von Stefan Raue

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26. November 2019

Der Verein der Freunde & Förderer des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam hat sein Mitglied Stefan Raue, Intendant des Deutschlandradios und selbst Historiker, gebeten, anlässlich der Verleihung des Zeitgeschichte Digital-Preises 2018, über das Verhältnis von Medien und Geschichtswissenschaft zu sprechen.

zeitgeschichte|online veröffentlicht anlässlich der diesjährigen Verleihung des Zeitgeschichte Digital-Preises 2019 eine gekürzte Version seiner Rede.

 

Medien und Zeitgeschichte, spannend und konfliktreich man ahnt, dass im Verhältnis dieser beiden Bereiche Spannungsreiches verborgen liegt, auch Hochaktuelles, Grundsätzliches, Relevantes. Medien als Thema der Zeitgeschichte, mehr zeitgeschichtliches Wissen in den Medien. Wie viel Wissen, aber vor allem wie viel Wissenschaft in den Medien? Zu den trivialen Unterschieden zwischen Geschichtswissenschaft und Medienarbeit gehört die Arbeitsmethodik. Wir Journalisten hoffen bei komplexen Themen und kurz vor der Schreibhemmung immer auf unseren Instinkt. Wo ist die Spur, wo ist die Geschichte? Die Methode der Recherche ähnelt der erstaunlichen Erfahrung in den Freihandausleihen der gut sortierten Bibliotheken. Auf der Suche nach einem bestimmten Buch streift man durch die Regalmeter und stößt auf spannende Literatur, die keine Schlagwortrecherche an das Tageslicht gebracht hätte, die aber auf eine vertrackte und irgendwie kreative Weise gut zum Thema passt, die gute neue Ideen provoziert.

Und so sind wir schon beim Thema, was haben sich denn Medien und Zeitgeschichte zu sagen, und das aus der Perspektive eines Medienvertreters, der auf die Frage nach seiner Berufung zu jeder Tageszeit „Geschichte und Geschichtswissenschaft“ antworten würde. Die Geschichte, die Geschichtswissenschaft ist die große Leidenschaft, und der Neid vieler Kolleginnen und Kollegen auf die Lebenszeit.

 

Auf der Suche nach der „neuesten Zeitgeschichte“

Dennoch, trotz der erprobten „Instinkt - Methodik wäre das folgende möglicherweise ein braves „Sowohl…als auch“ geworden mit einer versöhnlichen gemeinsamen Perspektive zum Wohl unserer politischen Kultur. Wenn mir da nicht ein etwas erratischer Text des berühmten H.P. Schwarz in die Hände gefallen wäre. Erschienen ist der Aufsatz unter dem Titel: „Neueste Zeitgeschichte“ in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte 2003, 120 Anmerkungen, 24 Seiten, 152 Literaturangaben.

In seinen kleinen Nickeligkeiten zwischen den Zeilen bis hin in die Anmerkungen erinnert der Aufsatz an Beiträge aus der Zeit des Kalten Krieges in der Geschichtswissenschaft, in der sich Köln/Bonn und Bochum/Bielefeld die Paradigmen um die Ohren hauten und so nebenbei auch handfeste Wissenschaftspolitik betrieben. Kern des Aufsatzes ist der Vorschlag einer neuen Periodisierung der Zeitgeschichte, die nach 1989/90 unter der Überschrift „Neueste Zeitgeschichte“ selbstbewusst arbeiten und wirken soll. Als simpler Medienmensch ist man gewillt, das als Thema unter der Rubrik „Fragestellungen, die die Menschheit nicht braucht“ abzuheften. Schwarz aber unternimmt darüber hinaus ein Abenteuer, das uns so nebenbei mitten in unser Thema führt. Bevor wir uns dem Zustand der Medien und den Aufgaben der Zeitgeschichte widmen, stellt sich nämlich die Frage, ob beide Bereiche überhaupt noch scharf zu trennen sind. Oder zugespitzt: Wie nah dürfen sich Zeitgeschichte und Medien kommen? - Und in diesem Zusammenhang, wie nah kann sich die Geschichtswissenschaft an die Gegenwart wagen und kommt sie dabei der Arbeit der Medien in die Quere? Wer schaut denn da genau hin, „wenn die Geschichte noch qualmt“, wie es Barbara Tuchman beschrieben hat. Schwarz schaut auf die Konflikte und zentralen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, an deren Qualm wir uns noch erinnern oder den wir sogar noch in der Nase haben. Die Balkankriege, die Golfkriege, 9/11, u.a.. Die rasante Erforschung dieser Ereignisse machte eine besondere Relevanz dieser Wissenschaft aus: „Die ganz normale Anarchie und der Versuch zur Analyse der Gegenwart, während ground zero noch raucht, das, und das vor allem, macht den großen intellektuellen Reiz der neuesten Zeitgeschichte aus.“ In einer ersten überraschenden Volte erklärt Schwarz komplexe Themen, wie die Jugoslawienkriege u.a. für „bemerkenswert gut erforscht“ und die zweite Volte folgt sogleich, bei der Erforschung der Neuesten Zeitgeschichte sieht er die Arbeit der Journalisten als ebenbürtig. Nicht als Quelle, sondern als Branche, die durchaus mithalten kann mit der professionellen Zunft.

„Die Zeitgeschichtsschreibung, die auf verlässlichen, oft auch neuen Quellen beruht, war stets, und das bis heute, vielfach nicht die Domäne professioneller Historiker, sondern von Journalisten, Hobbyhistorikern aus Politik, Diplomatie oder auch häufig von Politologen.“

Als historisch interessierter, politischer Journalist könnte ich nun diesen Elfmeter reinmachen, wie es im Ruhrgebiet so schön heißt, und könnte wie Schwarz freundlich bemerken, dass „der Kreis der Sachkenner, wenn die Archive geöffnet werden, kleiner und das Publikum weiter weg sein wird.“ Weiter zugespitzt, wer als Historiker*in auf mehr als nur das überschaubare Fachpublikum hofft, der sollte sich dorthin bewegen, wo die Geschichte noch qualmt. So viel Freundlichkeit mit uns sonst so skeptisch betrachteten Journalisten macht aber misstrauisch und zugleich spürt man, dass da etwas hakt, dass die Sache nicht so glatt verdaut werden kann, wie es sich liest. Denn wie gehen Journalisten mit den Ereignissen um, die geschichtsträchtig sind und stimmt das Bild von der Geschichte, die noch qualmt?

 

Trump in der Zeitgeschichte

Vor einiger Zeit las ich das neue Buch von Bob Woodward, „Fear“, über das Prinzip „Furcht zu verbreiten“ als dem Herrschaftsprinzip Donald Trumps. Woodward hat mit großen Monographien über Schlüsselpersonen und Ereignisse der amerikanischen Gegenwart einen sehr guten Ruf erworben. Er gilt als hervorragender Rechercheur und ist im politischen Washington bestens vernetzt. Das Trump-Buch ist atemberaubend, der Stil lebendig und spannend, die Akteure der ersten Jahre der Präsidentschaft Trumps jagen so schnell über die Bühne, dass man gelegentlich den Überblick verliert. Es vermittelt tiefe Einblicke in die bizarre Welt des Donald Trump und aller relevanten Machtzentralen. Ein Glücksfall von Buch. Aber ist es eines, das die Geschichte fasst? Aber ist es auch das letzte Wort zu Trump? Wird es nach der Öffnung der Archive in einigen Jahrzehnten immer noch Gültigkeit besitzen?

Woodward ist sich der „historischen Bedeutung“ seiner Recherchen und Beschreibungen durchaus bewusst. Im persönlichen Vorwort würdigt er seine Producerin und Rechercheurin: „Evelyn wusste, dass das Geschichte war, und dass wir so viel wie möglich und so schnell wie möglich einsammeln mussten, solange die Erinnerungen noch frisch waren und die Dokumente und Notizen überhaupt noch zu Greifen waren.“

Aber, und das macht den Wert seines Buchs aus, er ist sich der Grenzen durchaus bewusst. Fast als Hinweisgeber oder Zuarbeiter weist er die Wissenschaft auf jene Themen hin, die seiner Meinung nach historischer Erforschung bedürfen. Beispielsweise die Frage, warum die Demokraten mit ihrer Wahlkampagne gerade die wirtschaftlich angeschlagenen Swing States so vernachlässigt haben. „Die Historiker werden in den nächsten Jahren Bücher schreiben, die diese Frage zu beantworten suchen zusammen mit der gesamten Bewertung des 2016er Wahlkampfs überhaupt.“ Trotz der unbezweifelbaren großen Qualitäten und der Selbstdisziplinierung des Autors macht aber „Fear“ auch die Probleme der Nahperspektive deutlich. Da ist zum Beispiel die Entscheidung, in wörtlicher Rede zu zitieren, von atmosphärischen Kurzzitaten bis zu komplexen Diskussionen aller Ebenen. Da gerade bei direkten und spontanen Unterredungen mit Trump Tonaufzeichnungen eher unwahrscheinlich sein dürften, wird es sich im besten Fall um erinnerte Reden handeln. Die packende Unmittelbarkeit und die Direktheit nehmen die Leser aber sehr stark ein, zumal sie am vorgegebenen Wahrnehmungsrahmen und am Vorwissen ansetzen. Man hört beim Lesen Bannon, Pence oder Trump buchstäblich, eine virtuelle Lebendigkeit, die von hypnotischer Kraft ist und eine distanzierte und kritische Bewertung der Zitate fast unmöglich machen. Ein anderes Problem ist der Umgang mit Zeitzeugen und Interviewpartnern, die das Informations-/Desinformationsgeschäft so beherrschen, wie beispielsweise ein Steve Bannon. Seine Einschätzungen nehmen im Buch eine zentrale Rolle ein, was allerdings sein Bild nicht wirklich verbessert –  Woodward ist Profi und in einer kritischen Sicht auf Bannon eindeutig. Es scheint aber bei der Lektüre, dass sich die Zitate und Bewertungen Bannons verselbständigen, ein Eigenleben beginnen ohne die Person ihres Schöpfers, und dadurch eine höhere Objektivität erringen als ihnen angemessen wäre. Knapp gesagt: Wer im intellektuellen Duell Woodward gegen Bannon um die Deutung Trumps gewonnen hat - der Zeitzeuge oder der Akteur, das ist für mich nicht ausgemacht. Und noch kürzer: „Fear“ ist ein Glanzstück des politischen Journalismus, so nah dran an Feuer und Qualm, dass es Woodward Haar und Augenbrauen angesengt haben dürfte. Aber dieses Buch birgt für die historische Bewertung Trumps ernste Gefahren, gerade weil es so bildhaft, so narrativ und eindrucksvoll ist.

 

Die digitale Revolution

Sind die Medien ernsthafte Konkurrenten der Zeitgeschichte als Wissenschaft im Ringen um die Wahrheit oder besser um die Annäherung daran? Das ist ja meine zentrale Frage, dann würde sich nämlich die Frage nach der Bedeutung der Geschichtswissenschaft in den Medien ganz anders stellen.

Teile einer "Karte" des Internets, basierend auf Daten von opte.org am 15.01.2005. Jede Linie beschreibt zwei Knotenpunkte, welche zwei IP-Adressen repräsentieren. Die Länge der Linien beschreibt die Verzögerung zwischen den Knotenpunkten. Diese Karte beschreibt weniger als 30% der Klasse C Netzwerke, welche Anfang 2005 von dem Datensammelprogramm erreicht werden konnte. Foto: The Opte Project. Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz: CC BY 2.5.

Meine Beispiele sollten verdeutlichen, dass Nähe und Zeitzeugenstatus der Autoren heikel sind und in einer medial eng vernetzten Öffentlichkeit eine Kraft und eine Dynamik entwickeln können, die einer seriösen und methodisch-kritischen Erforschung durchaus im Wege stehen können. Nun sind Bücher, wie die von Woodward obendrein, keine Exempel für die Arbeitsweise der Medien. Journalisten mit dem Budget und der Zeit für eine mehrjährige Recherche sind in der Medienlandschaft so selten wie weiße Elefanten in den Weiten Brandenburgs. Das ist kein individuelles Schicksal des einen oder anderen Mediums, es ist die Folge einer tiefgreifenden Veränderung der gesamten Branche in den letzten Jahrzehnten. Vieles spricht dafür, dass H.P. Schwarz noch die Arbeitswelt von Journalisten vor Augen hatte, deren Arbeitsweise eher dem Tun von Schriftstellern glich. Nicht ohne Grund gab es bei der FAZ die spöttische Bezeichnung eines Denkerflügels des Verlagsgebäudes. Das scheint inzwischen lange vorbei, historisch. Ich möchte auch dies Ihnen nach Journalistenart eher exemplarisch kurz darstellen.

Treten wir also noch einmal zurück und schauen auf das, was wir mit dürren Worten die Digitale Revolution nennen und beschränken den Blick auf das, was die Medien und die Öffentlichkeit betrifft. Denn die Digitale Revolution verändert ja nicht nur unsere Kommunikation, sie erfasst längst das gesamte Wirtschaftsleben, von anderen Bereichen ganz zu schweigen. Wieder einmal ist eine grundlegende Veränderung der Kommunikationstechnologie zum Keim einer alles erfassenden Umwälzung geworden, aber auch das wäre ein Thema für die Geschichtswissenschaft.

 

Fast and Furious

Mindestens zwei Faktoren sind hinzugekommen, ob man sie schätzt oder nicht.

Die eine ist die Geschwindigkeit zwischen Informationsaufnahme und Weiterverbreitung, fast in Minutenschnelle. Und wenn nicht die Journalisten die Nachricht weitergeben, erledigen es die Laien per Twitter oder auf anderen Wegen. Bei den kriegerischen Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan machten die Nachrichtenagenturen und die Bundeswehr selbst die Erfahrung, dass nach Kämpfen und Anschlägen die Medienvertreter und die Bundeswehr selbst noch bei der Prüfung der Geschehnisse waren, wenn die Taliban schon per Internet oder Anruf bei internationalen Agenturen Nachrichten verbreiteten. Die etablierten Verfahren der Überprüfung der Nachrichten oder gar des Checks durch eine zweite unabhängige Quelle glichen oder gleichen manchmal den Schreibmaschinen der Ruhrgebietskollegen oder der Förderbänder in 1200 Metern Tiefe.

The Washington Times newsroom, 10 July 2008. Foto: David All. Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz: CC BY-SA 2.0.

Es gibt keinen Redaktionsschluss mehr, im Kommunikationsraum des Internet geht die Sonne niemals unter. Manche Zeitung hat Kollegen in Sidney stationiert. Die sollen nicht aus Australien berichten. Ihre Aufgabe ist es, Nachrichten zu bearbeiten und Texte, die bei uns, also auf der anderen Seite der Welt, handeln. Für die beiden ist Tagschicht, wenn wir schlafen oder Nachtzuschläge kosten würden. Es ist die globale Tagschicht, die das Nachrichtenangebot ständig frisch und ausgeschlafen halten soll. Viel weiter kann man nicht entfernt sein von Qualm, Feuer und Geschehen, dennoch hat sich das Experiment offenbar gelohnt.

Der zweite Weg ist die Optimierung der Textproduktion, angelehnt an die Workflows des produzierenden Gewerbes. Die Digitalisierung hat beispielsweise die Welt-Gruppe des Springerkonzerns sehr konsequent weiterbetrieben. Produziert wird von den Autoren und Redakteuren zunächst für das Onlineangebot, das ist das Format, das ist die zentrale Bezugsgröße. Die Zeitungstitel der Gruppe schöpfen aus diesem Textpool und setzen daraus ihre Zeitungen zusammen. Die 24-Stunden-Informationsproduktion im Internet ist der Kern, das Printprodukt folgt daraus. Ergänzt wird dies durch die Vermählung mit dem ehemaligen Nachrichtenkanal N24, der inzwischen auch „Welt“ heißt. Im neuen Verlagshaus in Berlin wird alles zusammengeführt. Das Informationsangebot der ehemaligen und traditionsreichen Tageszeitung Welt ist kein presseähnliches Abbild der Druckerzeugnisse, sondern ein multimediales Informationsportal mit Filmen, Fotos, Audios, Podcasts, Grafiken und Texten. Die Schwester BILD fährt einen ähnlichen Kurs, sie experimentiert rechtlich umstritten mit eigenen TV-Angeboten als Streaming-Angebote bei Bild.de.

 

Die dreifache Krise

Als Exempel mag das reichen. Vorsichtig formuliert befindet sich die Medienbranche in einem veritablen Erdbeben mit angeschlossener Sturmflut und einem Tornado obendrauf. Die Medien werden durchgeschüttelt, an manchen Orten bleibt kein Stein auf dem anderen. Eine ökonomische Krise, eine Legitimationskrise und eine technologische Krise.

Die ökonomische Krise ist vor allem eine Krise der Tageszeitungen und ihrer Verlage. Vor 30 Jahren war eine Tageszeitung, vor allem eine Regionalzeitung in einem bevölkerungsreichen Landstrich, eine Lizenz zum Gelddrucken. In manchen Regionen gab es sogar zwei voneinander unabhängige Blätter, solche „Zwei-Titel-Kreise“, die einmal für ein blühendes demokratisches Medienangebot standen, dürften heute seltener sein als der Tasmanische Tiger in Mitteleuropa. Zunächst gingen die Werbeerlöse zu den kostenlosen Wochenzeitungen der gemeinsamen Verlage, in denen das Verhältnis redaktioneller Text zu den Anzeigen ökonomisch effizienter war. Dann kamen die Privatradios, dann das Privatfernsehen und inzwischen ist es die scheinbar unbegrenzte Welt. Diese Welt ist vor allem eine Werbewelt, weil dort bekanntlich jüngere und aktive Menschen durch die Datenschätze der Algorithmen zielgenau beworben werden können. Diese ökonomische Krise macht auch keinen Bogen um die Privatradios und das Privatfernsehen, beide haben aber rechtzeitig mediennahe Geschäftszweige gegründet, die nichts mit Journalismus zu tun haben, aber reiche Erträge bringen. Bei den Tageszeitungen hat die Krise zu einem Zeitungssterben geführt, das nicht immer so schnell zu erkennen ist. Ganze Redaktionen wurden und werden entlassen oder outgesourct, Politik- oder Kulturberichterstattung wird von Zentralredaktionen für viele geliefert, eigenständig bleibt nur das Lokale und auch das mit immer weniger Personal. Preiserhöhungen und das dünnere und austauschbare Angebot führen zu weiteren Kündigungen und Auflagerückgängen und damit auch zu weiteren Einbußen. Wenige Zahlen zur Illustration: Vor 20 Jahren hatten die deutschen Tageszeitungen eine Auflage von 24,6 Mio. Exemplaren, 2017 nur noch 14,7 Mio., also 10 Mio. weniger. Die FAZ-Auflage sank von 418.000 auf 254.000, die SZ von 400.000 auf 340.000, und die BILD von 4,6 Mio. auf 1,7 Mio.

Obendrein gibt es auch heute noch ein riesiges Ungleichgewicht von West und Ost. Die verkaufte Auflage von Welt, SZ, Spiegel oder FAZ in Ostdeutschland ist marginal.

Im elektronischen Bereich erwirtschaften die großen Privaten erhebliche Renditen, das aber nur noch teilweise durch ihre Werbeumsätze. Auch hier sind mediennahe Unternehmungen, wie Ratgeber- und Partnerschaftsportale, die Renditetreiber. Aus dem publizistischen Wettbewerb mit den Öffentlich-Rechtlichen haben sich die privaten Anbieter weitgehend abgemeldet. Zunehmend mächtig werden Streamingangebote, wie Netflix oder Spotify, die auf eine individualisierte und personalisierte Nutzung setzen und beachtliche Steigerungsraten vorweisen können. Das ist mehr als nur die Etablierung eines Finanzierungsmodells. Die Personalisierung und Individualisierung der Mediennutzung setzt dem demokratischen Diskurs enge Grenzen. Es wird für Medien immer schwieriger, Debatten anzuregen und zu führen, die weit über die eigenen Bezugsgruppen hinausweisen. Die potentiell globale Kommunikation hat die Kehrseite einer hochindividuellen und auf die Einzelperson konzentrierten, von der Umwelt abgekoppelten Mediennutzung.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem jüngsten Urteil zum Rundfunkbeitrag die Gefahren dieser Entwicklung für den offenen, freien Diskurs, der die Integration unterschiedlicher Meinungen und Auffassungen sicherstellt, durchaus hellsichtig mit dramatischen Worten beschrieben:

„Die Digitalisierung der Medien und insbesondere die Netz- und Plattformökonomie des Internet einschließlich der sozialen Netzwerke begünstigen Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen bei Anbietern, Verbreitern und Vermittlern von Inhalten (…). Hinzu kommt die Gefahr, dass – auch mit Hilfe von Algorithmen - Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führt (…). Dies alles führt zu schwieriger werdender Trennbarkeit zwischen Fakten und Meinung, Inhalt und Werbung, sowie zu neuen Unsicherheiten hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen.“

Nach der großen Euphorie der neuen globalen und grenzenlosen digitalen Welt ist der große Kater auch beim Verfassungsgericht angekommen. Unser Medienmarkt schrumpft, was Vielfalt, Breite und Tiefe des Angebots angeht, und das ist mehr als nur ein statistisches oder ein ökonomisches Problem.

 

Die „Lügenpresse-Welle“

Der öffentlich-rechtliche Teil der Medienwelt soll da gegenhalten, das ist auch der Auftrag und die Pointe des Verfassungsgerichts. Er wird allerdings durch eine handfeste Legitimationskrise geschüttelt, die mittelfristig auch die finanziellen Ressourcen bedroht. Die Lügenpresse-Welle, die im Übrigen weit vor der Flüchtlingsthematik bei Pegida und anderen angeheizt wurde, die zum Gründungsprofil der AfD gehörte, diese Welle ist scheinbar etwas abgeflaut. Große seriöse Untersuchungen und Studien geben zu erkennen, dass die seriösen Leitmedien, wie die überregionalen Tageszeitungen und die Öffentlich-Rechtlichen, weiterhin hohes Vertrauen genießen. Das unterscheidet die Situation in Deutschland auch von der in anderen europäischen Ländern. Die Informationsangebote der ÖR werden sogar von der Mehrheit der Politikfernen und Zweifler - neue Kategorien der Sozialforscher - bevorzugt, und auch die Mehrheit der AfD-Klientel informiert sich regelmäßig über ARD, ZDF und Deutschlandradio. Schaut man aber in die Details der Forschungsergebnisse, dann sind alarmierende Besonderheiten nicht zu übersehen. Unterdurchschnittlich sind die Vertrauens- und Zustimmungswerte der 29- bis 49-jährigen, also Altersgruppen, die mitten im Leben stehen, aktiv sind, Multiplikatoren in allen Bereichen des öffentlichen Lebens sind. Diese Generation, die ich einmal „Generation RTL“ genannt habe, ist u.a. vom Erfolgslauf des privaten Rundfunks geprägt und seiner ganz eigenen Attraktivität. Der Vorwurf gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen heißt dann auch: Zu abgehoben, zu akademisch, zu brav, zu nahe an den Parteien, zu weit weg vom richtigen Leben. Diese Generation ist schon seit längerem die Gruppe, die für die öffentlich-rechtlichen Angebote nur unterdurchschnittlich zu erreichen ist, und bei denen der Rundfunkbeitrag in besonderer Weise verhasst ist. Das strategische Ziel, diese Gruppe verstärkt zu erreichen und zu gewinnen, hat die Programmphilosophie der ÖR in den vergangenen Jahren aus verständlichen Gründen geprägt. Gerade die Fernsehprogramme wurden stark optimiert, um jüngeres, nicht junges Massenpublikum möglichst lange zu halten. Alte Informationsformate orientierten sich zunehmend an anderen und neuen Anforderungen. Als Beispiel mag der Wandel der Wirtschaftsmagazine hin zu Service und Ratgeber dienen oder der unübersehbare Trend der beispielhaften Erzählung. Natürlich gibt es Spezialangebote wie Phoenix oder die Programme von Deutschlandradio, die von einer beeindruckend hohen Zahl von Personen genutzt werden, aber Massenprogramme werden das nicht.

 

„Das Publikum ist ein scheues Wild“

Für eine qualitative Bewertung des dualen Medienangebots in Deutschland ist hier nicht der richtige Platz. Hier soll ja nur der Rahmen beschrieben werden, innerhalb dessen Wissenschaft oder präzise zeithistorische Wissenschaft stattfinden kann. Die digitale Revolution mit ihrer Entkoppelung von professionellen Medienmacher und Medienkonsumenten und ihrer „Umsonst-Kultur“ hat alle etablierten Medien gehörig unter Stress gesetzt. Das Publikum ist ein scheues Wild, immer schwerer zu fassen und zu binden, immer häufiger auf allen verschlungenen Pfaden des Mediendschungels unterwegs. Die Zeitung, der Artikel, der Fernsehbeitrag, die Radiosendung, die man einfach gelesen, gesehen oder gehört haben muss, gibt es kaum noch, der sogenannte Medienmarkt ist zersplittert wie nie. Umso stärker wird um das Publikum gerungen, privat oder öffentlich-rechtlich. Reichweite ist ein wesentliches Ziel. Für die Privaten, weil es um Werbeeinnahmen geht. Für die Öffentlich-Rechtlichen, weil es um den gesellschaftlichen Rückhalt eines Massenpublikums geht, das, zur Zahlung des Rundfunkbeitrags verpflichtet, sich auch im Programm ausreichend mit seinen Wünschen wiederfinden will. Auch das Verfassungsgericht hat daher in seinen jüngsten Urteilen nicht für öffentlich-rechtliche Programme votiert, in dem nur das Gute, Hehre und Schöne ihren Platz haben. Das Gericht hat die Bedeutung von sogenannten Vollprogrammen mit Massenreichweiten hervorgehoben, in denen Information, Kultur und Wissenschaft auch eine Chance haben, viele Menschen zu erreichen.

Text Message. Foto: Miles Metcalfe. Quelle: flickr.com. Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0.

Manche*r Geisteswissenschaftler*in mag von einem Programm aus Arte, 3Sat, Phoenix oder Deutschlandfunk träumen, in dem sich aufwändige Dokumentationen, Schwerpunktsendungen und Geschichtsmagazine die Klinke in die Hand geben. Es wäre aber der Weg in die amerikanische Medienwirklichkeit mit PBS und NPR als Nischenangebote für die Universitätsstädte, abhängig vom „good will“ von Sponsoren, Stifter und staatlichen Zuschüssen.

Schauen wir aber einfach mal mit gewisser Gelassenheit auf den Stellenwert der Zeitgeschichte in den deutschen Medien. In den wichtigsten Tageszeitungen gibt es weiterhin große Fachkompetenz. In der FAZ beispielsweise Patrick Bahners, der tapfer den Kampf seiner akademischen Lehrer weiterkämpft. In der SZ dafür Johan Schloemann, der um Bielefeld zumindest keinen Bogen macht. Spiegel und ZEIT bieten zeithistorischen Diskussionen weiterhin Foren. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat die Zeitgeschichte immer noch starke Erbhöfe, zweifellos ein Verdienst von Guido Knopp, dessen Straßenfeger zur NS-Zeit oder zur deutschen Geschichte der Zeitgeschichte in den internen Verteilkämpfen der ARD und des ZDF zu enormen Etatmitteln verholfen haben.

 

Kalenderblattgeschichten

Doch die schönen Zeiten der Primetime-Programmierung scheinen vorbei. Die legendäre Redaktion „Zeitgeschichte“ von Guido Knopp existiert zwar immer noch, große Projekte gibt es weiterhin, aber die Themenreihen der Ära Knopp sind der Kalenderblattorientierung zum Opfer gefallen, Themen werden kaum noch gesetzt. In der ARD gibt es im Ersten den Gemeinschaftssendeplatz „Geschichte im Ersten“, der von den Landesrundfunkanstalten in einer Art Wettbewerb besetzt und realisiert wird. Wettbewerb, weil eine kleine zentrale Arbeitsgruppe von Vertreter aller Landesrundfunkanstalten regelmäßig mit einem ausgeklügelten Punktesystem die Vorschläge der ARD-Sender bewertet und die Sieger auf den Sendeplatz Montags nach den Tagesthemen setzt, also in die sogenannte zweite Primetime in enger Bindung mit der investigativen „Story im Ersten“. Es werden Kalenderblattgeschichten ebenso platziert wie auch Einzelthemen. Schwerpunkt ist weiterhin die NS-Zeit.

Auch in den Dritten Programmen gibt es weiterhin kontinuierliche Planungen mit zeithistorischen Themen. Da sind beispielsweise das Team von Johannes Unger beim RBB und die Redaktion von Ulrich Broichhagen beim MDR in Leipzig. Auffällig ist, dass gerade in den östlichen Bundesländern Produktionen, in denen sich Zeitgeschichte und Zeitgeschehen, d.h. die Gegenwart treffen, besonders großes Echo finden. Als Beispiel mögen die aufwändigen Reihen „Wem gehört der Osten?“ gelten, die - häufig prämiert - auf 22 Uhr-Sendeplätzen 12 bis 15 % Marktanteile erringen, was für Informationsangeboten Traumwerte sind. Historische Stoffe, vor allem als Dokumentationen, sind hoch im Kurs, vor allem bei den Generationen unter 30 und 40, die mit frischer Neugier an die DDR-Geschichte und an die Geschichte von 89/90 und den Folgen gehen.

Im Hörfunk spielt die Zeitgeschichte je nach Themenkonjunktur in den Informations- und Kulturwellen eine größere Rolle. Die drei Programme von Deutschlandradio bieten historische Themen als Magazine, Literatursendungen oder Feature an. Die hohe digitale Nutzung, die Abrufzahlen für historische Angebote in den Audiotheken von ARD und Deutschlandradio legen nahe, dass historische Stoffe sehr attraktiv sind.

 

Ein Filbinger-Feature als Straßenfeger

Ein besondere Überraschung ist der Erfolg der Reihe „Eine Stunde History“, die von einem Miniteam um Matthias von Hellfeld für das junge Programm Deutschlandfunk Nova realisiert wird und regelmäßig in den Top 10 der Podcasts und Abrufsendungen auftaucht. Einer der großen Reichweitenerfolge war im Übrigen ein Feature zum Thema „Filbinger“, dessen Erfolgsgeheimnis ich ehrlich gesagt bis heute nicht entschlüsselt habe.

Diese kleinen und großen Erfolge weisen auch auf Entwicklungen hin, die ein wenig jenseits des etablierten Wahrnehmungsradars stattfinden. Der ungeheuer dynamische Markt von YouTube-Videos und Podcasts mit historischen Inhalten ist durchaus auffällig. Gehen Sie mal davon aus, dass auch Ihre Kinder und Enkel ihre Geschichtsnachhilfe in der Regel aus dem YouTube-Angebot und nicht aus den Regalen Ihrer Hausbibliothek beziehen. Und wenn Sie Glück haben, dann sind es beispielsweise Produktionen von Andy Neidell, der meinem 14-jährigen Sohn in großer Regelmäßigkeit den Ersten Weltkrieg erklärt, der seinen Münkler gut kennt und der nach meiner Beobachtung auch den Geschichtslehrer selbst auf den Stand bringt.

 

Zeitgeschichte in den Medien: Wenn wir nun auch hier den berühmten Schritt zurücktreten, bietet sich ein Bild, das in seiner Routine gelassen und geschäftig wirkt. Die Zeitgeschichte und ihre Forscher sind in den Medien ein gern gesehener Gast, nicht zuletzt, weil die Geschichte, die so nahe an unserer Gegenwart ist, auch weiterhin viele Menschen interessiert, wenn auch nicht im dem Maße wie vor 15 oder 20 Jahren. Der Kalender und die Jubiläen werden brav und zuverlässig abgearbeitet, Historikertage werden wahrgenommen, zeithistorische Neuerscheinungen regelmäßig rezensiert und in den neuen Medien spielt die Geschichte auch irgendwie mit.

Aber zugleich irritiert dieses fast zu ruhige Bild. Sie werden sofort sagen, es stimmt ja alles, aber irgendwie stimmt es auch nicht mit diesem Stillleben des nützlichen Zusammenlebens von Medien und Zeitgeschichte.

 

Fünf Beobachtungen zum Zeitgeist

Für mich sind folgende Punkte bemerkenswert.

  • Die Interpretation der Zeitgeschichte ist wieder ohne größeren Anlass politisches Streitthema, und das in einer Zeit, in der eine handfeste Polarisierung in der zuständigen Fachwissenschaft zumindest von außen nicht mehr festzustellen ist.
  • Der öffentliche Streit um die Begriffe und die Bewertungen, beispielsweise der NS-Zeit, führt zu einer vehementen Skandalisierung, die die Behauptung, es gebe Zensur und Denk-, bzw. Sprechverbote argumentativ unterstützt.
  • Die öffentliche Debatte setzt an Streitpunkten an, die Ende der 70er Jahre wissenschaftlich geklärt schienen und von Wissenschaft wie von Medien nicht mehr als bestreitbar eingeschätzt worden sind. Wir haben derzeit keine Debatte mit neuen Argumenten, sondern eine Konfrontation mit alten Legenden, Mythen und Geschichtsklitterungen.
  • Medien und Wissenschaft haben bisher noch keinen griffigen und erfolgreichen Zugang zu diesen Debatten gefunden. Es mangelt nicht an Angeboten historischer Aufklärung, Appellen zur Förderung des Geschichtsunterrichts, Schulungs- und Weiterbildungsangeboten und vielen, teilweise auch populären Büchern. Dennoch bleibt der Tatbestand, dass ein Teil der Bevölkerung für historische Aufklärung auf den bisherigen Wegen nicht erreichbar ist. Der Anteil der Bürger, die antisemitisch, rassistisch und totalitär orientiert sind, ist mit bis zu 20 % außerordentlich hoch.
Looking at their phones and chatting with each other in a cafè in Bali, 15. Juli 2018. Foto: Alberto Mari. Quelle: flickr.com. Lizenz: CC BY-SA 2.0.

 

  • Die öffentliche Debatte krankt zurzeit im Wesentlichen daran, dass es keine gemeinsame Bühne und zugleich die einseitige Verweigerung eines Dialogs gibt. Es gibt nicht wie in der Vergangenheit ein Ringen um Wahrheit und Meinungsführerschaft. Die angreifende Seite geht davon aus, dass sie eine strukturelle Mehrheit auf ihrer Seite hat, die sich nach und nach einer Art Bewegung anschließt. „Hier haben wir die kulturelle Hegemonie“ hat ein AfD-Vertreter die Chefredakteure von ZDF und ARD aktuell im vergangenen Jahr bei einer Veranstaltung in Dresden begrüßt.

Für Wissenschaft und Medien sind das beunruhigende Sachverhalte. Was wird aus dem Diskurs, wenn eine Seite ihn verweigert? Laufen wir mit unserem Aufklärungspathos und unserer Vermittlungsmethodik nicht leer? Sind wir uns überhaupt schon darüber im Klaren, wie es zu diesem roll back in Sachen historischer Erinnerungsarbeit überhaupt kommen konnte? Welche Zeichen und Indizien haben wir übersehen? Manchmal scheint es ja, als ob eine ganze Armee von älteren Herren, häufig gebildet und gesetzt, wie „Schläfer“ nach 30 Jahren wieder in Erscheinung tritt und eine veränderte Gesellschaft auf dem falschen Fuß erwischt. Nein, diese Bewegung verdient ernsthafte Erforschung durch die Wissenschaft und kühle und rationale Beobachtung durch die Medien, mit allen regionalen Unterschieden, Ost und West.

Und doch müssen wir uns eingestehen, und das macht den vielleicht unbefriedigenden Schluss dieses Rundgangs aus, dass wir zurzeit eher ratlos sind.

 

In die Offensive gehen

Deshalb nur ein paar Hinweise auf mögliche Wege:

  • Das Ignorieren der Tabubrüche und der eitle Verweis auf den Stand der Wissenschaft werden hier nicht helfen. Es war wichtig, dass beispielsweise Martin Sabrow kurz nach der Dresdner Rede von Höcke wissenschaftlich fundierten Klartext geschrieben hat und Sprache, Anspielungen und den historischen Hintergrund sehr klar decodiert hat. Eine Lehre dieser Diskussionen ist für mich, dass diese Aufklärungsarbeit immer und immer wieder geleistet werden muss. Auch wenn wir ahnen, dass wir nur die ohnehin Zugänglichen und allerhöchstes die Indifferenten erreichen können.
  • Es ist weiterhin gut, dass gerade die Geschichtswissenschaft sich den Medien gegenüber zumindest größtenteils geöffnet hat. Die Zeiten scheinen vorbei, in denen ein bekannter und eigentlich griffig formulierender Historiker mir ein Interview mit den Worten verweigerte, er würde ja persönlich gerne, aber sein Ruf unter den Fachkollegen würde darunter leiden. Es müssen nicht immer die altbekannten Alleserklärer sein, die in den Medien und vor allem Talkshows erscheinen, aber eine offensivere Präsenz gerade der Zeithistoriker in allen Medien wäre sehr wünschenswert.
  • Wissenschaft wie Leitmedien müssen die Förderung der historischen Bildung zu einem drängenden politischen Thema machen. Menschen mit schulpflichtigen Kindern leuchtet das Thema immer sofort ein, auch mir mit dem Nachwuchs auf sächsischen Gymnasien. Doch bei kaum einem Thema lässt das politische Engagement so schnell nach wie im Bildungsbereich, wenn die eigene Familie nicht mehr betroffen ist. Die Lieblosigkeit im Umgang und die fehlende Förderung des Schulfachs „Geschichte“ sind ein Skandal, der zu wenig thematisiert und markiert wird.
  • Das Interesse an Geschichte und an Zeitgeschichte ist groß, das Angebot an niederschwelligen, aber seriösen populären und multimedialen historischen Informationen auf allen Verbreitungswegen ist jedoch noch sehr überschaubar. Schauen Sie sich mal, das darf man gerade in Potsdam einmal sagen, das riesige Angebot militärhistorischer Zeitschriften an, das innerhalb weniger Jahre zu einem echten Markt geworden ist. Landser, das war einmal. Und schauen Sie sich mal in den Bahnhofsbuchhandlungen die Menschen an, die diese Zeitschriften kaufen.
  • Und das gilt vor allem für die Angebote im Netz, bei YouTube, bei den Audioplattformen, bei Audible, bei Instagram, in den sozialen Netzwerken überhaupt, ein irre dynamischer und ständig neu angeheizter Markt, in dem Geschichte Thema ist, so und so.

 

In den großen Herausforderungen für die historische Bildung und die historische Aufklärung hilft uns ein zu nahes und austauschbares Verhältnis von Zeitgeschichtsforschung nicht. Im Gegenteil, wenn die Wissenschaft zu sehr mit journalistischen Mitteln und die Medien zu forsch mit historischen Erkenntnissen herumspielen, schadet das der Glaubwürdigkeit von beiden. Es tut gut, wenn beide ihre eigenen Rollen reflektieren und ihre branchentypischen Wahrnehmungsdefizite auch transparent machen und berücksichtigen. Aber es hilft auch, wenn die Geschichtsforschung die Veränderungen der medialen Welt auch im eigenen Interesse stärker beachtet und analysiert, und die Medien die Komplexität und die Strenge zeithistorischer Interpretation auch respektieren und schätzen lernen.