von Nikolai Okunew

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1. August 2023

Festivals waren schon in der europäischen Vormoderne bekannt, aber zu einer Mainstream-Aktivität entwickelten sich erst in den letzten Jahrzehnten.[1] In einzelnen Regionen sind sie zu einem durchaus wichtigen wirtschaftlichen Faktor geworden und stützen außerdem die ewig kriselnde Musik- und allgemein die Unterhaltungsindustrie.[2] Aus dem Konzert deutscher Festspiele sind Heavy-Metal-Festivals in ihrer globalen Bedeutung noch einmal klar herauszuhören.[3] Am bedeutendsten ist aus diesem Kreis das norddeutsche Wacken Open Air (WOA), dessen Gründungsgeschichte der Fernsehsender RTL pünktlich zur Festival-Saison in fiktionalisierter Form unter dem Titel Legend of Wacken veröffentlicht hat.

 

Das verspricht immerhin ein Mindestmaß an Unterhaltung. Schließlich war der Weg vom Festival einer Gruppe Dorf-Metaller in den frühen 1990er Jahren bis zum gegenwärtigen Millionen-Unternehmen mit Weltruhm und genre-touristischen Kreuzfahrtreisen kein kurzer und wahrscheinlich auch kein ganz langweiliger. Tatsächlich beginnt die 6-teilige Serie mit einigem Schwung: Wacken-Chef 1 Holger Hübner (Charly Hübner) fällt während des durchkommerzialisierten Festivals in der Gegenwart ins Koma. Wacken-Chef 2 Thomas Jensen (Aurel Manthei) und weitere Weggefährten versuchen nun, Hübner mit emotionalen Geschichten aus der Frühzeit des Festivals zurück ins Leben zu holen. Das ist wohl ebenso wenig plausibel, wie die Struktur einer Origin-Story interessant ist, aber funktioniert als Plot-Device dennoch recht gut: Der rurale Mief der späten 1980er und frühen 1990er Jahre – der Mauerfall ist hier nur Randnotiz – und die darin unterstimulierten Metaller im Kontrast zum Bombast-Event im 21. Jahrhundert, der im Ort gesprochene Dialekt und einzelne fantastisch-übernatürliche Handlungselemente sind nicht genretypisch, sondern Ausdruck eines für deutsche Verhältnisse angenehm unangestrengten Umgangs mit der Materie.[4] Selbstredend entsprechen die allermeisten Requisiten der Obsession mit historisch-materieller Authentizität in der deutschen Film- und Fernsehwelt, aber die bedrückende Atmosphäre im nordfriesischen Kuhdorf mit Liberalisierungsrückstand wird eher durch die knochigen und wertkonservativen Dorfältesten erzeugt, als durch einen bis ins kleinste Detail korrekt ausstaffierten Bild-Hintergrund.

Die eigentliche Erzählung ist leider relativ banal. Eine Gruppe von Heavy-Metal-Fans langweilt sich, beschließt erst eine Band und dann ein Festival zu starten, verschuldet sich deswegen zwar, überwindet aber diese und auch andere Schwierigkeiten nach ein paar Jahren. Kontrastiert wird die Anfangszeit der Selbstunternehmer mit dem Handlungsstrang in der höchst erfolgreichen Gegenwart, der sich in unangenehmer Weise wie ein Wacken-Werbespot anfühlt. Für Kurzweil sorgen Cameos einzelner Metal-Musiker*innen, die teils von Schauspieler*innen dargestellt werden.

Die launige Oberfläche und die ansprechenden schauspielerischen Leistungen können allerdings ebenso wenig wie der stilsichere Soundtrack darüber hinwegtäuschen, wie wenig die Serie im Kern zu sagen hat. Zu fade ist die Rags-to-Riches-Geschichte und zu unglaubwürdig sind vor allem die persönlichen Konflikte zwischen den beiden Wacken-Chefs. Auch was das WOA und die Musikrichtung Heavy Metal für die Protagonisten eigentlich ausmachen, bleibt merkwürdig unbestimmt. Immer neue symbolische Grenzüberschreitung, libertärer Individualismus oder doch eine Form des gemeinschaftlichen Hedonismus, an dem man erst teilnehmen kann, wenn man die 299€ teuren Tickets erwirbt? In welcher Beziehung stehen Globalisierung und der marktoptimistische Zeitgeist zur Entstehung von Festivals wie Wacken? Sind Festivals und Pop-Musik in den 1990er Jahren Motor der sozialen Liberalisierung oder profitieren sie eher davon? Eigentlich wäre es ja durchaus interessant gewesen zu erkunden, welche gesellschaftlichen Prozesse in Schleswig-Holstein ablaufen mussten, damit aus Heavy-Metal-Fans auf der Suche nach intensiven Erfahrungen höchst erfolgreiche Geschäftsleute wurden. Schließlich ist die Vermarktung von Sub- und Jugendkulturen und der affektgeladenen Erfahrungen, die mit ihnen zusammenhängen, eine bis in die Gegenwart anhaltende Entwicklung und für Andreas Reckwitz gar ein Merkmal der Spätmoderne.[5] Einfach gefragt: Warum konnten die Verkäufer von intensiven Erfahrungen, zumindest für die Länge eines Wochenendes, zu einem der größten Arbeitgeber einer ganzen Region aufsteigen? Wohl auch weil die Serie auf die wenigsten dieser Fragen Antworten zu finden versucht, verliert der eigentlich simple Plot auf der Suche nach einem Spannungsbogen in den letzten zwei bis drei Folgen merklich an narrativer Kohärenz und schiebt plötzlich Nebencharaktere- und handlungen in den Vordergrund, die für den zentralen Konflikt bis dahin kein Gewicht hatten.

So reiht sich die Serie in den aktuellen Banal-Trend ein, die Ursprungsgeschichten globaler Marken und Firmen zu schreiben: Duell der Brüder (2016; ebenfalls von RTL), Air (2023) oder Blackberry (2023) können hier genannt werden. Nachdem musikalische Biopics im eigentlichen Sinne seltener gewordenen sind, machen sich Filmschaffende also derzeit auf die Suche nach anderen Tellerwäschern, die zum Millionär aufgestiegen sind. Die Plots sind, wie bei Legend of Wacken auch, meist ziemliche lineare Erfolgsgeschichten männlicher Macher, die im auffälligen Gegensatz zu aktuellen Krisendiskursen stehen. Der Eindruck drängt sich auf, dass hier vor allem ein gesellschaftliches Bedürfnis nach der Erinnerung an eine vergangene Zukunft tonangebend ist, in der es noch möglich war durch große Anstrengungen den großen Aufstieg zu schaffen. Anschauen muss man sich das nicht.

 


[1] Detlef Siegfried, Kommunikation und Erlebnis. Merkmale und Deutungen europäischer Folk- Popmusikfestivals: Burg Waldeck und Roskilde, in: Sven Oliver Müller u.a. (Hg.), Kommunikation im Musikleben. Harmonien und Dissonanzen im 20. Jahrhundert, Göttingen 2015, S. 276–294, hier S. 276.
[2] Dorothee Bohn u. Cecilia de Bernardi, Celebrating 30 years louder than hell. Exploring commercial and social »Host Event Zone« developments of the heavy metal festival Wacken Open Air, in: Annals of Leisure Research 25. 2022, S. 116–137, hier S. 117.
[3] Deena Weinstein, Communities of Metal. Ideal, Diminished and Imaginary, in: Nelson Varas-Díaz u. Niall Scott (Hg.), Heavy metal music and the communal experience, Lanham, Maryland 2016, S. 3–22, hier S. 19; Dietmar Elflein, Somewhere in time. Zum Verhältnis von Alter, Mythos und Geschichte am Beispiel von Heavy[-]Metal-Festivals, in: Samples 8. 2009, S. 1–16, hier S. 1.
[4] Selbstredend trafen insbesondere diese magischen Momente auch auf Kritik: Rothe, Dominik (2023): Legend Of Wacken. Die Kritik zur Serie. metal.de. Online verfügbar unter https://www.metal.de/specials/legend-of-wacken-die-kritik-zur-serie-493434/, zuletzt aktualisiert am 21.07.2023, zuletzt geprüft am 24.07.2023.
[5] Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Berlin 20062, S. 17.