Laut prasselt der Regen gegen die Fensterscheiben der U1, übellaunige Menschen zetern unüberhörbar über die Ungerechtigkeiten dieser Welt, während mir der durchdringende Geruch von Urin in die Nase steigt. Unsanft bin ich wieder in der Realität gelandet. Mir ist, als käme ich aus einer völlig anderen Welt. Einer Welt, die sich die Liebe auf die Fahnen geschrieben hat und die mir so viel heller und freundlicher schien als das kalte Berlin. Eine Welt, in der mich die Menschen herzlich und mit offenen Armen empfingen und mich einluden, ihre Begeisterung für den technischen Fortschritt und die Digitalisierung zu teilen. Nach drei Tagen auf der re:publica, die dieses Jahr unter dem Motto „Love out loud“ stand, fragte ich mich auf meiner Fahrt durch Berlin, was von dieser Begeisterung geblieben ist?
Seit elf Jahren zieht die re:publica viele Blogger*innen, Programmierer*innen, Netzaktivist*innen, Journalist*innen, Youtuber*innen und all jene in ihren Bann, die sich für die Themen der digitalen Gesellschaft interessieren und genug Kleingeld für ein Ticket in der Tasche haben. Drei volle Tage lang existiert dieser Planet namens Nerdistan mitten in Berlin-Kreuzberg – großzügig gesponsert von IBM und Daimler. Tagsüber eilen die Teilnehmer*innen geschäftig von Session zu Session, experimentieren in Workshops oder schlendern gemütlich durch die Ausstellungshalle, abends wird gefeiert. Die hedonistische Seite der Nerds darf schließlich nicht zu kurz kommen, denn im Grunde feiert die Szene sich selbst – inspiriert vom „Love out loud“.
Das Motto der re:publica 2017 ist nicht zufällig gewählt, sondern bezieht sich auf den zunehmenden Hass und die Verrohung der Sprache im Netz und schließlich auch auf die aktuelle politische Entwicklung in Deutschland. Bei Themen, die etwa die Situation der Geflüchteten betreffen, und dem Wunsch nach einem „hartem Eingreifen“ durch Justizminister Maas versuchen re:publicaner*innen, andere moderatere Ansätze zu finden, nicht zuletzt um ihrer selbst willen. Die Konferenz ist erwachsen geworden. Das sieht man an den Speaker*innen – so wird mit Thomas de Maizière und Andrea Nahles (mehr oder weniger) konstruktiv diskutiert – als auch an den Sessions, die gesellschaftspolitische Entwicklungen aufgreifen: AfD, Trump und Fake News sind dabei die beherrschenden Themen. Schließlich hat die Digitalisierung doch vor allem dazu geführt, dass jede*r an allen Debatten im Netz teilnehmen kann. Das ist zunächst einmal gut, denn es birgt demokratisches Potential. Doch auf der anderen Seite kann so jede*r ungeprüfte Informationen, Gerüchte und Hass streuen, ohne den Deckmantel der Anonymität zu verlassen.
Digitalisierung ist jedoch viel mehr als das Internet: Sie durchdringt inzwischen jeden Lebensbereich und wird unsere Zukunft bestimmen wie kaum ein anderes Phänomen der Technikgeschichte. So besteht im Bereich der Arbeit die Furcht, dass Roboter oder Maschinen in der Zukunft kostengünstiger und effizienter sind, wodurch Menschen ihre Jobs verlieren. Diese Furcht wurde auch im Panel mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) thematisiert. Im Zentrum stand die Frage, ob das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) die Antwort auf die Digitalisierung der Arbeit sei. Die SPD und mit ihr Andrea Nahles verneinten das vehement. Nach Andrea Nahles führe die Einführung des BGE nur dazu, dass es keine gerechten Löhne mehr geben würde. Als Alternative schlug sie ein steuerfinanziertes Startguthaben vor, das jede*r Bürger*in ab dem 18. Lebensjahr als Ergänzung zu anderen Sozialleistungen bekommt. Dies könne für Weiterbildungen, Gründungen, ehrenamtliches Engagement oder auch ein Sabbatical genutzt werden. Nette Idee, doch hat Andrea Nahles das bislang noch nicht mit Schäuble besprochen, denn „wenn ich mit dem Finanzminister über meine guten Ideen rede, dann sind die tot“, so Nahles.[1] Um das BGE als Antwort auf den digitalen Wandel ging es im Verlauf der Diskussion dann immer weniger, vielmehr wollte Nahles ihre Position um jeden Preis verteidigen. Einem Fragesteller warf sie vor, dass er eine „verkackte Grundthese“[2] anführe. Klingt fast ein bisschen trumpesk: Kaum kommt Kritik, verlässt man die sachliche Ebene und degradiert den*die Kritiker*in auf der persönlichen Ebene. Dabei war doch gerade diese Trumpigkeit samt der Produktion von Fake News eines der prominenten Themen der re:publica. So gesehen war es doppelt schade: auf der einen Seite wegen der – durch den rüden Ton von Nahles – abflauenden Diskussion über das BGE und auf der anderen Seite, weil die Ministerin offenbar das Motto der re:publica nicht verstanden hatte.
In anderen Sessions, besonders in den Panels zur AfD oder zu Fake News, wurde dagegen konstruktiv und respektvoll diskutiert. So sind es wohl nicht zuletzt Angst und Ratlosigkeit, die die Menschen zusammenkommen lassen. Wie begegnet man Rechtspopulist*innen im Netz? Wie werden Wahlen durch Fake News manipuliert? Und wie verhindert man den Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit als Journalist*in, wenn schlecht recherchierte und polemische Beiträge im Sekundentakt in die Nachrichtenfeeds geschossen werden? Und vor allem: Was setzt man dem Hass entgegen? Ignoriert man die ständigen Beleidigungen oder macht man sie öffentlich? Eröffnet man den Dialog mit Rechtspopulist*innen und bietet ihnen damit eine Plattform oder schließt man sie aus? Und führt nicht die Ignoranz dazu, dass man schließlich nicht klüger agiert als jene, die „den Anderen“ wegen differenter Meinung, Herkunft, Geschlecht etc. schmähen? Es wurde schnell deutlich, dass es nicht die perfekte Strategie gibt. Was aber jede*r im Fall des Shitstorms braucht, ist Unterstützung und Solidarität sowohl im privaten Umfeld als auch von den Arbeitgeber*innen.
Manche Speaker*innen haben sich entschieden, den Fake News Aufklärung entgegenzusetzen. So versuchten zum Beispiel Moritz Hoffmann und Charlotte Jahnz auf einer völlig überfüllten Stage ideologisierte und konstruierte Geschichtsbilder im Netz zu dekonstruieren. Das Netz berge nicht nur die Möglichkeit zur Information, sondern auch zur Formation bestimmter Gruppen und Weltanschauungen. In diesen Gruppen bilden sich laut Hoffmann geschlossene Geschichtsbilder, sodass dann zum Beispiel eine Wehrmachtsgruppe bei Facebook 55.000 Likes hat, die ihre Mitglieder auffordert, Bilder aus der Zeit von 1935-1945 zu posten, sich dabei jedoch als unpolitisch bezeichnet. Im Netz kann eben auch jede*r in der eigenen Blase verbleiben. Moritz Hoffmann und Charlotte Jahnz ist es sehr gut gelungen, derlei hermetische Geschichtsbilder aufzulösen. Doch birgt vielleicht gerade die öffentliche Dekonstruktion die Gefahr, zur Satire zu verkommen. Die Methoden der Aufdeckung von Falschinformationen und Hasskommentaren im Netz bleiben schwierig, doch sollte man sie unter keinen Umständen scheuen, denn nur durch Aufklärung hat man die Chance, Hass-Kommentare und Fake News zu entlarven.
* Zitat von Cedric Price
[1] re:publica 2017: Bedingungsloses Grundeinkommen – (K)eine Antwort auf den Digitalen Wandel, Min. 21:41-21:45.
[2] Ebd., Min. 51:04-51:06.