von Annette Schuhmann

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19. Juli 2023

Im Jahr 2001 gab der Kunstwissenschaftler und Kurator Ulrich Domröse einen Band mit Fotografien von Arno Fischer heraus.[1] Unter dem Titel Situation Berlin Fotografien 1953 – 1960 stellte Domröse Bilder einer Stadt zusammen, die sich auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges befand.[2] Mit der Veröffentlichung dieses Bandes wurde ein Buchprojekt realisiert, dessen Planung bereits im Jahr 1960 begonnen hatte.
Der Fotograf Arno Fischer hatte gemeinsam mit Hans Egloff, dem damaligen Leiter des neu gegründeten Verlages „Edition Leipzig“, die Herausgabe eines Bildbandes mit eben jenem Titel: „Situation Berlin“ wenige Monate vor dem Bau der Mauer geplant. Die politische Situation jedoch und die Haltung der betonköpfigen kulturpolitischen Entscheider in der DDR sollten eine Veröffentlichung schließlich verhindern. Das Paradoxe dieser Situation wird deutlich in den Beschreibungen Domröses, denn es handelte sich bei dem geplanten Bildband, um einen „polemischen Bild-Text-Band, mit eindeutigem antiwestlichen, d.h. antikapitalistischem Charakter“.[3] Selbst, wenn nicht alle Details der gescheiterten Herausgabe des Buches heute noch nachzuvollziehen sind, beschreibt Domröse relativ genau dessen Entstehung und Verhinderung kurz vor dem Mauerbau im August 1961.

Arno Fischer, Klebebilder für den Band "Situation Berlin".  ©Amélie Losier

So lagen etwa die Klebeentwürfe für den Bildband am 12. August 1961 vollständig vor. Einen Ausschnitt dieser Entwürfe zeigt die aktuelle Ausstellung Arno Fischer. Eine Reise im Haus am Kleistpark, kuratiert von der kanadischen Kunstwissenschaftlerin Candice M. Hamelin.
Wobei die Entwürfe nicht einfach gezeigt werden, vielmehr wird die Besucherin im großen Hauptraum der Ausstellung geradezu überwältigt von einer Wand mit „Klebebildern“ (von denen ich nicht einmal wusste, dass sie so genannt werden).
Das ist zum einen spannend, allein weil Phasen der Produktion eines Bildbandes nur selten gezeigt werden, zum anderen wird, vor dem Hintergrund der Textauswahl, die die Bilder begleiten, Arno Fischers politische Haltung sehr deutlich. Und schließlich fällt es heute schwer, sich angesichts der aktuellen technischen Möglichkeiten des digitalen Grafikdesigns, so etwas wie „Klebeentwürfe“ überhaupt vorzustellen.
Gleichzeitig jedoch ist die Eröffnung des Rundgangs für Nichtkundige kaum verständlich. Der völlige Verzicht auf eine Beschriftung der Werke, also auch der Klebeentwürfe, mag aus ästhetischer Sicht verständlich sein, aus zeithistorischer Perspektive ist der vollkommen fehlende historische Kontext zumindest irritierend und schränkt das Verständnis für die gegenwärtige Relevanz der Bilder ein.

Zu sehen ist, ebenfalls im Hauptraum, das ikonische Berlin-Bild „Der Riss in der Mauer“. Auch hier beschreibt Domröse in seinem Band die Entstehungsgeschichte des Bildes, das die ganze Tragik der Nachkriegsgeschichte und die Teilung des Landes symbolisieren sollte. Und nicht nur das: die verschiedenen Retuschen und Versionen des Bildes machen den Wandel der Bildauffassungen Fischers deutlich. Den „Riss“ fotografierte Fischer 1953. Er verwarf das Bild zunächst, weil seinen ästhetischen Auffassungen entsprechend, der im Fenster stehende Mann störte. Später sollten ihn die Schuttberge am Fuße des Hauses stören, die zunächst weggeschnitten wurden. Erst in den 1980er Jahren konnte er das Bild in seiner Gänze akzeptieren.[4] All das erfährt man jedoch nicht in der Ausstellung.

Viele der in der Ausstellung gezeigten Berlin-Bilder haben mittlerweile ikonischen Charakter und gehören zum visuellen Erbe der deutschen Zeitgeschichte. Daneben gibt es einen kleinen Raum mit Polaroids, die Fischer 2007 in dem Band „Der Garten – The Garden“ bei Hatje Cantz veröffentlichte.[5] Damals hatten seine Frau, die Fotografin Sybille Bergemann, und er selbst, nur noch wenige Jahre zu leben. Es ist, als würde die ganze Trauer angesichts der Endlichkeit des Lebens in diesen magischen kleinen Bildern aufscheinen.

Arno Fischer, Arkalaine, Sibylle 3⁄66, 1966 © Arno Fischer Estate. Courtesy of LOOCK Galerie, Berlin

Angesichts der Modefotografien aus den 1960er Jahren hüpft das Herz der Retro- und Vintageliebhaber*innen und es wird deutlich, was die DDR so gerne gewesen wäre und nie war: Ein Land, in dem der Sozialismus von allen freundlich aufgenommen wird, auf dass es bunt würde und elegant. Eleganz und Schönheit gab es jedoch vor allem in den Nischen, das Schöne war selten für alle gedacht, geformt, gebaut. Davon zeugen nicht zuletzt die Kulissen der Modebilder: Industrie-Anlagen und Straßen, auf denen die „Werktätigen“ zur Arbeit hasteten. Orte, die auch die Fotografin Sybille Bergemann für Ihre Modefotographie in den 1980 Jahren aufsuchen sollte.
Die Mode-Strecke Abflug/Ankunft Berlin Schönefeld erschien in Heft 1 der Sybille im Jahr 1968. Wir sehen hier weder Vintage noch andere Abzüge, sondern „Archivalische Pigmentdrucke“, die von dem Fotografen Harf Zimmermann digital remastered wurden. Zwar macht die digitale Bearbeitung/Herstellung es möglich, diese Fotos überhaupt zu sehen, gleichzeitig wirken sie jedoch allzu glatt und farbintensiv. Es wäre interessant gewesen, das Original-Heft der Sybille daneben zu sehen.

Arno Fischer, Abflug/Ankunft Berlin-Schönefeld, Sibylle 1/68, 1967 Mit freundlicher Genehmigung © Arno Fischer Estate. Courtesy of LOOCK Galerie, Berlin

Die Ausstellung Arno Fischer. Eine Reise gleicht einer Zeitreise ins 20. Jahrhundert. Die Themen, die sich in Fischers Bildern finden, sind jedoch zeitlos und gegenwärtig relevant. Sie erzählen von sozialer Ungerechtigkeit, von Kapitalismus und Konsumwahn, von der Sehnsucht nach Schönheit. Vor allem aber zeigen sie ein gleichsam universelles Gefühl der Einsamkeit, das seine Protagonist*innen verbindet, egal ob sie sich in Leningrad, Prag, Paris oder New York befinden.

Über die Kontextfreiheit helfen die kompetenten und sehr freundlichen Aufsichtspersonen hinweg. Für den kleinen Flyer, der durch die Ausstellung führt, sollte man eine Brille mitnehmen.
Und überhaupt, das soll an dieser Stelle noch erwähnt werden, ist die Galerie Haus am Kleistpark, die seit 2011 unter der Leitung von Barbara Esch Marowski steht, ein exzellenter (nichtkommerzieller) Ausstellungsort. Unter ihrer Leitung spezialisierte sich das Haus auf die künstlerische Fotografie, mit außerordentlich interessanten Künstler*innen und einem jeweils engagierten Begleitprogramm. Es ist der Galerie und ihren Besucher*innen zu wünschen, dass sich kommende Sparmaßnahmen nicht allzu schädlich auswirken.

 

Die Ausstellung Arno Fischer. Eine Reise im Haus am Kleistpark ist noch bis zum 13. August 2023 zu sehen. Am 27. Juli und am 10. August finden jeweils um 18.30 Uhr Führungen mit der Kuratorin der Ausstellung Candice M. Hamelin statt. Den Katalog zur Ausstellung hat die Kuratorin im Snoeck-Verlag herausgegeben, er kostet 32€.

 


[1] Ulrich Domröse war bis zum Jahr 2020 Leiter der Fotografischen Sammlung des Landesmuseums für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. Ab 1991 leitete er die Berlinische Galerie. Er hatte über ein Jahrzehnt lang eine Sammlung künstlerischer Fotografie aus der DDR aufgebaut. Hier ein Interview aus dem Jahr 2020 in der taz aus Anlass seines Abschieds.
[2] Arno Fischer, Situation Berlin. Fotografien/Photographs 1953 – 1960. Konzeption und Bildauswahl: Ulrich Domröse, Berlin 2001.
[3] Ebd., S. 29.
[4] Vgl. Anm. 2, hier S. 9.
[5] Arno Fischer, Der Garten – The Garden, Berlin 2007.