von Irmgard Zündorf

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1. August 2012

Lassen sich Krieg und Gewalt im Museum ausstellen? Inwieweit sind Verzweiflung, Schmerz und Grausamkeiten überhaupt museal darstellbar? Muss das Publikum, insbesondere Kinder und Jugendliche, nicht vielmehr geschützt werden vor den drastischen Darstellungen? Ebenso wie die dargestellten Opfer, deren Würde unter Umständen zum zweiten Mal verletzt wird, in dem Sie ungefragt ausgestellt werden?

All dies sind Fragen mit denen sich Kuratoren in der Regel konfrontiert sehen, wenn Sie eine historische Ausstellung zum Thema Krieg planen.[2] Die Ausstellungsmacher haben sich somit nicht nur den pragmatischen Problemen zu stellen, die mit jedem Ausstellungskonzept verbunden sind. Sie stehen zudem vor schwierigen ethischen Fragen für die es keine allgemeingültigen Kategorien gibt.[3] In den klassischen Militär- und Kriegsmuseen wurden und werden bis heute vor allem Waffen, Uniformen, Karten, Orden und Fahnen ausgestellt – der Krieg bleibt dabei häufig eine abstrakte Angelegenheit. Neuere Militärmuseen, wie beispielsweise das im Jahr 2010 wieder eröffnete Militärhistorische Museum in Dresden, versuchen dagegen den Krieg in seinem kultur- und sozialgeschichtlichen Kontext zu präsentieren.[4] Krieg wird hier als eine Form von Gewaltausübung betrachtet, wobei Gewalt als anthropologische Konstante verstanden wird. Gewalt, wirkt somit in alle Lebensbereiche des Menschen hinein und Gewalttätigkeit beschreibt keinen Ausnahmezustand. Der Mensch als Gewalt ausübender und unter Gewalt leidender Akteur rückt hier in den Mittelpunkt der Betrachtung – auch der Kriegsausstellungen.
Diese Herangehensweise macht die Konzeption von Ausstellungen über den Krieg allerdings nicht leichter. Verzweiflung, Schmerz, Angst sind mittels Objekten schwer zu zeigen und ethische Fragen der Darstellbarkeit müssen in historischen Museen weiter diskutiert werden. Hier ist die Sensibilität der Ausstellungsmacher gefordert und es gilt der Versuch dem Besucher Gewalt im Krieg zu vermitteln ohne ihn zu überwältigen.[5] Dennoch sollen die Besucher emotional berührt werden, schließlich eröffnen Emotionen einen Zugang zum historischen Geschehen. Eine Lösung des Dilemmas, das entsteht will man das „Unzeigbare“ thematisieren, kann die Einbindung künstlerischer Elemente in die Ausstellung bieten.

Im Gegensatz zum musealen Bereich zeigen Massenmedien wie Fernsehen und Zeitungen weniger Zurückhaltung bei der Darstellung von Grausamkeiten und der damit einhergehenden Überwältigung ihrer Zuschauer und Leser. Ganz im Gegenteil: Nicht selten scheint ein Bild erst dann interessant, wenn es das Schreckliche möglichst deutlich und detailliert präsentiert.

Eine Kunstausstellung im Münchner Haus der Kunst hat sich dieser massenmedial verbreiteten Bilder angenommen und den Umgang mit Gewalt und Tod künstlerisch verarbeitet. Die im Ergebnis dieses Prozesses entstandenen „Gegen-Bilder“ verzichten zumeist darauf die Schreckens-Bilder im Original zu zeigen. Ganz im Sinne des erwähnten „Überwältigungsverbots“ der Museen, wirkt die Ausstellung auf den ersten Blick eben nicht erschreckend und beängstigend, sondern regt zum näheren Hinschauen und Nachdenken an. Dies allerdings, führt in der Konsequenz zum Erschrecken.
Im Fokus der Ausstellung Bild-Gegen-Bild steht die mediale Berichterstattung über Kriege seit 1990. Die zeitliche Eingrenzung der Themen wird mit der Wende der medialen Darstellung während des Zweiten Golfkriegs begründet. Die Medienpolitik der USA war 1990 in einem hohen Maße restriktiv: ausgewählte Briefings für die Presse, Embedded Journalists und Kriegsbilder die kaum noch Menschen zeigten prägen unser Bild vom Golfkrieg. Mit dieser Form der Berichterstattung entstand beim Betrachter eine vollkommen irreale Distanz zum tagtäglichen Kriegsgeschehen.
Den zweiten Wendepunkt der medialen Darstellung von Gewalt datieren die Ausstellungmacher mit dem 11. September 2001 und der mit diesem Ereignis einhergehenden Bilderflut. Einen nicht auf ein Datum festzulegenden weiteren Wandel bringt zudem die Etablierung des Internet und des Web 2.0. Damit wurde die Publikation von unzensierten Bildern in großer Zahl möglich und der zeitliche Abstand zwischen der Aufnahme eines Bildes bis zu dessen Veröffentlichung schrumpfte enorm.

Das Konzept der Ausstellung sieht vor, nicht die bekannten Bild-Ikonen zu zeigen, sondern Gegenbilder entwerfen, die wiederum nur zu verstehen sind, wenn die Original-Bilder bereits im Kopf des Betrachters vorhanden sind. Damit wird eine These aufgegriffen, nach der wir alle Bilder des Krieges im Kopf haben. Die Bilder in unseren Köpfen sind allerdings jene, die medial vermitteltet wurden, sie prägen unsere Vorstellungen von den Kriegen.[6] Nur selten ist uns bewusst, dass diese Bilder keine Abbildungen des Krieges, sondern bereits Interpretationen sind.[7]
Die Architektur des Ausstellungsortes spiegelt die nationalsozialistische Vergangenheit des Hauses wieder und bildet damit einen ganz eigentümlichen Rahmen für die Kriegs- und Gegenkriegsbilder bzw. -installationen. Der Rundgang durch die Ausstellung beginnt mit einem historischen Rückblick anhand ausgewählter Daten aus dem sogenannten „Konfliktbarometer“, einer seit 1992 erarbeiteten jährlichen Analyse des globalen Konfliktgeschehens des Heidelberger Instituts für Konfliktforschung,[8] die Ereignissen aus der Medien- und Kommunikationsgeschichte gegenübergestellt wurden. Der erste Raum bietet somit vor allem Texte, die in die Thematik der Ausstellung einführen, wobei verdeutlich wird, dass die Geschichte der letzten 20 Jahren, aus globaler Sicht, vor allem von Kriegen, Konflikte und Krisen beherrscht wurde.

In den folgenden Räumen finden sich Einzelinstallationen und Gruppierungen verschiedener Werke um jeweils einen Themenbereich. Gezeigt werden bekannte Bilder in anderen Formen und Kontexten, mit veränderten Bildunterschriften, oder auch ganz neue Bilder, die jedoch beim Betrachter Assoziationen zu bekannten Bildern wecken. Auf diese Weise werden die Besucher animiert, die vorhandenen Bilder im Kopf neu und anders zu sehen. Die grün-schwarzen Nachtaufnahmen von Bagdad etwa kennen wir alle. Ihre Bedeutung, als Nicht-Information ist uns vielleicht schon einmal in den Sinn gekommen. In der Präsentation des ungeschnittenen Materials, dass das Militär der Presse zur Verfügung stellte, wird jedoch deutlich, dass man auf Bilder schaut, auf denen nichts passiert, auf denen nichts zu erkennen ist. Man ist versucht inne zu halten, um vielleicht doch noch etwas „wichtiges“ zu sehen, so wie man 1990 die Nachrichtenbilder schaute, weil sie vermeintlich wichtige Informationen lieferten. Hier wird der Krieg mit neutralen, „sauberen“ Bildern gezeigt. Es gibt darin keine Menschen und damit kein Leid. Nur das Aufflackern von hellen Punkten im ansonsten dunklen Bild.
In einem anderen Raum ist ein Fernseher aufgestellt, es werden in schnellen Schnitten verschiedene Nachrichtensprecher aneinander gereiht. Auch diese Nachrichtenszenen kommen uns bekannt vor und auch sie scheinen uns Informationen über Kriege und Konflikte zu vermitteln. Wieder kommt die Idee auf, dass man nur genau hinhören muss, um etwas über den Krieg zu erfahren. Und wieder zeigt sich, dass kaum etwas zu erfahren ist.
Andere Installationen beziehen sich nicht auf öffentlich ausgestrahlte Bilder, sondern auf Bilder die in der Soldatenausbildung eingesetzt werden. Auch hier herrscht der Eindruck vor, dass es nie um Menschen geht, sondern vielmehr um Taktik und Reaktionsvermögen die gestärkt werden sollen.

Interessanterweise ist die Ausstellung trotz der vielen Videoinstallationen sehr ruhig. Die Töne zu den einzelnen Objekten sind zumeist über Kopfhörer oder über so genannte Klangduschen sehr gezielt nur für den Betrachter des jeweiligen Objekts zugänglich. Nur aus einem Raum ist bereits von weitem eine Stimme zu hören. Sie nennt jeweils ein Datum und zählt Soldaten. In dem Raum sind drei Installationen zu Bildern aus dem Jugoslawien-Krieg zu sehen/hören. An den Wänden findet sich auf den ersten Blick eine Vielzahl des immer gleichen Bildes – die Kopie eines bekannten Bildes: Ein Soldat, der auf eine am Boden liegende Frau eintritt. Erst bei näherer Betrachtung wird klar, dass es sich nicht um das assoziierte Foto handelt, sondern um ein gemaltes Bild, das das Foto als Motiv nimmt, dieses jedoch in vielen verschiedenen Varianten zeigt. Es verweist auf verschiedene Elemente des Original-Bildes: Die Zigarette in der Hand des Soldaten, die Gesichter unbeteiligter Soldaten am Rand des Bildes, das Straßenpflaster auf dem die Frau liegt.

In der Mitte des Raumes steht eine Wand, die von beiden Seiten mit Filmen bespielt wird. Auf der einen kann der Besucher ein Interview verfolgen. Die Künstlerin spricht mit verschiedenen Menschen über eine bestimmte Person. Allmählich wird deutlich, dass es dabei um eine Frau geht, die während der Belagerung Sarajevos schwer verwundet wurde und von der ein Fotograf mehrere Fotos schoss, bevor sie ins Krankenhaus gebracht wurde – von anderen.  Auf der anderen Seite der Wand kommt der Besucher zu dem Film, der mit der Stimme und den aufgezählten Soldaten verbunden ist. Zu sehen ist zunächst nur ein roter Punkt, mit der Zeit wird deutlich, dass der Punkt in das Foto eines Soldaten gemalt wird und zwar in sein rechtes Auge – das Foto wird erst nach und nach immer schärfer. Während der Entwicklung des Bildes hört man weiter die Stimme, die jeweils ein Datum nennt und die Anzahl von einem Soldaten, zwei Soldaten oder drei Soldaten. Wenn alles klar zu sehen ist, kommt die Stimme mit folgender Erklärung zu einem Ende: „My father, the sniper, was shot by a sniper into his right eye“. Man versteht nun, dass die gesprochenen Daten und Zahlen der Anzahl der getöteten Menschen an bestimmten Tagen entsprechen. Im Beiheft wird erläutert, dass der Scharfschütze ein Notizheft geführt hat, in der er jeweils die Anzahl der bei einem Einsatz erschossenen Menschen festgehalten hat. Laut Erläuterungstext hat die Künstlerin das Heft ihres Vaters im Alter von zehn Jahren gefunden. Das Kunstwerk erschließt sich Schritt für Schritt, bleibt dabei eigentümlich sachlich und dennoch besonders eindrücklich.

Jedes einzelne Kunstwerk und gleichzeitig auch die Zusammenschau der Medien-Kriegsbilder zeigt, dass diese Ausstellung nicht/oder nicht nur den Umgang der Medien mit dem Krieg thematisiert, sondern den Umgang mit Kriegsbildern in unserer Gesellschaft, den Umgang jedes Einzelnen von uns mit den Bilder des Grauens. Insofern nähert sich diese Ausstellung dem Thema Krieg auf ihre eine ganz besondere Weise. Der Besucher wird hier als Akteur mit einbezogen und dadurch berührt. Somit vollzieht diese Ausstellung, was die eingangs erwähnten historischen Kriegs- bzw. Militärmuseen zwar beabsichtigen aber nur selten erreichen.

Die Objekte und Installationen in der Ausstellung sind nur minimal beschriftet. Meist finden sich lediglich der Titel des Werkes, der Name des Künstlers und das Entstehungsjahr. Es gibt jedoch ein kleines Begleitheft, das Erläuterungstexte zu jedem Objekt in Deutsch und Englisch bereitstellt. Die Texte sind alphabetisch geordnet nach den Namen der Künstler, so dass bei Bedarf sehr schnell, Hintergrundinformationen zum jeweiligen Objekt zu finden sind. Die Texte des Begleitheftes sind auf der Grundlage des Katalogs[9] entstanden, der neben einem Vorwort des Direktors der Stiftung Haus der Kunst München Okwui Enwezor, das sich bereits als Einführung ins Thema liest und einem Beitrag der Kuratorin der Ausstellung, Patrizia Dander, über ihre Idee und Konzeption vier Essays zum Thema enthält. Hinzu kommen die Texte der Künstler zu ihren Werken mit einer Auswahl an Bildern, die allerdings nur ein schwacher Ersatz für die beeindruckenden Installationen sind. Ziel der Kuratorin war es, keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen zu geben. Das ist ihr gelungen. Die Ausstellung wird zumindest die Autorin noch lange beschäftigen.

 

[1] Siehe auch die Website zur Ausstellung: http://www.hausderkunst.de/index.php?id=718

[2] Vgl. Tagungsbericht Krieg und Gewalt ausstellen. 15.12.2008, Potsdam, in: H-Soz-u-Kult, 23.01.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2492>.

[3] Vgl. z.B. Thiemeyer, Thomas: Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum. Paderborn 2010

[4] Vgl. Konzeptionspräsentation vom Militärhistorischen Museum Dresden.

[5] Im Sinne des „Überwältigungsverbot“ des Beutelsbacher Konsens gilt, dass die Überwältigung das eigentliche Verständnis des Dargestellten verhindert und somit im Sinne des Historischen Lernens kontraproduktiv ist, vgl. Beutelsbacher Konsens.

[6] Zum Umgang mit Bildern, von z.B. Toten, verstümmelten oder gedemütigten Menschen vgl. Gerhard Paul: Einleitung, in: Ders. Hrsg.: Bilder des Krieges, Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderboren 2004, S. 11-23, hier: S. 14.

[7] Susan D. Moeller: Shooting War. Photography and the American Experience of Combat, New York 1989, S. 15, zit. nach Paul, Bilder des Krieges, S. 15.

[8] Die gesammelten Daten des Instituts sind auf deren Website nach Jahren sortiert beginnend mit 1992 veröffentlicht, siehe: http://hiik.de/de/konfliktbarometer/index.html (8.8.2012).

[9] Patrizia Dander, Julienne Lorz (Hg.): Bild-Gegen-Bild, Köln 2012.