von Martina Winkler

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1. Oktober 2017

Mit einem großen Vorsprung hat der umstrittene Milliardär Andrej Babiš die Parlamentswahl am 20. und 21. Oktober in Tschechien gewonnen. Der Populist kam mit seiner Protestbewegung ANO ("Ja") auf 29,7 Prozent der Stimmen. Martina Winkler, Beiratsmitglied bei Zeitgeschichte-online berichtet von den Wahlen bereits eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale. (die Red.)

In den Reigen der Länder mit beängstigend starken populistischen Parteien hat sich nun also auch Tschechien eingereiht. Bereits seit Monaten wird der Milliardär Andrej Babiš als möglicher Sieger der Parlamentswahlen und damit künftiger Premierminister des Landes gehandelt. Eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale sieht es ganz danach aus, als hätten die Prognosen Recht behalten. Es fragt sich, ob diese Entwicklung besser vor dem Hintergrund globaler Konstellationen erklärt werden kann, oder ob sie eher hausgemacht ist – oder ob wir es mit einer Mischung aus beidem zu tun haben. Zu befürchten ist in jedem Fall, dass die kommenden Monate eine konsequente Fortsetzung der Schwächung des demokratischen Systems in Tschechien bringen werden. Damit würden schließlich europäische und globale Trends gestärkt.

Babiš ist es gelungen, eine große Zahl von Wählern hinter sich zu bringen, ungeachtet der Tatsache, dass er der Steuerhinterziehung und des Betrugs bezichtigt wird und nach einem Eklat im Mai 2017 seiner Position als Finanzminister enthoben wurde. Seine Vergangenheit als Mitglied der kommunistischen Partei seit 1980 und Mitarbeiter der Geheimpolizei ist allgemein bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass er sein Vermögen einem reichen Erbe an sozialem Kapital aus der Zeit vor 1989 verdankt sowie halblegalen und kriminellen Machenschaften. Auch seine direkte und manipulative Einflussnahme auf Medien – die er in großem Stil eingekauft hat – ist kein Geheimnis.

Er gibt sich antipolitisch, und dies vor allem scheint sein Erfolgsrezept zu sein. Die von ihm mitbegründete ANO versteht sich nicht als Partei, sondern als politische Bewegung bzw. „Aktion unzufriedener Bürger“ (Akce nespokojených občanů). Damit steht sie allerdings nicht allein. Die tschechische Parteienlandschaft ist reich an Bewegungen, Blöcken und Vereinigungen, gern gerichtet gegen Flüchtlinge und den Islam, aber ebenso gegen die sogenannten etablierten Parteien – und dies in einem Maße, dass die „etablierten Parteien“ inzwischen in der Minderheit sind. Das Verhältnis vieler politischer Akteure zum parlamentarischen System und zur liberalen Demokratie gestaltet sich häufig problematisch. Die antieuropäische und xenophobe SPD will direkte Demokratie und Referenden (unter anderem eines zum Verbleib in der EU); die Kommunistische Partei argumentiert ebenfalls für möglichst direkte Volksentscheide; Babiš plant eine Verschlankung – seine Kritiker meinen: Entmachtung – des Parlaments, indem das Unterhaus verkleinert und das Oberhaus schlicht abgeschafft wird; Staatspräsident Miloš Zeman witzelt vor laufenden Kameras, es gäbe zu viele Journalisten, einige seien bitteschön zu liquidieren.

Babiš bewegt sich offenbar sehr geschickt in dieser Umgebung, die Politik als grundsätzlich korrupt betrachtet und kaum mehr Hoffnungen in die liberale Demokratie setzt. Dabei verspricht er einerseits Verbesserungen, andererseits erklärt er wieder und wieder auf geradezu entwaffnende Weise, selbst keinesfalls eine andere oder auch nur irgendeine politische Ethik zu wollen. Sein achselzuckendes „sorry jako“ (etwa: „´tschuldigung, stellt euch nicht so an“) als Reaktion auf Betrugsvorwürfe sowie die Kaltschnäuzigkeit, mit der er Kritiker als Lügner und polizeiliche Ermittlungen als politische Verschwörung abtut, setzen den wirtschaftlichen Erfolg absolut. Die Mittel, die auf dem Weg zum Erfolg angewandt werden, sind dabei nicht einmal mehr zweitrangig. Babiš bestreitet heute zwar halbherzig, die vielzitierte Aussage „všetci kradnú” („alle stehlen“) stamme tatsächlich von ihm, die Tatsache aber, dass dieser Satz nicht das politische Aus bedeutete, sondern den Weg in die Regierungsverantwortung, bestätigt die These von der großen Bedeutung wirtschaftlichen Erfolges für Wahlentscheidungen in Ostmitteleuropa.

Dass es dabei jedoch nicht um konkrete Zahlen und Resultate realer Wirtschaftspolitik geht, zeigt die Tatsache, dass die Sozialdemokratische Partei, die mit Bohuslav Sobotka bisher den Premierminister stellte, empfindlich abgestraft wurde. In den ersten Hochrechnungen bleibt sie deutlich unter der Zehn-Prozent-Marke. Denn es ist bezeichnenderweise nicht die wirtschaftliche Situation des Landes, um die es den WählerInnen zu gehen scheint. Mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenquote von unter drei Prozent und einem aktuellen Wirtschaftswachstum von fast fünf Prozent könnten die WählerInnen mit ihrer bisherigen Regierung eigentlich ganz zufrieden sein. Ganz offenbar haben wir es hier mit dem Trump-Effekt zu tun: Die privatwirtschaftlichen Profite Babiš', die zudem deutlich größer sind als die Erfolge des oft konkursgeplagten Donald Trump, lassen viele auf ähnliche sensationelle Erfolge für das ganze Land hoffen.

Nicht wenige KritikerInnen vermuten auch, es sei schlicht der Wunsch der Mehrheit, auf einer Erfolgswelle mitzuschwimmen und zu jenen zu gehören, die den Gewinner Babiš als „lídr“ einer Partei und eines ganzen Landes gewählt haben. Vermutlich lässt sich dies auch auf die nationale Ebene übertragen. Das kleine Tschechien, wirtschaftlich recht erfolgreich und nach westlicher Meinung halbwegs sicher auf dem Pfad der Demokratie verortet, erschien vielen brav und langweilig. Das ändert sich gerade: Die internationalen Medien interessieren sich für das Land wie selten, und anders als der etwas blasse Bohuslav Sobotka dürfte Andrej Babiš bald vielen ausländischen Beobachtern ein Begriff sein.

Eine Frage neben vielen ist die nach der künftigen Koalition. Vor den Wahlen zeigten sich viele Politiker zurückhaltend, was eine Zusammenarbeit mit ANO angeht. Die Sozialdemokraten würden eine Koalition weiterführen, aber nur ohne Babiš im Kabinett. Angesichts der politischen Stimmung ist dies jedoch schwer vorstellbar. Ausreichend für eine Mehrheit wäre die Zusammenarbeit der beiden nach aktuellen Hochrechnungen ohnehin nicht. Andere Parteien, darunter die liberal-konservative ODS, lehnten eine Kooperation rundheraus ab. Tomio Okamura von der radikalen SPD, aktuell zweitstärkste Partei, sprach sich ebenfalls gegen die Zusammenarbeit mit Babiš aus. Inhaltlich dürften die beiden in ihrer Ablehnung der Flüchtlingsquoten harmonieren, aber die pro-europäische Haltung Babiš' (der von EU-Geldern in höchstem Maße profitiert) und die EU-Feindlichkeit Okamuras treffen diametral aufeinander. Dann doch die Kommunisten? Sie sind der andere Paria im System. Inhaltlich scheinen weder eine offizielle Koalition noch eine stille Zusammenarbeit des Neoliberalen mit den Kommunisten denkbar. Es bleibt nur die Frage, ob Inhalte hier eine Rolle spielen werden.