von Malte Borgmann

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29. Juli 2017

Spätestens seit dem Putschversuch in der Türkei vom Sommer 2016 und der anschließenden Repressionswelle gegen Andersdenkende ist der Umgang mit der Türkisch-Islamischen Union (DITIB) in der Bundesrepublik Gegenstand scharfer Debatten. Der Beitrag beleuchtet die zeithistorischen Umstände der Entstehung des deutschlandweit ersten DITIB-Verbandes in Westberlin sowie die Reaktionen des Berliner Senats mit Blick auf die Forderung nach einem Islamunterricht an den öffentlichen Schulen. 

Das Ende der Rückkehr-Illusionen

Westberlin war erst ab 1964 in das bundesdeutsche Anwerbeverfahren für ausländische Arbeitskräfte einbezogen, hierhin migrierten vor allem Türk*innen und Jugoslaw*innen. Trotz des 1973 erfolgten Anwerbestopps wuchs der türkische Bevölkerungsanteil der Stadt zwischen 1978 und 1981 um fast ein Drittel auf knapp 120.000. Einer der Hauptgründe hierfür war der Nachzug von Verwandten der Arbeitsmigrant*innen, der seine Ursache vor allem in der instabilen politischen und wirtschaftlichen Lage in der Türkei hatte.

Unter Verwendung rassistischer Überfremdungsrhetorik beabsichtigte der neu gewählte CDU-Senat Ende 1981, die Familienzusammenführung zu begrenzen. Die entsprechenden Versuche scheiterten zwar weitgehend, hatten allerdings den Effekt, dass sich alle Seiten darüber klar wurden, dass nur ein sehr kleiner Teil der türkischen Berliner*innen wieder in die Türkei zurückkehren würde. Die Migrant*innen selbst machten ihre Intentionen durch ihr politisches Engagement gegen die aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen deutlich, während die türkische Regierung in direkten Gesprächen mit Berliner Beamt*innen erklärte, ihr Land könne aufgrund der wirtschaftlichen Situation kaum Rückkehrer*innen aufnehmen. Somit war endgültig die Illusion beendet, wonach es sich beim Aufenthalt der Türk*innen in Berlin nur um ein Provisorium handele – stattdessen standen nun alle Zeichen auf Niederlassung.

Die Angst vor dem Erstarken des Islamismus

Kurz zuvor hatte sich die politische Polarisierung in der Türkei in den späten 1970er Jahren, bei der sich linke und linksradikale auf der einen und nationalistische und orthodox-islamische Kräfte auf der anderen Seite gegenüberstanden, auch unter den in Deutschland lebenden Türk*innen bemerkbar gemacht. Beide Lager warben in der Bundesrepublik verstärkt um Anhänger*innen, wobei es rechten Gruppierungen u.a. über Moscheen und Korankurse für Heranwachsende gelang, viele Türk*innen zu erreichen, die in erster Linie nach Möglichkeiten suchten, ihren Glauben zu praktizieren. Dies wurde dadurch begünstigt, dass das türkische Amt für Religiöse Angelegenheiten zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Bundesrepublik aktiv war und linksgerichtete Gruppen sich aufgrund ihrer laizistischen Überzeugungen in aller Regel nicht im religiösen Bereich engagierten.

In Westberlin reagierte der Kultursenator, indem er Anfang 1978 die Zuschüsse für sämtliche Koranschulen strich. Wieder aktuell wurde die mögliche Beeinflussung muslimischer Jugendlicher durch Islamist*innen, als die Westberliner Islamische Föderation 1980 erstmals beantragte, an den öffentlichen Schulen Islamunterricht anbieten zu dürfen. Hintergrund war, dass Religionsunterricht in Berlin kein ordentliches Schulfach war, sondern von anerkannten Religionsgemeinschaften eigenständig durchgeführt wurde – zu diesem Zeitpunkt waren dies nur die beiden christlichen Kirchen. Aufgrund der als extrem konservativ eingeschätzten Ausrichtung der Islamischen Föderation stand der Senat dieser von Beginn an ablehnend gegenüber. Im Juli 1982 wies die Senatsverwaltung für Schulwesen den Antrag schließlich mit dem Verweis darauf zurück, dass die Islamische Föderation keine Religionsgemeinschaft sei und damit die Voraussetzung für die Genehmigung des Islamunterrichts nicht erfülle.

Die Gründung der DITIB und das Zögern des Senats

Die türkische Militärregierung störte sich wiederum an der Tatsache, dass in Deutschland weiterhin religiöse wie politische Gruppierungen aktiv waren und großen Zulauf hatten, die in der Türkei seit dem Putsch vom September 1980 verboten waren. Um deren Einfluss zurückzudrängen, initiierten das türkische Generalkonsulat und das türkische Amt für Religiöse Angelegenheiten über ihre Mitarbeiter*innen Anfang 1982 in Westberlin die Gründung des ersten DITIB-Verbandes – mehr als zwei Jahre vor der Entstehung des DITIB-Bundesverbandes. Qua Satzung verfolgte der Verein zwei Hauptziele. Erstens wollte er „die in Berlin lebende türkische Gemeinschaft in allen Angelegenheiten der islamischen Religion betreuen […]“. Zweitens sollte DITIB „in Zusammenarbeit mit dem Unterrichtsministerium der türkischen Republik und dem Präsidenten des Amts für Religiöse Angelegenheiten Programme für den islamischen Religionsunterricht an Berliner Schulen vorbereiten und durchführen.“[1]

Der Berliner Senat zeigte sich sogleich sehr interessiert an dem neuen Verein und dem geplanten Islamunterricht. Bereits im April 1982 fand ein Treffen statt, bei dem man sich gegenseitig der Bereitschaft zur Zusammenarbeit versicherte. In den folgenden zwei Jahren beschäftigten sich die Senatsverwaltungen dennoch nur zögerlich mit der Frage, in welcher Form ein Islamunterricht an Berliner Schulen eingeführt werden könnte. Kopfzerbrechen bereitete den Verantwortlichen insbesondere der vermutete Widerspruch zwischen „einigen Glaubenssätzen des Islam“ und der „Werteordnung des Grundgesetzes“[2] sowie die Frage, mit welchen der vielen muslimischen Vereinigungen man zusammenarbeiten könne.

Die Einigung zwischen Senat und türkischem Konsulat

Beide Problempunkte glaubte der Senat durch eine direkte Kooperation mit dem türkischen Konsulat lösen zu können, weil in den Lehrplänen des türkischen Staates für den Religionsunterricht die „gesellschaftspolitischen Implikationen“ des Islam „fast völlig ausgeklammert bzw. eliminiert“[3] seien.

Um also „den Angeboten der in der Öffentlichkeit z.T. umstrittenen Moscheevereine und Koranschulen eine konstruktive Alternative gegenüberzustellen“[4], einigten sich Senat und Konsulat schließlich 1984 darauf, dass letzteres neben dem bereits seit den 1960er Jahren bestehenden muttersprachlichen Ergänzungsunterricht künftig auch Islamunterricht in türkischer Sprache anbieten sollte. Die Schulbehörde bezuschusste dieses Angebot, das kein Teil des regulären Stundenplans war und an dem die türkischen Schüler*innen freiwillig teilnehmen konnten, mit 50 % der entstehenden Kosten. Die DITIB war zwar offiziell nicht involviert, weil auch sie aus Senatssicht nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt werden konnte, sollte aber dem Konsulat bei der neuen Aufgabe Unterstützung leisten. Durch die Entscheidung für den Konsulatsunterricht in türkischer Sprache bestand jedoch kein Angebot für die „zahlreiche[n] moslemische[n] Schüler anderer Herkunft mit divergierenden religiösen Traditionen“[5], obwohl die Schulsenatorin dies zuvor als erstrebenswert bezeichnet hatte.

Den eigenen Bedenken, wonach es im vom Konsulat durchgeführten Islamunterricht zur „in der Türkei üblichen Verknüpfung von türkischem Nationalismus und islamischer Religiosität“[6] kommen könnte und die Inhalte „auf die türkische Regierung hin orientiert sein“[7] würden, wollte der Senat dadurch begegnen, dass im Vorfeld die Lehrpläne und Lehrbücher auf ihre Übereinstimmung mit dem Berliner Schulgesetz geprüft werden sollten. Für den laufenden Unterrichtsbetrieb waren allerdings keine Überprüfungen vorgesehen, obwohl die türkische Regierung angeboten hatte, den Unterricht unter deutsche Schulaufsicht zu stellen.

Fazit: Die Problemvermeidung der Berliner Politik stärkt den Einfluss der türkischen Regierung

Eine ständige Aufsicht über den Islamunterricht hätte also realisiert und durchaus auch rechtlich verankert werden können. Hierauf verzichteten die Verantwortlichen jedoch und betonten stattdessen, es handele sich bei der Kooperation mit dem Konsulat lediglich um eine „Zwischenlösung“[8] – diese hatte dennoch bis in die 2000er Jahre Bestand. Festzuhalten bleibt demnach, dass der Westberliner Senat noch zwei Jahrzehnte nach dem Beginn der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte darauf verzichtete, wichtige Institutionen wie die Schule den Bedürfnissen der neuen Bevölkerungsgruppen anzupassen. Stattdessen überließ man die Zuständigkeit den türkischen Stellen – und sorgte auf diese Weise dafür, dass diese nicht nur in Moscheen, sondern auch in den Klassenräumen schnell an zusätzlichem Einfluss gewannen.

Deutschsprachige Literatur zum Thema

Malte Borgmann: Zwischen Integration und Gleichberechtigung. Migrationspolitik und migrantischer Aktivismus in Westberlin, 1969–1984, Masterarbeit an der Freien Universität Berlin, 2016.

Havva Engin: „Kein institutioneller Wandel von Schule?“. Bildungspolitische Reaktionen auf Migration in das Land Berlin zwischen 1990 und 2000 im Spiegel amtlicher und administrativer Erlasse, Frankfurt am Main/London 2003.

Andreas Gorzewski: Die Türkisch-Islamische Union im Wandel, Wiesbaden 2015.

Karin Hunn: „Nächstes Jahr kehren wir zurück…“. Die Geschichte der türkischen „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik, Göttingen 2005.

Ertekin Özcan: Türkische Immigrantenorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin (West) 1989.


[1] Satzung der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, D.I.T.I.B., einzutragender Verein, vom 13.01.1982, Landesarchiv Berlin (im Folgenden LAB), B Rep. 004, Nr. 1148.
[2] Schreiben des Senators für Schulwesen an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz der Länder in der Bundesrepublik Deutschland vom 13.12.1982, LAB, B Rep. 004, Nr. 1156.
[3] Schreiben der Ausländerbeauftragten an den Senator für Schulwesen, Jugend und Sport, den Senator für Kulturelle Angelegenheiten und den Senator für Justiz von Juni 1983, LAB, B Rep. 004, Nr. 1156.
[4] Besprechungsunterlage der Ausländerbeauftragten zur Sitzung des Senatsausschusses für Ausländerfragen am 29.11.1983, zum TOP 4: Erteilung von islamischem Religionsunterricht in der Berliner Schule, LAB, B Rep. 004, Nr. 3324.
[5] Schreiben des Senators für Schulwesen vom 13.12.1982 (wie Anm. 2).
[6] Besprechungsunterlage zum 29.11.1983 (wie Anm. 4).
[7] Protokoll der 2. Sitzung der Kommission „Islamischer Religionsunterricht“ am 05.08.1983, LAB, B Rep. 002, Nr. 37384.
[8] Besprechungsunterlage zum 29.11.1983 (wie Anm. 4).