von Konrad Jarausch

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1. November 2012

7. November 2012

Der Wahlkampf hat in seiner Schärfe die politische Kultur der Vereinigten Staaten von einer ziemlich hässlichen Seite gezeigt. Bei den Republikanern hatte die lange Prozedur der Vorwahlen die Partei nach rechts gerückt, während viele Linksdemokraten von der zögernden Politik des Präsidenten enttäuscht waren. Zudem wurden nicht nur immense Summen an Geld in Wahlwerbung verpulvert, auch die Argumentationen nahmen es mit den Fakten nicht allzu genau. Die Fernsehdebatten, in denen der Herausforderer Mitt Romney zunächst besser aussah, boten stilisiertes Politiktheater statt einer ernsthaften Diskussion über die Probleme des Landes. Die heftigen Auseinandersetzungen, die auch von rassistischen Untertönen nicht frei waren, haben die Spaltung des Landes eher vertieft.

Vor dem Hintergrund dieser Polarisierung handelte es sich bei dem Ringen zwischen Romney und Obama um eine echte Richtungswahl. Die Republikaner polemisierten gegen Steuern, staatliche Program­me, Abtreibung sowie Einwanderung und forderten eine Außenpolitik der Stärke. Dagegen plädierten die Demokraten für weitere Reformen zur Krankenversicherung, Integration von Minderheiten, Legalisierung von Einwanderung und verlangten einen Rückzug aus Afghanistan. Auch wenn der Wahlkampf die Differenz der Positionen überbetont hat, ging es dabei um fundamental verschiedene Bilder der amerikanischen Zukunftsgesellschaft. Bei den Republikanern dominierte ein simplifizierender Rückblick auf Individualismus und den freien Markt des 19. Jahrhunderts, während die Demokraten Probleme des 21. Jahrhunderts wie Klimawandel, Globalisierung oder Gleichstellung der Frauen ansprachen.

Der Wahlsieg Obamas signalisiert die Durchsetzung eines eher urbanen, ökologischen und multikulturellen Selbstverständnisses. Die Republikaner schafften es, den Süden und weite Teile des Westens sowie die ländlichen Gebiete für sich zu gewinnen, indem sie vor allem weiße Männer ansprachen, die von Romneys Wirtschaftskompetenz beeindruckt waren. Die Demo­kraten hielten ihre Hochburgen in den Städten des Nordostens, den Industriegegenden des mittleren Westens und den Bundesstaten des Nordwestens, da sie vor allem Frauen, Schwarze und hispanische Bürger mobilisierten. Der Herausforderer rückte im Wahlkampf weiter in die Mitte, aber wegen seiner häufigen Positionswechsel blieb er unglaubwürdig. Auch wenn das Charisma des Präsidenten verblasst war, gelang es seiner basisdemokratischen, auf IT setzenden Kampagne, genügend Wähler zur Stimmabgabe zu motivieren, um einen etwas geringeren, aber immer noch klaren Sieg bei den Wahlmännern zu erringen.

Der Ausgang der Wahl hat zwar das Patt der Machtverteilung weitgehend bestätigt, aber dennoch dem Präsidenten ein deutliches Mandat für eine weitere Amtszeit beschert. Aufgrund schlechter Kandidatenauswahl und unsäglichen Stellungnahmen gegen Abtreibung bei „legitimer Vergewaltigung“ gelang es den Republikanern nicht, die Mehrheit im Senat zu erobern. Durch die geschickte Neueinteilung der Wahlbezirke können sie sich aber weiterhin auf eine komfor­table Mehrheit im Kongress stützen. Auch der Oberste Gerichtshof wird seine eher konservative Mehrheit behalten. Dennoch ist das Projekt der „Tea Party“ einer weiteren Rechtsradikalisierung klar gescheitert, so dass sich die Republikaner fragen müssen, ob sie nicht ihre Aus­richtung grundlegend revidieren sollten. Dagegen können sich die Demokraten darin bestätigt fühlen, dass sie die attraktiveren Zukunftsideen für die Vereinbarung von wirtschaftlichem Aufschwung und sozialer Gerechtigkeit besitzen.

Durch seine zweite Amtszeit hat Obama die Chance, sich durch Fortführung der Reformen von einem mittelmäßigen Präsidenten zu wirklicher historischer Größe zu entwickeln. Dabei steht er vor enormen Herausforderungen. Durch den Haushaltskompromiss steuert das Land auf eine „fiskalische Klippe“ durch massive Steuererhöhungen bei gleichzeitigen Ausgabenkürzun­gen zu. Die Umsetzung der Gesundheitsreform, die Reparatur der verkommenen Infrastrukturen, die Legalisierung der Einwanderung und der Rückzug aus den Kriegsschauplätzen im Nahen Osten sind riesige Aufgaben, die eine parteiübergreifende Zusammenarbeit erfordern. Alles wird darauf ankommen, ob der Präsident sein Zögern überwindet, um sich zu wirklicher Führung durchzurin­gen, und ob die Republikaner aus ihrer Niederlage die Lehre einer notwendigen Mäßigung ihrer Forderungen ziehen. Jedenfalls können besorgte Europäer froh sein, dass das Land eine Rückkehr zu den Mythen des vergangenen Jahrhunderts zurückgewiesen hat und sich nun erneut den drängenden Problemen der Zukunft zuwenden kann.