von Martin Gontermann, Laura Haßler

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9. Februar 2023

Drei Jahre lang hat der Regisseur Simon Brückner die AfD mit seiner Kamera begleitet. Das Versprechen, mit „offener forscherischer Haltung“ ein „nach dem Ideal der Objektivität“ geformtes Gesamtbild der AfD zu zeichnen, kann sein Dokumentarfilm „Eine Deutsche Partei“ allerdings nicht einlösen.[1] Die Stimmung der Partei zum Zeitpunkt des Drehs einzufangen ist ihm hingegen einwandfrei gelungen: Sie ist mies.

 

Einleitung

Der über den Rand des Filmplakates stierende Alexander Gauland täuscht, denn die Parteiprominenz der Alternative für Deutschland (AfD) tritt in Simon Brückners Dokumentarfilm nur am Rande auf. Stattdessen begleitete der Filmemacher von 2019 bis zur Bundestagswahl 2021 Mitglieder aus der zweiten und dritten Reihe der Partei. Dabei sammelte er über 500 Stunden Videomaterial an, das er zu einem in sechs lose Kapitel unterteilten Film verdichtet hat. Über 110 Minuten folgen wir einem Neuköllner Ortsverein, Teilen der Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses und der Brandenburger Jungen Alternative auf Parteistammtische, Protest-, Fest- und Wahlkampfveranstaltungen, Gremien und Fraktionssitzungen, Corona-Demonstrationen und – als letztlich grotesken Höhepunkt des Filmes – auf die „Balkanroute“ in Bosnien.

Filmplakat: Eine Deutsche Partei, 2022, © Spicefilm

 

Doppelte Inszenierung

Brückner versucht über die gesamte Länge des Films hinweg nicht nur ein „stummer Gast“[2] zu sein, sondern auch ein unsichtbarer. Er verzichtet auf einen Off-Kommentar oder ausführliche Untertitel und versucht, die einzelnen Szenen in langen Einstellungen für sich selbst sprechen zu lassen. Wer spricht und mit wem, müssen die Zuschauer*innen selbst über den Kontext oder das eigene Vorwissen erschließen. Doch der Film ist nicht einfach nur unschuldiges ‚Found Footage‘, sondern durch die Auswahl und die Montage der Szenen eine Inszenierung und dabei sogar eine doppelte:

Denn sobald eine Kamera im Raum ist, passieren die Dinge nicht bloß vor der, sondern auch für die Kamera. Die von Brückner gefilmten Menschen sind sich seiner Anwesenheit offensichtlich bewusst. An zwei Stellen thematisieren AfD-Mitglieder diese Präsenz – und in einem Fall darf er eine Ausschusssitzung nicht mehr weiter filmen. Wie häufig das während der Dreharbeiten vorkam, wie offen die AfD Brückner also Zugang gewährte, erfahren wir nicht.

In vielen Szenen ist Brückners Kamera zudem nicht die Einzige, die filmt. Häufig sieht man AfDler*innen sich selbst filmen: für den Wahlkampf, für YouTube, TikTok, Facebook oder für Instagram. Brückner zeigt damit weniger ein Bild der Partei wie sie ist, sondern wie sie sich selbst inszeniert sehen will. Die eigene Beobachterposition wird dabei nicht thematisiert, wie es für eine „forscherische Haltung“ in der teilnehmenden Beobachtung üblich wäre – und eine solche nimmt Brückner für sich in Anspruch.

Vieles von dem, was wir daher in „Eine Deutsche Partei“ sehen ist nicht neu, überraschend, oder taugt – anders als die Ende Mai 2022 geleakten WhatsApp-Protokolle der AfD-Bundestagsabgeordneten[3] – zum großen Aufmacher. Vielmehr reproduziert der Film einige gängige und teils gefährliche Narrative über die AfD.

 

Gemeinschaft durch Gemecker

„Eine Deutsche Partei“ inszeniert Parteialltag, wie man ihn aus dem Fernsehen zu kennen glaubt. Gezeigt werden Demos, Ausschüsse, Parteitage und Ortsbesuche, wo Politik immer in Form von Debatten, Reden, Diskussionen und kernigen Statements ‚gemacht‘ wird. Möglicherweise hätte aber eine Stärke des dokumentarischen Begleitens einer Partei wie der AfD im deutlicheren Fokussieren nicht auf diese typischen Politikinszenierungen, sondern auf gemeinschaftsstiftende Alltagspraktiken liegen können.

Aber solche Szenen kommen in der Dokumentation zu kurz. Zwar sehen wir Menschen beim Singen oder Musikhören. Aber meist dienen diese kurzen Einstellungen nur als ‚establishing shots‘ zur Einführung von Ort und Thema der jeweiligen Szene, oder zur Illustration gängiger Ästhetiken der Rechten, vom Volkslied „Märkische Heide“ und schiefen Blas-Orchestertönen bis zu eigens gedichteten Corona-Songs. Über ihre Funktion etwa für Gemeinschaftsbildung oder Gewinnakkumulation erfahren die Zuschauer*innen hingegen nichts.

So verpasst der Film eine Chance der Frage nachzugehen, was es denn ist, das diese Partei zusammenhält. Inhalte scheinen es jedenfalls nicht zu sein: Nahezu jede im Film gezeigte Diskussion zu konkreten politischen Fragen verkommt zu nie abzuschließenden, letztlich frustrierenden Grundsatzdebatten. Die AfD-Politiker*innen der Bundestagsfraktion etwa sollten eigentlich über energiepolitische Konzepte abstimmen. Dazu kommt es allerdings nicht, weil die Anwesenden lieber über ein Staatsbürgergeld, den EU-Austritt und die Abschaffung des Euro reden wollen. Gezeigt wird mithin eine Partei, die außer ihrer Ablehnungshaltung gegen beinahe alle gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten 30 bis 40 Jahre über kein positives, einigendes Zentrum, keinen inhaltlichen Konsens oder verbindende Ideen zu verfügen scheint. Zu sehen sind in ihrer Eitelkeit als selbsterklärte Welterklärer, gekränkte Rechthaber (sic), die die Partei in einer ständigen, teilweise feindlichen Auseinandersetzung mit sich selbst gefangen halten.

Die daraus resultierende Unzufriedenheit mit den eigenen Parteimitgliedern zieht sich wie ein roter Faden durch „Eine Deutsche Partei“. Mitglieder der Berliner AfD-Führung etwa schwadronieren bei Kaminfeuer im schicken Landhaus über die zwar engagierten, aber nicht wirklich konstruktiven unterschiedlichen Gruppierungen ihrer Basis. Der Vorschlag, besonders fähige Sprecher zu „promovieren“ erinnert dabei an Versuche der frühen NPD, über die Vergabe von Rednerausweisen und Musterreden ihr öffentliches Image zu kontrollieren. In Zeiten leicht zugänglicher, überregionaler medialer Öffentlichkeit scheint das freilich nicht mehr zu funktionieren. Zu stark ist das Bedürfnis der einzelnen Mitglieder, sich für die eigene Weltsicht Gehör zu verschaffen, um ungestört von Zwischenrufen aus der eigenen Partei erklären zu können, wer denn nun ‚tatsächlich‘ Schuld sei an der allgemeinen miesen Stimmung im Land und in der Partei. Wie in ihren politischen Programmen greifen die AfDler*innen auch bei der Deutung ihrer eigenen Partei auf allzu einfache Lösungen zurück: Der Film zeigt die Akteure dabei, wie sie sich wechselseitig die Schuld für Entgleisungen geben, mal eine ungezügelte Basis, mal die versagende Führungsspitze verantwortlich machen.

 

Tiefe Gräben und rechte Gespenster

Ist der Zustand vielstimmiger Zerstrittenheit wohl kaum eine Neuigkeit, so wird es regelrecht gefährlich, wenn der Chor aus Einzelaussagen das Narrativ reproduziert, dass in der AfD ein harmloser, lediglich konservativer, eigentlich vernünftiger Teil sich gegen die Radikalisierung durch den – zu diesem Zeitpunkt schon offiziell als aufgelöst geltenden – ‚Flügel‘ stemme. So mancher gemäßigt auftretender AfDler hat hier Glück, dass kein Off-Kommentar über seine Verbindungen zu gewaltbereiten rechten Organisationen aufklärt.

Vertreter*innen dieses ‚Flügels‘ treten im Film zwar nicht, oder zumindest nicht offen auf. Die gezeigten AfDler*innen scheinen jedoch selbst große Schwierigkeiten zu haben zu wissen, wer Teil davon ist und wer nicht. Der rechtsextreme Politiker Andreas Kalbitz wird bei Veranstaltungen der AfD in Brandenburg empfangen und behandelt als wäre er noch Mitglied der Partei. Zur Unzufriedenheit gesellt sich ein gegenseitiges Misstrauen – nicht einmal in die grundlegenden Spielregeln des politischen Betriebs gibt es Vertrauen. Stattdessen Vorwürfe, dass bei der Stimmauszählung gemogelt worden sein könnte und weniger Kompetenz denn Loyalitäten zählten. Der Berliner AfD-Politiker Frank-Christian Hansel etwa erklärt seinen knappen Sieg auf dem Nominierungsparteitag für die Berlinwahl 2021 vor seinen Parteifreund*innen und der laufenden Kamera damit, dass dies ein „kalkulierter Move“ des – offiziell wie gesagt gar nicht mehr existenten – ‚Flügels‘ gewesen sei, der seinen Gegenkandidaten „bezahlt“ habe.

So erscheint der Rechtsextremismus im Film den AfDler*innen oft wie ein Gespenst, das eine angeblich gemäßigte AfD heimsuche und sie beim Erfolgreichsein behindere. AfDler*innen reduzieren die Konflikte in der Partei immer wieder auf eine allzu vereinfachte Frontstellung von ‚Flügel‘ gegen vermeintlich Konservative, vom Kampf der Basis mit der eigenen Führung usw. Brückner trägt in seiner Inszenierung wenig zur Aufklärung bei und reproduziert damit die vereinfachten Fronterzählungen, obwohl sie seinen eigenen Bildern oft widersprechen.

Die Komplexität der Gemengelage innerhalb der AfD zeigt nämlich etwa eine Szene mit der Bundestagsabgeordneten Joana Cotar beim Interview mit einem neurechten Magazin. Die radikalliberale Cotar, die den ‚Gemäßigten‘ zugerechnet wird[4] und als mögliche Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2021 gehandelt wurde, findet nichts daran, sich von den Interviewern als sozialdarwinistisch bezeichnen zu lassen. Das ist nur auf den ersten Blick überraschend, denn wie der kanadische Historiker Quinn Slobodian gezeigt hat, gehen die Auffassungen, dass die Evolution bzw. der Markt am besten in der Lage sind, über die Wertigkeiten von Menschen zu entscheiden, in der AfD in einem neuen Fusionismus Hand in Hand – die AfD ist eine Partei des Neoliberalismus, nicht gegen den Neoliberalismus.[5] Cotar distanziert sich im selben Interview zwar von Bernd Höcke, doch sowohl ihrem radikalen Marktliberalismus als auch seinem völkischen Nationalismus liegt eine menschenverachtende Unterscheidung von wertem und unwertem Leben zugrunde. Oder in Tino Chrupallas Worten: „Wir haben ja nicht nur Deutsche in diesem Land, wir haben auch 2,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger.“[6]

 

Schluss

Mit gelungenen Ausnahmen überwiegt in den meisten Szenen von „Eine Deutsche Partei“ der Eindruck einer durch Trotteligkeit verschiedener Couleur geprägten Partei, die letztlich an sich selbst scheitern wird. Verstärkt wird diese Lesart durch den bisweilen komödiantischen Schnitt, der bei der Premiere für große Heiterkeit im Publikum sorgte. Dieser Eindruck von Harmlosigkeit ist neben fehlender Einordnung der Akteur*innen auch den – durch die Art des Zugangs zwangsläufigen – Leerstellen des Films geschuldet: Gewalt kommt nicht vor, wo die Kamera dabei ist, auch rechte Anschläge in Deutschland im Zeitraum der Dreharbeiten – oft verübt von Menschen aus, oder aus dem Umfeld der AfD – finden keine Erwähnung. Die gesellschaftliche Wirkmächtigkeit der AfD und die alles andere als harmlosen Folgen für Viele in der Bundesrepublik sind kein Teil von „Eine Deutsche Partei“. Brückner gibt in seinem Film dennoch Einblicke in die AfD, die zwar nicht überraschend oder neu sind, den Film aber trotz seiner Schwächen sehenswert machen.

Gelungen ist in Brückners die Darstellung der AfD als ein Motor zur Erzeugung ständiger Unzufriedenheit, welcher sehr effektiv die Gründe für diese Unzufriedenheit verschleiert. Schuld an der Misere des Landes und der Partei seien die Ausländer, der offiziell als aufgelöst geltende ‚Flügel‘, schuld seien die Linken, Angela Merkel und und und. Die AfD präsentiert sich so in „Eine Deutsche Partei“ auf eine ganz spezifische und perfide Art als unschuldig. Die Stimmung wäre ohnehin schlecht, das Chaos ohnehin da. Dass aber die AfD diese ständige Frustration und Unzufriedenheit selbst erzeugt und verstärkt, können ihre Mitglieder nicht sehen. Die AfD bei der Kultivierung dieser miesen Stimmung begleitet zu haben ist vielleicht das größte Verdienst dieser Dokumentation.

 

Eine Deutsche Partei, Regie: Simon Brückner, Deutschland 2022, 110 Minuten

 

Auf YouTube kann man "Eine Deutsche Partei" kaufen oder ausleihen. 

 


[1] Interview mit Simon Brückner und Stephan Karkowsky, Je rechter, desto disziplinierter.

[2] So Simon Brückner in der Pressebroschüre zum Film. Vgl.

[3] Vgl. dazu z.B.: Christian Basl, Sebastian Pittelkow und Katja Riedel: Im Maschinenraum der AfD auf Tagesschau.de.

[4] Severin Weiland, Das Meuthen-Lager testet seine Kräfte, 05.05.2021.

[5] Quinn Slobodian, Neoliberalism’s Populist Bastards. A new political divide between national economies, 15.02.2018.

[6] Eure Fragen an Tino Chrupalla, AfD, ARD-Format „Frag selbst“ vom 17.07.2022, online: YouTube-Kanal der ARD-tagesschau, Min. 13:45–14:32.