von Konrad Jarausch

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11. Februar 2017

Seit den Wahlen in den USA bieten politische Kommentatoren eine Reihe von Erklärungen für einen der größten Überraschungserfolge der amerikanischen Geschichte an. Neben den kontraproduktiven Folgen des antiquierten Wahlsystems aus dem 18. Jahrhundert betonen sie dabei entweder die richtigen Entscheidungen der Republikaner oder die Fehler der Demokraten.

Trumps Wahlkampf zielte im Gegensatz zu dem der liberalen Eliten, die vertreten wurden durch Medien wie die New York Times oder die Washington Post, auf die verunsicherten weißen Männer der Arbeiterklasse, die sich als Verlierer der Globalisierung verstehen. Als TV-erfahrene Person entsprach der im dunklen Anzug mit roter Krawatte gekleidete Kandidat den Vorstellungen, die viele von einem künftigen Präsidenten hatten, wesentlich mehr, als dies seine Konkurrentin tat. Trump schaffte es, mit permanenten Provokationen und der Verbreitung von Halb­wahrheiten immer wieder ins Rampenlicht zu gelangen, während Clinton Schwierigkeiten hatte, ihre potentiellen Wähler zu mobilisieren. Zudem spielte rassistischer Hass auf einen schwarzen Präsidenten eine nicht zu unterschätzende Rolle im Wahlkampf. Nach Obama sollten nun nicht auch noch eine weiße Frau folgen.

Weitere Gründe für den Überraschungserfolg der Republikaner waren die unterschiedlichen, jedoch ebenso unrealistischen Geschichtsbilder beider Lager. Im Ver­trauen auf die Prognosen konzentrierten sich die Demokraten auf Fragen der Gleich­berechti­gung von race und gender, für die die Mehrheit der einfachen Leute kein Interesse hat. Große Teile der Linken glaubten an die Entstehung einer multikulturellen Gesellschaft, bestehend aus einer bunten Mischung von Rassen, Ethnien und sexuellen Orientierungen. Nur unterstützten Mitglieder schwarzer Unterschichten sowie jugendliche Wähler Hillary Clinton weitaus weniger als seinerzeit Barack Obama. Deswegen ging diese Wahl verloren.

Dagegen träumten die Republikaner seit Ronald Reagan von einer idealisierten Version des 19. Jahrhunderts, in der von staatlicher Unterstützung unabhängige, waffentragende Männer im Amerika des 21. Jahrhunderts leben. Diese in Western-Filmen stilisierten Vorstellungen des rugged individualism geben zwar kaum Antworten auf die großen Fragen des 21. Jahrhunderts, beherrschen aber dennoch die Visionen der amerikanischen Rechten. Diese Haltung hat eine lange, hässliche Vorgeschichte, denn bereits in der Vergangenheit hat es immer wieder Wellen von Fremdenfeindlich­keit und Rassismus gegeben.
Und schließlich gehört auch das Misstrauen gegenüber der politischen Elite in Washington schon längst zur Standardrhetorik der Konservativen. Mit der Betonung des Gegensatzes zwischen dem gesunden Leben auf eigenem Grund und Boden und der Dekadenz urbaner Massen in der Großstadt argumentieren die fundamentalistischen Christen für ihre Vision des richtigen Lebens.

Für die auf die Umfrageergebnisse vertrauenden Demokraten war die Wahlniederlage ein enormer Schock. Vor allem die Jüngeren hatten die sozialdemokratische Kampagne von Bernie Sanders unterstützt, die Älteren dagegen hatten auf Clinton gesetzt, weil sie hofften, gegen eine zerstrittene republikanische Partei gewinnen zu können. Aber auch ein Teil der etablierten Republi­kaner hatte sich gegen die verantwortungslosen Äußerungen von Trump gestellt und ihm die Gefolg­schaft verweigert, weil er in ihren Augen kein wirkliches Mitglied der republikanischen Partei war. Die besiegten Demokraten waren daher genauso unvorbereitet auf diesen Wahlausgang wie es die moderaten Republikaner waren. Demokraten und moderate Republikaner hatten schließlich Horrorszenarien für eine Zukunft mit Trump entworfen, denn seine Unterstützer rekrutierten sich weitgehend aus Außenseitern. Man konnte sich kaum vorstellen, wie ein solcher Präsident regieren würde.

In den ersten beiden Wochen hat die konfrontative und sprunghafte Politik von Präsident Trump große Wellen des Protests hervorgerufen. Schon seine Männerfreundschaft mit Putin, die Abwertung von EU und NATO, die Unterstützung Taiwans und der geplante Bau einer Mauer gegen Mex­i­ko haben die Welt in Aufregung versetzt. Das Entsetzen wuchs jedoch angesichts seiner innen­poli­ti­schen Maßnahmen wie dem Abbau der Krankenversicherung („Obamacare” ), der Nominierung eines konservativen Richters für den Supreme Court sowie dem Einreiseverbot für Menschen aus sieben muslimischen Ländern. All diese Maßnahmen haben wütende Demonstrationen wie den wo­men’s march inspiriert. In flammenden Aufrufen haben Universitäten und wissenschaftliche Organi­sa­tionen die Grundwerte der Freiheit und der internationalen Öffnung der Forschung bekräftigt, die zu ihrem Selbstverständnis gehören und das akademische Leben in den USA so attraktiv machen. Manche Gerichte haben bereits einen Teil der executive orders außer Kraft gesetzt. 

Trotz des hektischen Aktionismus in der ersten Zeit der Trump-Administration ist ein Prozess der Sichtung im Gange, der entscheiden wird, welche Ankündigungen Trumps als Symbolpolitik beerdigt und welche weiterverfolgt werden. So hat die neue Regierung bereits einige ihrer außen­politischen Ziele in moderaterer Form geäußert als in den ersten Tagen nach Amtsantritt Trumps. Zwar wurde Theresa May willkommen geheißen, gleichzeitig aber auch betont, dass die Partnerschaften mit der EU und der NATO weiterhin notwendig seien. Ähnlich steht es um die wirtschaftspolitischen Versprechen, schließlich entstehen Arbeitsplätze nicht per Dekret. Zugleich wird wiederum der Abbau von Kontrollmechanismen, mit denen die Wall Street-Spekulanten eingehegt werden sollten, vorangetrieben.
Angesichts der narzisstischen und wenig erfahrenen Persönlichkeit des Präsidenten wird es von großer Bedeutung sein, welche Berater in den verschiedenen Sachfragen das letzte Wort haben werden. Hier liegt die eigentli­che Gefahr, denn viele Trump-Leute repräsentieren den rechten Rand der amerikanischen Poli­tik, sind also in der Vergangenheit marginalisierte Figuren gewesen, die jetzt ihre Chance wittern, endlich ihre Interessen durchzusetzen.

Für die amerikanische Linke besteht die Aufgabe darin, eine tragfähige Mehrheit aufzubauen, die sich trotz republikanischer Schikanen, wie der ungleichen Verteilung der Wahlkreise, durch­set­­zen kann. Dazu wird sie die wachsende wirtschaftliche und soziale Ungleichheit wieder stär­ker als Frage von Rasse und Geschlecht in den Blick nehmen müssen. Die Tragödie der Trump-Wahl besteht vor allem darin, dass die plutokratische Elite den vom „amerikanischen Traum” vernach­lässigten Schichten versprochen hat, ihren Lebensstandard zu heben – was sich als Illusion er­weisen wird. Zwischen den kleinstädtischen Republikanern, die sich für das „wirkliche Ameri­ka” halten, und den liberalen Progressiven der Universitäten und Großstädte besteht ein fundamentaler kultureller Unterschied. Es kommt jetzt darauf an, von der Tea Party zu lernen und einen langfris­tigen Kulturkampf in die Wege zu leiten, um die Deutungshoheit wiederzugewinnen.

Die Europäer sollten in dieser Situation die fortschrittlichen Kräfte in Amerika unterstützen, statt der Versuchung eines überheblichen Antiamerikanismus nachzugeben. Die Reaktionen der deutschen und französischen Medien auf Trump waren geradezu hysterisch, weil sich begründete und ernste Sorgen mit lang gehegten Feindbildern mischten. Mittlerweile sollte jedoch klar sein, dass nicht jedes Trump-Wort auf die Goldwaage zu legen ist. Ruhige, sachliche Gegenargumente sowie emo­tional starke und feste trans­atlantische Bindungen werden sich wieder Gehör verschaffen, wenn die erste Phase des republi­ka­nischen Neuanfangs vergangen ist.

Die Wahl Trumps muss nicht das Ende des liberalen Amerikas oder der konstruktiven Beziehungen zu Europa bedeuten. Aller­dings verlangt der Trump-Schock einen breiten innenpolitischen Widerstand der checks and balances im Lande sowie eine resolute internationale Forderung nach Mäßigung und Vernunft, um gefährliche Alleingänge Washingtons zu verhindern.