Während sich an den West- und Ostgrenzen des Deutschen Reiches Deutsche, Franzosen und Russen die frühen Schlachten des Ersten Weltkrieges lieferten, fuhr das amerikanische Militärschiff Ancon am 15. August 1914 durch den Panamakanal, um dessen Eröffnung zu markieren- am Mast die Fahne der pazifistischen Vereinigung American Peace Society.
Neben der Einweihung des Suezkanals 1869, welche als große Party organisiert worden war, bei der eine Prozession von 55 Schiffen langsam und feierlich vom Mittelmeer ins Rote Meer fuhr und große Feste sowie Opernaufführungen die neue Verbindung zwischen Europa und Asien feierten, rückte die Eröffnung des Panamakanals durch den Kriegsbeginn in den Hintergrund und geriet zur Formalitätssache. So wurde an Bord der Ancon schon vor Beginn der Prohibition kein Alkohol serviert, nur ‚mugs of cold tea and dishes of broken meats’[1]. Auch ausländische Delegationen blieben dem Ereignis aus naheliegenden politischen Gründen fern. Viele Kommentare zielten daher lediglich auf die technisch einwandfreie Durchführung der Fahrt ab, die statt der geplanten elf nur neun Stunden dauerte. Blickt man in die zeitgenössische Presse, rückt das Ereignis zwar aufgrund der Kriegsgeschehnisse auf die hinteren Seiten der Blätter. Dennoch bot die Eröffnung des Panamakanals gerade im August 1914 Gelegenheit, die USA und Europa in der öffentlichen Darstellung zu kontrastieren. So ließen die amerikanischen Zeitungen keine Möglichkeit aus, den Kanal nicht nur als Friedenssymbol und Zeichen des Fortschritts zu porträtieren, sondern ihn auch als Abgrenzung zwischen den aufsteigenden USA und dem in die Apokalypse steuernden Europa darzustellen. Die Chicago Daily Tribune beschrieb am 15. August 1914 daher zwei Eröffnungen:
„The North and South Americas are separated today by a constructive work which brings them together. Europe is joined today in a destructive work which tears it apart. We open the Panama canal. Europe opens its greatest battle. For ten years we have worked with the dredge. For ten years Europe has worked with the cannon. The workers are now in the harvest.“[2]
Auch andere Zeitungen stimmten in den Chor von Lobpreisungen der friedlichen Weltmacht USA im Gegensatz zum sich selbst zerfleischenden Europa mit ein. Damit schlossen sie an frühere Kommentare an, die das amerikanische Projekt bereits vor Ausbruch des Weltkriegs zwischen der lateinamerikanischen „Unterzivilisierung“ und der zum Verfall verurteilten europäischen „Überzivilisierung“ ansiedelten. Bezug genommen wurde dabei immer wieder auf das gescheiterte Panamakanalprojekt Ferdinand de Lesseps, dem Ingenieur des Suezkanals.
Der Panamakanal wurde somit zum Symbol einer neuen amerikanischen Dominanz in Technologie, Verkehr und Wirtschaftswachstum. Aus heutiger Sicht erscheint die Idee der Weltherrschaft durch infrastrukturelle Großprojekte jedoch weniger als Zukunftsvision, sondern kann vielmehr in den Technikutopien der viktorianischen Zeit verortet werden.
In der Mikroperspektive kann ein Blick auf die Panamakanalzone über die Rhetorik der Weltvereinigung hinaus die Ambivalenzen der Globalisierungsprozesse zu Beginn des 20. Jahrhunderts verdeutlichen. Schaut man etwa auf die Baugeschichte des Kanals, werden die Parallelen mit anderen Bauvorhaben, wie Eisenbahnkonstruktionen oder dem bereits erwähnten Suezkanal, deutlich. Der Kanal war von 1904 bis 1914 das größte amerikanische Bauprojekt, allerdings außerhalb des eigenen Territoriums. Unter amerikanische Militärherrschaft gestellt, entwickelte sich die Zone zu einem Mikrokosmos globaler Arbeitsmigration mit Arbeitern aus unterschiedlichsten Weltregionen – von Barbados, Jamaika und anderen karibischen Inseln über China, Griechenland, Indien, Schottland, der Türkei oder Venezuela. Wie auch in der Suezkanalregion spielten Streiks hier eine besondere Rolle: So riefen beispielsweise im Jahr 1911 spanische Arbeiter, deren Arbeitsbedingungen schlechter waren als die ihrer amerikanischen Kollegen, zum Streik auf. Die Zustände auf den Baustellen bewegten den Chefingenieur Stevens zu der Aussage, dass vor allem das Problem der Arbeitskräfte und nicht etwa Konstruktions- und Berechnungsschwierigkeiten die größte Hürde des Kanalbaus seien.[3] Rekrutierung, Migration, Kontrolle und Protest von Arbeitern auf Großbaustellen wie dem Panamakanal verdeutlichen den Globalisierungsprozess vor dem Ersten Weltkrieg auf besonders eindrückliche Weise. Während der Bauphase wurde der Panamakanal zu einem Ort, an dem Epidemien und Tropenkrankheiten zwar den Bauablauf verzögerten, gleichzeitig aber auch neue Formen der Krankheitsbekämpfung erprobt werden konnten. Der erste Bauversuch unter der Leitung Ferdinand de Lesseps in den 1880er Jahren wurde nicht zuletzt aufgrund der hohen Todesraten unter den Arbeitern abgebrochen. Im Jahr 1904 dagegen war die medizinische Forschung bereits fortgeschritten, nachdem 1898 Moskitos als Krankheitsüberträger identifiziert werden konnten. Als Gelbfieber und Malaria im Bereich der Kanalbaustelle ausbrachen, ergriff Chief Sanitary Officer William Crawford Gorgas, der sich bereits als Militärarzt in Havanna im Kampf gegen tropische Krankheiten hervorgetan hatte, drastische Maßnahmen gegen Moskitos, verbesserte die Hygienebedingungen und richtete Quarantänestationen ein, so dass das Bauvorhaben fortgesetzt werden konnte. Somit profitiert auch die globale Medizingeschichte von einem Blick auf den Panamakanal als Labor und Experimentierfeld im Kampf gegen Malaria und Gelbfieber.
Die Geschichte infrastruktureller Großprojekte kann also als Kristallisationspunkt von Globalisierungsanalysen dienen, die neben Beschleunigung und Vernetzung auch Komplikationen und Hindernisse in den Fokus rücken. Blickt man über 1914 hinaus, kann sie zudem unterschiedliche Phasen der Globalisierung mit ihren jeweils eigenen Akteuren und Konkurrenzverhältnissen konturieren. Der Vergleich von Suezkanal und Panamakanal verdeutlicht hier exemplarisch den Übergang von „Pax Britannica“ zum „American Century“ am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Auch in der heutigen Phase der Globalisierung zeigt der Blick auf Infrastrukturprojekte solche Verschiebungen: So wird seit dem Jahr 2007 unter Hochdruck an einer Erweiterung des Panamakanals gearbeitet, die den Kanal für große Containerschiffen überhaupt erst nutzbar machen soll. Gleichzeitig gab die Regierung von Nicaragua 2013 einer Firma aus Hongkong den Auftrag einen Konkurrenzkanal zu bauen, der noch größeren Schiffen den Warentransport zwischen dem pazifischen und atlantischen Ozean ermöglichen soll. Während Russland aktuell einen Einstieg in das neue Kanalvorhaben plant, protestieren Umweltschützer und NGOs heftig gegen das Projekt.
[1] Winifred James, A Woman in the Wilderness, London 1915, zitiert in Matthew Parker, Panama Fever: The Battle to Build the Canal, London 2007, S. 370.
[2] Chicago Daily Tribune, 15. August 1914: Two openings.
[3] Zitiert in Julie Green, „Spaniards on the Silver Roll: Labor Troubles and Liminality in the Panama Canal Zone, 1904-1914“, International Labor and Working-Class History 66 (2004), S. 78-98, Zitat S. 80.