von Jens Jäger

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17. Oktober 2019

Sebastião Salgado

Der erste Fotograf unter den Preisträgern des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels

 

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019 geht an Sebãstiao Salgado (*1944). Damit wird erstmals in der 69-jährigen Geschichte des Preises ein Fotograf ausgezeichnet. Die Laudatio wird der Filmemacher und Fotograf Wim Wenders am 20. Oktober 2019 in Frankfurter Paulskirche halten.

 

Sebastião Salgado: Fotograf und Humanist

Salgado ist seit Jahrzehnten im Geschäft und hat bereits Dutzende, teils hoch angesehene, Preise gewonnen, zahlreiche Fotobände produziert und unzählige Ausstellungen bestückt (beides maßgeblich durch seine Frau Lélia Deluiz Wanick Salgado mitkonzipiert).
Zudem engagiert er sich sehr praxisnah für den Naturschutz. Sein Blick richtete sich zunächst vornehmlich auf den globalen Süden, auf Arbeiter*innen, die Armen, Entrechtete, Unterdrückte, Flüchtende. Mit der gleichen Sorgfalt richtet er seine Kamera seit vielen Jahren auf die Natur. Seine Aufnahmen verraten einen aufmerksamen Blick für Komposition, Kontraste und Tonabstufungen. Stets sind sie schwarzweiß, womit sich Salgado auch in eine lange Tradition dokumentarischer Fotografie einreiht. Die Bilder sind aber selten nur Dokumentation oder journalistisch, sie verraten eine ästhetische Handschrift – und darin gründet der Erfolg von Salgados Bildern und Fotobüchern. Die Bildbände sind opulent, zuweilen bombastisch in der Inszenierung von Mensch und Natur. Was Salgado nach eigener Darstellung motiviert, seit er 2004 mit seinem Projekt „Genesis“ begonnen hat, sei mit seinem Werk „der Menschheit einen potentiellen Weg, sich selbst in der Natur wiederzuentdecken“ aufzuzeigen.[1] „Genesis“ zielte auf nichts weniger, als auf die Darstellung der letzten noch naturbelassenen Landschaften und Gesellschaften der gesamten Erde. Das kann durchaus als überambitioniert bezeichnet werden. Maßgeblich mitfinanziert übrigens durch den brasilianischen Bergbaukonzern Vale; nicht unbedingt eine Umweltschutzorganisation.[2]

 

Dokumentation oder Kunst?

Ob Salgado „mit seinen Fotografien soziale Gerechtigkeit und Frieden fordere und der weltweit geführten Debatte um Natur- und Klimaschutz Dringlichkeit verleihe“, wie es in der Pressemitteilung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels heißt,[3] ist diskussionswürdig. Migration und Klima/Naturschutz sind nicht allein exklusiv Sebãstiao Salgados Themen. Zweifellos aber trägt der Bekanntheitsgrad Salgados weltweit dazu bei, dass die von ihm fotografierten Sujets Aufmerksamkeit erhalten. Dass es aber gerade Salgados Bilder sein sollen, die den Debatten ihre Dringlichkeit verleihen, darf bezweifelt werden.
Auch seine Naturfotografie ist bei aller Originalität nicht außergewöhnlich oder von den Motiven und der Komposition her besonders neuartig. Allerdings ist der Friedenspreis ja auch kein Foto- oder Kunstpreis.

Natürlich haben Fotografien seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch öffentliche Debatten befördert, Aufmerksamkeit erregt und gelenkt sowie Vorstellungen von Ereignissen, Personen und Dingen geprägt. Bilder, die zu Ikonen wurden, bilden zentrale Ankerpunkte für die Erinnerung an ein Ereignis. Immer aber kommt es auf die Verbreitungswege an und die Zusammenhänge, in denen Fotografien begegnen. Ebenso kommt es darauf an, die Bilder einordnen zu können und das Dargestellte in seiner Komplexität zu erfassen. Kurz: über die Bilder hinaus zu denken und zum Handeln anregen.

 

Was können Fotografien tun – und wie?

Sebastião Salgados Fotografie ist teilweise – gerade die Arbeiten der letzten Jahre – in hohem Maße ästhetisiert, was den Interessen von Buch- und Kunstmarkt entgegenkommt. Die Aufmerksamkeit für die Bilder erklärt sich aus deren Qualitäten als Bilder und erst dann – wenn überhaupt – von den Themen oder Inhalten her. Wer die teils teuren Bildbände Salgados kauft, tut dies eher nicht wegen der Themen, oder um sich eingehend über Hintergründe zu informieren, sondern vornehmlich wegen ihrer künstlerischen und emotionalen Eigenschaften. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die Ausstellungen.
So sensibilisieren die Werke möglicherweise die Betrachter*innen mehr für ästhetische und formale Qualitäten als für die in ihnen angedeuteten Schicksale von Mensch und Natur. Salgados Fotobände enthalten, wie sehr viele Fotobände, meist nur wenig Text, der über die Situationen oder Individuen Auskunft gibt. Übrig bleiben die unmittelbare Bildwirkung durch das Sujet, die Komposition und eher allgemeine Aussagen. Das Schwarzweiß der Aufnahmen trägt dazu bei, das Abgebildete aus Zeit und Raum zu entrücken. So betonen sie eine eher allgemeine Haltung von Fotograf, Herausgeber und Layouter zum Dargestellten, in der sich die Betrachter wiederkennen können, wenn sie denn wollen. Kritiker*innen von Salgados Werk haben dies immer wieder betont während seine Verfechter*innen gerade darin die Stärke der Bilder ausmachen. Beide Positionen verdeutlichen jedoch, dass Salgados Fotografien (wie andere auch) wirken und Debatten auslösen oder weitertreiben können. Dies wird durch die Verleihung des Friedenspreises bestätigt. Gleichzeitig sollte dies Anlass geben verstärkt über die Rolle von Fotografie in den großen politischen und ethischen Debatten nachzudenken und die Instrumente kritischer Fotoanalyse auszubauen.

 


[1] This body of work is conceived as a potential path to humanity’s rediscovery of itself in nature. About Sebastião Salgado, in: Amazonasimages.com (zuletzt abgerufen am 17. Oktober 2019). Im französischen Text heißt es übrigens einfach nur: Ce travail est conçu comme une recherche de la nature encore dans son état originel.
[2] Genesis, in Amazonas-images. Vale steht in der Kritik wegen zweier Dammbrüche in Brasilien 2015 und 2019 sowie wegen gravierender Umweltzerstörung im Amazonasraum.
[3] Pressemitteilung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels (zuletzt abgerufen am 17. Oktober 2019).