Das Verhältnis des französischen Präsidenten zur Geschichte seines Landes und dessen Vermittlung gilt vielen Franzosen als ausgesprochen glücklos.
Irritierend und fragwürdig ist vor allem Sarkozys Einflussnahme im Bereich der Geschichtspolitik und auf die öffentlichen Debatten über die eigene Geschichte. So regelt er Erinnerung nicht selten per Dekret, und Gedenkrituale, wie das jährliche Treffen ehemaliger Kämpfer der Résistance in Glières, werden präsidial dominiert und neu gestaltet.
Diese Inszenierungen werden mit großem Pathos und häufig ohne die Einbeziehung der jeweils Beteiligten oder Betroffenen arrangiert.[1]Dabei unterscheidet sich Sarkozy mit seinem Vorhaben, deutliche Spuren in der kulturpolitischen Landschaft Frankreichs zu hinterlassen, keineswegs vom Engagement seiner Vorgänger. Das Verhältnis zwischen politischer Herrschaft und historischer Symbolik ist in Frankreich traditionell symbiotisch. Vergangenheitspolitik war auch vor der Wahl Sarkozys im Jahr 2007 eine Domäne des Präsidenten.So herrschte in der Regierungszeit de Gaulles eine für die gesamte Nation verbindliche Widerstandslegende. Georges Pompidou vertrat in den 1970er Jahren eine Politik der Versöhnung, deren deutlichster Ausdruck die Begnadigung des Milizchefs der Vichy-Regierung Paul Touvier war. Seit den 1980er Jahren begann, zunächst unter Mitterrand, später von Chirac weitergeführt, die Thematisierung der französischen Beteiligung am Holocaust.[2]
Seit der Präsidentschaft Sarkozys unterliegt Vergangenheitspolitik jedoch oft der Banalisierung, wird Geschichte zunehmend instrumentalisiert, was wiederum zu einer stärkeren Ideologisierung von Vergangenheitsdiskursen führt.[3]
Eine der Fragen, die den Präsidenten seit Beginn seiner Amtszeit umtreibt, ist die nach der „Identität“ der Franzosen. Wobei es sich hier weniger um eine Frage handelt als vielmehr um ein Problem, welches nach Meinung Sarkozys der dringenden Lösung bedarf. So gründete er kurz nach seinem Amtsantritt das umstrittene und inzwischen wieder aufgelöste Ministerium für Integration und nationale Identität, dessen Minister Eric Besson vor allem durch eine gnadenlose Abschiebepraxis auffiel.
Nun ist mit der Auflösung des Ministeriums die Suche nach der „nationalen Identität“ in Frankreich nicht obsolet geworden. Als Teil der Lösung gilt der Plan des Präsidenten, ein Haus der Geschichte in Paris zu eröffnen. Das Konzept des „Maison de l’histoire de France“ war und ist vage: Stärkung und Verbreitung nationaler Identität sollen hier geboten werden.
Für Entrüstung unter Frankreichs Historikern sorgte jedoch vor allem eine Formulierung: So findet sich spätestens seit 2009 in den offiziellen Verlautbarungen zum Haus der Geschichte Frankreichs die Absicht, dass hier die „Seele Frankreichs“ eine geeignete Darstellungsform bekommen würde.
Die Idee von einem in Paris ansässigen Museum, das sämtliche Epochen der Geschichte Frankreichs darstellen soll, und zwar in einer wie auch immer gearteten Identität stiftenden Form, provozierte eine Debatte, ausgehend von der Haute Volée der französischen Historiker/innen. So schrieb etwa Pierre Nora einen offenen Brief an den Kulturminister Frédéric Mitterrand, in dem er sich dezidiert gegen das geplante Museum äußerte. Er begründete dies u.a. mit dem Hinweis auf die Existenz von über tausend historischen Museen, von denen viele eine hervorragende Arbeit leisteten und die in ihrer Heterogenität der Pluralität der französischen Gesellschaft gerecht würden. Arlette Farge hingegen weist den Begriff der „französischen Seele“ als unwissenschaftlich und ideologisch verdächtig zurück.
Einer der schärfsten Kritiker des Museumsprojekts ist der Historiker Nicolas Offenstadt (Sorbonne). Er unterstellt dem Kulturministerium die Planung einer „Chronologie der großen Männer als politisches Projekt“. Es werde der Regierung schwerfallen, so Offenstadt im Jahr 2010, gute Historiker für den wissenschaftlichen Beirat zu finden.[4]
Und in der Tat war es nicht einfach, einen Beirat, zusammengesetzt aus französischen Historikern, für das Museum zu besetzen. So begannen die Projektplanungen zwar schon im Jahr 2009, aber erst Mitte Januar 2011 gab der französische Kulturminister die Zusammensetzung des Beirats bekannt.[5]
Zum wissenschaftlichen Beirat für das Haus der Geschichte in Paris gehört Étienne François. François war unter anderem Gründungsdirektor des „Centre Marc Bloch“ in Berlin und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam.[6] Seine Positionen zum Museumskonzept und zur Tätigkeit des inzwischen berufenen wissenschaftlichen Beirats schilderte Etienne François in einem Interview mit zeitgeschichte-online am 5. Mai 2011 in Berlin. Das Gespräch führte Annette Schuhmann.
[1] Dazu: Anne Kwaschik, Stéphane Hessels Streitschrift „Empört Euch!“ und die französische Geschichtspolitik, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 8 (2011), S. 110-117. http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40209112/default.aspx.
[2] Vgl. dazu: Mechtild Gilzmer, Denkmäler als Medien der Erinnerungskultur in Frankreich, München 2007 und Henry Rousso, Frankreich und die „dunklen Jahre“. Das Regime von Vichy in Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2010.
[3] Henry Rousso, Frankreich und die „dunklen Jahre“. Das Regime von Vichy in Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2010, S. 13 u. 31.
[4] Kathrin Hondl, „Keine Geschichte für heute“. Frankreich streitet über Sarkozys Projekt „Haus der Geschichte Frankreichs“http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/1346193/ (zuletzt: 30.5.2011).
[5] Le comité d’orientation scientifique de la Maison de l’histoire de France (13.1.2011) http://www.culture.gouv.fr/mcc/Actualites/A-la-une/Le-comite-d-orientation-scientifique-de-la-Maison-de-l-histoire-de-France.
[6] Zur Vita von Étienne François: http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/frankreichzentrum/mitarbeiter_neu/francois/index.html