von Nikolai Okunew

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22. Dezember 2023

Im Jahr 1993 war der „Gipfel der Schamlosigkeit“ für eine Zuschauerin aus Weißenfels erreicht.[1] Sie überlege, ob sie in Anbetracht dessen, was sich auf dem TV-Bildschirm abspiele, überhaupt noch für die ARD-Anstalten zahlen wolle. Ein Zuschauer des MDR stieß ins gleiche Horn: Er fühlte sich von der Serie Motzki derart beleidigt, dass er nicht nur damit drohte, die Zahlungen an den MDR einzustellen, sondern den Leipziger Sender auch dazu aufforderte, sich doch „endlich auf die echte Demokratie im Fernsehen“[2] einzustellen. Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg sendete einen sarkastischen Beitrag, in dem von einer Serie die Rede war, „die uns fast in den Bürgerkrieg hetzte“.[3]

Was brachte die Zuschauer*innen derart auf? Eine von Wolfang Menge, dem Schöpfer von Ein Herz und eine Seele, verantwortete und im Auftrag von WDR und NDR produzierte Sitcom hatte im Frühjahr 1993 deutsch-deutsche Verhältnisse nach dem 3. Oktober aufs Korn genommen. Motzki porträtierte einen Weddinger Frührentner, der mit (rassistischen) Klischees gegen Türk*innen, Politiker*innen und seine ostdeutsche Schwägerin vom Leder zieht. Ihr [Ossis] seid jetzt schon fast drei Jahre Deutsche, wie lang soll das noch dauern, bis ihr alles kapiert habt? ist ein die Figur adäquat zusammenfassendes Bonmot. Der von Menge bewusst überzeichnete Motzki trieb die Republik zwar in keinen Bürgerkrieg, aber doch in eine Nachfolgeproduktion und eine (ostdeutsche) Mediendebatte, die Aufschlüsse über das Verhältnis der Ostdeutschen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den innerdeutschen Beziehungsstatus offenbart.

Der Bürgermeister des wiedervereinigten Berlin, Eberhard Diepgen, erklärte, man müsse den spalterischen Motzki nicht gucken, während ostdeutsche Stimmen wie die des Regisseurs und Abgeordneten für Bündnis 90, Konrad Weiß, von einer Portion Wahrheit in der Darstellung westdeutscher Überheblichkeit sprachen.[4] MDR-Intendant Udo Reiter (aus Bayern) war selbst kein Fan der Serie, verschärfe sie doch nur die Probleme beim Zusammenwachsen.[5] Das ostdeutsche Leitmedium Superillu publizierte einen negativen Leserbrief zu Motzki, demzufolge ein paar Jahre Diktatur „auf diese kapitalistische und egoistische Bande [beim ÖRR] gute erzieherische Wirkung ausüben“ würde.[6]

Zuvor allerdings hatte das Burda-Blatt genüsslich die schlimmsten Sprüche des fiktiven Nordberliners („Ihr seid doch in Klamotten rumgelaufen, dagegen war eine Uniform wie ein Frühlingsblumenstrauß“) abgedruckt.[7] Für Chefredakteur Jochen Wolff (ebenfalls aus Bayern) war Motzki schlicht der „Spalter der Nation“.[8] Die Veröffentlichungspolitik des Boulevardmagazins weist allerdings auch auf einen Medienrummel um die Serie hin, der ihr, wenig überraschend, einen Publikums-Erfolg bescherte – vor allem in den Neuen Ländern.[9] Die heftigen publizistischen Auseinandersetzung um den Motzki hatten jedoch mehr Gewicht und so entschied sich die ARD nach 13 Folgen für die Absetzung. Untypischerweise waren Einschaltquoten hier nicht alles.

In einem der wenigen reflektierten Texte zum Thema lobte die Ost-Berliner Journalistin Jutta Voigt den pöbelnden Motzki als „Psychotherapie für die gespaltene ostdeutsche Seele“. Der „Überwessi im Taschenformat“ sei immerhin lustiger und ungefährlicher als seine BRD-sozialisierten Mitbürger in den Chefsesseln von Büros, Betrieben und Geschäften, und doch würden sie dieselben Vorurteile hegen. Voigt beobachtete außerdem eine westdeutsche Überreaktion auf den Motzki, wohingegen die Ostdeutschen aufgrund der erlebten Diskrepanz zwischen realer Diktatur und stets verzögerter Utopie ein gesünderes Verhältnis zur Ironie hätten. Auch um das zu zeigen, forderte die Publizistin einen kleinbürgerlichen Serien-Täter „von der Ostseite, der gegen die Wessis motzt“.[10]

 

Da lacht der Ossi?

Die trotzige Antwort auf den motzenden Wessi sollte vom MDR kommen.[11] Im Zentrum stand diesmal eine Leipziger Familie, die vom arbeitssuchenden Patriarchen und ehemaligen Taxifahrer Herbert Trotzki angeführt wird. Die Trotzkis funktioniert ähnlich wie Motzki – ohne eine Beteiligung von Wolfgang Menge –, aber erinnert in der Personenkonstellation eher an die erfolgreiche und in Deutschland von RTL ausgestrahlte Serie Eine schreckliche nette Familie (Married… with Children, 1987–1997).[12]

Die personelle Konstellation konnte durchaus Hoffnung auf Erfolg machen. Zwar hatte die ausschließlich westdeutsche Führungscrew des MDR die Serie angestoßen, beteiligt waren aber neben dem gebürtigen Hanauer Drehbuchautor Uwe Wilhelm auch der Chemnitzer Kabarettist und Nationalpreisträger Rainer Otto und der bekannte sächsische (Kinderfilm‑)Regisseur Günter Meyer. Allerdings kam es im Team wohl schon während der Dreharbeiten zu Streitigkeiten über die Ausrichtung der Serie, die auch anhand der Ost-West-Achse ausgetragen wurden.[13]

Uwe Wilhelm distanzierte sich später öffentlich von der Inszenierung seiner Skripte: Eine Reihe von Pointen sei einfach entfallen. Regisseur Meyer wiederum brachte zum Ausdruck, Wilhelms Vorlagen hätten keineswegs adäquat auf Motzki geantwortet. Sie seien weniger Satire, als Vorlagen für eine leichte ostdeutsche Familiensitcom gewesen.[14]Dieser Zielkonflikt ist in der Serie durchaus spürbar, etwa wenn clevere Pointen auffallend kraftlos inszeniert werden, während Minuten später alberner Klamauk im Zentrum steht.

Die Handlung bildet dabei klischeehaft ab, was die Ostdeutschen in den frühen 1990er Jahren bewegte. In Folge 3 etwa taucht die Verwandtschaft aus dem Westen auf und fordert die Rückübertragung des Hauses. Durch eine vorgetäuschte Asbest- und Kakerlaken-Verseuchung kann die Übernahme abgewehrt werden. Später haben die Trotzkis Ärger mit einem Inkasso-Unternehmen, das in Person eines ehemaligen Staatsbürgerkundelehrers Geld eintreibt. Um die Rechnungen bei den West-Versandhäusern begleichen zu können, wird der Trotzki-Filius erfolgreich zur Arbeitssuche gedrängt. Er landet beim Inkasso-Unternehmen (Folge 9). In der letzten von 13 Folgen zieht ein Demoskop kurzzeitig bei den Trotzkis ein – möglicherweise eine Anspielung auf die zahlreichen sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekte in Ostdeutschland in den 1990er Jahren. Er stellt sich allerdings als prekär angestellter Marktforscher heraus, der ermitteln soll, ob es sich lohnen würde, in der Nähe ein Shopping-Center zu bauen.

Ein Historiker kann alte Serien aus fachlichen Gründen spannend finden. Doch auch ohne diese wissenschaftliche Betrachtungsweise sind die Trotzkis mindestens unterhaltsam, insbesondere die ad hoc umgeschriebene zweite Hälfte der Staffel.[15] Allerdings hielt der erfolgsverwöhnte MDR diese Änderungen für nötig, weil die zeitgenössischen Reaktionen der Ostdeutschen auf „ihre“ Antwort an Motzki vernichtend ausfiel. Die alte DDR-Fernsehzeitschrift FF (dabei) druckte eine ganze Reihe negativer Publikumsbriefe: Die Serie sei „billig und niveaulos“ schrieb ein Mann aus dem thüringischen Ranis und ein Zuschauer aus Meißen meinte: „Glückwunsch dem MDR, dass er mit diesem Müll die Vorurteile gegenüber den Ossis bundesweit nähren konnte.“[16] Erwartet wurde ostdeutsche Aufsässigkeit und ein selbstbewusstes „Ost-Ekel“, bekommen habe man „quengelnde Klosprüche“.[17]Intendant Udo Reiter sprach vom „Flop des Jahres“ und, ähnlich wie bei Motzki, von einer „Sturmflut böser Briefe“[18], und das obwohl die Zuschauerquote auch hier „relativ hoch war“.[19]

 

 

Motzki in seinem natürlichen Habitat im Berliner Wedding ©NDR/Hans-Joachim Pfeiffer.

 

Satire durfte nichts

Der Chefredakteur der FF Wagner monierte in einer negativen Besprechung der Trotzkis schon früh, was wissenschaftliche Studien später belegten: Wenn der Osten im Fernsehen auftaucht, dann als Problem, als Abweichung vom Westen, die korrigiert gehört. Teil dieser Darstellung seien „Verfall und Beschiss und Stasi und düstere Bilder aus der Vergangenheit“[20] Die Film- und Fernsehwissenschaftler Knut Hickethier und Peter Hoff gehören zu den Wenigen, die die Serie im Nachhinein lobten. Sowohl Motzki als auch später Trotzki hätten das Fremde und das Traumatische zu thematisieren versucht und ihm dadurch die Wucht genommen.[21]

Anders als Ein Herz und eine Seele war also weder Motzki noch den Trotzkis Publikumsliebe vergönnt. Der Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe erklärte schon 1993 mit dem Blick auf Motzki, die Serie habe das Wohnzimmer, den „Tempel der Selbstgerechtigkeit, der Harmoniebedürftigkeit und der Sentimentalität geschändet“ und zwar in doppelter Weise. Erstens habe das spießig-westdeutsche Wohnzimmer durch Satire Kritik erfahren und zweitens seien aus der „Froschperspektive der Ressentiments“ Probleme in Millionen (gesamt-)deutsche Stuben übertragen worden. Wolfang Menge habe der Öffentlichkeit der Berliner Republik zu viel abverlangt, denn Vielen sei die Ahnung gekommen, dass sie bald „aus dem ‚Forsthaus Falkenau‘ oder dem ‚Marienhof‘ abstürzen werden in Motzkis ärmliches Wohnzimmer“.[22]

Ostdeutsche fühlten sich durch den Berliner Motzki angegriffen und durch die Leipziger Trotzkis nicht repräsentiert. Das Prinzip der krawalligen Satire griff insbesondere bei Letzteren nicht, weil die Überzeichnung, anders als bei „Ekel Alfred“ Jahrzehnte zuvor, materiell und sozial Abgestiegene betraf, die für ihre Situation nur sehr bedingt Verantwortung trugen und medial in die Subalternität gestellt wurden. Auf der Gegenseite stand allerdings auch ein verklärendes Harmoniebedürfnis in der Teilöffentlichkeit der Neuen Bundesländer. Die Trotzkis, so ließe sich einwenden, sind nämlich keineswegs stets die Punchline der Gags, sondern zeigen trotz ihrer Schwächen durchaus Handlungsmacht, während die Westdeutschen mitnichten ausschließlich als germanische Konquistadoren dargestellt werden. Der Misserfolg der beiden Sitcoms weist somit schon auf die Strategie, die vor allem der MDR und Udo Reiter, aber auch die Superillu unter Jochen Wolff in der sich entfaltenden Medienlandschaft der 1990er verfolgen sollten.
Diese von Süddeutschen geleiteten Stimmen des Ostens spezialisierten sich fortan auf die Stillung ostdeutscher Wünsche nach Gemütlichkeit, Ruhe und Heimat. Satire störte da nur.

 

Die Serie „Motzki“ (Teil 1-13) ist derzeit auf YouTube zu sehen.

 

 

 

[1] Schamlose Serie, in: Super TV, 11/1993, S. 69.
[2] MDR, INT 227, Publikumspost vom 16.02.1993, unpag.
[3] Jörn, Kalkbrenner, Antwort auf Motzki (Querstraße). ORB, 06.12.1993.
[4] Martin Spitz, Motzkis irgendwas (Rückspiegel, 93/05). MDR, 06.02.1993.
[5] MDR-Intendant Reiter: „Motzki ist instinktlos“, in: Focus, 6/1993, S. 13.
[6] Als Ossi muss man über diese Sprüche bitter weinen. [Leserbriefe], in: Superillu, 36/1992, S. 52.
[7] O. A., Für mich ist der 3. Oktober ein Katastrophentag, in: Superillu, 34/1992, S. 70.
[8] Jochen Wolff, Wir Gebührenzahler finanzieren Motzki-Krieg gegen den Osten, in: Superillu, 6/1993, S. 3.
[9] Gundolf S, Freyermuth, (2016): Wolfgang Menge. Authentizität und Autorschaft. Fragmente einer bundesdeutschen Medienbiographie. In: Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto (Hg.): Der Televisionär. Wolfgang Menges transmediales Werk kritische und dokumentarische Perspektiven. Bielefeld, S. 19–218. S. 156.
[10] Jutta Voigt, Das lacht der Ossi!, in: Wochenpost, 6/1993, S. 16.
[11] K. W., Wenn Amerika in Sachsen liegt, in: Stuttgarter Zeitung, 14.12.1993.
[12] Susanne Huster, Die Trotzkis waren zu brav, in: Saarbrücker Zeitung, 16.12.1993.
[13] Michael Schulenburg, Trotzki gegen Motzki, in: NZ, 23.08.1993, S. 7.
[14] Tanja Queling, Der Krach um Trotzki, in: FF, 4/1994, S. 13.
[15] Hans-Erdmann Gringer, Spatenstich in Halle 1994, in: MZ, 17.01.1994, S. 22.
[16] Dagegen war Motzki eine Wohltat [Leserbriefe], in: FF, 6/1994, S. 4.
[17] Die „Trotzkis“ sind ziemlich hohl [Leserbriefe], in: FF, 2/1994, S. 4.
[18] Jürgen Grubitsch, Serien? So schnell nicht wieder. MDR-Intendant Reiter über Trotzkis und das Wachstum seines Senders, in: SZ, 18.01.1994, S. 19.
[19] O. A., Unter Trotzki habe ich gelitten, in: FF, 29/1994, S. 11.
[20] Alfred Wagner, Blickrichtung Ost, in: FF, 5/1994, S. 3. Vgl. Raj Kollmorgen u. Torsten Hans (2011): Der verlorene Osten. Massenmediale Diskurse über Ostdeutschland und die deutsche Einheit. In: Raj Kollmorgen, Frank Thomas Koch und Hans-Liudger Dienel (Hg.): Diskurse der deutschen Einheit. Kritik und Alternativen, S. 107–165, S. 136.
[21] Knut Hickethier u. Peter Hoff, Geschichte des deutschen Fernsehens, Weimar 1998, S. 514.
[22] Thomas Ahbe, Motzkis Ende, Freitag Nr. 16, 16.04.1993, S. 16.