Nach der Wahl am vergangenen Sonntag blickt Italien in eine ungewisse Zukunft. Während den PolitikerInnen nun ein schwieriger Prozess der Regierungsfindung bevorsteht, diskutiert das Land über die Nachwehen des Wahlkampfes. Eines der bestimmenden Themen war dabei die abermalige politische Wiederauferstehung von Berlusconis Forza Italia. Der zweite Platz im Mitte-Rechts-Lager bringt diese nun in eine heikle Position.
Im Sommer 2013 erklangen in Italien zum wiederholten Male die Abgesänge auf die politische Karriere des Mailänder Medienmagnaten Silvio Berlusconi. Er war wegen Steuerhinterziehung zum ersten Mal rechtskräftig verurteilt worden, verlor in der Folge seine Stellung als Senator der Republik, und selbst hartnäckige SkeptikerInnen glaubten, sein Schicksal sei damit besiegelt.[1] Hinter Berlusconi lagen knapp zwanzig Jahre umstrittener politischer Betätigung in höchsten Staatsämtern, eine kaum mehr zu überblickende Reihe an juristischen Prozessen gegen ihn und gegen zahlreiche seiner engsten MitarbeiterInnen sowie eine Serie von privaten Eklats, die der politischen Klasse im Inland und dem Ansehen Italiens im Ausland enorm geschadet hatten. So schien es selbst im an chaotische politische Zustände gewöhnten Mittelmeerstaat schier undenkbar, dass der Mailänder sich in den höchsten Ebenen des Staates würde halten können. Wenige Monate nach seiner Verbannung aus dem Römischen Senat übernahm der dynamische Florentiner Matteo Renzi vom linkszentristischen Partito Democratico das Ministerpräsidentenamt in Rom, spielte geschickt seine inner- und außerparteilichen GegnerInnen aus und leitete einen energischen institutionellen und ökonomischen Reformprozess ein. Zudem nutzte der charismatische Toskaner die Fernsehkameras und die neuen Medien auf eine kreative Art und Weise, die die JournalistInnen und KommentatorInnen der Halbinsel von einer aufkommenden, post-berlusconianischen Ära sprechen ließen. Zu Beginn des Jahres 2018 saß Silvio Berlusconi jedoch wie eh und je mit seinen ominösen Notizzetteln in den politischen Talkshows des Landes und beschäftigte die Medien mit zahlreichen Wahlversprechen. Ein weiteres Mal fragt sich vor allem das Ausland: Wie lässt sich die nun beinahe 25 Jahre andauernde herausragende Position dieses Mannes in einer der bedeutendsten westlichen Demokratien erklären, obwohl er aufgrund seiner politischen, persönlichen und vor allem juristischen Skandale dafür offensichtlich ungeeignet zu sein scheint?
Nach der Wahl, die vor allem der radikaloppositionellen 5-Sterne-Bewegung und der extremen Rechten unter dem Lega[2]-Parteichef Matteo Salvini sehr gute Resultate brachte, befindet sich der mehrmalige Ministerpräsident Berlusconi in einer prekären Situation. Als Lenker der Mitte-Rechts-Allianz wollte er die Geschicke des Landes abermals entscheidend mitgestalten, nun wurde er jedoch im eigenen Lager von der Lega überholt und sieht sich nun dem Führungsanspruch von dessen Vorsitzenden Matteo Salvini ausgesetzt. Der folgende Artikel nimmt das Wahlresultat vom vergangenen Sonntag zum Anlass, um nach Erklärungen für den lang anhaltenden Erfolg des Berlusconismus zu suchen und will zudem ein Schlaglicht auf die schwierige Lage werfen, die trotz des guten Wahlergebnisses des Mitte-Rechts-Lagers für den Mailänder Medienunternehmer entstanden ist.
Auf der Suche nach Erklärungen für Berlusconis Erfolg
Versuche, Silvio Berlusconis anhaltenden politischen Erfolg zu erklären, gab es in Italien und im Ausland in den letzten beiden Dekaden zuhauf. Einem vor allem um die Jahrtausendwende beliebten Ansatz zufolge verkörpert der Mailänder Milliardär eine Spielart der postdemokratischen Wende. Mit massivem und geschicktem Medieneinsatz und der Ausrichtung seiner politischen Botschaften nach professionell zu diesem Zweck durchgeführten Umfragen habe es Berlusconi demnach immer wieder verstanden, sich situationsgebunden an die Wünsche des Wahlvolks anzupassen. So sei ein sich ständig im Wandel befindender Medien-Populismus entstanden. Komplettiert werde dieses Vorgehen durch seine hegemoniale Stellung im Privatfernsehmarkt, womit er die Bevölkerung gezielt beeinflussen oder gar in seinem Sinne manipulieren könne.[3]
Demokratietheoretisch nicht weniger beunruhigend ist eine weitere beliebte Erklärungsformel. Silvio Berlusconi sei demnach mit seiner Art und Weise, Gesetze zu umgehen, mit Charme, Selbstironie und in jeglichen Lagen mit einer gewaltigen Portion Chuzpe aufzutreten, schlicht das Abbild des durchschnittlichen Italieners. Im Alltag würde man diese schlaue Dreistigkeit in Italien „furbo“nennen – moralisch oder gar juristisch immer an der Grenze wandelnd, jedoch auf jeden Fall geschickt und zielführend.[4] Berlusconi halte den ItalienerInnen mit seinem Verhalten den Spiegel vor und poche zugleich darauf, dass dieser uritalienische Charakterzug letztlich doch gar nicht so schlecht sei und zu großem Erfolg führe. Berlusconi würde damit für die italienische Bevölkerung zur Entschuldigung und zum Vorbild zugleich. Im Ausland führte diese These vom „Uritaliener Berlusconi“ des Öfteren zu der wenig schmeichelhaften Quintessenz, der Mittelmeerstaat und seine BewohnerInnen seien schlicht nicht reif für die Demokratie. Auf ähnliche Widersprüche im „Bel Paese“ sei schließlich schon Goethe gestoßen.
Beide Ansätze – Berlusconis manipulativer Medieneinsatz und eine problematische politische Kultur in Italien – sind keineswegs gänzlich falsch und liefern wichtige Bausteine, um Berlusconi erklären zu können. Vor allem seinen langanhaltenden Erfolg vor völlig, auch medientechnisch, veränderten Vorzeichen können sie aber nicht ausreichend erklären. Der italienische Historiker Giovanni Orsina versucht einen anderen Erklärungsweg. Er unterstreicht, dass insbesondere der langfristige Zuspruch für den Mailänder Milliardär nur nachvollziehbar wird, wenn es ein festes ideologisches und strategisches Grundgerüst gibt. Dieses Fundament ist ihm zufolge bei Berlusconi der Neoliberalismus, der weltweit seit den 1980er Jahren in äußerst unterschiedlichen Facetten zur politischen Ideologie geworden sei und in der Forza Italia seine speziell italienische, populistische Variante gefunden habe.[5] Silvio Berlusconi betont seit seinem Einstieg in die Politik, dass ihm die „Freiheit“ des Individuums und die gestaltende Macht des Marktes besonders am Herzen liege. Diese gelte es zu fördern und vor allem von dem in der italienischen Geschichte besonders stark vorkommenden geißelnden Einfluss des Staates und seiner Parteien zu befreien. Dies führt zu der, neben dem Liberalismus, zweiten wichtigen Komponente des Berlusconismus[6] – seinem populistischen Politikstil. Die Sprache des Medienmagnaten ist stets leicht verständlich und hat klar erkennbare Feindbilder. In der Auffassung Silvio Berlusconis ist die italienische Bevölkerung eigentlich liberal, sie wurde aber dauerhaft von einem omnipräsenten Staat an ihrer freiheitlichen Entfaltung gehindert. Daher wetterte der Unternehmer gerade in der Anfangszeit seiner politischen Karriere in den 1990er Jahren gegen die Gesamtheit der staatlichen Institutionen, die ihm zufolge die ItalienerInnen auf allen Ebenen behinderten und eine verdorbene, sich selbst bereichernde Politikerelite hervorgebrachten hätten. Als 1992 bis 1994 das alte Parteiensystem in dem gigantischen Korruptionsskandal „Tangentopoli“ unterging, stand mit den neu formierten Post-KommunistInnen des Partito Democratico della Sinistra die maximale Ausprägung der staatlichen Einflussnahme – und damit dem historischen Feind des Liberalismus – vor dem Wahlsieg. In diesem Moment betrat der Mailänder Unternehmer die politische Bühne, spielte die populistische Klaviatur von der Bedrohung des einfachen Volkes vor illiberalen linken PolitikerInnen und stilisierte sich selbst zum Retter der Freiheit vor dem kommunistischen Übel.
Vereinfacht könnte man beim Berlusconismus also von einem Gebilde sprechen, das mit dem Neoliberalismus einen festen ideologischen Stamm hat sowie zwei populistische Äste, die von dieser Idee durchdrungen sind und seine Botschaft prägen: eine Fundamentalkritik an den historischen Eliten des Landes und der Einsatz für einen möglichst weitgehenden Rückzug des stets schädlichen Staates auf der einen Seite und die Einteilung der politischen Auseinandersetzung in klare Freund/Feind-Schemata auf der anderen. Berlusconi und seine MitstreiterInnen sind dabei die VerteidigerInnen der Freiheit, die GegnerInnen sind all diejenigen, die diese bedrohen. Das Politikkonzept des Berlusconismus verlor seine Wirkmächtigkeit nicht, solange es eine einfach auszumachende Bedrohung für die Freiheit der ItalienerInnen gab. Die akute Gefahr war für Berlusconi in Italien der Kommunismus – selbst nach dem Ende der Sowjetunion.
Vom Kampf gegen die (post-)kommunistische Bedrohung bis zur Krise des Berlusconismus
Zwar ist 1989, so die Meinung des Medienunternehmers, die Mauer zwar gefallen, doch die Denkmuster und Ideen, die gesamte Ideologie des Kommunismus seien nach wie vor intakt geblieben und 1994 im Post-Tangentopoli-Chaos so nah an der Regierungsübernahme wie nie zuvor. Im Diskurs Berlusconis wurde der Mailänder geradezu in die Politik gezwungen, um die Freiheit im Land zu retten. Das Schreckensbild vom Kommunismus wurde dabei nicht nur für politische GegnerInnen verwendet: Auch mit ihm in Konflikt stehende Staatsanwälte oder JournalistInnen, ob tatsächlich linksstehend oder nicht, wurden häufig als KommunistInnen bezeichnet. Wenn es um die Prozesse gegen Berlusconi ging, war gar von einer geschlossenen, auf mehreren Ebenen stattfindenden kommunistischen Verschwörung die Rede. „Kommunist sein“ hieß im Berlusconismus damit nicht zwingend AnhängerIn dieser Ideologie, sondern schlicht ein Gegner Berlusconis – und damit ein Feind der Freiheit – zu sein. Dieser Diskurs hielt sich überaus hartnäckig bis in die jüngste Zeit und sorgte dafür, dass sich Berlusconi trotz seiner teils brüchigen politischen Allianzen stets klar GegnerInnen gegenüber positionieren und die eigenen Reihen zumindest temporär schließen konnte. Es ist bezeichnend, dass der Berlusconismus in seine größte politische Krise geriet, als dieser Feind selbst in Berlusconis Konstruktion nur noch schwer zu erkennen war.
Nur ein einziges Mal in den letzten 25 Jahren gab es eine länger andauernde Phase, in der der Medienunternehmer kaum mehr eine politische Rolle spielte. Dies lag nicht lediglich, wie häufig dargestellt, an den Nachwehen seiner Verurteilung und der daraus folgenden Verbannung aus dem Senat im Herbst 2013. Just in die Zeit von Berlusconis größter juristischer und politischer Krise fiel der Aufstieg des ehemaligen Florentiner Bürgermeisters Matteo Renzi. Dieser verdankte seine Popularität nicht zuletzt dem Unmut über die alte Garde um die noch aus der Zeit des Partito Comunista Italiano stammenden Parteigrößen Pierluigi Bersani und Massimo D’Alema, die in der Wahl 2013 zum wiederholten Male einen sicher geglaubten Sieg beinahe noch verspielt hatten. Die Sehnsucht nach einem neuen, aufstrebenden Gesicht im Mitte-Links-Lager war so groß wie selten zuvor, und der junge Toskaner verkörperte genau den verlangten Tatendrang und den Kampf gegen die verkrusteten Parteienstrukturen und die Politik der kleinen Schritte. Nachdem er das Ministerpräsidentenamt im Frühjahr 2014 übernommen hatte, wurde klar, dass Renzi den Partito Democratico tatsächlich in vollkommen neue Gewässer führen würde. Die linken Parteigranden wurden an den Rand gedrängt, und die Regierung unter Renzi verfolgte einen reformorientierten Modernisierungskurs, der nicht zuletzt in Europa wohlwollend begrüßt wurde und auch vor bei linken Parteimitgliedern höchst unbeliebten Strukturanpassungsmaßnahmen nicht Halt machte. Matteo Renzi hatte offensichtlich kein Interesse daran, auf die post-kommunistischen Wurzeln der Partei zu achten, was letztlich zum Austritt fast aller linken Führungsfiguren aus der Partei führte. In den Augen der Renzi-GegnerInnen hatte sich mit ihm als Parteivorsitzenden auch in Italien die größte Linksformation dazu entschlossen, die Kritik am freien Markt hintenanzustellen und historische Anliegen der Partei preiszugeben.
Wenig Beachtung fand zu dieser Zeit die Tatsache, dass damit nicht nur die linken KritikerInnen dieses Kurses vor einer Neufindungsphase standen, sondern auch der Berlusconismus. Dessen populistischer Arm hatte zwanzig Jahre lang überaus erfolgreich vor der fortdauernden Gefahr des kommunistischen Gedankenguts gewarnt. Mit Matteo Renzi und dessen Modernisierungspolitik als Gegenspieler war diese Rhetorik auf einen Schlag unbrauchbar geworden. Der Mailänder Milliardär wirkte in der Folge unsicher, bewegte sich zunächst auf Renzi zu, scheiterte aber nach kurzer Zeit mit einer Zusammenarbeit. Berlusconi war in seiner populistischen Rhetorik offensichtlich unschlüssig, wovor er sein liberales Fundament schützen sollte, was die Forza Italia in schwere Bedrängnis brachte. Teile der WählerInnenschaft und sogar ehemalige MitarbeiterInnen wandten sich Matteo Renzi zu, andere verhalfen dem neuen Lega-Chef Matteo Salvini zu neuen Umfragerekorden oder wanderten zur 5-Sterne-Bewegung ab.
Die Krise endete erst, und damit erlebte Italien den abermaligen Aufstieg Silvio Berlusconis, als die Forza Italia endlich ein neues Bedrohungsszenario finden konnte. Wieder hing sein Schicksal eng mit Matteo Renzi zusammen. Als dieser im Dezember 2016 das Verfassungsreferendum verlor und davon ausgehend immer weiter in der Gunst der WählerInnen sank, wurde den ItalienerInnen nach und nach klar, dass das radikale Protestlager der 5-Sterne-Bewegung tatsächlich an die Tür des Palazzo Chigi, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten in Rom, klopfte. Zwar wurde der euphorische Kampf der 5-Sterne-Bewegung gegen die Korruption im Lande anerkennend aufgenommen, doch die polemische Rhetorik, mit dem seine PolitikerInnen häufig auftraten, die Diskussionen um die fragwürdigen demokratischen Mechanismen innerhalb der Bewegung sowie vor allem seine bisweilen höchst widersprüchlichen Zukunftsvisionen riefen zumindest in Teilen der Bevölkerung und der Medien große Sorgen hervor. Pünktlich zum Wahlkampf 2018 hatte der Taktiker Berlusconi die Initiative wieder in seiner Hand und bewies sein ausgesprochenes Talent bei der Bildung von Wahlallianzen. Gemeinsam mit den Rechtsaußenformationen Lega und Fratelli di Italia positionierte er sich angesichts des schwächelnden Partito Democratico unter Renzi als „einzige Alternative“ gegen das postulierte „Chaos der 5-Sterne-Bewegung“ – und innerhalb der konservativen Allianz als moderater, pro-europäischer Vertreter, der die Querulanten Matteo Salvini und Giorgia Meloni im Zaum halten würde. Berlusconi hat seiner politischen Karriere ein weiteres Paradoxon hinzugefügt: Obwohl er nie als europabegeistert galt und die EU und seine VertreterInnen bis heute als die Hauptschuldigen für seinen Machtverlust 2011 bezeichnet, präsentierte er sich nun als einziger Kandidat, der das Land auf einem stabilen europafreundlichen Kurs halten könne. Dass dies in der Europäischen Union ähnlich gesehen wurde, sagt einiges über die politische Gemengelage Italiens in den letzten Monaten aus.[7] Berlusconi konnte zwar (vorerst) selbst nicht Premierminister werden, doch für die WählerInnen hatte er sich und seine Partei als alleinigen, vernünftigen konservativen Akteur in Stellung gebracht. Diese Strategie schien im Wahlkampf lange Zeit aufzugehen, stieß aber immer dann an ihre Grenzen, wenn es um das alles überragende Thema der Immigration ging. Berlusconi versuchte sich hier als gemäßigt darzustellen, musste aber wiederholt erkennen, dass mit Salvini ein Akteur im Spiel war, der mit seiner harten Haltung im eigenen Lager stets mehr Punkte machen konnte und den Forza-Italia-Anführer so ins Abseits stellte.
Dies führt abschließend zu einem weiteren Element des Erfolgs des Mailänder Medienmagnaten: Berlusconis Stärke war immer auch die Schwäche der Anderen. Es ist gerade diese Komponente, die sich am Wahlabend als Hindernis für einen weiteren Triumph des Mailänder Unternehmers herausstellte und ihn nun vor völlig veränderte Rahmenbedingungen stellt.
Berlusconis Erfolg, die Schwäche der Anderen und die neue Situation nach der Wahl 2018
Bisher profitierte Berlusconi bei Wahlerfolgen stets auch vom Unvermögen der linken Gegenspieler, deren Probleme nicht lediglich an situationsbezogenen Fehlern in den Wahlkämpfen festzumachen sind. Die post-kommunistische gemäßigte Linke hat es in den letzten 25 Jahren ganz abgesehen vom oft blassen Spitzenpersonal immer weniger vermocht, jenseits der Abwehr und Ablehnung Silvio Berlusconis ein konzises eigenes Projekt vorzustellen, das die Linke darüber hinaus in all ihren Facetten verbindet. Ein weiterer Tiefpunkt dabei war der vergangene Wahlkampf Matteo Renzis, der auf seine Erfolge nach der tiefen Wirtschaftskrise pochte, ansonsten jedoch vor allem mit Streitigkeiten mit den abtrünnigen Linken und der anhaltenden Unbeliebtheit des Parteivorsitzenden beschäftigt war. Sowohl Renzi als auch seine linken KontrahentInnen konnten zu keinem Zeitpunkt den Eindruck erwecken, dass sie ein mehrheitsfähiges, visionäres Projekt für die Zukunft hatten. Die gemäßigte Linke in Italien steht letztlich, wenig verwunderlich, angesichts der veränderten gesellschaftlichen Realitäten im 21. Jahrhundert vor den gleichen schmerzhaften Fragestellungen nach der eigenen Identität, wie dies auch andernorts in Europa der Fall ist – man blicke nur auf die deutsche SPD. Besonders brisant im italienischen Fall ist jedoch, dass das moderate rechte Spektrum über eine Vierteldekade hinweg von dem schwer durchschaubaren und wenig verlässlichen Populisten Berlusconi besetzt wurde, der durch seine Erfolge jegliches Aufkommen von bedeutsamen alternativen, gemäßigt-konservativen Gedankenspielen im Keim erstickt hatte. Die Dominanz des Unternehmers Berlusconi hat dafür gesorgt, dass nach 25 Jahren Zweiter Republik nicht nur die politische Linke, sondern auch die gemäßigte Rechte jenseits von Berlusconi mit Blick auf ihre Zukunftsvorstellungen für das Land kaum mehr zu erkennen sind. Berlusconi ist auch deshalb wieder zu einer der entscheidenden Figuren geworden, weil die moderate Position auf der rechten Seite schlicht vollkommen verwaist war.
Abschließend muss mit Blick auf den vergangenen Sonntag Folgendes konstatiert werden: Die Orientierungslosigkeit der Linken und die abermals ausgebliebene Erneuerung der moderaten Rechten haben Berlusconi ein weiteres Mal ins Zentrum eines italienischen Wahlkampfes gestellt. Seine Taktik, als ordnende Hand über zwei rechte Hardliner zu wachen, ist letztlich nicht aufgegangen, und die großen Wahlgewinner sind die fleischgewordene Politikfrustration der 5-Sterne-Bewegung und der kaum kaschierte Rechtsextremismus der Lega. Für den Berlusconismus ist dies insofern bedrohlich, da das Faustpfand des schwachen Gegenspielers zumindest vorerst abhandengekommen ist. Angesichts der Tatsache, dass beide Kontrahenten, Salvinis Lega im eigenen Lager und die 5-Sterne-Bewegung auf der anderen Seite, den Ursprung ihrer Stärke aus der gleichen populistischen Rhetorik gegen die staatlichen Institutionen wie der Berlusconismus speisen, wird die zukünftige Positionierung der Forza Italia umso schwieriger werden. Klar ist lediglich, dass dem Land wieder einmal politischer Umbruch und unruhige Zeiten bevorstehen. Die 5-Sterne-Bewegung hat knapp ein Drittel der italienischen Wählerschaft hinter sich gebracht und pocht nun auf ihren Regierungsanspruch. Dabei sind sie allerdings auf Koalitionspartner angewiesen, was aufgrund der bisherigen Radikalopposition zu allen anderen Kräften stets schwierig war. Das gesamte linke Parteispektrum hat eine verheerende Niederlage erlitten und steht vor einem vollkommenen Neuanfang. Das rechte Lager muss sich schließlich unter dem neuen Anführer Salvini neu einspielen und mit der Findungsphase des Berlusconismus oder einer wie auch immer gearteten moderaten Gegenbewegung zurechtkommen. Und über allem schwebt gleichzeitig das Damoklesschwert der Regierungsfindung, die sämtliche Akteure nochmals dazu bringen könnte, ganz neue Weichenstellungen vorzunehmen. Die in Europa befürchtete Unsicherheit nach der Wahl in Rom ist also eingetreten.
[1] Mit der rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung griff das seit 2012 geltende „Legge Severino“. Berlusconi musste demnach seinen Sitz im Senat abgeben und darf bis Ende 2019 nicht mehr für das Parlament kandidieren und kein Regierungsamt übernehmen. Aktuell versucht Berlusconi, dieses Verbot durch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte außer Kraft zu setzen.
[2] Seit Oktober 2017 firmiert die Lega Nord öffentlich nur noch unter dem Namen „Lega“, nachdem der 2013 gewählte, neue Parteivorsitzende Matteo Salvini den historischen, auf den Separatismus der nördlichen Provinzen ausgelegten Ansatz aufgegeben hat und nun mit einem gesamtitalienischen Anspruch auftritt.
[3] Siehe dazu: Alexander Stille: Citizen Berlusconi, München 2006, S. 168-173.
[4] Beppe Severgnini: Mamma Mia! Berlusconi’s Italy Explained for Posterity and Friends Abroad, New York 2011.
[5] Zur historiographischen Verwendung des Begriffs Neoliberalismus s. Philipp Ther: Neoliberalismus, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 5.7.2016 [letzter Aufruf: 08.03.2018].
[6] Als „Berlusconismo“ wird in der italienischen Öffentlichkeit und Wissenschaft der Politikstil Silvio Berlusconis und seiner Parteifreunde bezeichnet.
[7] Andrea Spalinger: Treu und ergeben – aber vielleicht zu europhil, in: Neue Zürcher Zeitung vom 28.02.2018.