von Susanne Pötzsch

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1. März 2012

Am 11. März 2012 jährt sich die nukleare Katastrophe in Japan zum ersten Mal. Dieses Ereignis wird durch die Medien in unser Gedächtnis zurückkehren. Bereits während des letzten Jahres fand eine auffallend intensive Reflexion über diesen Katastrophenfall im japanischen Film statt. Wir hätten davon kaum erfahren, wenn das Forum der Berlinale nicht drei Dokumentarfilme japanischer Filmemacher gezeigt hätte, die versuchen, den Zustand der japanischen Gesellschaft nach dem Unglück in Bilder zu fassen.

Der Leiter des Forums, Christoph Terhechte, stieß bei seiner Recherche für die Programmauswahl des diesjährigen Forums in Japan auf eine große Zahl an Filmen, die die Ereignisse nach Fukushima thematisieren.[1] Offenbar ist das Bedürfnis japanischer Filmemacher sehr groß, die Zerstörung zu filmen. Nach der Katastrophe kam nicht nur das Leben der japanischen Gesellschaft teilweise zum Erliegen, auch laufende Filmproduktionen mussten abgebrochen werden. Viele Filmemacher sahen sich angesichts dieses plötzlichen Stillstands angetrieben, anstelle ihrer eigentlichen Projekte, Bilder der Katastrophe aufzuzeichnen.

In NUCLEAR NATION[2] von Funahashi Atsushi wird die Geschichte einer zerstörten Stadt und ihrer Bewohner erzählt. Die Stadt Futaba, zur Präfektur Fukushima gehörend, lebte über 40 Jahre lang von der Atomindustrie. Ein Großteil der Infrastruktur - die Bibliothek, das Stadion, Supermärkte  - wurden vom Atomenergiebetreiber TEPCO gesponsert. Hier standen die Reaktoren 5 und 6 des Atomkraftwerks Fukushima. Am 11. März 2011 fast vollständig vom Tsunami zerstört, führte die nukleare Katastrophe einen Tag später zu einem noch größeren Desaster für Futaba. Hier spielte sich ein zivilisatorisches Endzeitszenario ab: Alle 1.400 Einwohner Futabas wurden in eine Schule in einen Vorort Tokyos evakuiert, in der viele von ihnen - einschließlich ihres Bürgermeisters - bis heute im Provisorium leben. Die Bewohner Futabas hofften zunächst in ihren Ort zurückkehren zu können, dann kamen Zweifel und mittlerweile müssen sie erkennen, nie wieder zurückkehren zu können. Im Film ist der Bürgermeister der tragische Held dieser Geschichte, der sich vom überzeugten Atomenergiebefürworter zum verzweifelten Retter seiner Stadt und schließlich zum Fürsprecher der Energiewende wandelt. Was von seiner Stadt bleibt, ist eine riesige Luftbildaufnahme, auf der eine graue Fläche das zerstörte Territorium markiert und beinahe das gesamte Bild einnimmt. Wenn die Kamera die Bilder der zerstörten Stadt einfängt, taucht immer wieder ein Schild mit dem Begrüßungsslogan der Stadt auf: "A prosperous future for the birthplace of nuclear power". Doch Versprechungen und Planungen werden nun nicht mehr an die Bürger dieser Stadt herangetragen.

Dagegen ist der Beitrag FRIENDS AFTER 3.11[3] von Iwai Shunji ein reiner Gesprächsfilm: Die Katastrophe wird besprochen, nicht bebildert. Der Filmemacher spricht mit alten und mit neuen Freunden, die er nach der Katastrophe kennengelernt hat. Es sind Wissenschaftler, Künstler, Journalisten und Aktivisten einer sich nun stärker formierenden Anti-Atomenergiebewegung. Der Film ist Zeugnis dafür, dass nach der Katastrophe das Bedürfnis der Japaner groß ist, eine Art "Gedankennetzwerk" zu bilden. Durch die Diversität an Gesprächsthemen, die nicht immer nachvollziehbar ist, versucht der Film, nicht nur den japanischen Umgang mit der Krise, sondern auch die japanische Gesellschaft an sich zu reflektieren. Neben der Katastrophe werden etwa die Möglichkeiten von Twitter oder die Selbstmordrate in Japan in langen Einstellungen besprochen – das fordert die Geduld der Zuschauer. So ist dieser Film nicht zuletzt eine Studie über die Eigenarten der hier gezeigten Gespräche, die teilweise unbeholfen und vorsichtig wirken.

Fujiwara Toshi filmte für seinen Beitrag NO MAN'S ZONE[4] unmittelbar nach der Katastrophe innerhalb der 20 km weiten Sperrzone um Fukushima. Diesem Film gelingt, im Vergleich zu den beiden anderen Forumsbeiträgen, die intensive Auseinandersetzung mit der Problematik der nuklearen Katastrophe. Die Kamera filmte nicht nur die Zerstörung in großen Panoramen und unerträglichen Nahaufnahmen zerstörter privater Gegenstände. Er konfrontiert den Zuschauer mit einer kritischen Nachfrage. Die Off-Stimme belehrt bereits zu Beginn des Films: "Images of destruction have to do with a secret desire to watch it." Ein Kameraschwenk über die Bucht von Kedo, einem kleinen Hafen, sieben Kilometer vom Atomkraftwerk Fukushima entfernt, wird wie ein Leitmotiv im Film mehrmals gezeigt. Die mahnende Stimme aus dem Off erzählt von der Katastrophe und der Unmöglichkeit für einen einzelnen Menschen, diese zu verarbeiten. Die Kamera läuft nun die Überbleibsel des riesigen zerstörten Territoriums ab, jeder Gegenstand, der zu erkennen ist, verweist auf seinen letzten Gebrauch. Das verursacht beim Zuschauer das beklemmende Gefühl, zum Voyeurismus gezwungen zu sein. Dann, 75 Tage später: lange Einstellungen von blühenden Kirschbäumen, Tälern und Hängen voll satter Grüntöne und leerer Straßen. Eine alte Dame läuft in dieser überwältigend schönen und doch gefährlichen Natur umher und versichert sich ihres prachtvoll blühenden Gartens. In Nagadoro, dem Ort mit der höchsten gemessenen Strahlenbelastung, spricht eine andere Frau von der Möglichkeit, die Straße zu reinigen - im Gegensatz zu ihrem kontaminierten immergrünen Strauch, den sie nie wieder berühren darf. NO MAN'S ZONE gelingt es trotz einer ausgereizten kontemplativen Ästhetik, das zivilisatorische Desaster einer nuklearen Katastrophe universell verständlich zu machen.

 


[1] Fukushima ist Forums-Schwerpunkt, Christoph Terhechte im Gespräch mit Liane von Billerbeck.

[2] Nuclear Nation, Regie: Funahashi Atsushi, Japan 2012, Bisher hat leider nur "Nuclear Nation" Aussicht auf einen deutschen Kinoverleih.

[3] Friends after 3.11, Regie: Iwai Shunji, Japan 2011.

[4] Mujin chitai/No Man's Zone, Regie: Fujiwara Toshi, Japan/Frankreich 2012.