Hatte der Deutsche Schäferhund eine Mitschuld an der Nazi- und SED-Diktatur? Waren Schäferhunde als „Napfsoldaten“ Täter oder doch die eigentlichen Opfer der deutschen Teilung? Überlegungen dieser Art, vorgetragen auf einer Konferenz und veröffentlicht in einer renommierten Fachzeitschrift, sind 2016 als „Schäferhund-Hoax“ bekannt geworden und haben der Geschichtswissenschaft eine unangenehme Diskussion beschert, die u.a. auf einem Workshop „Auf den Schäferhund gekommen?“ im Oktober 2016 an der TU Berlin geführt wurde. Nun soll ein Sammelband den Hoax und dessen Auswirkungen untersuchen. Zur Unterstützung des Projekts, in dem auch der Original-Aufsatz mit Erlaubnis des Hannah-Arendt-Instituts abgedruckt werden wird, haben die Herausgeber eine Crowdfunding-Aktion aufgesetzt und suchen nach Unterstützer*innen.
Der „deutsch-deutsche Schäferhund“ geistert seit dem Frühjahr 2016 durch Online-Medien und die deutsche Presse. Während die Wissenschaftsparodie von Alan Sokal vor 20 Jahren wie auch der jüngste Science-Hoax zum „konzeptionellen Penis als soziales Konstrukt“[1] ausführliche Debatten nach sich zogen, hat der Hunde-Hoax, mit dem eine Gruppe anonymer Satiriker*innen um eine „Christiane Schulte“ auf einer Berliner Nachwuchstagung zu Human-Animal Studies (HAS) und in der Hauszeitschrift des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung reüssierte, innerhalb der Geschichts- und Geisteswissenschaften bislang zu wenig Resonanz gefunden. Im Fokus der HAS stehen die komplexen und vielfältigen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Forschung und Lehre stammen aus unterschiedlichen Forschungsdisziplinen wie der Soziologie, der Psychologie, der Geschichtswissenschaft, der Erziehungswissenschaft, der Philosophie, der Anthropologie und der Kulturwissenschaft. Das ist erstaunlich, zumal die frei erfundene Studie[2] über Schäferhunde in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, sowjetischen Speziallagern und an der innerdeutschen Grenze Historiker*innen und andere Geisteswissenschaftler*innen in mehrfacher Hinsicht heraus fordert: Auf dem Prüfstand stehen neben wissenschaftlichen Qualitätsstandards und kritischer Urteilskraft etwa auch das Verhältnis der Geschichtswissenschaft zu ideologisierten Deutungen der Vergangenheit und die innerfachliche Debattenkultur.
Der Workshop, auf dem überwiegend Nachwuchswissenschaftler*innen diskutierten, nahm den „Schäferhund-Hoax“ zum Anlass für eine kritische Selbstbefragung auf epistemischer, wissenssoziologischer und inhaltlicher Ebene. Er zielte darauf ab, (selbst)kritische Fragen zu entwickeln und zu diskutieren.
Auch wenn Vertreter*innen der HAS fernblieben – im Band bezieht Markus Kurth vom gehoaxten Chimaira Arbeitskreis für Human-Animal Studies Stellung – zeigte der Workshop schnell, dass zum Schäferhund-Hoax einiges zu sagen ist. Der Band beginnt mit einem kurzen Vorwort von Peter Boghossian, der kürzlich als Koautor des Nonsens-Aufsatzes über den „konzeptionellen Penis“ als Ursache des Klimawandels in Erscheinung getreten ist, der im Mai 2017 in der Zeitschrift „Cogent Social Sciences“ veröffentlicht und bald als Hoax mit einer ähnlichen Stoßrichtung enttarnt wurde. Boghossian zufolge sind Wissenschaftshoaxes wichtig und ethisch geboten. Es folgen Beiträge, die aus Statements auf dem Workshop hervorgehen, aber auch eigens geschriebene Artikel, die aus unterschiedlichen Perspektiven eine Analyse des klug platzierten Hunde-Hoaxes bieten.
Einleitend wird sich Sven Schultze kritisch mit den HAS auseinandersetzen. Aus seiner Sicht sind antirealistische Forschungskonzepte innerhalb der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften derzeit tonangebend. Der Schäferhund-Hoax verweise deshalb innerhalb des Spannungsfeldes zwischen postmodernem „ge-turne“, Konstruktion und Dekonstruktion, kulturalistischer Wende und Performanz auf die unverändert akuten Schwierigkeiten geisteswissenschaftlicher Epistemologie. Der Reptilienforscher Heiko Werning setzt die kritische Betrachtung der Prämissen der HAS aus der Perspektive eines Biologen und Verhaltensforschers fort. Der Soziologe und Politologe Markus Kurth vom Chimaira AK folgt mit einer Verteidigung der HAS gegen die Angriffe von „Christiane Schulte“, die er vor allem als Ausdruck eines Streits um politische Deutungshoheit versteht.
Es folgt ein Beitrag des Historikers Florian Peters, der selbst 2015 mit einem Satire-Beitrag an der HAS-Tagung teilgenommen hat, in dem er im Berliner Todesstreifen herumhoppelnden Kaninchen zu Opfern des Falls der Mauer stilisierte. Er diskutierte dort mit „Christiane Schulte“ auf einem Podium über „Grenztiere“. [3] Für Peters stellt sich der „Schäferhund-Hoax“ als Symptom akademischen Trendsurfings dar. Der fingierte Artikel habe durchaus übliche Strategien zur Generierung innerwissenschaftlicher Distinktions- und Aufmerksamkeitsgewinne aufgegriffen und diese lediglich auf die Spitze getrieben. Der Hoax sei nicht als Einzelfall zu belächeln, sondern als Symptom eines Wissenschaftsbetriebs zu reflektieren, der mehr denn je auf organisierter Konkurrenz statt auf öffentlicher Kritik als Modus der Wissensproduktion basiere. Anders akzentuiert der Soziologe Thomas Hoebel, der sich dem Hoax aus der Perspektive des Simon & Garfinkel-Prinzips zuwendet, einer von Randall Collins geprägten Denkfigur, mit der versucht wird, das Phänomen zu beschreiben, dass in der alltäglichen – und seiner Ansicht nach zu häufig auch in der Wissenschaftskommunikation – selbst die absurdesten Dinge akzeptiert und „normalisiert“ werden.
Enrico Heitzer geht in seinem Beitrag u.a. der Frage nach, welche Faktoren es ermöglichten, einem fachkundigen Publikum im Gewande einer Untersuchung über Schäferhunde kaltschnäuzig eine derart holzschnittartige Geschichtsinterpretation unterzuschieben, deren zentrale Interpretamente brachial-vereindeutigende totalitarismustheorische Muster bedienen.
Unter dem Titel Publish and Perish. Akademische Moden, selbstunternehmerische Wissenschaftssubjekte und die Krise des Publizierens gehen der Soziologe und Kulturwissenschaftler Peter Ullrich und Geschlechterforscherin Antonia Schmid auf ein weiteres Problem ein, auf das der Hoax aufmerksam gemacht hat. Das ironisch Vorexerzierte stellt ihrer Ansicht nach Zwänge bloß, denen selbstunternehmerisch sich stets optimierende Wissensarbeiter*innen im akademischen Kapitalismus unterliegen, insbesondere den Druck zu herausgehobener Sichtbarkeit – „Publish or Perish“ - und Innovationen. Das habe den ungewollten Nebeneffekt einer schieren Inflation wissenschaftlicher Texte, die mehrheitlich weder gelesen noch zitiert werden. Zudem hätten die Reputationskriterien, die sich dominant am Publizieren festmachen, eine Vergeschlechtlichung der akdemischen Arbeitsteilung zur Folge. Weiblich codierte „Reproduktionstätigkeiten“ (Lehre, oft unbezahlte Lehraufträge) würden unsichtbar gemacht und entwertet; männlich Codiertes hingegen bringe Aufstiegschancen. Im abschließenden Beitrag stellt der Historiker Heiner Stahl retrospektiv Wahrnehmung und Einschätzung der Studierenden in Bezug auf den Schäferhund-Text dar, den er als Lektüre in einem BA-Seminar zu Theorien und Ansätzen der Geschichtswissenschaften platzierte, ohne den Hoax vorher offenzulegen. Er verbindet die Selbstzeugnisse der Studierenden mit einer Kritik an Entwicklungen des Bildungssystems.
Der geplante Sammelband: „Chimära Mensura? Die Human-Animal Studies zwischen Schäferhund-Science-Hoax, kritischer Geschichtswissenschaft und akademischem Trendsurfing“ wird von Enrico Heitzer & Sven Schultze herausgegeben.
Wer das Projekt unterstützen möchte, kann das auf der Crowdfunding-Plattform Startnext mit Beträgen ab 10 Euro machen. Das Buch wird voraussichtlich im November im Vergangenheitsverlag erscheinen.
Ein Beitrag von Florian Peters zum Nachlesen auf Zeitgeschichte-online: Von totalitären Schäferhunden und libertären Mauerkaninchen. Alles von Relevanz? Ein Beitrag über zweifelhafte wissenschaftliche Standards und die angezogene Handbremse in der akademischen Debattenkultur.
[1] Lindsay, Jamie und Peter Boyle: „The conceptual penis as a social construct“, Cogent Social Sciences 3/1 (2017), zugegriffen am 29.6.2017.
[2] Die frei erfundene Studie finden Sie hier (pdf-Dokument).
[3] Florian Peters, Von totalitären Schäferhunden und libertären Mauerkaninchen. Alles von Relevanz? Ein Beitrag über zweifelhafte wissenschaftliche Standards und die angezogene Handbremse in der akademischen Debattenkultur, in: Zeitgeschichte-online, Februar 2016.