der radikale Flügel der Bekennenden Kirche war der Überzeugung, dass er sich als Einziger aus bestehenden Organisationsstrukturen des NS-Staats gelöst hatte und damit moralisch und institutionell als „Sieger“ aus der Geschichte hervorgegangen war.[9] Dies stellten vor allem Vertreter der drei lutherischen Landeskirchen in Bayern, Württemberg und Hannover infrage, die für sich in Anspruch nahmen, während der NS-Zeit ihre institutionelle Integrität bewahrt und dennoch der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik Widerstand geleistet zu haben. In den Augen der lutherischen Kirchen war die Bekennende Kirche eine Kraft gewesen, die nicht rechtsförmig zustande gekommen war und mit ihrem organisatorischen Eigenweg kirchliche Strukturen letztlich gefährdet und zerstört hatte.[10] Neben diesen beiden Fraktionen gab es als dritte Gruppe die „konsistorialen Praktiker“, die während der NS-Zeit trotz Gleichschaltung ihrer Kirchen auf ihrem Platz geblieben waren.[11] Mit dem Leiter der Kirchenkanzlei, Heinz Brunotte, konnte sich auch diese Gruppe nach 1945 auf einen einflussreichen Vertreter in der EKD, der Evangelische Kirche in Deutschland, stützen, der sich an den Deutungskämpfen um die Rolle der Kirche im „Dritten Reich“ intensiv beteiligte und bei der Institutionalisierung kirchlicher Zeitgeschichtsforschung eine federführende Rolle spielte.
Wahlkampf der Deutschen Christen anlässlich der Kirchenwahl am 23. Juli 1933 in der Marienkirche am Neuen Markt in Berlin-Mitte. Die bereits im Vorjahr gegründete Kirchenpartei, die unter anderem für den Ausschluss von Christen jüdischer Herkunft sowie ein Verbot von Eheschließungen zwischen „Deutschen“ und „Juden“ eintrat und eine nach dem Führerprinzip organisierte „Reichskirche“ anstrebte, errang im Wahljahr 1933 in fast allen Landeskirchen eine Zweidrittel-Mehrheit. Die dem Nationalsozialismus nahestehende Vereinigung zerfiel in den Jahren darauf in Flügelkämpfen und büßte die Zustimmung vieler Gläubiger ein.
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-H00455, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Die „Kirchenkampf“-Debatte war nach 1945 zunächst ein kirchlicher Binnendiskurs, den fast ausschließlich ehemalige Beteiligte führten. Akteure waren vor allem Theologieprofessoren, Kirchenführer und Kirchenarchivare, Bekenntnispfarrer und andere involvierte Zeitzeugen aus dem Protestantismus.[12] Sie stellten umfangreiche Materialsammlungen zum Thema „Kirchenkampf“ zusammen und veröffentlichten Darstellungen, die vorwiegend auf persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen beruhten.
Jede Erinnerungsgemeinschaft legte dabei Wert darauf, dass ihre Rolle während der NS-Zeit durch Quellensammlungen und Darstellungen gewürdigt wurde, nicht zuletzt um daraus Legitimität für eine künftige Führungsposition in der Kirche und auch in der deutschen Nachkriegsgesellschaft abzuleiten. Einer der einflussreichsten Vertreter dieser Erinnerungspolitik im Sinne der Bekennenden Kirche war Wilhelm Niemöller (1898-1983).[13] Der Bielefelder Pfarrer und jüngere Bruder des Bekenntnispfarrers Martin Niemöller (1892-1984) trug durch die gezielte Sammlung von Dokumenten aus dem Umfeld der Bekennenden Kirche und durch Editionen und Publikationen wesentlich zur Etablierung einer Widerstandsidentität im zeithistorischen Selbstverständnis der Evangelischen Kirche bei. Er pflegte dabei eine familiennahe Hagiografie des radikalen Flügels der Bekennenden Kirche. Diese Sichtweise setzte sich im Laufe der 1950er Jahre als dominante Erzählung über die Geschichte der Evangelischen Kirche im „Dritten Reich“ insgesamt durch und prägte auch wesentlich das Bild vom Widerstand der Kirchen im kollektiven Gedächtnis der Nachkriegszeit.
Die Einrichtung einer kirchlichen Forschungskommission hing eng mit der Institutionalisierung der zeithistorischen Forschung außerhalb der Universitäten in der frühen Bundesrepublik zusammen. Nachdem 1949 in München ein Institut zur Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus – das spätere Institut für Zeitgeschichte – gegründet worden war, sollte dort auch die Rolle der Kirchen im „Dritten Reich“ untersucht werden.[14] Das Bundesinnenministerium hatte dafür zwei Mitarbeiterstellen vorgesehen, die von den Kirchen selbst besetzt werden sollten.[15] Während auf katholischer Seite der Kirchenhistoriker Bernhard Stasiewski bald die Arbeit aufnahm, scheiterte eine Besetzung auf evangelischer Seite an Fragen der erinnerungspolitischen Ausrichtung des Forschers. Nach langen internen Konflikten einigte man sich darauf, dass die EKD eine eigene Kommission zur Koordination der Forschungsarbeit gründen sollte. In dieser Kommission zur Geschichte des Kirchenkampfes, die im April 1955 vom Rat der EKD eingesetzt wurde, waren alle konkurrierenden erinnerungspolitischen Fraktionen vertreten. Vorsitzender wurde als Kompromisskandidat der Hamburger Patristiker Kurt Dietrich Schmidt, der 1934 bis 1936 eine Quellensammlung zum „Kirchenkampf“ herausgegeben hatte,[16] jedoch nach 1936 kaum mehr zu zeithistorischen Fragen hervorgetreten und auch nicht Mitglied der Bekennenden Kirche gewesen war.
Die Arbeit der Kirchenkampfkommission zielte zunächst vor allem auf eine Dokumentation des „Kirchenkampfs“ der Evangelischen Kirche im „Dritten Reich“. Entsprechend ging es primär darum, Quellen aus Privatbesitz zu sammeln, Zeitzeugeninterviews zu führen, eine Bibliografie aus zeitgenössischem Schriftgut und Sekundärliteratur zu erstellen und entsprechende Aktivitäten auch auf landeskirchlicher und regionaler Ebene zu initiieren. Erst in zweiter Linie sollten analytische Studien angeregt werden.[17] Im Auftrag der Kirchenkampfkommission begann Otto Diehn, Theologe und Doktorand des Kommissionsvorsitzenden Schmidt, mit der eigentlichen Forschungsarbeit.[18] Eine Gesamtdarstellung zur Evangelischen Kirche im „Dritten Reich“, die auf der Stelle im Institut für Zeitgeschichte ursprünglich erarbeitet werden hätte sollen, hat Diehn nicht geschrieben.[19] Er erstellte vielmehr, ganz im Sinne der Kommission, eine umfangreiche Bibliografie, die 1958 als erster Band in der neu gegründeten Buchreihe der Kommission „Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes“ publiziert wurde.
Vier Aspekte lassen sich für die erste Phase der kirchlichen Zeitgeschichtsforschung von Mitte der 1940er bis Ende der 1960er Jahre hervorheben: Erstens grenzte der erinnerungspolitische Ansatz der Kirchenkampfkommission die vormaligen Deutschen Christen und ebenso die „Neutralen“ aus, die beide in großer Zahl im Protestantismus vertreten waren und nach 1945 vielfach als Gemeindepfarrer oder in Funktionspositionen der Kirche weiterwirkten.[21] Diese großen Gruppen waren erinnerungspolitisch nicht präsent, weder in der Kirchenkampfkommission noch in den Narrativen. Dass auch die Deutschen Christen zur Geschichte des Protestantismus und der Evangelischen Kirche im „Dritten Reich“ gehört hatten, war in dieser Zeit nahezu vollständig ausgeblendet.[22] Der Fokus auf den „Kirchenkampf“ führte, wie der Berliner Historiker Manfred Gailus kritisch zuspitzte, zu einer Art „erinnerungspolitisch motivierter Exkommunizierung“[23] derjenigen, die als „völkische“ Pfarrer und als nationalsozialistische Deutsche Christen ebenfalls Teil des Protestantismus im „Dritten Reich“ gewesen waren.[24] Dass evangelische Christen und Kirchenvertreter die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 vielfach begrüßt hatten und dass es zwischen protestantischem Milieu und Nationalsozialismus nicht nur Dissens-, sondern auch breite Konsenszonen gegeben hatte, blieb im selektiven Bild vom „Kirchenkampf“ unsichtbar.[25]
Zweitens waren die Herausgeber und Autoren von Quellensammlungen und Darstellungen zur Rolle der Evangelischen Kirche in der NS-Zeit bis in die 1960er Jahre ganz überwiegend Zeitzeugen der Ereignisse: Die Erlebnisgeneration erinnerte sich und rechtfertigte ihr Handeln rückblickend. Auch die Kommission setzte sich zunächst ausschließlich aus Personen zusammen, die selbst am „Kirchenkampf“ beteiligt gewesen waren. Entsprechend beherrschte der Bezug zu den Zeitzeugen auch das Arbeitskonzept der Kommission, das vorwiegend auf die „Sicherung“ von persönlichen Erfahrungen aus der NS-Zeit hin orientiert war.
Drittens waren die Publikationen zur Geschichte des „Kirchenkampfes“ bis Ende der 1960er Jahre in der Regel stark normativ aufgeladen. Mit einer strikten Dichotomie von Gut und Böse stellten sie den Protestantismus beziehungsweise die jeweilige protestantische Erinnerungsgemeinschaft in einer Eindeutigkeit als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus dar, die keine differenzierenden Zwischentöne zuließ.[26] Dies diente vor allem einem pädagogischen Zweck: dem Beleg der Existenz eines „anderen“ Deutschlands während der NS-Zeit und der Legitimation der Kirchen für eine ethisch-moralische Führungsrolle in der Nachkriegszeit. Das Narrativ vom „Kirchenkampf“ war wohl nicht zuletzt deswegen so erfolgreich, weil es in die Rahmenbedingungen des kollektiven Gedächtnisses in Westdeutschland nach 1945 sehr gut einzupassen war. In der Gesellschaft bestand ein Bedarf zur Abwehr der Kollektivschuldthese und zur moralischen Orientierung, den die Kirchen bedienten, und auch die Alliierten suchten und fanden in der Evangelischen Kirche zeitgenössisch überzeugende Vertreter eines „anderen“ Deutschland. Die normative Ausrichtung führte allerdings auch zu einem „prekären Lavieren“ zwischen akademischem Anspruch und dezidierten Erwartungen im kirchlichen beziehungsweise gesellschaftlichen Raum.[27]
Viertens war die Arbeit der Kirchenkampfkommission bis in die 1970er Jahre hinein dominiert von einem spezifisch kirchengeschichtlichen Ansatz. Anders als die katholische kirchliche Zeitgeschichte, die schon früh Allgemeinhistoriker einband, blieb die Kirchenkampfkommission zunächst eine Sache von Theologen. Diese schotteten sich zunehmend von den Entwicklungen in der Historik ab, nicht zuletzt, weil sie die methodischen Neuansätze der Geschichtswissenschaft in Richtung einer modernen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte wegen der Ablehnung aller auf den eigenen Ethnos bezogenen theologischen Bezüge ausblendeten.[28] Vor allem aber schloss die Kirchengeschichte eine heilsgeschichtliche Grundperspektive ein, die die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit stets auch auf die Kirchengeschichte als Ganzes und auf deren theologische Deutung bezog. Das machte einen Anschluss an allgemeinhistorische Forschungsdebatten zum „Dritten Reich“ zunehmend schwieriger.
In der Bilanz lässt sich festhalten, dass die Arbeit der Kirchenkampfkommission in ihrer ersten Phase die Spannungen zwischen individueller Erinnerung, kircheninterner und öffentlicher Erinnerungspolitik sowie historisch-kritischer Aufarbeitung spiegelte und dabei wissenschaftlichen Ansätzen in der Regel keine Priorität einräumte. Der Kirchenkampfkommission ging es um die öffentlichkeitswirksame Implementierung eines bestimmten Geschichtsbildes im kulturellen Gedächtnis des Nachkriegsdeutschlands.[29] Eine wissenschaftlich-kritische Aufarbeitung hat sie in dieser ersten Phase nicht initiiert.
1.2 Von der Bekenntnisliteratur zur kritischen Aufarbeitung?[30] Die zweite Phase von Ende der 1960er bis Ende der 1980er Jahre
Ende der 1960er Jahre kam es zu einer Neuorientierung der Arbeit der Kirchenkampfkommission. Der Rat der EKD benannte die Kommission 1970 um in Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte (EvAKiZ) und trug damit Veränderungen in der personellen Zusammensetzung und im thematischen Zuschnitt Rechnung.
Impulse für die Veränderungen gingen unter anderem von Studien zur Geschichte der Evangelischen Kirche im „Dritten Reich“ aus, die außerhalb der Kirchenkampfkommission verfasst und veröffentlicht wurden und den Deutungsrahmen in mehrfacher Hinsicht erweiterten. So arbeitete etwa der Tübinger Kirchenhistoriker Klaus Scholder an einer Gesamtdarstellung, die die Geschichte beider christlicher Kirchen umfasste.[31] Nicht zuletzt hat der evangelische Theologe mit seiner Darstellung eine Debatte über das Reichskonkordat angestoßen, das 1933 die Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und dem Deutschen Reich regelte. Scholders Werk setzte zudem bereits in der Weimarer Zeit ein und stand damit auch für eine zeitliche Ausweitung der kirchlichen Zeitgeschichte über die nationalsozialistische Diktatur hinaus. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die grundlegende neue Herausforderungen für die Theologie gebracht hatte, rückte dadurch mit in den Fokus der Forschung. Schließlich war die Arbeit auch in methodischer Hinsicht neu: Scholder durchbrach erstmals die Schallmauer zwischen kircheninterner Debatte und Allgemeingeschichte. Seine Darstellung fand nicht nur in der breiten Öffentlichkeit Beachtung, sondern galt auch nach allgemeingeschichtlichen Kriterien als Standardwerk zur Geschichte der Kirchen im „Dritten Reich“ und als Auftakt für eine moderne kirchliche Zeitgeschichte.[32]
Klaus Scholder war nicht der Einzige, der neue Wege ging. So veröffentlichte etwa der Leipziger Kirchenhistoriker Kurt Meier in der DDR ein dreibändiges Werk über die Geschichte des „Kirchenkampfs“, das sich von der Dominanz der Bekennenden Kirche löste und diese neben andere theologische Strömungen einordnete.[33] Bereits 1968 hatte der kanadische Historiker John S. Conway eine umfangreiche Untersuchung zur nationalsozialistischen Kirchenpolitik verfasst und damit Motive und Funktionsweisen des Staats- und Parteiapparates in den Blick genommen.[34] In eine ähnliche Richtung wies die Forschung der Kirchenhistorikerin Leonore Siegele-Wenschkewitz, die 1974 eine Studie über die Religionspolitik der NSDAP veröffentlichte.[35]
Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte bemühte sich, Scholder und andere Forscher zu integrieren. Der 1930 geborene Scholder wurde Mitglied der Arbeitsgemeinschaft und ab 1975 bis zu seinem Tod 1985 auch deren stellvertretender Vorsitzender. Siegele-Wenschkewitz wurde ebenfalls Mitglied und stellvertretende Vorsitzende, später auch amtierende Vorsitzende. Die Einbindung von Meier gelang hingegen nicht, obwohl die Arbeitsgemeinschaft durchaus auch deutsch-deutsche Kontakte etwa zu Kurt Nowak (ebenfalls Leipzig) pflegte, etwa indem sie dessen Arbeiten in ihre Publikationsreihe aufnahm.[36]
Zwei einflussreiche Studien zur Geschichte der christlichen Kirchen in der NS-Zeit: John S. Conways Die nationalsozialistische Kirchenpolitik in der deutschen Ausgabe von 1969 und der erste Band von Klaus Scholders Die Kirchen und das Dritte Reich aus dem Jahr 1977.
Bilder: Verlag Christian Kaiser; Propyläen
Diese neuen Forschungsperspektiven sind einzuordnen in die allgemeinen Veränderungen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Gerichtsverfahren wie der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess (1958), der Eichmann-Prozess in Jerusalem (1961) und der Frankfurter Auschwitzprozess (1963-65) rückten die nationalsozialistischen Verbrechen in den 1960er Jahren zunehmend ins Licht der Öffentlichkeit, in den Medien wurde das Thema verstärkt diskutiert. Auch innerhalb der Kirche entstanden seit Ende der 1950er Jahre vergangenheitspolitische Initiativen wie beispielsweise die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, die 1958 gegründet worden war und vor allem für ihre Freiwilligendienste in denjenigen Ländern bekannt ist, die in besonderem Maße unter der NS-Herrschaft gelitten haben.[37]
Neben diesen Impulsen von außen sorgten auch innere Veränderungen für eine Neuausrichtung der Arbeit der Arbeitsgemeinschaft. So ist die Phase seit Ende der 1960er Jahre maßgeblich verbunden mit den Namen der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Ernst Wolf (1965-1971), Georg Kretschmar (1971-1988) und Joachim Mehlhausen (1988-2000). Die Arbeitsgemeinschaft hatte außerdem, nach häufigen Wechseln in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens als Kirchenkampfkommission, seit Ende der 1960er Jahre mit Carsten Nicolaisen einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, der über Jahrzehnte in der Institution blieb und die kommissionseigene Arbeitsstelle systematisch auf- und ausbaute. Zudem wurden Anfang der 1970er Jahre eine Reihe jüngerer Personen in die Arbeitsgemeinschaft aufgenommen. Vertreter der Zeitzeugengeneration wie Wilhelm Niemöller und Günther Harder blieben zwar weiterhin einflussreich, und neu hinzu kamen nicht nur junge Theologen wie Trutz Rendtorff (geb. 1931) und Martin Greschat (geb. 1934), sondern auch Vertreter einer älteren Generation wie Hermann Kunst (1907-1999) und Eberhard Bethge (1909-2000). Die personellen Veränderungen lassen sich also bestenfalls als ein „behutsam durchgeführter Generationenwechsel“ charakterisieren.[38] Aber auch wenn sich zu diesem Zeitpunkt noch keine vollständige Ablösung der Zeitzeugengeneration vollzog, brachten die jüngeren Mitglieder einen distanzierteren Ansatz in die Diskussion ein.
Mit der Umorganisation Anfang der 1970er Jahre öffnete sich die Arbeitsgemeinschaft schließlich auch disziplinär. Neben Theologen und Kirchenhistorikern wurden nun auch Allgemeinhistoriker in die Kommission aufgenommen, wie der Göttinger Neuzeithistoriker Rudolf von Thadden und der Archivar Heinz Boberach vom Bundesarchiv. Die Verjüngung und interdisziplinäre Neuausrichtung führten auf der einen Seite zu einer Professionalisierung der Arbeit. Gleichzeitig waren sie aber auch Quelle für neue Konflikte.
In der zweiten Phase in den 1970er und 1980er Jahren veränderte die historische Kommission der Evangelischen Kirche in vielfacher Hinsicht ihr Profil und ihre Arbeitsweise. Neu war einmal die Ausweitung des Forschungsgegenstandes durch eine konfessionsübergreifende Perspektive, durch die Einbeziehung der nationalsozialistischen Religionspolitik und ihrer Akteure sowie durch die zeitliche Erweiterung auf die Weimarer Zeit und auf die Zeit der Bundesrepublik.[39] Damit verband sich auf inhaltlich-narrativer Ebene jedoch noch kein Abschied vom Widerstand als Leitperspektive der kirchlichen Zeitgeschichte. Auch bei Klaus Scholder dominierte das Narrativ der Bekennenden Kirche als zentraler Widerstandsgruppe, und kritische Aussagen, beispielsweise zum Antijudaismus in der Bekennenden Kirche, sucht man in Scholders beiden Bänden vergebens.[40] Konzeptionell, so meinte etwa Carsten Nicolaisen 1987, sei auch Scholder noch eher der älteren Forschung gefolgt.[41] Auch der konfessionsübergreifende Ansatz blieb ein Rudiment. Rückblickend war Scholders Untersuchung eher eine Form von Parallelgeschichtsschreibung, die nur an wenigen Stellen Vergleiche zwischen den Konfessionen anstellte oder gar Berührungspunkte aufdeckte.[42] Auch auf organisatorischer Ebene funktionierte die interkonfessionelle Kooperation zunächst kaum: Ein Vorhaben, ein von beiden Konfessionen herausgegebenes Jahrbuch zu gründen, scheiterte 1974.[43]
Die interdisziplinäre Öffnung für die Allgemeingeschichte schließlich führte die Arbeitsgemeinschaft in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in eine Zerreißprobe. Der spätere Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Joachim Mehlhausen stellte 1988 selbstkritisch fest, „daß die evangelische Kirchenkampf-Geschichtsschreibung zwischen 1955 und 1985 ihr eigenes methodisches Vorgehen und ihre Zielstellung nicht reflektiert hat“.[44] Nach dem Tod des charismatischen Klaus Scholder im Jahr 1985 brach der Konflikt zwischen den Vertretern von theologisch-kirchenhistorischen und sozial- und gesellschaftsgeschichtlichen Methoden in heftiger Weise aus.[45] Der heilsgeschichtliche Ansatz der Kirchenhistoriker schien kaum mehr mit dem (sozial)historischen Ansatz der Allgemeinhistoriker vereinbar, die den binnenkirchlichen Deutungsrahmen zunehmend in Frage stellten. Während Vertreter der theologischen Kirchengeschichtsschreibung befürchteten, dass die kirchliche Zeitgeschichte dadurch ihr Proprium aus dem Blick verlieren würde, betonten Anhänger der sozialhistorischen Methoden den notwendigen Anschluss an die allgemeinen historischen Forschungen zur NS-Zeit. Auszubalancieren war das „doppelte Loyalitätsverhältnis“[46] gegenüber der Theologie und gegenüber der Allgemeingeschichte.
Tief zerstritten initiierten einige Mitglieder eigenständige Forschungsforen. 1988 gründete der Berliner Kirchenhistoriker Gerhard Besier, der einen theologisch-kirchengeschichtlichen Ansatz vertrat, die Zeitschrift Kirchliche Zeitgeschichte. Für den sozialhistorischen Ansatz stand dagegen die Publikationsreihe Konfession und Gesellschaft, die im selben Jahr als gesamtdeutsche Initiative von den Kirchenhistorikern Jochen-Christoph Kaiser (Münster), Kurt Nowak (Leipzig) und Martin Greschat (Gießen) sowie dem Allgemeinhistoriker Anselm Doering-Manteuffel (Tübingen) gegründet wurde. Damit spalteten sich zwei Gruppierungen von der Arbeitsgemeinschaft und deren Publikationsreihen ab. Der Vorgang war symptomatisch: Ende der 1980er Jahre war die Forschungslandschaft zerklüftet, auch zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen,[47] und die kirchliche Zeitgeschichte wurde nicht mehr nur in der Arbeitsgemeinschaft diskutiert. Diese verlor in den 1970er und 1980er Jahren zunehmend ihr früheres Monopol als Aushandlungsarena.
Die Pole der Beschäftigung mit der Geschichte der Evangelischen Kirche im Nationalsozialismus: Einerseits die Zeitschrift Kirchliche Zeitgeschichte mit ihrem theologischen Ansatz, hier die Ausgabe 2/2011 zum Thema „Kirchliches Versöhnungshandeln im Interesse des deutsch-polnischen Verhältnisses (1962-1990)“. Andererseits die einen sozialhistorischen Zugriff verfolgende Publikationsreihe Konfession und Gesellschaft, hier der Sammelband Zwangsarbeit in Diakonie und Kirche 1939-45 von Herausgeber Jochen-Christoph Kaiser aus dem Jahr 2005.
Bilder: Vandenhoeck & Ruprecht; Kohlhammer
1.3 Vom „Kirchenkampf“-Narrativ zur Geschichte der „Kirche im Nationalsozialismus“. Die dritte Phase seit den 1990er Jahren
In den konfliktreichen methodischen Selbstverortungsprozess Ende der 1980er Jahre platzte 1989/90 der Umbruch in der DDR und die deutsche Wiedervereinigung.[48] Dieses Ereignis eröffnete nicht nur das neue Forschungsfeld der zweiten deutschen Diktatur, das in den folgenden 15 Jahren die Publikationsreihen der Arbeitsgemeinschaft maßgeblich prägte, sondern gab auch für die Forschung zur Geschichte des Protestantismus im Nationalsozialismus neue Impulse.[49] Zum Ersten bestand für die Kirchen, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR lagen, ein großes Forschungsdesiderat, da es dort nur wenige Studien zur NS-Vergangenheit gegeben hatte. In der Reihe der Arbeitsgemeinschaft erschienen in den 1990er Jahren zahlreiche solche lückenschließende Untersuchungen. Auch bereits laufende Forschungen wie die über die Geschichte der theologischen Fakultäten an den Universitäten wurden nun „gesamtdeutsch“ erweitert.[50] Zum zweiten wurden nach 1990 Akten, die jenseits des Eisernen Vorhangs archiviert gewesen waren, zugänglich. So wurden 1994 im dritten Band der Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches auch Akten des Reichskirchenministeriums publiziert, die jahrzehntelang im Staatsarchiv der DDR in Potsdam für westliche Forscher verschlossen gewesen waren.[51] Ein dritter neuer Ansatz, der nun möglich wurde, war der des Diktaturvergleichs.[52]
Seit dem Ende der 1980er Jahre hat sich die kirchengeschichtliche Forschung auch vom „Kirchenkampf“ als Epochenbegriff verabschiedet. Insbesondere der sozialhistorische Ansatz hatte das Geschichtsbild grundlegend verändert. Im Unterschied zum Leitbild des „Kirchenkampfs“ fokussierte der neue Ansatz nicht mehr auf das Handeln von herausgehobenen Einzelpersonen, sondern verlangte die Analyse des protestantischen Milieus, das insgesamt gesehen weniger als Nährboden für Widerstand, sondern vielmehr als eine Haupteinbruchstelle der „Ideen von 1933“ in die Gesellschaft gelten musste, und dies ungleich stärker als es in katholischen Milieus der Fall gewesen war.[53] Nach dem Abschied vom heroischen „Kirchenkampf“-Bild setzte sich in den 1990er Jahren eine neue Protestantismusgeschichte durch, die Theologie- und Kirchengeschichte mit sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen des Kirchenvolks und kulturhistorischen Studien über Gemeinden und Kirchenregionen verband. Der Epochenbegriff „Kirchenkampf“ wurde durch die Überschrift „Kirche im Nationalsozialismus“ abgelöst. Wichtiges Indiz dafür ist die Darstellung des Themas in der Theologischen Realenzyklopädie und im Lexikon Religion in Geschichte und Gegenwart. Die Artikel in den beiden großen protestantischen Lexika, die seit den 1990er Jahren das alte Geschichtsbild dekonstruierten, stammten maßgeblich aus der Feder leitender Mitglieder der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte.[54]
Auch das Forschungsfeld Christentum und Judentum entwickelte nach der Wiedervereinigung eine große Dynamik. Das Thema gewann, nachdem schon seit Anfang der 1960er Jahre ein christlich-jüdischer Dialog eingesetzt hatte, in den 1990er Jahren erneut an Bedeutung.[55] Die Kirchen mussten sich nun auch der Frage nach dem Umgang mit „nichtarischen“ Christen im „Dritten Reich“ und nach ihrer Haltung zur nationalsozialistischen Judenverfolgung stellen. „Widerstanden für die Kirche, geschwiegen zum Unrecht“[56] – dieser Satz, mit dem Hannelore Braun, Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft und Mitherausgeberin der Aufzeichnungen des Bayerischen Landesbischofs Hans Meiser, 1996 dessen Verhalten in der NS-Zeit kritisch charakterisierte, bringt den Wandel, den die Bewertung evangelischen Widerstands dadurch vielfach erfuhr, exemplarisch auf den Punkt. Spätestens seit den 1980er Jahren wurde das Handeln von Protestantismusvertretern auch daran gemessen, wie sie sich gegenüber der rassistischen Verfolgungspolitik des NS-Regimes verhalten hatten. Dadurch gerieten viele zuvor als Widerstandskämpfer geachtete Kirchenvertreter in die Kritik, wenig beachtete beziehungsweise „vergessene“ Personen wie beispielsweise die Berliner Lehrerin Elisabeth Schmitz (1893-1977), Mitglied der Bekennenden Kirche, die sich insbesondere für verfolgte Juden einsetzte, erfuhren hingegen eine zunehmende Würdigung.[57]
Sie gehörte zu denjenigen aus den Reihen der Bekennenden Kirche, die unter Gefahr für das eigene Leben Juden in der NS-Zeit beherbergten und unterstützten: Elisabeth Schmitz (l.). Die Etablierung eines christlich-jüdischen Dialogs stellte in der Nachkriegszeit ein wichtiges Anliegen der Evangelischen Kirche dar, das auch die eigene Verantwortung für die Judenverfolgung innerhalb und außerhalb der Kirche und den Holocaust berührte. Hier eine Sitzung der Arbeitsgruppe „Juden und Christen“ auf dem 10. Evangelischen Kirchentag im Juli 1961 im Westteil Berlins.
Bilder: Hanauer Geschichtsverein/Stadtarchiv Hanau, Wikimedia Commons; Bundesarchiv, B 145 Bild-P060361, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Die Kirchen blieben auch von den allgemeinen geschichtskulturellen Auseinandersetzungen der 1990er Jahre nicht unberührt. So machte beispielsweise die Debatte um die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter deutlich, dass es in der Geschichte der kirchlichen Institutionen noch erhebliche Blindstellen gab. Nicht zuletzt auf Druck von Medien und Öffentlichkeit finanzierte die EKD ein großes Projekt zur Zwangsarbeit in Diakonie und Kirche, das Auftragsforschung im engeren Sinne war.[58] Auch in der Diskussion um die Involvierung von Heil- und Pflegeanstalten in die nationalsozialistische „Euthanasie“ wurde deutlich, dass diakonische Einrichtungen hier eine Geschichte aufzuarbeiten hatten. Beide Debatten trugen dazu bei, das Selbstbild des Widerstands oder doch zumindest der geschützten Insel, das die kirchlichen Einrichtungen lange Zeit gepflegt hatten, in Frage zu stellen.[59] Von wenigen Ausnahmen abgesehen spielte sich diese Forschung allerdings außerhalb der Publikationsreihen der Arbeitsgemeinschaft ab.[60]
Die Arbeitsgemeinschaft selbst hat sich seit den späten 1990er Jahren in gewisser Weise thematisch wieder ihren Anfängen zugewandt und die frühen Themen in neue Kontexte gestellt. Ein Beispiel dafür war das sogenannte Märtyrer-Projekt, das die EKD ab 1998 erarbeiten ließ. Schon zuvor waren außerhalb der Arbeitsgemeinschaft Publikationen zur Frage christlicher Märtyrer erschienen.[61] Zudem hatte die EKD zusammen mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz das Buch Zeugen einer besseren Welt – Christliche Märtyrer vorgelegt, in dem sich 26 Kurzbiografien von Märtyrern beider Konfessionen des vergangenen Jahrhunderts fanden.[62] Konkreter Anlass, hierzu ein eigenes Projekt zu initiieren, war der 50. Jahrestag der Verabschiedung der Grundordnung der EKD. 1948 hatte der Präses der EKD und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann auf der Kirchenversammlung in Eisenach eine „vorläufige, aber nicht vollständige“ Liste christlicher Märtyrer verlesen, die nun ein halbes Jahrhundert später vervollständigt werden sollte. Gegenüber der Namenslesung 1948 hatten sich allerdings die Rahmenbedingungen verändert, das Märtyrergedenken war in vielfacher Hinsicht begründungsbedürftig geworden. So stellte der Band, der 2006 publiziert wurde, den 499 enthaltenen Kurzbiografien einen zweihundertseitigen systematischen Teil voran, in dem der historische Kontext der Martyrien und die theologische Rahmung der Erinnerung diskutiert wurden. Das Projekt zielte damit nicht zuletzt auf eine Neujustierung von fragwürdig gewordenen Erinnerungskategorien und hatte eine vorwiegend gedenkpolitische Intention.[63]
In der Internet-Ausstellung „Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus“, die 2011 online ging,[64] hat die Arbeitsgemeinschaft das dominierende Thema der Nachkriegszeit unter Berücksichtigung aktueller historiografischer Kategorien aufgegriffen. Impulse für eine differenziertere Sichtweise auf das Thema von Widerstand waren schon seit den 1980er Jahren von allgemeinhistorischen Debatten ausgegangen, die eine neue Begrifflichkeit der Widerstands- und Resistenzforschung entwickelt hatten.[65] Das Ausstellungsprojekt spiegelt nicht zuletzt auch die Auseinandersetzung über unterschiedliche Widerstandsbegriffe und über die Frage, was als spezifisch christlicher Widerstand gelten soll. Für die Arbeitsgemeinschaft, die in ihrer Frühphase als Kirchenkampfkommission ganz wesentlich auf die Erinnerungen von Zeitzeugen christlichen Widerstands ausgerichtet gewesen war, bedeutete das Ausstellungsprojekt auch ein Stück weit, frühere Deutungskategorien wissenschaftlich zu reflektieren und die eigene Tätigkeit zu historisieren.
Links der Innenraum der 1943 durch Luftangriffe zerstörten Christus-Kirche in Hamburg-Wandsbek. Neben dem verkürzten und dadurch umgedeuteten Spruch aus dem Johannes-Evangelium „Unser Glaube ist der Sieg“ - der vollständig „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ lautet - ist ein Hakenkreuz zu sehen. Rechts Kacheln des Triumphbogens im Innenraum der von 1933 bis 1935 erbauten Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf, auf denen sowohl die christliche Dornenkrone (oben rechts und unten Mitte), das Christusmonogramm (oben Mitte) als auch der Reichsadler (Mitte) prangen. Das von Eichenlaub umfasste Hakenkreuz unter dem Adler wurde nach 1945 ebenso entfernt wie das Abzeichen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (Mitte links).
Bilder: Christus-Kirche Wandsbek Markt; Christian Mentel
2. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus innerhalb der Katholischen Kirche
Unbezweifelbar ist, dass die Frage nach der eigenen Verantwortung und „Schuld“ für die Katholische Kirche nach 1945 angesichts der beispiellosen Verbrechen insbesondere an den Juden einen ungleich höheren Stellenwert gewann als nach dem Ersten Weltkrieg. Immerhin war sie in der Selbst- und Fremdwahrnehmung im Vergleich zu ihrem evangelischen Pendant weit weniger belastet. Während in einigen evangelischen Landeskirchen bis zu 95 Prozent der Pfarrer der NSDAP und ihren Organisationen beigetreten waren, machte der Anteil aller katholischen Geistlichen und Ordensleute weniger als ein Prozent aus.[66] So erwies sich das Problem einer möglichen personellen Kontinuität von ehemaligen, in nationalsozialistischen Netzwerken aktiven kirchlichen Amtsträgern nach dem Krieg innerhalb des Katholizismus nicht als vordringliche Herausforderung.
Mehr noch: In der Wahrnehmung vieler ihrer Zeitgenossen erschien die Katholische Kirche als „Siegerin in Trümmern“ und war somit als eine der wenigen Institutionen nicht mit dem Vorwurf der Kollaboration mit den nationalsozialistischen Verbrechern diskreditiert. Dadurch wuchs ihr im westlichen Nachkriegsdeutschland die Rolle einer herausragenden gesellschaftlichen Ordnungsmacht zu. Dieser öffentliche Eindruck lag freilich ganz im Interesse der katholischen Entscheidungsträger, und die Stärkung dieser Wahrnehmung rückte in den Mittelpunkt ihrer vergangenheitspolitischen Anstrengungen. Die frühe Auseinandersetzung der Katholischen Kirche mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit widmete sich so fast ausschließlich der vermeintlichen katholischen Opfer- und Widerstandsrolle und blendete mögliche Schnittmengen und Allianzen mit den Nationalsozialisten nahezu vollständig aus.
2.1 Das Opfer- und Widerstandsnarrativ der Nachkriegszeit
Schon während des Nationalsozialismus setzten sich katholische Repräsentanten gemäß dieser Maxime mit der Haltung ihrer Kirche auseinander. Ein markantes Beispiel ist der von 1939 bis zu seinem Tod 1958 amtierende Papst Pius XII. (1876-1958), der das Christentum nicht nur von allem Versagen dem Nationalsozialismus gegenüber freisprach, sondern ganz im Gegenteil die fortgeschrittene Entchristlichung seiner Zeitgenossen als Grund und Triebkraft der beispiellosen menschlichen und zivilisatorischen Katastrophe identifizierte. In seiner Weihnachtsansprache von 1941 etwa unterstrich das katholische Oberhaupt diese Auswirkungen der „fortschreitenden Entchristianisierung des Einzelnen und der Gesellschaft“ und forderte eine „Rückkehr zu den Altären“.[68] Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg betonte Pius XII. den unüberbrückbaren „Widerstreit zwischen dem nationalsozialistischen Staat und der katholischen Kirche“, den „schmerzvollen Leidensweg der Kirche unter der nationalsozialistischen Herrschaft“ und „die oft bis zum Tode unverbrüchliche Festigkeit ungezählter Katholiken“.[69]
Die Kirche als „Societas perfecta“ blieb unter diesen Vorzeichen von den nationalsozialistischen Verbrechen unberührt, und diese Einschätzung bestimmte den Vergangenheitsdiskurs der Katholischen Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg. Im fast einhelligen Urteil führender Katholiken hatten innerhalb der Kirche allenfalls Einzelpersonen versagt, nicht aber die Gläubigen insgesamt und damit auch nicht die Institution Kirche als Ganze. Diese Ansicht, die auch innerhalb des Protestantismus weit verbreitet war, erklärt zum einen die katholischen Rechristianisierungsbemühungen im „Missionsland“ Deutschland.[70] Zum anderen wird plausibel, warum sich die Katholische Kirche zu einem der Hauptkritiker einer generellen deutschen Kollektivschuld entwickelte. Als ein Wortführer tat sich dabei Papst Pius XII. bereits während des Zweiten Weltkrieges hervor.[71] Auch die deutschen Bischöfe wandten sich am 23. August 1945 im sogenannten Fuldaer Schuldbekenntnis gegen die Annahme einer alle Angehörigen des deutschen Volkes einschließende Haftung für die nationalsozialistischen Verbrechen und räumten lediglich Versäumnisse und Verbrechen Einzelner ein.[72]
Papst Pius XII., bürgerlich Eugenio Pacelli, war von 1920 bis 1929 Apostolischer Nuntius (Gesandter) in Berlin und unterzeichnete am 20. Juli 1933 als Kardinalsstaatssekretär das Reichskonkordat mit dem Deutschen Reich. Dem seit 1939 amtierenden Kirchenoberhaupt wird vorgeworfen, seine Stimme gegen die Verfolgung und Ermordung der Juden nicht erhoben zu haben. Bereits 1965, sieben Jahre nach seinem Tod, wurde der Seligsprechungsprozess Pius XII. in Gang gesetzt, 2009 erkannte der deutsche Papst Benedikt XVI. seinem Vorgänger den heroischen Tugendgrad zu, die damit verbundene Hoffnung auf baldige Seligsprechung erfüllte sich bisher allerdings nicht.
Bild: True Restoration, Flickr, CC BY-SA 2.0
Die Katholische Kirche versuchte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg das Bild einer geschlossenen katholischen Abwehrfront gegen den Nationalsozialismus zu vermitteln. Dieser Versuch prägt etwa die Sammlung von Dokumenten über die nationalsozialistische Kirchenverfolgung wie die aus der Hand des Münchener Domkapitulars Johannes Neuhäusler (1888-1973), der 1946 die Dokumentation Kreuz und Hakenkreuz vorlegte. Mit dieser Publikation war nach Ansicht des Verfassers, der im Konzentrationslager Dachau inhaftiert gewesen war, der „Ausdruck größten Gegensatzes und schärfsten Widerspruches“[73] aufgezeigt. In seinem Geleitwort zu Neuhäuslers Sammlung mit dem sprechenden Untertitel „Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand“ wies Kardinal Michael von Faulhaber (1869-1952), der die Nationalsozialisten und ihre Ideologie ebenso ablehnte wie er Sympathien für Hitler hegte, mit seiner Bemerkung, die Bischöfe hätten der „satanistischen Bewegung“ des Nationalsozialismus gegenüber „nicht immer geschwiegen, wenn sie reden mußten, und nicht geschlafen, wenn sie in das Wächterhorn stoßen mußten“,[74] in eine ähnliche Richtung. Diese Bilanz galt auch für die Materialsammlungen und Fragebögen in Diözesen und Pfarreien, welche die deutschen Bischöfe zwischen 1945 und 1947 mit dem Ziel veranlassten, die Opposition ihrer Kirche und deren Repräsentanten gegen das NS-Regime zu verdeutlichen.[75] Und auch in der katholischen Presse hieß es nach dem Krieg, dass sich Kirche und Nationalsozialismus ausschlössen „wie Licht und Finsternis, wie Wahrheit und Lüge, wie Leben und Tod“.[76]
Die kircheninterne Beschäftigung mit der Vergangenheit der Katholischen Kirche war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges also vor allem darum bemüht, die eigene Rolle als Institution des Widerstands gegen und als Opfer des Nationalsozialismus zu besiegeln. Dazu passte auch die früh einsetzende institutionell organisierte Erinnerung an die katholischen Märtyrer des „Dritten Reiches“. Am 9. September 1945 fand im Bistum Berlin erstmals eine solche Gedenkfeier statt, ein Pontifikalrequiem „für die als Opfer ihrer Überzeugung unter dem Nationalsozialismus gestorbenen Priester und Gläubigen des Bistums“.[77] Dieser Erinnerung an die „Blutzeugen des Dritten Reiches“ dienten seit 1952 auch auf den Katholikentagen spezielle Gedächtnisfeiern. Gleiches galt für den Kirchenbau. 1958 wurde im Kontext des 18. Katholikentages in allen Kirchen Deutschlands eine Kollekte veranstaltet als Grundstock für den Bau von Maria Regina Martyrum, der nahe der Hinrichtungsstätte Plötzensee in Berlin gelegenen „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945“, die 1963 eingeweiht wurde.[78]
Die gleiche Stoßrichtung geben in diesem Zusammenhang auch die vielfachen biografischen Würdigungen der Nachkriegszeit zu erkennen, etwa der „badischen Märtyrerpriester“[79] oder der „Blutzeugen des Bistums Berlin“[80] sowie von katholischen NS-Opfern wie Eugen Bolz (1881-1945),[81] Alfred Delp (1907-1945)[82] oder Erich Klausener (1885-1934)[83] und Bischöfen wie Clemens August Graf von Galen (1876-1946),[84] Konrad Graf von Preysing (1880-1950),[85] Michael von Faulhaber (1869-1952)[86] oder Adolf Bertram (1859-1945).[87] Gleichwohl genügte die frühe, von der Katholischen Kirche selbst angestoßene oder aus ihrem Umfeld kommende Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in keiner Weise geschichtswissenschaftlichen Standards. Kaum einer der genannten Autoren war historisch geschult oder gar ausgebildeter Historiker, oftmals schilderten Zeitzeugen die Geschehnisse lediglich aus ihrer eigenen Erinnerung.
Links die zwischen 1960 und 1963 errichtete Gedenkkirche Maria Regina Martyrum in Berlin, die zugleich auch als Pfarrkirche für das umliegende Neubaugebiet Charlottenburg-Nord diente. Rechts der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen („Der Löwe von Münster“), der durch seine Anprangerung der Morde an sogenanntem „lebensunwerten Leben“ im Rahmen der „Euthanasie“-Aktion als einer der bekanntesten Gegner der NS-Politik innerhalb der Katholischen Kirche gilt.
Bilder: Dario-Jacopo Laganà, Flickr, CC BY-SA 2.0; Bistumsarchiv Münster/Gustav Albers, Wikimedia Commons, CC BY 2.5
2.2 Kritik am Erinnerungsdiskurs der Katholischen Kirche in den 1960er Jahren
Dieser Umgang mit der Vergangenheit änderte sich in den 1960er Jahren, als sich die Frage des Verhaltens des Katholizismus im „Dritten Reich“ neu stellte. Gegen die bis dahin dominierende Vorstellung einer geschlossenen katholischen Abwehrfront gegen den Nationalsozialismus wurden in diesem Jahrzehnt aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus deutliche Zweifel geäußert. Impulse gingen dabei allerdings nicht von der katholischen Anstaltskirche aus, sondern vor allem von kritischen Katholiken an ihrer Peripherie.[88]
Wichtige Anstöße gab Ernst-Wolfgang Böckenförde mit seinem 1961 in der katholischen Zeitschrift Hochland erschienenen Aufsatz „Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933“, der heftige Reaktionen zu Folge hatte. Der katholische Jurist konstatierte darin für das Jahr 1933 vor allem angesichts der Zustimmung der katholischen Zentrumspartei zum „Ermächtigungsgesetz“ und der Zurücknahme der seit Beginn der 1930er Jahre immer wieder ausgesprochenen Verurteilungen des Nationalsozialismus durch die deutschen Bischöfe eine „verbreitete Bejahung und Unterstützung des NS-Regimes durch den Katholizismus“.[89] Die „inneren“ Gründe erblickte Böckenförde, der bereits Jahre zuvor eine „innere Affinität der Kirche zu autoritären Regimen“[90] festgestellt hatte, in einer unbewältigten Kulturkampfsituation, in einer übergeschichtlichen und abstrakten Form naturrechtlicher Staatslehre, die politisches Handeln unterminiert, und im Antiliberalismus, den der Katholizismus mit dem Nationalsozialismus geteilt habe. Einen weiteren, die Diskussion ankurbelnden Beitrag legte der katholische Publizist Carl Amery 1963 mit seinem Essay „Die Kapitulation – oder deutscher Katholizismus heute“ vor, der in wenigen Monaten eine Auflage von 100.000 Exemplaren erreichte. Darin bezichtigte er den Katholizismus des „Milieuegoismus“, der den Widerstand gegen den Nationalsozialismus verhindert habe.[91]
Der Trierer Bischof Rudolf Bornewasser (1866-1951) und der Bischof von Speyer Ludwig Sebastian (1862-1943) sowie Saar-Gauleiter Josef Bürckel (1895-1944), Reichsinnenminister Wilhelm Frick (1877-1946) und Propagandaminister Joseph Goebbels (1897-1945; v.l.n.r.) präsentieren im Rathaus Saarbrücken den Hitlergruß anlässlich einer Feier zur Rückkehr des Saarlandes zum Deutschen Reich im Jahr 1935.
Bild: Bayerische Staatsbibliothek, Wikimedia Commons
Unterstützung gegen das dominierende Opfer- und Widerstandsnarrativ der Katholischen Kirche erhielten die genannten kritischen Autoren in der Folgezeit durch weitere Studien kirchenunabhängiger Religionsforscher, die nicht mehr nur das Jahr 1933, sondern den gesamten Verlauf der nationalsozialistischen Herrschaft, vor allem aber den Zweiten Weltkrieg ins Licht rückten. Auch ihre Beiträge stellten den kircheninternen Erinnerungsdiskurs deutlich in Frage. Zu nennen sind vor allem die Untersuchung des amerikanischen Soziologen Gordon Zahn German Catholics and Hitler’s Wars: A Study in Social Control von 1963 und die Arbeit des in den USA lehrenden deutschen Politologen Guenter Lewy The Catholic Church and Nazi Germany von 1964. Lewy kam zu der Erkenntnis, dass es der Katholischen Kirche durch ihr Verhalten im Jahre 1933 in erster Linie darum gegangen sei, ihre Autonomie im religiös-kirchlichen Bereich zu bewahren und diesen vor dem Zugriff durch das nationalsozialistische Regime zu schützen. Zu diesem Zweck habe sie mit dem Reichskonkordat einen Modus vivendi mit dem NS-Regime angestrebt und weitgehend darauf verzichtet, Widerstand zu leisten.[92] Das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel publizierte im Jahre 1965 in einer achtteiligen Serie Auszüge aus dem Buch und löste damit eine heftige Debatte aus.[93] Ähnlich wie Lewy argumentierte Gordon Zahn, der den deutschen Katholiken in seiner Studie, die rasch ins Deutsche übersetzt wurde, „eine beinah einstimmige Unterstützung der Kriege Hitlers“ bescheinigte und daraus ihr „Versagen“ ableitete.[94]
Die katholische Erinnerungspolitik muss freilich im Kontext des allgemeinen Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland gesehen werden.[95] In der Öffentlichkeit war das Interesse für die nationalsozialistischen Verbrechen bereits im Verlauf der 1950er Jahre gestiegen, und die Massenmedien setzten dieses Thema zunehmend auf die Tagesordnung. Der Nationalsozialismus wurde darüber hinaus in wachsendem Maße juristisch, geschichtswissenschaftlich, literarisch und filmisch in den Blick genommen. Wichtige Impulse, die Verantwortung von Kirche und Katholizismus für das Ende der Weimarer Republik und die Etablierung des NS-Regimes stärker in den Fokus zu rücken, gingen vom Streit um die Gültigkeit des Reichskonkordats von 1933 aus, der von 1955 bis 1957 vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen wurde.[96] Stimulierend wirkten insbesondere auch Strafverfahren seit Ende der 1950er Jahre, etwa der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess, der Prozess gegen Adolf Eichmann oder der Auschwitz-Prozess.
Innerhalb der Geschichtswissenschaft und mit starker Wirkung auf die Öffentlichkeit debattierten Historiker seit den 1950er Jahren die sogenannte Junktimsthese. Sie unterstellte einen - mittlerweile als widerlegt geltenden - Zusammenhang zwischen der Zustimmung der katholischen Zentrumspartei zum „Ermächtigungsgesetz“ am 23. März 1933, der Rücknahme der Verurteilung des Nationalsozialismus durch die deutschen Bischöfe am 28. März 1933 und dem Reichskonkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan am 20. Juli 1933. Durch diesen angenommenen Zusammenhang und die Diskussion darüber wurden zentrale Positionen des erinnerungspolitischen Selbstverständnisses der Katholischen Kirche in Frage gestellt.[97]
Auf literarischem Gebiet wurde das vergangenheitspolitische Selbstverständnis der Katholischen Kirche insbesondere von Rolf Hochhuths Der Stellvertreter empfindlich getroffen. In dem Drama, das am 20. Februar 1963 in Berlin uraufgeführt wurde, erging der Vorwurf an Papst Pius XII., der 1933 in seiner damaligen Position als Kardinalsstaatssekretär das Reichskonkordat unterzeichnete, zum Holocaust geschwiegen zu haben. Auch wenn Hochhuths Papstfigur in dem „christlichen Trauerspiel“ (so der Untertitel) eher den Prinzipien des Theaters als denjenigen der Geschichtswissenschaft verpflichtet war, wurde dem Ansehen der Katholischen Kirche und ihres höchsten Repräsentanten durch die enorme Wirkung des Dramas und die vehementen Debatten in der Öffentlichkeit doch erheblicher Schaden zugefügt.[98] Immerhin stieß das Stück auch in der Katholischen Kirche und in ihrem Umfeld verstärkte Bemühungen zur Klärung der Rolle des in der Öffentlichkeit bei seinem Tod 1958 hoch angesehenen Papstes und damit einhergehend zur soliden historisch-kritischen Erforschung des Verhaltens der Katholischen Kirche während des Nationalsozialismus an.
Titel der Spiegel-Ausgaben vom 24. April 1963 (links) und 18. November 1964 (rechts). Hochhuths im Februar 1963 uraufgeführtes Stück löste bei den Aufführungen etwa in Basel und Paris heftige Tumulte und Gegendemonstrationen aus. Die öffentliche Kontroverse um „Der Stellvertreter“ und die Bewertung von Pius XII. gingen als prägende Debatte über die NS-Vergangenheit, die weit über den Literatur- und Theaterbetrieb hinauswirkte, in die westdeutsche Nachkriegsgeschichte ein.
Bilder: Der Spiegel
2.3 Erinnerungspolitische Neuansätze der Kommission für Zeitgeschichte
Vor diesen Hintergründen wurde nun auch die Opfer- und Widerstandsrolle der Katholischen Kirche während des Nationalsozialismus mehr und mehr in Frage gestellt. Das war auch den Initiatoren bewusst, die 1961 in Würzburg eine Klausurtagung von katholischen Zeitzeugen und Historikern anstrengten. Ziel der Tagung über „Die deutschen Katholiken und das Schicksal der Weimarer Republik“ war es, die wachsende, von außen kommende Kritik an den katholischen Vergangenheitsnarrativen zurückzuweisen. Aus ihr ging im September 1962 die Kommission für Zeitgeschichte bei der Katholischen Akademie in Bayern hervor, die nun eine neue Ära katholischer Erinnerungspolitik einläuteten sollte. Ihre selbstgesteckte Aufgabe war die wissenschaftliche Erforschung und Dokumentation der Geschichte des deutschen Katholizismus vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Hinzu kam die Vernetzung und Durchführung von Forschungsprojekten zur kirchlichen Zeitgeschichte. In den 1970er Jahren öffnete sich die seit 1972 als Kommission für Zeitgeschichte e.V. in Bonn beheimatete Einrichtung vermehrt sozialgeschichtlichen Fragestellungen und Methoden. Zudem erfolgte eine Erweiterung des zunächst stark auf das 19. Jahrhundert, die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus fokussierten Untersuchungszeitraumes auf die Zeitgeschichte, also die Nachkriegszeit in der Bundesrepublik[99] und später auf den Katholizismus in der DDR.[100] Auch der Erforschung des internationalen Katholizismus wurde zunehmend Aufmerksamkeit eingeräumt.[101] Die Chance, anhand der methodischen und inhaltlichen Perspektiverweiterung, die häufig von einer jüngeren Historikergeneration in der Kommission vollzogen wurde, nun auch differenziertere Deutungen der Rolle des Katholizismus während des Nationalsozialismus zuzulassen, blieb allerdings weitgehend ungenutzt.[102]
Die Kommission für Zeitgeschichte setzte und setzt sich aus kirchennahen katholischen Wissenschaftlern zusammen und auch ihr Umfeld war und ist kirchlich-katholisch geprägt. Jüngste Netzwerkanalysen zeigen, dass die von ihr in ihrer Frühzeit vertretene Form der katholischen Zeitgeschichtsforschung einen starken Rückhalt in den staatlichen Institutionen, etwa dem Bundesinnenministerium, aber auch in der Kirche und im Wissenschaftsfeld besaß, der dazu führte, dass die kirchenloyale Historiografie die Deutungshoheit bei der Einschätzung der Rolle der Katholischen Kirche während des Nationalsozialismus gewinnen und lange Zeit behaupten konnte.[103] Forschungsprojekte wurden nicht nur von der Fuldaer Bischofskonferenz und der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk, sondern auch durch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung und das Bundesinnenministerium gefördert.[104]
Dieses katholisch geprägte kirchliche und politische Umfeld erklärt nach dem Urteil kritischer Beobachter, dass sich auch die Kommission für Zeitgeschichte lange Zeit hauptsächlich der Widerstands- und Opferrolle der Katholischen Kirche von 1933 bis 1945 widmete und vorrangig darum bemüht war, die Unvereinbarkeit von Katholizismus und Nationalsozialismus zu beweisen. Plausibel wird aus dieser Sicht auch, warum Fragen nach Überschneidungen weltanschaulicher Positionen zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus lange Zeit nahezu völlig ausgeblendet wurden. Aus dieser kritischen Außenperspektive steht die Kommission für Zeitgeschichte daher trotz ihrer unzweifelhaften Verdienste bei der zeitgeschichtlichen Erforschung des Katholizismus für eine „Institutionalisierung der tendenziell ‚apologetischen‘ Vergangenheitsbewältigung“ durch ein „Netzwerk kirchenloyaler Katholizismusforscher“ und ihrer Schüler.[105]
Dessen ungeachtet ist die wissenschaftliche Qualität der bisher vorgelegten Forschungsergebnisse und Dokumente unbestritten. Davon zeugen renommierte historische Untersuchungen sowie Veröffentlichungen von Quellen wie der Edition der Akten deutscher Bischöfe. Bisher sind neben den Einzelpublikationen in der Quellenreihe der Kommission 58 Titel erschienen, die Forschungsreihe zählt 129 Studien. Die Bibliothek der Kommission umfasst zurzeit etwa 30.000 Veröffentlichungen zur Geschichte des Katholizismus und der Katholischen Kirche seit Anfang des 19. Jahrhunderts, im hauseigenen Archiv befinden sich Akten katholischer Organisationen und Einrichtungen, Nachlässe deutscher Katholiken, katholische Zeitschriften und Zeitungen sowie zahlreiche Deposita.[106]
2.4 Aktuelle Entwicklungen
Zu einem Neuansatz kam es 1987 mit der Einrichtung des Arbeitskreises Katholizismusforschung an der Katholischen Akademie Schwerte, der in gewissem Sinne als „unabhängiges Gegennetzwerk“[107] der Kommission für Zeitgeschichte gelten kann. Aus Aktivitäten im Umfeld der Universitäten von Bielefeld und Münster hervorgegangen, entwickelte sich der Arbeitskreis schnell zu einem überregionalen Diskussionsforum der Katholizismusforschung, das in wachsendem Maße neue kulturwissenschaftliche Methoden erprobte. Seine Beiträge zum Verhältnis von Katholizismus und Nationalsozialismus schließen auch kirchenkritische Wissenschaftler nicht aus.[108] Aus seinem Dunstkreis kommen zudem berechtigte Forderungen nach einer stärkeren Erforschung derjenigen Quellen aus der Zeit vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die explizit „Wissen, Schweigen, Amtspflicht, Schuld und Versagen“ des Katholizismus dokumentieren und nach einer Herauslösung der betreffenden Diskussion „aus den Interesse geleiteten Nachkriegsdiskursen“.[109]
Dazu muss die nationalsozialistische Vergangenheit der Katholischen Kirche sicherlich noch stärker als bislang geschehen auch zum Gegenstand von kirchen- und konfessionsunabhängigen zeitgeschichtlichen Forschungen werden. Dabei sollte auch die kircheninterne und -externe Auseinandersetzung und Aufarbeitung selbst deutlicher als bisher thematisiert und zu einer der zentralen Fragestellungen gemacht werden. Optimistisch stimmt, dass die kirchennahe katholische Zeitgeschichtsforschung sich mittlerweile in zunehmendem Maße öffentlich in bikonfessioneller Perspektive sowie unter Mitwirkung kirchenunabhängiger Historiker selbst kritisch auf den Prüfstand stellt.[110]
3. Schlussgedanken: Kirchliche Zeitgeschichte als eine Form der Auftragsforschung?
Der Begriff „Auftragsforschung“ impliziert zwei Aspekte: Zum einen, dass es einen interessengeleiteten Auftrag durch eine Institution – in diesem Fall die Kirchen – gibt, zum anderen, dass dieser Auftrag wissenschaftlich-professionell bearbeitet wird. Verbunden ist mit dem Begriff der latente Vorwurf beziehungsweise die kritische Nachfrage, ob der Auftrag die wissenschaftliche Freiheit inhaltlich begrenzt. Von diesen Überlegungen ausgehend, kann man auch die Arbeit der beiden konfessionellen und dadurch institutionsinternen Geschichtskommissionen hinterfragen.
Die evangelische Kirchenkampfkommission war in ihrer Anfangsphase durchaus ein Organ zur Durchsetzung einer bestimmten historischen Deutung, an der die Evangelische Kirche als Institution nachdrückliches Interesse hatte. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, das Bild einer widerständigen Evangelischen Kirche in der Nachkriegsgesellschaft zu etablieren und kritische Fragen an die Mitläufer und Mittäter in den eigenen Reihen auszublenden. Das von der Kommission vermittelte Narrativ stand dabei nicht in Widerspruch zu Debatten in Forschung und Gesellschaft. Vielmehr entsprach es den dominierenden Erwartungen sowohl der Deutschen als auch der Alliierten, die nach 1945 Narrative über ein „anderes Deutschland“ bereitwillig aufgriffen. Getragen war die Arbeit der Kirchenkampfkommission zunächst von Zeitzeugen, die die Kommission als Plattform für die Darstellung ihrer persönlichen Geschichtsinterpretationen nutzten. Wissenschaftlichen Ansprüchen genügte dies vielfach nicht.
Nach einem Generationenwechsel und einer disziplinären Öffnung für die Geschichtswissenschaft war die in Evangelische Arbeitsgemeinschaft umbenannte und neu organisierte Kommission auch an der Dekonstruktion des „Kirchenkampf“-Narrativs seit Ende der 1980er Jahre an zentraler Stelle beteiligt. Dies verweist auch auf eine weitere Funktion der Kommission: Von ihr wurden nicht nur Positionen gesetzt, sondern auch Auseinandersetzungen um Inhalte und Methoden kirchlicher Zeitgeschichte moderiert. Die Kommission fungierte dabei zunächst erfolgreich als Puffer für die Konflikte zwischen konkurrierenden Erinnerungsgruppen.[111] Doch auch später scheint die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft den Charakter einer Aushandlungsarena gehabt zu haben, nun allerdings mit Blick auf unterschiedliche Methoden einer kirchlichen Zeitgeschichte.
Katholischerseits liegen die Dinge etwas anders. Die Initiative zur Gründung der Kommission für Zeitgeschichte, welche die historisch unprofessionelle Erinnerungsarbeit in und im Umfeld der Katholischen Kirche ablöste, kam von kirchenaffinen katholischen Historikern wie Rudolf Morsey oder Konrad Repgen. Obwohl hier offen bleiben muss, in welchem Umfang sich die Gründer und Mitarbeiter der Kommission den vergangenheitspolitischen Interessen ihrer Kirche verpflichtet fühlten, ist ihr Ziel, die in der Öffentlichkeit zunehmend in die Kritik geratene Opfer- und Widerstandsthese zu verteidigen, deutlich sichtbar. Daraus resultiert nicht automatisch der Vorwurf der kirchlich gesteuerten Auftragsforschung. Dennoch blieb die kirchennahe Kommission für lange Zeit auf den Nachweis der Unvereinbarkeit von Katholizismus und Nationalsozialismus konzentriert. Erst seit den letzten Jahren scheint sich der Kurs zu ändern, auch unter dem Einfluss einer jüngeren katholischen Historikergeneration und neuer Forschungsnetzwerke außerhalb der Anstaltskirche, wie des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung.
Abkürzungen:
EKD Evangelische Kirche in Deutschland
EvAKiZ Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte
[1] Zur Evangelischen Kirche mit Bezug auf die Judenverfolgung vgl. beispielsweise Manfred Gailus, Keine gute Performance. Die deutschen Protestanten im „Dritten Reich“, in: ders./Armin Nolzen (Hg.), Zerstrittene „Volksgemeinschaft“. Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus, Göttingen 2011, S. 96-121. Zur Rolle katholischer Krankenanstalten im Kontext der „Euthanasie“ vgl. beispielsweise Winfried Süß, Antagonistische Kooperationen. Katholische Kirche und nationalsozialistische Gesundheitspolitik, in: Karl-Josef Hummel/Christoph Kösters (Hg.), Kirchen im Krieg 1939-1945, Paderborn u.a. 2007, S. 317-342.
[2] Vgl. zur laufenden Debatte beispielsweise die kirchenkritische Darstellung bei Olaf Blaschke, Die Kirchen im Nationalsozialismus, Stuttgart 2014.
[3] Gury Schneider-Ludorff, Verdrängen und Bekennen. Vom schwierigen Umgang der evangelischen Kirche mit der „Schuld“ nach 1945, in: Thomas Brechenmacher/Harry Oelke (Hg.), Die Kirchen und die Verbrechen im nationalsozialistischen Staat, Göttingen 2011, S. 274-282, S. 275. An das Stuttgarter Schuldbekenntnis schloss sich eine tiefgreifende Debatte innerhalb der Evangelischen Kirche an. Während Interpreten, die das Schuldbekenntnis weiter gefasst sehen wollten und auf einen Bruch mit der Vergangenheit drängten, sich letztlich nicht durchsetzen konnten, beriefen sich andere Kirchenvertreter erfolgreich auf den im Schuldbekenntnis formulierten Widerstand im „Dritten Reich“ und sahen hier Potentiale für eine Kontinuität.
[4] Kristine Fischer-Hupe, Der Kirchenkampfdiskurs nach 1945. Wie katholische und evangelische Theologen in der frühen Nachkriegszeit über den Kirchenkampf der Jahre 1933-1945 sprachen, in: Kirchliche Zeitgeschichte 15/2 (2002), S. 461-489.
[5] Arthur Stuart Duncan Jones, The Struggle for Religious Freedom in Germany, London 1938.
[6] So in einem kritischen Forschungsbericht mit Verweis auf weitere angloamerikanische Autoren: John S. Conway, Der deutsche Kirchenkampf. Tendenzen und Probleme seiner Erforschung an Hand neuerer Literatur, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 17 (1969), S. 423-449, S. 434.
[7] Carsten Nicolaisen, Zwischen Theologie und Geschichte. Zur „kirchlichen Zeitgeschichte“ heute, in: Der Evangelische Erzieher 42 (1990), S. 410-419, S. 413. Dieser Ansatz entsprach auch dem Selbstverständnis großer Teile der Bekennenden Kirche während der NS-Zeit, die sich ganz überwiegend nicht als (politische) Widerstandsorganisation, sondern als Akteure in einem innerkirchlichen Konflikt sah, der freilich politisch hoch aufgeladen war.
[8] Zum Folgenden vgl. Jochen-Christoph Kaiser, Wissenschaftspolitik in der Kirche. Zur Entstehung der „Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes in der nationalsozialistischen Zeit“, in: Anselm Doering-Manteuffel/Kurt Nowak (Hg.), Kirchliche Zeitgeschichte. Urteilsbildung und Methoden, Stuttgart/Berlin/Köln 1996, S. 125-163.
[9] Wilhelm Niemöller, Bekennende Kirche in Westfalen, Bielefeld 1952; ders., Die Evangelische Kirche im Dritten Reich. Handbuch des Kirchenkampfes, Bielefeld 1956.
[10] Die Perspektive der lutherischen Landeskirchen hob beispielsweise hervor: Heinrich Hermelink (Hg.), Kirche im Kampf. Dokumente des Widerstands und des Aufbaus in der evangelischen Kirche Deutschlands von 1933 bis 1945, Tübingen/Stuttgart 1950.
[11] Vgl. zur dieser Position Ernst Loycke, Die rechtliche Entwicklung in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union von 1937-1945, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 2 (1952/53), S. 169-311; Heinz Brunotte, Zur Geschichtsschreibung des Kirchenkampfes, in: Informationsblatt für die Gemeinden in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen, Nr. 4 vom 22. Februar 1956.
[12] Zu den frühen Publikationen gehören beispielsweise: Wilhelm Jannasch (Hg.), Deutsche Kirchendokumente. Die Haltung der Bekennenden Kirch im Dritten Reich, Zürich 1946; Walter Künneth, Der große Abfall. Eine geschichtstheologische Untersuchung der Begegnung zwischen Nationalsozialismus und Christentum, Hamburg 1947. Ebenfalls aus der Zeitzeugengeneration mit Memoirencharakter: Joachim Beckmann, Der Kirchenkampf, Gladbeck 1952; Theophil Wurm, Erinnerungen aus meinem Leben, Stuttgart 1953; Otto Dibelius, Ein Christ ist immer im Dienst. Erlebnisse und Erfahrungen in einer Zeitenwende, Stuttgart 1961; Günther Harder/Wilhelm Niemöller (Hg.), Die Stunde der Versuchung. Gemeinden im Kirchenkampf 1933-1945, München 1965; Heinz Brunotte/Ernst Wolf (Hg.), Zur Geschichte des Kirchenkampfes. Gesammelte Aufsätze, Göttingen 1965.
[13] Wilhelm Niemöller war seit 1923 NSDAP-Mitglied gewesen (und hatte seinen Ausschluss aus der Partei 1933 erfolgreich angefochten). Vgl. Robert P. Ericksen, Wilhelm Niemöller and the Historiography of the Kirchenkampf, in: Manfred Gailus/Hartmut Lehmann (Hg.), Umbrüche eines Weltbildes, Göttingen 2005, S. 433-451.
[14] Schon 1953 erschien eine Studie über die Kirchenpolitik des NS-Regimes vom Mitarbeiter des Instituts: Ernst Buchheim, Glaubenskrise im Dritten Reich. Drei Kapitel nationalsozialistischer Religionspolitik, Stuttgart 1953.
[15] Zur Gründungsgeschichte der Kommission vgl. Kaiser, Wissenschaftspolitik, S. 134-140.
[16] Kurt Dietrich Schmidt (Hg.), Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage 1933, 1934 und 1935, 3 Bde., Göttingen 1934-1936.
[17] Mit Bezug auf das Protokoll der ersten Kommissionssitzung: Nicolaisen, Theologie, S. 412 f.
[18] Kaiser, Wissenschaftspolitik, S. 157. Die Entscheidung für einen jungen Forscher mit relativ geringer Selbstständigkeit war von der Kommission ganz bewusst gefällt worden. „Nach unserem Plan und bei der Differenziertheit der Richtungen innerhalb der evangelischen Kirche“, schrieb Brunotte 1955, „können wir die Arbeit nicht nur in die Hände eines einzelnen prominenten Forschers legen. Wir müssen rebus sic stantibus mit einer Zusammenarbeit verschiedenster Kreise rechnen. Prof. D. Schmidt meinte nun, wohl mit Recht, daß es einem jungen Mann leichter werden würde, mit einem Ausschuß zusammenzuarbeiten, als einer geprägten Persönlichkeit, die selbst eine bestimmte Richtung vertritt.“ Schreiben Brunotte an Hübinger vom 4. Oktober 1955, zit. nach Kaiser, Wissenschaftpolitik, S. 158 f.
[19] Ebenso wenig tat dies übrigens Bernhard Stasiewski, der zwischen 1954 und 1958 im Institut für Zeitgeschichte in München als Vertreter der katholischen Kirche eine umfangreiche Quellensammlung durchführte. Die Aktenedition, die am Ende die Jahre 1933-36 umfasste, erschien nach Stasiewskis Berufung auf einen Bonner Kirchengeschichtslehrstuhl mit großer zeitlicher Verzögerung in der Reihe der inzwischen gegründeten katholischen Kommission für Zeitgeschichte. Bernhard Stasiewski (Hg.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I: 1933-1934, Bd. II: 1934-1935, Bd. III: 1935-1936, Mainz 1968, 1976 u. 1979. Fortsetzung der Reihe bis 1945 durch Ludwig P. Volk, Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. 4, 1936-1939, Bd. 5 1940-1942, Bd. 6, 1943-1945, Mainz 1981, 1983 u. 1985.
[20] Otto Diehn, Bibliographie zur Geschichte des Kirchenkampfes 1933-1945, Göttingen 1958. Die 29 Bände der Reihe „Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes“, die zwischen 1958 und 1975 erschienen, sind zum Teil Quellensammlungen, zum Teil Darstellungen, die Teilbereiche und einzelne Ereignisse des „Kirchenkampfes“ untersuchten. In einer Ergänzungsreihe erschienen 1964 bis 1990 15 Bände mit vorwiegend regionalen Schwerpunkten. Bis in die 1960er Jahre waren die unterschiedlichen erinnerungspolitischen Fraktionen in den Reihen relativ abgewogen repräsentiert. Die Bände, die im wissenschaftlichen Apparat den üblichen Standards teilweise nur unzureichend entsprachen, wurden nachträglich durch ein ausführliches Register erschlossen: Gertraud Grünzinger-Siebert (Hg.), Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes. Registerband. Dokumente, Institutionen, Personen, Göttingen 1984.
[21] Jochen-Christoph Kaiser, Tendenzen und Probleme der kirchlichen Zeitgeschichte seit 1945, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 55 (2006), S. 51-68, S. 56 f.
[22] Es gab nur wenige Publikationen seit Mitte der 1960er Jahre dazu. Die Studie von Christian Kinder, der im „Dritten Reich“ ein führendes Mitglied der Deutschen Christen gewesen war, war keine historisch-wissenschaftlich Untersuchung. Christian Kinder, Neue Beiträge zur Geschichte der Evangelischen Kirche in Schleswig-Holstein und im Reich 1924-1945, Flensburg 1964. Vgl. dazu Conway, Kirchenkampf. Wissenschaftlichen Standards entsprachen die Publikationen von Kurt Meier, Die Deutschen Christen, Halle 1964 und von Hans Baier, Die Deutschen Christen Bayerns im Rahmen des bayerischen Kirchenkampfes, Nürnberg 1968.
[23] Gailus, Performance, S. 102.
[24] Gleichzeitig protestierten einflussreiche Vertreter der Evangelischen Kirche gegen die Entnazifizierung und setzten sich nachdrücklich für die Rehabilitierung entnazifizierter Personen ein. Vgl. Clemens Vollhals, Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945-1949. Die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit, München 1989.
[25] Zur Frage der NSDAP-Mitgliedschaft vgl. beispielsweise Björn Mensing, Pfarrer und Nationalsozialismus. Geschichte einer Verstrickung am Beispiel der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Göttingen 1998.
[26] Joachim-Christoph Kaiser, Forschungsaufgaben im Bereich der Kirchlichen Zeitgeschichte nach 1945, in: Mitteilungen der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte 20 (2002), S. 27-42, S. 33.
[27] Ebd., S. 29.
[28] Ebd., S. 30.
[29] Ebd., S. 36.
[30] Vgl. Norbert Friedrich, Die Erforschung des Protestantismus nach 1945. Von der Bekenntnisliteratur zur kritischen Aufarbeitung, in: ders./Traugott Jähnichen (Hg.), Gesellschaftspolitische Neuorientierung des Protestantismus in der Nachkriegszeit, Münster 2002, S. 9-36.
[31] Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich. Bd. I: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen, 1918-1934, Berlin 1977, Bd. II: Das Jahr der Ernüchterung 1934, Berlin 1985 (postum).
[32] Victor Conzemius, Katholische und evangelische Kirchenkampfgeschichtsschreibung im Vergleich. Phasen, Schwerpunkte, Defizite, in: ders./Martin Greschat/Hermann Kocher (Hg.), Die Zeit nach 1945 als Thema kirchlicher Zeitgeschichte, Göttingen 1988 , S. 35-60, S. 49.
[33] Kurt Meier, Der evangelische Kirchenkampf. 3 Bde., Halle 1976-1984. Wilhelm Niemöller, der „Historiograf“ der Bekennenden Kirche, hat Meiers Darstellung für die Relativierung der Bedeutung der Bekennenden Kirche scharf kritisiert. Vgl. dazu Gerhard Besier, Kirchen, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, München 2000, S. 82.
[34] John S. Conway, The Nazi Persecution of the Churches 1933-45, London 1968 (dt. Die nationalsozialistische Kirchenpolitik 1933-1945. Ihre Ziele, Widersprüche und Fehlschläge, München 1969).
[35] Leonore Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus und Kirchen. Religionspolitik von Partei und Staat bis 1935, Düsseldorf 1974.
[36] Kaiser, Wissenschaftspolitik, S. 162.
[37] Zur Geschichte der als gesamtdeutsche Institution gegründeten Aktion Sühnezeichen Friedensdienste vgl. Gabriele Kammerer, Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Aber man kann es einfach tun, Göttingen 2008.
[38] Jens Holger Schjørring, 50 Jahre Evangelische Arbeitsgemeinschaft, in: Mitteilungen der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte 24 (2006), S. 7-28, S. 16.
[39] In der 1975 neu begründeten Reiche „Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte“ erschien als vierter Band eine erste Studie zur die Geschichte der frühen Bundesrepublik: Johanna Vogel, Kirche und Wiederbewaffnung. Die Haltung der evangelischen Kirche in Deutschland in den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1949-1956, Göttingen 1978.
[40] Eine Hamburger Dissertation von Wolfgang Gerlach zum Thema aus dem Jahr 1970 konnte erst 1987 erscheinen. Wolfgang Gerlach, Als die Zeugen schwiegen. Bekennende Kirche und die Juden, Berlin 1987.
[41] Vgl. dazu die ebenfalls parteinehmende Darstellung der Debatte bei Besier, Kirchen, S. 80-92, S. 81.
[42] Vgl. den kritischen Rückblick bei Mark Edward Ruff, Eine Streitschrift. Klaus Scholder und die Kirchen im „Dritten Reich“, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 7 (2010), H. 3, S. 479-483.
[43] Schjørring, Evangelische Arbeitsgemeinschaft, S. 17.
[44] Joachim Mehlhausen, Zur Methode kirchlicher Zeitgeschichtsforschung (1988), abgedruckt in: ders., Vestigia Verbi, Berlin 1999, S. 321-336, S. 324.
[45] Dokumentiert ist dieser Konflikt beispielsweise in dem Band: Doering-Manteuffel/Nowak (Hg.), Kirchliche Zeitgeschichte.
[46] Nicolaisen, Theologie, S. 418.
[47] Zur Rolle der Akademien in diesem Zusammenhang vgl. Thomas Mittmann, Kirchliche Akademien in der Bundesrepublik Deutschland. Gesellschaftliche, politische und religiöse Selbstverortungen, Göttingen 2011.
[48] Das 1989 vom neuen Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft vorgelegte Forschungsprogramm entsprang noch der vorangehenden Debatte, wurde aber auch zum Maßstab für die nächste Phase. Joachim Mehlhausen, Forschungsprogramm „Evangelische Kirche nach 1945“, in: Mitteilungen der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte 10 (1990), S. 1-20.
[49] Vgl. zum Folgenden: Klaus Fitschen, Die Kirchen und das Dritte Reich. Überlegungen zu Entwicklungen, Tendenzen und Desideraten der Forschung im Bereich des Protestantismus, in: Mitteilungen zur kirchlichen Zeitgeschichte 6 (2012), S. 113-123.
[50] Leonore Siegele-Wenschkewitz/Carsten Nicolaisen (Hg.), Theologische Fakultäten im Nationalsozialismus, Göttingen 1993.
[51] Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches, bearb. von Gertraud Grünzinger u. Carsten Nicolaisen, Bd. III: 1935-1937, München 1994. Ähnlich wie andere Publikationen der frühen 1990er Jahre ging die Edition allerdings noch auf Kooperationen zurück, die schon vor dem Mauerfall begonnen hatten. Eine solche deutsch-deutsche Zusammenarbeit hatte es beispielsweise auch im Bereich der „Eugenik“-Forschung gegeben. Vgl. Jochen Christoph Kaiser/Kurt Nowak/Michael Schwartz (Hg.), Eugenik, Sterilisation, „Euthanasie“. Politische Biologie in Deutschland 1895-1945, Halle 1992.
[52] Georg Wilhelm, Die Diktaturen und die evangelische Kirche. Totaler Machtanspruch und kirchliche Antwort am Beispiel Leipzigs 1933-1948, Göttingen 2004.
[53] Gailus, Performance, S. 113.
[54] Joachim Mehlhausen, Artikel „Nationalsozialismus und Kirchen“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. XXIV, Berlin 1994, S. 43-78. Carsten Nicolaisen/Friedrich Wilhelm Graf, Artikel „Nationalsozialismus“, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. VI, Tübingen 2003, S. 79-95. Vgl. Gailus, Performance, S. 100.
[55] Der christliche Antisemitismus war zunächst nach 1945 nicht thematisiert worden. Zwar sprach das Stuttgarter Schuldbekenntnis 1945 die Schuld der Kirche an, bezog dies jedoch nicht auf den eigenen Antisemitismus. Vgl. Matthew D. Hockenos, Die Kirchen nach 1945, Religiöse Abbrüche, Umbrüche und Kontinuitäten, in: Gailus/Nolzen (Hg.), „Volksgemeinschaft“, S. 287-311.
[56] Hannelore Braun, Widerstanden für die Kirche, geschwiegen zum Unrecht, in: Sonntagsblatt, Nr. 16 vom 21. April 1996, S. 20 f. Zur Geschichte der Erinnerung an Meiser vgl. Harry Oelke, Kirchliche Erinnerungskultur im evangelischen Bayern. Landesbischof Hans Meiser und der Nationalsozialismus, in: Berndt Hamm/Harry Oelke/Gury Schneider-Ludorff (Hg.), Spielräume des Handelns und der Erinnerung. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und der Nationalsozialismus, Göttingen 2010, S. 205-240.
[57] Dietgard Meyer, Die Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“, in: Hannelore Erhart/Ilse Meseberg-Haubold/Dietgard Meyer, Katharina Staritz 1903-1953. Dokumentation, Bd. I: 1903-1942, mit einem Exkurs: Elisabeth Schmitz, Neukirchen-Vluyn 1999, S. 185-269; Manfred Gailus, Mir aber zerriss es das Herz – der stille Widerstand der Elisabeth Schmitz, Göttingen 2010.
[58] Jochen-Christoph Kaiser (Hg.), Zwangsarbeit in Diakonie und Kirche 1939-45, Stuttgart 2005.
[59] Vgl. dazu den Forschungsüberblick von Hans-Walter Schmuhl in: Robert Jütte/Wolfgang U. Eckart/Hans-Walter Schmuhl/Winfried Süß, Medizin und Nationalsozialismus. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 2011, S. 63-74, S. 201-255.
[60] Rainer Bookhagen, Die evangelische Kinderpflege und die Innere Mission in der Zeit des Nationalsozialismus, Bd. I: Mobilmachung der Gemeinden, 1933-1937, Bd. II: Rückzug in den Raum der Kirche, 1937-1945, Göttingen 1998 und 2002. Die Diakoniegeschichte hatte sich schon seit längerem als eigenes Forschungsfeld außerhalb der Arbeitsgemeinschaft entwickelt.
[61] Björn Mensing/Heinrich Rathke (Hg.), Widerstehen. Wirkungsgeschichte und aktuelle Bedeutung christlicher Märtyrer, Leipzig 2002; dies. (Hg.), Mitmenschlichkeit, Zivilcourage, Gottvertrauen. Evangelische Opfer von Nationalsozialismus und Stalinismus, Leipzig 2003.
[62] Karl-Josef Hummel/Christoph Strohm (Hg.), Zeugen einer besseren Welt. Christliche Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2000.
[63] Anders als 1948 spannte das neue Projekt den zeitlichen Bogen auch über den Zeitraum 1918 bis 1990 und stellte damit auch Bezüge zwischen den Diktaturen des 20. Jahrhunderts her. Harald Schultze/Andreas Kurschat (Hg.), „Ihr Ende schaut an …“. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2006. Der Band erschien als Publikation der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft, jedoch außerhalb der Reihen. Die Diskussion um die evangelischen Märtyrer läuft bis heute weiter, z.B. in Bezug auf den „Lübecker Märtyrer“ Pastor Karl Friedrich Stellbrink, vgl. zum historischen Hintergrund: Hansjörg Buss, „Entjudete“ Kirche. Die Lübecker Landeskirche zwischen christlichem Antijudaismus und völkischem Antisemitismus (1918-1950), Paderborn 2011, S. 329-342, S. 422-426.
[64] http://www.evangelischer-widerstand.de [23.11.2014]. Die Ausstellung wir laufend erweitert. Inzwischen gibt es einen bayerischen und einen württembergischen Regionalteil, weitere sollen folgen.
[65] Zur Entwicklung des allgemeinen Widerstandsbegriffs vgl. den Überblick bei Alfons Kenkmann, Nonkonformität, Widerstand und Verfolgung, in: Dietmar Süß/Winfried Süß (Hg.), Die nationalsozialistische Herrschaft. Eine neue Einführung, München 2008, S. 143-162.
[66] Vgl. Mark Edward Ruff, Katholische Kirche und Entnazifizierung, in: ders./Christoph Kösters (Hg.), Die katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Einführung, Freiburg u.a. 2011, S. 142-153, hier S. 146 f.
[67] Zu den semantischen Strategien beider Großkirchen nach dem Zweiten Weltkrieg, das Geschichtsbild vom „Kirchenkampf“ dauerhaft zu etablieren, siehe Fischer-Hupe, Kirchenkampfdiskurs.
[68] Weihnachtsansprache Pius XII. über Gefahren für einen dauerhaften Frieden am 24. Dezember 1941, in: Gerechtigkeit schafft Frieden. Reden und Enzykliken des Heiligen Vaters Papst Pius XII., hg. von P. Wilhelm Jussen SJ, Hamburg 1946, S. 47-65, hier S. 52 und 55.
[69] Ansprache Pius XII. an das Kardinalskollegium über den Nationalsozialismus, in: ebd., S. 201-216, hier S. 208 und 210.
[70] Siehe etwa Ivo Zeiger, Die religiös-sittliche Lage und die Aufgabe der deutschen Katholiken, in: Der Christ in der Not der Zeit. Der 72. Deutsche Katholikentag vom 1. bis 5. September 1948 in Mainz. Hg. vom Generalsekretariat der Katholiken Deutschlands zur Vorbereitung der Katholikentage, Paderborn 1949, S. 24-39, hier S. 35.
[71] Vgl. Karl-Joseph Hummel, Die Schuldfrage, in: Ruff/Kösters (Hg.), Die katholische Kirche, S. 154-170, hier S. 154.
[72] Vgl. Karl-Joseph Hummel, Zeitgeschichtliche Katholizismusforschung in Deutschland 1945-2000. Themen, Ergebnisse, Lücken, in: Katharina Kunter/Jens Holger Schjørring (Hg.), Europäisches und Globales Christentum/European and Global Christianity. Herausforderungen und Transformationen im 20. Jahrhundert. Challenges and Transformations in the 20th Century, Göttingen 2011, S. 203-253, hier S. 206-207. Siehe auch ders., Sündenbock für das Dritte Reich? Zur Karriere der katholischen „Schuld“ seit 1945, in: Zur Debatte 3 (2007), S. 13-17, hier S. 14. Siehe ferner ders./Christoph Kösters, Kirchen im Krieg. Europa 1939-1945, Paderborn u.a. 2007.
[73] Johann Neuhäusler, Vorwort, in: ders., Kreuz und Hakenkreuz. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand. Erster Teil, München 1946, S. 7-10, hier S. 10.
[74] Cardinal Faulhaber, Geleitwort, in: ebd., S. 3-4, hier S. 3.
[75] Vgl. Olaf Blaschke, Stufen des Widerstandes, Stufen der Kollaboration, in: Andreas Henkelmann/Nicole Priesching (Hg.), Widerstand? Forschungsperspektiven auf das Verhältnis von Katholizismus und Nationalsozialismus, Saarbrücken 2010, S. 63-88, hier S. 66-67. Siehe auch ders., Geschichtsdeutung und Vergangenheitspolitik. Die Kommission für Zeitgeschichte und das Netzwerk kirchenloyaler Katholizismusforscher 1945-2000, in: Thomas Pittrof/Walter Schmitz (Hg.), Freie Anerkennung übergeschichtlicher Bindungen. Katholische Geschichtswahrnehmung im deutschsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts. Beiträge des Dresdener Kolloquiums vom 10. bis 13. Mai 2007, Freiburg im Breisgau u.a. 2010, S. 479-521, hier S. 489.
[76] Anton Koch, Vom Widerstand der Kirche 1933-1945, in: Stimmen der Zeit 140 (1947), S. 468-472, hier S. 469.
[77] Hummel, Zeitgeschichtliche Katholizismusforschung, S. 224.
[78] Vgl. Erwin Gatz, Die Katholische Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 2009, S. 134.
[79] Augustin Kast, Die Badischen Märtyrerpriester, Karlsruhe 1947. Vgl. zum Folgenden: Ulrich von Hehl, Kirche, Katholizismus und das nationalsozialistische Deutschland. Ein Forschungsüberblick, in: Dieter Albrecht (Hg.), Katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Aufsatzsammlung, Mainz 1976, S. 219-251, hier S. 225.
[80] Heinz Kühn, Blutzeugen des Bistums Berlin, Berlin 1950.
[81] Max Miller, Eugen Bolz. Staatsmann und Bekenner, Stuttgart 1951.
[82] Marianne Hapig, Alfred Delp S. J. Kämpfer. Beter, Zeuge. Letzte Briefe und Beiträge von Freunden, Berlin 1955.
[83] Walter Adolph, Erich Klausener, Berlin 1955.
[84] Heinrich Portmann, Der Bischof von Münster. Das Echo eines Kampfes für Gottesrecht und Menschenrecht, Münster 1946; ders., Kardinal von Galen. Ein Gottesmann seiner Zeit, Münster 1950; Max Bierbaum: Nicht Lob, nicht Furcht. Das Leben des Kardinal von Galen, Münster 1955.
[85] Bernhard Schwerdtfeger, Konrad Kardinal von Preysing, Bischof von Berlin. Zur Vollendung seines 70. Lebensjahres hg. vom Bischöflichen Ordinariat Berlin, Berlin 1950.
[86] Josef Weissthanner, Michael Kardinal Faulhaber 80 Jahre, München 1949.
[87] Kurt Engelbert, Adolf Kardinal Bertram, Fürsterzbischof von Breslau (1914-1945), in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 7 (1949), S. 7-37.
[88] Allerdings kann von einem „theologischen Paradigmenwechsel“ in der „Sichtweite des Phänomens von Sünde und Schuld in der Geschichte der katholischen Kirche“ vor allem „sichtbar seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil“ gesprochen werden, der auch die katholische Erinnerungsarbeit erfasste. Siehe: Wilhelm Damberg, Die Schuld der Kirche in der Geschichte, in: Karl-Joseph Hummel/Christoph Kösters (Hg.), Kirche, Krieg und Katholiken. Geschichte und Gedächtnis im 20. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 2014 S. 148-171.
[89] Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung, in: Hochland 53 (1960/61), S. 215-239; zit. nach: ders., Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Kirche und demokratisches Ethos, Freiburg im Breisgau u.a. 1988, S. 39-69, hier S. 65.
[90] Ernst-Wolfgang Böckenförde, Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche, in: Hochland 50 (1957/58), S. 4-19 und S. 409-421, zit. nach: ders., Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Kirche und demokratisches Ethos, Freiburg im Breisgau u.a. 1988, S. 21-38, hier S. 37.
[91] Carl Amery, Die Kapitulation oder deutscher Katholizismus heute, Reinbek bei Hamburg 1963.
[92] Guenter Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich, München 1965, S. 11.
[93] Vgl. „Die Kirche steht im Feuer falscher Angriffe“. Katholische Stimmen zur SPIEGEL-Serie „Mit festem Schritt ins Neue Reich“, in: Der Spiegel 15 (1965) vom 7. April 1965, S. 103.
[94] Gordon C. Zahn, Die deutschen Katholiken und Hitlers Kriege, Graz 1963, S. 232 und S. 298.
[95] Siehe dazu demnächst: Wilhelm Damberg/Karl-Joseph Hummel (Hg.), Katholizismus in Deutschland. Zeitgeschichte und Gegenwart, Paderborn i.E.
[96] Vgl.: Konrad Repgen, Der Konkordatsstreit in den fünfziger Jahren. Von Bonn nach Karlsruhe (1949-1955/57), in: Kirchliche Zeitgeschichte 3 (1990), S. 201-245. Zum Folgenden vgl. Blaschke, Geschichtsdeutung, S. 487-488.
[97] Zur Diskussion über die Junktimsthese vgl. Hubert Wolf, Reichskonkordat für Ermächtigungsgesetz? Zur Historisierung der Scholder-Repgen-Kontroverse über das Verhältnis des Vatikans zum Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012), 2, S. 169-200.
[98] Vgl. Mark Ruff, Die Auseinandersetzungen um Rolf Hochhuths „Stellvertreter“. Ein Historisierungsversuch, in: Hubert Wolf (Hg.), Eugenio Pacelli als Nuntius in Deutschland. Forschungsperspektiven und Ansätze zu einem internationalen Vergleich, Paderborn 2012, S. 111-125.
[99] Siehe etwa Thomas Grossmann, Zwischen Kirche und Gesellschaft. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken 1945-1970, Mainz 1991.
[100] Siehe etwa Reinhard Grütz, Katholizismus in der DDR-Gesellschaft 1960-1990. Kirchliche Leitbilder, theologische Deutungen und lebensweltliche Praxis im Wandel, Paderborn u.a. 2004.
[101] Siehe etwa Wilhelm Damberg, Abschied vom Milieu? Katholizismus im Bistum Münster und in den Niederlanden 1945-1980, Paderborn u.a. 1997.
[102] Vgl. Blaschke, Geschichtsdeutung, S. 504-505.
[103] Vgl. ebd., S. 519.
[104] Vgl. ebd., S. 502. Zur Vor- und Gründungsgeschichte der Kommission aus Sicht eines ihrer Gründer siehe: Rudolf Morsey, Gründung und Gründer der Kommission für Zeitgeschichte 1960-1962, in: Historisches Jahrbuch 115, (1995), S. 453-485.
[105] Blaschke, Geschichtsdeutung, S. 494-517.
[106] Vgl. www.kfzg.de [23.11.2014].
[107] Blaschke, Geschichtsdeutung, S. 517.
[108] Vgl. die entsprechende Generaldebatte des Jahres 2009 und den daraus hervorgegangenen Titel: Henkelmann/Priesching (Hg.), Widerstand?
[109] Vgl. Antonia Leugers, Forschen und forschen lassen. Katholische Kontroversen und Debatten zum Verhältnis Kirche und Nationalsozialismus, in: ebd., S. 89-109, hier S. 103.
[110] Wie geschehen im Rahmen der Tagung „Katholizismus in Deutschland – Zeitgeschichte und Gegenwart“, vgl. den Tagungsbericht: Christoph Kösters, Katholizismus in Deutschland. Zeitgeschichte und Gegenwart, 26.10.2012–27.10.2012 München, in: H-Soz-Kult, 22.03.2013 [23.11.2014]. Vgl. den daraus hervorgegangenen Sammelband: Damberg/Hummel (Hg.), Katholizismus in Deutschland, der Beiträge von Mark Edward Ruff, Hans Maier, Antonius Liedhegener, Franz-Xaver Kaufmann, Frank Bösch, Franziska Metzger, Matthias Sellmann, Ferdinand Kramer, Olaf Blaschke, Thomas Brechenmacher, Harry Oelke, Thomas Grossbölting, Wilhelm Damberg und Michael Kissener enthalten wird.
[111] Kaiser, Forschungsaufgaben, S. 37.