„Terrorismus“ ist ebenso wie der Kampf dagegen ein Medienphänomen, darüber sind sich ein Großteil der Historiker_innen und Medienwissenschaftler_innen inzwischen einig. In den 1970er Jahren stand die (mediale) Auseinandersetzung mit der RAF beispielhaft für die zunehmende politische Polarisierung innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft. Dabei waren die diskursiven, politischen und moralischen Standpunkte heftig umkämpft. Die Massenmedien bildeten hier die entscheidende Form politischer Kommunikation.
Die bundesdeutschen Medien thematisierten eine sich verändernde Gesellschaft, die plötzlich in unvorhergesehener Weise von innen heraus bedroht war. Darüber hinaus waren die Medien jedoch Teil und Triebkraft einer Frontenbildung im „Terrorismus“-Diskurs.
Die RAF war zunächst in ihrem Konzept der „Propaganda der Tat“ auf eine mediale Präsenz angewiesen und es lässt sich sogar von einer Public Relation-Strategie der RAF sprechen, die sich in der Veröffentlichung programmatischer Schriften und Kommuniqués, klandestinen Interviews oder dem ikonischen Foto des Entführten Schleyer ausdrückte. Gleichzeitig griff vor allem Ulrike Meinhof die Massenmedien in ihren RAF-Texten immer wieder scharf an und schließlich explodierten im Jahr 1972 in den Hamburger Springer-Büros zwei Bomben. Die RAF Strategie war also eine Attacke über die Medien und gegen die Medien.
Auf der anderen Seite agierten auch die Vertreter der politischen Institutionen und die Massenmedien selbst auf der medialen Bühne. So sind die Texte zum „Terrorismus“ danach zu befragen, durch welche Rituale der Diskurs möglicherweise jene Wirkungen erzeugt, die er benennt.
Der Begriff „Terrorismus“ hatte sich in den Jahren 1970 und 1971 in Bezug auf die RAF noch nicht durchgesetzt. Fahndungsblätter suchten nach „Anarchistischen Gewalttätern“ und auch in den Medien war zunächst die Rede von der „Baader Meinhof Gruppe“. Spätestens 1972 hatte sich der Begriff „Terrorismus“ in Bezug auf die RAF jedoch etabliert – der mediale Diskurs hatte gesellschaftliche „Wahrheit“ produziert.
In weiten Teilen der Medienberichterstattung insbesondere der 1970er Jahre lässt sich eine gewisse „moral panic“ als Subtext erkennen: Hier werden Themen als von „allgemeinem Interesse“ dargestellt und Berichte über bestimmte Ereignisse lassen diese als Vorzeichen gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen erscheinen – mit der Tendenz zur Eskalation, wenn nicht dringend „etwas getan“ wird.
Im Verlauf der Auseinandersetzung mit der RAF bediente sich vor allem die BILD-Zeitung mit einer hochemotionalen Beschwörung möglicher Entgrenzungen der Gewalt und verfolgte eine „Politik der Angst“. Eine Reihe von zeitgenössischen Medienberichten hatte zudem eine mobilisierende Wirkung, z.B. wenn die BILD-Zeitung im Oktober 1977 titelte: „Ein ganzes Land jagt 16 Mörder“[AS1] . Dies galt ebenso für das Fernsehen, dessen zeitnahe Berichterstattungen oftmals auch Fahndungsaufrufe enthielten. Insbesondere Eduard Zimmermanns „Aktenzeichen XY“ beschäftigte sich wiederholt mit der RAF.
Darüber hinaus ist im Falle des ‚Terrorismus’-Diskurses die Suche nach Verantwortlichen jenseits der RAF-Mitglieder ein wichtiges Element der Ausweitung der potenziellen Bedrohung. Benannt wurden in diesem Zusammenhang vor allem sogenannte „Sympathisanten“, unverantwortliche Eltern, Politiker der sozial-liberalen Koalition, Journalisten, nachlässige Polizeibeamte etc.
Im „Sympathisanten”-Diskurs, der vor allem in den 1970er Jahren eine wesentliche Rolle in den Medien spielte, geht es um die ideologischen Frontenbildung mitten durch die Gesellschaft, deren Ausdruck schließlich die Einführung von Gesetzen war, die bereits bestimmte Äußerungen, und damit „Gesinnungen“, kriminalisierten. Galten die „Sympathisanten“ zunächst nicht als Bedrohung, wurden sie doch mehr und mehr als ‚Helfershelfer’ der Gewalt interpretiert und zu einem wesentlichen strukturellen Element des „Terrorismus” erklärt – nicht nur als „Rädchen in der Maschine“, sondern mehr noch als Faktor, der den „Terrorismus” erst am Leben erhält. Auf der anderen Seite gelang es allerdings den „Sympathisanten“, so zum Beispiel den linksradikalen „Komitees gegen Folter“ mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit, den medialen Diskurs zu prägen. So wurde etwa Mitte der 1970er Jahre erstmals eine breite öffentliche Debatte über Haftbedingungen in bundesdeutschen Gefängnissen geführt.
Auf Seiten dieses massenmedialen Diskurses ging es um Grenzziehungen und damit auch um gesellschaftliche Integrations-bzw. Ausgrenzungsprozesse. Zugleich wurde in den Medien die potenzielle „terroristische“ Bedrohung mehr und mehr ausgeweitet. Danach mussten sich nicht mehr nur Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Militär und deren Personenschützer bedroht fühlen, sondern ein jeder.
Bei der Auseinandersetzung mit der RAF ging es vor allem um Skandalisierung und Emotionalisierung, die das Bedürfnis nach Fortsetzung der „Terrorismus“-Story, ob in BILD oder im SPIEGEL, bediente und damit hohe Verkaufszahlen erreichte.
Der bundesdeutsche „Terrorismus“-Diskurs ist daher auch unter den Vorzeichen eines Medienskandals zu betrachten, — dieser funktionierte als Ritual, das moralische Werte in die Gesellschaft vermittelte und so kollektive Identitäten zu prägen suchte.
Allerdings hatte die Aufmerksamkeit der Medien nach dem „Deutschen Herbst“ ihren Höhepunkt überschritten. Berichte zu den RAF-Anschlägen der 1980er und 1990er Jahre erschienen meist weniger dramatisierend, die Gruppe, über deren Mitglieder kaum etwas bekannt war, geriet mehr und mehr zur Chimäre. Dies lag unter anderem daran, dass die dritte Generation der RAF mit ihrer Ausrichtung nur noch auf wenig Sympathien bei den bundesdeutschen Linken stieß, deren politisches Selbstverständnis sich unter den Vorzeichen von Autonomie und grüner Parteigründung ohnehin wandelte. In der alternativen Öffentlichkeit hatte inzwischen ein breiter Prozess der kritischen Auseinandersetzung mit der RAF begonnen und so waren Medienberichte über das „Sympathisantenheer“ und den „Bürgerkrieg“, mithin über eine geschlossene Bedrohung von links, auch in den Massenmedien nicht mehr zu finden.
Zudem hatte bald nach dem „Deutschen Herbst“ dessen historische Aufarbeitung begonnen, was nicht zuletzt an den Kinofilmen „Deutschland im Herbst“ (1978), „Die bleierne Zeit“ (1981) oder „Stammheim“ (1986) sichtbar wurde. Die Eskalation des „Deutschen Herbstes“ schien nun entkoppelt von der real existierenden RAF der 1980er und den frühen 1990er Jahre, deren Anschläge nur mehr wie ein Echo aus vergangener Zeit wirkten.