von Jan C. Behrends

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19. April 2017

Akademische Freiheit ist ein prekäres Gut.

Nur idealtypisch ist die Universität ein staatsfreier Raum, der sich selbst verwaltet und frei forscht. Tatsächlich versucht auch der liberale Staat, die Forschung politischen und ökonomischen Prämissen zu unterwerfen und die Autonomie der Hochschulen zu beschneiden. Dennoch bleiben Universitäten Orte, an denen sich die offene Gesellschaft über sich selbst verständigen kann.

Der totale Staat des 20. Jahrhunderts versuchte, sich die Wissenschaft zu unterwerfen. Lenin handelte 1922 noch vergleichsweise human, als er mit den Philosophenschiffen die Elite der russischen Wissenschaft des Landes verwies. Sein Nachfolger Stalin und andere Diktatoren des 20. Jahrhunderts scheuten sich nicht, Hochschullehrern zuerst die Arbeit und dann auch das Leben zu nehmen. Die deutsche Wissenschaft hat sich bis heute nicht von zwölf Jahren Naziterror erholt, und die Universitäten in den kommunistischen Diktaturen Osteuropas waren im Jahr 1989 von Jahrzehnten der Unterdrückung und Gängelei gezeichnet.

Nach dem Ende der Diktaturen erhofften sich die Länder Ostmitteleuropas und die Nachfolgestaaten der UdSSR schließlich auch eine Renaissance der Wissenschaften. Doch der Aufbruch der 1990er Jahre geriet häufig ins Stocken, herausragende WissenschaftlerInnen suchten bessere Bedingungen im Westen, und alte Strukturen erwiesen sich oft als zählebig. Dennoch entstand in den vergangenen Jahrzehnten trotz ökonomischer Probleme eine vielfältige Wissenschaftslandschaft, und die europäische Zeitgeschichte hat in vielerlei Hinsicht von den Beiträgen der osteuropäischen KollegInnen profitiert. Im vergangenen Jahrzehnt wurde die enge Kooperation mit Prag, Warschau oder Moskau bei zahlreichen Fragen zu einer Selbstverständlichkeit. Gerade diejenigen Universitäten, die nach 1989 entstanden und nicht von staatlicher Finanzierung abhängig waren, entwickelten sich häufig zu Leuchttürmen akademischen Lebens und internationalen Austausches in Osteuropa.

Dass akademische Freiheit in Osteuropa prekärer war und ist als im Westen, war uns bekannt. Schließlich rollt die autoritäre Revolution im post-kommunistischen Raum nun schon seit vielen Jahren. Längst hat sie ihre eigenen Dynamiken entfaltet und strahlt bis in den Westen aus. Dennoch haben wir und auch viele Kolleginnen und Kollegen in Osteuropa lange gehofft, dass akademische Lehre und Forschung nicht in Mitleidenschaft gezogen würden. Wir waren zu naiv oder zu bequem, um frühzeitig auf die Bedrohungen akademischer Pluralität hinzuweisen.

Mittlerweile hat das autoritäre Rollback die gesamte Region erfasst. Die Central European University in Budapest zieht derzeit – mit Recht – die Aufmerksamkeit auf den ungarischen Fall. Hier zerstört die Regierung Orbán in der Tat eine besonders renommierte und erfolgreiche Einrichtung, die weit über Budapest hinaus geschätzt wird und sich als Talentschmiede für junge WissenschaftlerInnen einen tadellosen Ruf erworben hat. Erschreckend ist hier insbesondere, dass eine solche Zerstörung einer akademischen Institution in einem Staat der Europäischen Union geschehen kann. Doch weiter nördlich in Polen hat sich die Regierung gerade von dem international angesehenen Direktor des neu eröffneten Danziger Museums über den Zweiten Weltkrieg per Gerichtsverfahren getrennt. Was bedeutet dies für die Zukunft der polnischen Hochschulen? Und jenseits der Europäischen Union ist eine weißrussische Universität schon seit Jahren im litauischen Exil, während in Russland die angesehene European University St. Petersburg mal wieder gegen den autoritären Staat um ihre Existenz kämpft. Wie lange sie sich noch behaupten kann, ist völlig offen.

Der Fall CEU sollte die europäische Wissenschaft und Politik wachrütteln. #istandwithceu kann aber erst der Anfang sein: Es gilt darüber nachzudenken, wie wir die akademische Freiheit in Europa insgesamt schützen können. Dabei wird es von zentraler Bedeutung sein, dass ein Problembewusstsein geschaffen wird und die europäische Öffentlichkeit versteht, dass in Ländern, die keine akademische Pluralität dulden, auch andere Rechte latent bedroht sind.

Der autoritäre Staat beansprucht, ein legitimes Herrschaftsmodell zu sein, das die Probleme moderner Gesellschaften lösen kann. Dies gilt es zu bestreiten. Wir sollten darauf hinweisen, welche politischen und gesellschaftlichen Kosten die Unterdrückung akademischer und anderer Freiheit nach sich zieht. Aus dem 20. Jahrhundert wissen wir, welche intellektuelle Ödnis die Diktatur – von wenigen Inseln der Dissidenz abgesehen – hervorgebracht hat. Für das 21. Jahrhundert lohnt es sich, Freiheit und Pluralität entschieden zu verteidigen: hier in Deutschland, in der Europäischen Union, aber auch im post-sowjetischen Raum, wo unsere Kolleginnen und Kollegen längst unter schwierigen Bedingungen arbeiten.
 

Zum Nachhören:
Orbán geht gegen Soros-finanzierte Elite-Uni vor. Ein Beitrag von Stephan Ozsváth im Deutschlandfunk vom 30.3.2017.

Zum dagegen Protestieren:
March for Science Germany am 22. April 2017
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