von Daniel Walter

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29. November 2019

Die New Yorker Hip-Hop-Szene der 1980er hat denkbar wenig Überschneidungen mit dem Leben am Hof der iranischen Kadscharen-Dynastie (1779-1925). Doch im Jahr 1998 entsteht in der iranischen Hauptstadt Teheran eine Verbindung zwischen beiden Phänomenen.

Mohammed Khatami, der für eine Belebung der iranischen Kulturproduktion sorgte, ist seit rund einem Jahr Präsident der Islamischen Republik, als Shadi Ghadirian ihre Bachelorarbeit in Fotografie an der Azad Universität in Teheran einreicht. Ihre „Qajar“-Serie ist eine Reminiszenz an die Studiofotografien aus der Zeit Naser al-Din Schahs, der Persien von 1848 bis 1896 regierte und als eine der prägendsten Figuren der modernen Landesgeschichte gilt.

Auf einem der Bilder ist eine junge Frau zu sehen. Die Sepiafarben, die Monobraue und der traditionelle Hijab sowie der angedeutete Rock (shalite) sind eine klare Anspielung auf die Porträts etwa von Nasir al-Din Schahs „Lieblingsfrau“ und der berüchtigten Anis al-Dowleh, deren Einfluss auf die Politik des Landes bekannt ist. In der Komposition der Fotografien ist ein doppelter Bruch zu erkennen. Zum einen wird die Darstellung in der Islamischen Republik verortet, trägt die Frau doch, anders als auf den Kadscharen-Darstellungen – Hosen. Zum anderen, und dies ist der offensichtlichere Bruch, posiert sie mit einer Boombox, einem jener großen Lautsprecher, die man vor allem von Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf den Schultern etwa des Rappers LL Cool J aus Queens/New York kennt.

Die „Qajar“-Serie ist inzwischen eine Ikone innerhalb der zeitgenössischen iranischen Fotografie und wird auch in der Diaspora als popkulturelle Referenz ständig zitiert. Vermutlich liegt dies nicht nur daran, dass Kadscharen-Designs in Iran in den letzten Jahren einen Aufstieg zum hippen Accessoire erlebten, sondern auch an der eindeutig feministischen Kodierung der Aufnahmen. Die Genderfluidität Anis al-Dowlehs und anderer Frauen des kadscharischen Hofstaats – immer mit Monobraue, zuweilen mit Oberlippenbart – symbolisieren eine Körperpositivität, die in der Islamischen Republik, in der Schönheits-OPs in gewissen Schichten omnipräsent sind, eine kraftvolle Kritik sein kann. Ganz nebenbei verweisen die Aufnahmen auch auf den Beginn der Fotografie in Iran im Jahr 1842.

Shadi Ghadirian, aus der Serie „Qajar“, 1998, © Shadi Ghadirian courtesy of Silk Road Gallery

Fragmentierte Referenzen

Bei der „Qajar“-Serie handelt sich um die wohl bekannteste Arbeit der Ausstellung „Capturing Iran’s Past – Fotokunst“ im Berliner Museum für Islamische Kunst auf der Museumsinsel. Die Schau versammelt Shadi Ghadirian und drei weitere Fotokünstler*innen: Najaf Shokri, Arman Stepanian und Taraneh Hemami. Doch welche Vergangenheit soll hier dem Titel zufolge eingefangen werden?

Spuren, Erinnerung, Identität, Migration und Krieg, das zumindest sind die Schlagworte, in die Gastkuratorin Agnes Rameder die verschiedenen Sujets der Ausstellung unterteilt. Alle präsentierten Werke, so Rameder in ihrem begleitenden Essay, „beinhalten Spuren der Vergangenheit und fragmentierte Referenzen auf die iranische Fotografiegeschichte“. Es ist dieses Neben- und Übereinander der Bildsprachen, das als gemeinsamer Nenner ausgemacht werden kann.

Die historischen Referenzen in Najaf Shokris (geb. 1980) Serien „Irandokht“ (2006) und „The Registration Congregation of Iranian Men” (2006-2012) sind dabei materialimmanent. Shokri dokumentiert Passfotos iranischer Ausweisdokumente (shenasname). Diese wurden erstmals unter Reza Shah Pahlavi ausgehändigt, der als autoritärer Modernisierer von 1925 bis 1941 regierte. Shokri sammelte die Ausweise aus Mülltonnen, da sie von der Verwaltung entsorgt worden waren. Die Arbeit kann somit auch als Versuch verstanden werden, die staatlich gelenkte Geschichtsschreibung des post-revolutionären Landes aufzuzeigen (eines der Passbilder zeigt eine Frau, der nachträglich ein Hijab aufgemalt wurde). Die zumeist erst in den 1950er- bis 1960er Jahren hinzugefügten Passbilder stehen somit in einem Spannungsverhältnis zum Dokument selbst – normierte Stempel und Beamtennotizen umzingeln die individuellen Abbildungen von Frauen und Männern aus den unterschiedlichsten Milieus. Letztlich sind die Passdokumente Zeugnisse der Formierung des modernen Zentralstaats, die Reza Shah mit eiserner Hand vorantrieb.

Najaf Shokri, Irandokht Serie (2006-2009), © AG Galerie / Najaf Shokri

 

Grabsteine und Spiegelsäle

Der 1956 in der südwestiranischen Ölstadt Abadan geborene Arman Stepanian bietet in „Gravestones“ (1999/2000) und „Doorbells“ (2004) eine sehr konkrete Inszenierung des Vanitas-Sujets. Auf armenisch-christlichen Grabsteinen und an Hauseingängen platziert er historische Fotografien aus der Kadscharen- und Pahlavizeit. Leider bleibt es ein Geheimnis des Künstlers, was die Arbeiten außer Allgemeinplätzen wie „Erinnerung“ oder der Überschneidung von Epochen transportieren sollen. Dass „unser heutiges Leben, unsere Persönlichkeit und unsere Identität von jenen, die vor uns lebten, maßgeblich geprägt“ seien, wie es im Katalog formuliert ist, kommt nicht weniger tautologisch daher.

Die in Kalifornien lebende Taraneh Hemami (geb. 1960) hat für ihre Serie „Hall of Reflections“ zwölf Jahre lang Privatfotografien von Iraner*innen im Exil gesammelt – laut Künstlerin eine nicht ganz einfache Unternehmung, denn sie begann das Sammeln um die Anschläge des 11. Septembers herum. Ihrer Frage nach Privataufnahmen wurde im Zuge der islamophoben und antiiranischen Stimmung in den USA laut eigener Aussagen mit Skepsis begegnet. Kalifornien, das sollte dabei erwähnt werden, ist Heimat einer der weltweit größten iranischen Exilcommunities, was sich unter anderem im Spitznamen Tehrangeles niederschlägt. Die in Anspielung an traditionelle Spiegelhallen (talar-e aineh) angeordneten Fotos vermitteln intime, beschützte Momente und erinnern in ihrem Impressionismus stellenweise an die Arbeiten etwa eines Heinrich Kühn.

In chronologischer Reihenfolge der Referenzen – Kadscharen-, Pahlavizeit und Migration seit den 1960er Jahren – stellt die zweite Serie der eingangs erwähnten Shadi Ghadirian den Abschluss der Ausstellung dar. In „Nil Nil“ (2008) inszeniert sie realistische Stillleben und arbeitet analog zu „Qajar“ mit offensichtlichen Brüchen – eine Patronenhülse anstelle einer Zigarette im Etui; eine unter Früchte gemischte Handgranate. Bezug nimmt Ghadirian dabei auf den Iran-Irak-Krieg (1980-88), der das kollektive Bildgedächtnis Irans bis heute durch unzählige martialische Märtyrerdarstellungen im öffentlichen Raum beinahe jeder Stadt prägt. Mehr noch als die Revolution von 1978/79 ist der Krieg, der in fast jeder Familie Spuren hinterlassen hat, zentraler Referenzpunkt für die staatliche Elite.

Shadi Ghadirian, aus der Serie Nil Nil, 2008, © Shadi Ghadirian courtesy of Silk Road Gallery

 

Und die Umayyaden schauen zu

Es wird deutlich, wie voraussetzungsreich für die Besucher*innen die zahlreichen historischen Folien sind, derer die Künster*innen sich bedienen. Die in einem Nebenraum installierte Slideshow mit Beispielen etwa kadscharischer Hoffotografie wird dieser Zentralität der Bildgeschichte jedoch nicht gerecht. Der Versuch, Vergangenheit einzufangen, hätte mehr Erläuterung gebraucht. Spätestens hier werden die besonderen Herausforderungen offenkundig, die sich einem Museum stellen, dessen jüngstes Sammlungsstück aus dem frühen 17. Jahrhundert stammt.

Wie kann unter diesen Umständen eine Ausstellung zu zeitgenössischer Fotografie angemessen gestaltet werden? Die vier pinkfarbenen Stellwände der Ausstellung fügen sich in den Mschatta-Saal mit dem gleichnamigen umayyadischen Fassadenrelief aus dem 8. Jahrhundert nur leidlich ein. Die „Qajar“-Fotografien sind derweil im angrenzenden und sehr dunklen Buchkunstkabinett untergebracht und etwas verlegen mit Sammlungsstücken aus der referenzierten Epoche gepaart, was in einem Widerspruch zu ihrer Popularität steht.

Ferner füllen Diskussionen über Sinn und Unsinn des Konzepts „Islamische Kunst“ inzwischen ganze Regalwände. Eigentlich bedürfe es eines Museums für die Globale Moderne, so Direktor Stefan Weber in seiner Eröffnungsrede. Das mag sein, doch bedarf es dann einer Ausstellung in einem Museum, das den Werken kuratorisch nicht gerecht werden kann – das inzwischen nicht nur Artefakte ausstellt, sondern selbst zu einem geworden ist?

 

Dass die mittlerweile zur Hälfte umgebaute Museumsinsel (trotz des horrenden Eintritts von 18 Euro) über kein frei zugängliches WLAN verfügt, kann in diesem Zuge als kulturpolitisches Statement gesehen werden. Dem preußisch-behördlichen Wind weht da die Tatsache entgegen, dass die Ausstellungstexte neben Deutsch und Englisch auch ins Persische übersetzt wurden. Hier wird angedeutet, was die Ausstellung in einer angemesseneren Umgebung alles hätte sein können.

 

07.11.2019 bis 26.01.2020

Capturing Iran’s Past

Fotokunst – PhotoArt – هنر عکاسی

Sonderausstellung im Pergamonmuseum