von Lara Danyel

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6. März 2017

Von #holmbleibt zur Uni von unten

Am 16.2.2017, ein Donnerstagmorgen, beendeten die Studierenden die Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften (ISW) an der Humboldt-Universität (HU). In den vorangegangenen fünf Wochen hatte sich die Besetzung von einer spontanen Initiative einiger Studierender für den Verbleib des wissenschaftlichen Mitarbeiters Andrej Holm am ISW zu einer in der ganzen Stadt diskutierten Protestbewegung entwickelt. Die durch die Proteste erkämpfte Öffnung des universitären Raumes führte zu einer breiten Politisierung innerhalb der Hochschule, etablierte eine Verhandlungsposition gegenüber der Leitung der Humboldt-Universität und verwandelte das Institut für Sozialwissenschaften temporär in einen Ort für nichtelitären, basisdemokratischen und (stadt-)politischen Austausch, der von vielen Studierenden und Mitarbeiter*innen auch anderer Berliner Hochschulen und zivilgesellschaftlicher Initiativen willkommen geheißen, aber ebenso stark von unterschiedlichen Seiten diskutiert und kritisiert wurde. Das Ende der Besetzung wurde von den Beteiligten als Erholpause, von vielen Mitarbeiter*innen des ISW als partielle Wiederherstellung des Arbeitsalltags und von der Instituts- und Universitätsleitung wohl mit Erleichterung begrüßt. Zwar wurde die Forderung nach dem Verbleib Andrej Holms an der Humboldt-Universität von der Leitung der Universität erfüllt, die Probleme, die darüber hinaus von studentischer Seite thematisiert wurden, haben sich jedoch nicht einfach aufgelöst - und somit auch nicht die Kritikpunkte der Studierenden.

In ihrem Besetzungsmanifest haben die Besetzer*innen diese Kritik folgendermaßen zusammengefasst:

"Was wir wollen
Wir wollen die Ökonomisierung von Forschung und Lehre stoppen.
Wir wollen kritische Lehre und Forschung ermöglichen, militärische, diskriminierende und menschenfeindliche Lehrinhalte abschaffen.
Wir wollen existenzsichernde Lebensgrundlagen statt prekärer Beschäftigungsverhältnisse. [...]
Wir wollen eine Öffnung der Universität und aller Bildungseinrichtung für alle Menschen unabhängig von Herkunft, Status, Gender, ökonomische Situation oder Qualifikation.
Wir wollen Bildungsinstitute, die allen Menschen die Möglichkeit geben einen Raum des gleichberechtigten Lernen und Lehrens zu schaffen.
Wir wollen eine gleichberechtigte Gesellschaft frei von fremdbestimmten Herrschafts- & Besitzverhältnissen."
[1]

Diese Forderungen, welche auf den ersten Blick ein abstraktes und idealistisch anmutendes Gesellschaftsbild skizzieren, knüpfen dennoch an konkrete Politiken und Entscheidungspraxen der Humboldt-Universität an. In ihrer politischen Dimension manifestieren sich diese Praxen finanziell, inhaltlich, personell, strukturell und nicht zuletzt räumlich.

Die unternehmerische Universität
Die Neoliberalisierung der Universität ist spätestens seit der Einführung des leistungsbasierten Hochschulfinanzierungssystems für viele Berliner Hochschulen ein Streitthema. Neben einer Sockelfinanzierung, die grundsätzlich jeder Hochschule zur Verfügung gestellt wird, werden weitere Zahlungen an Leistungen gebunden, die von der jeweiligen Universität zu erbringen sind. Anstatt die Berliner Hochschulen auszufinanzieren, wodurch 'bilanzschwache' Fachrichtungen[2]gestützt und Entscheidungen für Lehrstühle nicht von zukünftigen Drittmittelzahlungen beeinflusst würden, werden leistungsbasierte Zahlungen beispielsweise von der “Steigerung der Drittmitteleinnahmen” sowie “Kooperationsverträge[n] mit regionalen Wirtschaftsunternehmen”[3] abhängig gemacht. Die Bemessung und Verwendung der Mittel bzw. der Leistungen der Hochschulen ist dringend notwendig, um eine gerechtere Verteilung von Mitteln innerhalb der Universität zu erzielen, so der ehemalige Bildungssenator Jürgen Zöllner.[4] Ein Finanzierungsmodell, das die Aufnahmekapazitäten der Universität steigern will, aber die Qualität der Lehre nicht an dem Lehrenden-/Studierenden-Verhältnis, sondern an der Studienabbrecherquote bemisst, kann dem jedoch nicht gerecht werden. In Verbindung mit der angekündigten Strukturreform - durch die insgesamt acht Prozent der finanziellen Mittel an allen Fakultäten der Humboldt-Universität bis zum Jahr 2030 eingespart werden sollen - hat sich Protest geformt, welcher auch durch eine studentische Initiative verkörpert wird, die sich 'HU für Alle' nennt. Auf ihrer Facebook-Seite fragen die Initiator*innen der Initiative: “Im Koalitionsvertrag sind für die kommenden fünf Jahre jeweils 3,5% mehr Gelder für die Unis vorgesehen. Warum also kürzen?”[5]

Eine Universität, die zunehmend als Unternehmen funktionieren muss und dabei das Steigern von 'Wettbewerbsfähigkeit' und internationale[r] Attraktivität'[6] sowie den “Erhalt wettbewerbsfähiger und wirtschaftlicher Strukturen der Berliner Hochschulen in Lehre und Studium”[7] als Maßstab für erfolgreiches Hochschulmanagement sieht, wird in Studierendenprotesten häufig als ursächlich für die Verdrängung von kritischer Lehre und Forschung gesehen. Auch die Anreize, die durch die Exzellenzinitiative gesetzt werden, stehen in der Kritik, weil sie zwar für spezialisierte Forschungsprojekte wichtige Gelder bringen, gleichzeitig aber die deutlich gestiegene Zahl der Bachelor-Studienanfänger*innen davon kaum profitiert. Die Folgen eines solchen Finanzierungssystems manifestieren sich am ISW, genau wie an anderen geisteswissenschaftlichen Instituten sehr deutlich, durch prekäre Arbeitsverhältnisse in Form von schlecht bezahlten Lehraufträgen, den Abbau von Mittelbaustellen sowie einer Zunahme von (projektgebundenen) befristeten Stellen, von denen selbst Anstellungen für permanente Aufgaben (Praktikumsbetreuung, Studienberatung etc.) nicht verschont bleiben. Daran schließt sich ein weiteres Problem an: Diese Entscheidungen, die alle Statusgruppen der Universität betreffen, werden auf unterschiedlichen Ebenen in Gremien mit professoralen Stimmenmehrheiten getroffen. Dementsprechend wird im Besetzungsmanifest die Forderung nach einer Demokratisierung der Hochschulpolitik mit einer "viertelparitätischen Besetzung aller universitärer Gremien der HU" vermerkt.[8] Strukturelle und inhaltliche Lücken in der Vertretung von 'bilanzschwachen' Forschungsrichtungen an den Instituten der HU schlagen sich nicht zuletzt in einem unausgeglichenen Lehrangebot für Bachelor- und Masterstudierende nieder. Qualitative Forschungsmethoden, Seminare zu Themen wie Postkolonialismus, Feminismus und Anti-Rassismus sowie Gegenkonzepte zu einer eurozentrischen Wissenschaft sind im Lehrangebot konstant unterrepräsentiert beziehungswiese sind Veranstaltungen mit diesen Themen ständig überfüllt, wodurch auch ein vertiefendes Lernen in diesen Forschungszweigen für Bachelorstudierende oftmals an einige Hürden geknüpft ist.

Die Forderung nach (Re-)Politisierung des Studienalltags
Solche Schräglagen im universitären Alltag erfordern eine umso politischere Studierendenschaft, die sich kritisch mit den strukturellen Entwicklungen der Universität auseinandersetzt und aktiv wird, um auch für nachfolgende Generationen einen gerechteren universitären Raum zu schaffen, in dem nicht finanzielle Notwendigkeiten, sondern Qualität und Multiperspektivität der Lehre sowie Pluralität in der Forschung das Studium prägen.
Die Besetzung des ISW stellt deshalb eine interessante Raumaneignung dar, in dem diese Forderungen zumindest im Ansatz gelebt werden konnten. Wie und ob sie nachhaltig erkämpft und institutionalisiert werden können, werden künftige Studierendeninitiativen zu beweisen haben.
Die Besetzung des ISW hat deutlich gemacht, dass das Besetzen als traditionelle Protestform noch immer zeitgemäß ist und auch in aktuellen politischen Auseinandersetzungen Wirkung zeigen kann. Dass Studierende dabei auf andere Statusgruppen angewiesen sind, hat die Besetzung des ISW auch gezeigt. 'HU für Alle' und 'Uni von Unten' sollte immer auch Mitarbeiter*innen des Mittelbaus, Mitarbeiter*innen aus Service, Verwaltung und Technik aktiv einbinden und somit einen Raum für Protest schaffen, in dem sich Menschen dieser Statusgruppen willkommen und eingebunden fühlen.
Die Besetzung des ISW hat schließlich umso mehr aufgezeigt: Es gibt einen dringenden Bedarf an statusgruppenübergreifenden Diskussionen über hochschulpolitische, strukturelle Probleme einerseits und eine ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Machthierarchien andererseits. Für die Sozialwissenschaftler*innen an der Humboldt-Universität ist es also Zeit, Herrschaftskritik einmal mehr an sich selbst zu üben.

 

[1] Besetzungsmanifest der Besetzer*innen des ISW vom 24.01.2017, letzter Zugriff: 26.02.2017.
[2] Vgl. Ralf Pauli: Die Hochschultrojaner. Stiftungsprofessuren in Deutschland, in: die taz vom 17.02.2015, letzter Zugriff: 26.02.2017.
[3] Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung (2011): Broschüre zur Leistungsbasierten Hochschulfinanzierung, letzter Zugriff: 26.02.2017.
[4] Ebd.
[5] Facebook-Seite ‘HU für Alle’, letzter Zugriff 26.02.2017.
[6] Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung (2011): Broschüre zur Leistungsbasierten Hochschulfinanzierung, letzter Zugriff: 26.02.2017.
[7] Vertrag für die Jahre 2014 bis 2017 gemäß § 2a Berliner Hochschulgesetz zwischen dem Land Berlin, vertreten durch die Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft und der Humboldt-Universität zu Berlin, vertreten durch den Präsidenten vom 10. Januar 2014, letzter Zugriff: 26.02.2017.
[8] Besetzungsmanifest der Besetzer*innen des ISW vom 24.01.2017, letzter Zugriff: 26.02.2017.