von Christoph Classen

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1. März 2009

Frost/Nixon erzählt die Geschichte eines Fernsehinterviews, das der britische Fernsehjournalist David Frost 1977 mit Richard M. Nixon geführt hat, jenem republikanischen Politiker und 37. Präsidenten der Vereinigten Staaten, der drei Jahre zuvor als erster und bisher einziger amerikanischer Präsident zurückgetreten war.[1] Hintergrund war die sogenannten „Watergate-Affäre“, die ihren Anfang mit einem misslungenen Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei während des Präsidentschaftswahlkampfes 1972 nahm. Die Ermittlungen des FBI führten bald ins Weiße Haus und in das unmittelbare Umfeld des Präsidenten. Nach den Wahlen, die Nixon klar gewann, setzte der Senat einen Untersuchungsausschuss ein, der sukzessive immer weitere schwerwiegende Verfehlungen der amtierenden Regierung aufdeckte. Die Auseinandersetzungen um die Herausgabe von Beweismaterial – im Weißen Haus war eine geheime Abhöranlage installiert, mit der alle Gespräche aufgezeichnet worden waren – mündeten in eine tiefe Verfassungskrise um die Kompetenzen von Judikative und Exekutive. Sie wurde erst durch den Rücktritt des Präsidenten im Sommer 1974 beendet, der damit seiner bevorstehenden Amtsenthebung zuvorkam.

Im Gegensatz zu seinem Stabschef und einigen seiner engsten Berater, die zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, musste Nixon nie mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, weil sein Vizepräsident und Nachfolger, Gerald Ford, ihn bereits kurz nach seiner Amtsübernahme begnadigte. Nixon selbst hat eine persönliche Verantwortung in der Öffentlichkeit stets bestritten. Nicht zuletzt an den verbliebenen Fragen, Widersprüchen und Geheimnissen mag es liegen, dass das Thema und ihr Hauptprotagonist immer wieder Autoren und Filmemachern inspiriert hat, von Alan J. Pakulas All the President’s Men (USA 1976) über Robert Altmans Secret Honor (USA 1984) bis zu Nixon von Oliver Stone (USA 1995). Entscheidender noch aber dürfte gewesen sein, dass die Affäre das politische System der USA in seinen Grundfesten in Frage gestellt hat und damit das durch den Vietnam-Krieg ohnehin stark angegriffene amerikanische Selbstbewusstsein zusätzlich erschüttert hat. Inzwischen ist „Watergate“ in Amerika zu einem festen Bestandteil der Erinnerungskultur geworden.

Die Handlung des Films setzt 1974 ein, mit dem Rücktritt Nixons. Frost, damals schon ein erfolgreicher Fernsehmoderator und Produzent mit Shows und Interviewformaten in England, den USA und Australien, bemüht sich um ein Interview mit Nixon, das dieser jedoch zunächst ablehnt. Erst zwei Jahre später willigt der Ex-Präsident überraschend ein – gegen ein Honorar von 600.000 Dollar plus Gewinnbeteiligung. Nixons Motive, so wird suggeriert, sind dabei doppelter Natur: Zum einen plagen ihn Geldsorgen, zum anderen wittert er die Chance, seine Reputation wiederherzustellen und seine Paria-Existenz im kalifornischen Exil zu beenden. Dies scheint umso leichter, als Frost als „soft-soap-interviewer“ gilt, der mehr dem unterhaltenden Segment als dem ernsten oder gar investigativen Journalismus zugerechnet wird. Der eitle Jetsetter Frost hingegen sieht das Interview vor allem als Möglichkeit, seiner Karriere in den USA zum Durchbruch zu verhelfen und nebenbei eine Menge Geld zu verdienen. Oder wie Drehbuchautor Peter Morgan es formuliert: „Er wollte ein Bild mit sich und Nixon haben, sozusagen ein Geweih für die Wand“[2].

Zunächst scheint die Rechnung allerdings nur für Nixon aufzugehen. Frost gelingt es nicht, die großen Networks für sein Projekt zu gewinnen, das Interview droht sich für ihn zu einem finanziellen Desaster zu entwickeln. Zudem ist „Tricky Dick“ – so Nixons Spitzname seit Anbeginn seiner politischen Karriere – dem schlecht vorbereiteten Briten rhetorisch meilenweit überlegen. Kurz vor dem Ende der Interview-Serie scheint Frost gescheitert, bevor es ihm gewissermaßen im letzten Moment gelingt, das Blatt zu wenden und Nixon mit Hilfe bohrender Fragen zwei bemerkenswerte Statements zu entlocken: einerseits eine Art Entschuldigung an das amerikanische Volk, andererseits die Demaskierung seines Amtsverständnisses, dass der Präsident im Zweifel über dem Gesetz stehe: „Well, when the president does it, that means that it is not illegal.“[3] Am Ende verlässt Frost den Platz des Duells als strahlender Sieger, während Nixon als tragische und fast schon mitleiderregende Figur in sein kalifornisches Luxus-Domizil in San Clemente zurückkehrt.

Wie viele neuere Spielfilme zur Zeitgeschichte setzt auch Frost/Nixon auf eine quasi-dokumentarische Anmutung. So beginnt der Film mit einem Zusammenschnitt historischer Aufnahmen der Watergate-Affäre bis zum Rücktritt Nixons, und die Szenerie des Interviews ist exakt nachgebildet. Darüber hinaus orientiert sich die Bildästhetik des Films erkennbar an aktuellen Fernsehnachrichtensendungen der amerikanischen Networks: Über weite Strecken des Films dominiert eine unruhige Handkamera, die den Eindruck überlegter Inszenierung verhindern soll und statt dessen durch ihre unperfekte Anmutung das Gefühl „ungeschminkter“, aktueller Teilhabe vermittelt. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film, wie alle Spielfilme, mit zahlreichen Dramatisierungen, Verdichtungen und fiktionalen Ergänzungen arbeitet, die keineswegs exakt den historischen Fakten entsprechen.

Beispielsweise vermittelt das historische Interview kaum etwas von der Film-Dramaturgie eines Zweikampfes David gegen Goliath einschließlich Überraschungssieg des Underdogs. Vielmehr wurden 1977 an zwölf Tagen über 28 Stunden Material aufgezeichnet, aus denen man sechs Stunden destillierte, die seinerzeit in vier Teilen ausgestrahlt worden sind. Dabei überwiegen ausschweifende, meist wenig fesselnde Darlegungen Nixons ohne nennenswerten Neuigkeitswert.[4] Anders als es der Film suggeriert, war dabei die Mischung aus Apologie und partiellem Schuldeingeständnis durch Nixon im Vorfeld vermutlich wohlüberlegt.[5] Die ungeheure Popularität des Interviews (die erste Folge sahen mehr als 45 Millionen Zuschauer) verdankte sich weniger den spektakulären Äußerungen Nixons als mehr der Tatsache, dass der Präsident nach seinem Rücktritt drei Jahre lang konsequent geschwiegen hatte. Obwohl der Auftritt damals naturgemäß nicht in der Lage war, seinen ramponierten Ruf wiederherzustellen, bedeutete er für ihn auch keineswegs eine komplette Niederlage. Eher wurde das Interview schon damals als wichtiger erster Schritt zu seiner Rehabilitierung wahrgenommen.[6]

Solchen Verdichtungen und Übertreibungen sowie einigen erfundenen Szenen ist es jedoch zu verdanken, dass der Film eine Spannung aufbaut, die nie abreißt. Von der Sprödigkeit des zugrundeliegenden Materials und der Kammerspielatmosphäre des ursprünglichen Theaterstücks ist kaum noch etwas zu spüren. Wer daran zweifelt, dass ein gelungener Polit-Thriller ohne Action-Szenen und Gewalt auskommen kann, dem sei dieser Film wärmstens empfohlen. Machtkämpfe werden hier mit Worten, Gesten und bisweilen Informationen ausgetragen, nicht mit Gewalt. Dies kommt den Realitäten des politischen Betriebes gewiss sehr viel näher als die üblichen Inszenierungen gängiger Action-Thriller. Das Fernseh-Business erscheint als knallhartes Geschäft mit hohen Einsätzen und entsprechenden Risiken, keineswegs nur als Betätigungsfeld heroischer Aufklärer. Die Anpassungen an die Spielfilmdramaturgie sind selbst dort zu verschmerzen, wo Drehbuchautor Peter Morgan Szenen erfunden oder aus anderen Zusammenhängen ergänzt hat, etwa die mehr oder minder subtilen Machtspiele, mit denen Nixon im Film versucht, sein Gegenüber zu verunsichern.

Die Watergate-Affäre liefert mehr den Hintergrund des Films als dass sie das eigentliche Thema darstellt. Im Kern geht es um Fragen der Moral und die Bedeutung persönlicher Dispositionen für Scheitern und Erfolg. Die Pointe besteht dabei darin, dass die beiden auf den ersten Blick vollkommen unterschiedlichen Protagonisten im Kern als sehr ähnlich dargestellt werden. Zwar stehen sich hier ein junger, hedonistisch-liberaler Engländer und ein alternder, stockkonservativer und latent rassistischer Amerikaner gegenüber, der eine mit dem „guten“ Anliegen des investigativen Journalisten, der andere eher an zweifelhaften Dingen wie Geld und der Korrektur seines Negativimages interessiert. Im Laufe des Films verschwimmen diese Unterschiede jedoch zusehends: Frost wie Nixon werden als soziale Aufsteiger mit übersteigertem Ehrgeiz porträtiert, der sich gegen das jeweilige Establishment ihrer Herkunftsländer richtet. Nicht nur Nixon scheitert an seinen Ambitionen und seinem manichäischen Weltbild, auch Frost entkommt diesem Schicksal nur sehr knapp. Aus ihrem Narzissmus resultieren bei beiden massive moralische Defizite: Frosts Handlungen sind nicht minder selbstbezogen als Nixons, und sein Scheckbuch-Journalismus kann auch moralisch keine Überlegenheit beanspruchen. Triumph und Scheitern, aber auch Journalismus und Politik, liegen hier also sehr eng beieinander – und dies nicht zuletzt in moralischer Hinsicht.

Spielfilme personalisieren, sie müssen Komplexität radikal reduzieren, sonst sind sie unverständlich oder jedenfalls schwer genießbar. Aus Sicht des Zeithistorikers ist der individualpsychologische Ansatz des Films dennoch problematisch, weil Politik bzw. der Medienbetrieb hier vor allem als Ergebnis individueller Dispositionen und Moral erscheinen, nach dem Motto „Männer machen Geschichte“. Im Falle Nixons mit seinem Hang zur Konspiration und seinem Hass auf die liberalen Eliten scheint das nahe zuliegen. Und doch ist die Karriere Nixons Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher Tendenzen und Entwicklungen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Sein Aufstieg fußte bekanntlich auf seiner scharfen antikommunistischen Profilierung während der McCarthey-Ära, und sein Weg zur Präsidentschaft wäre kaum denkbar gewesen ohne die Erschütterungen, die das Land zuvor durch die Bürgerrechtsbewegung, die Involvierung in den Vietnam-Krieg sowie die Kennedy-Morde erfahren hatte. Nixons Erfolg war Ausdruck der extremen Polarisierung der politischen Kultur in den Vereinigten Staaten, und nur vor dem Hintergrund der häufig paranoiden Ängste jener Zeit lassen sich seine Handlungen interpretieren. Auf der strukturellen Ebene des politischen Systems ermöglichte zudem erst die starke Position des Präsidenten als alleiniger Chef der Exekutive die unkontrollierten Machenschaften. All dies, der gesamte zeithistorische und politische Kontext, spielt im Film keine Rolle.

Nixon/Frost ist schließlich auch ein Film über den Einfluss der Medien – insbesondere des Fernsehens – auf die Politik. Mehrfach beklagt Nixon im Film die „Macht der Nahaufnahme“, die ihn als wenig telegenen Politiker benachteiligt habe. Bereits 1960, bei der ersten Fernsehdebatte zweier Präsidentschaftskandidaten überhaupt,[7] habe ihn Kennedy nur deshalb geschlagen, weil er im Fernsehen besser ausgesehen habe – trotz seiner, Nixons, rhetorischen Überlegenheit. Zudem würden die Medien seine Präsidentschaft auf „Watergate“ reduzieren und den Rückzug aus Vietnam ebenso wenig würdigen wie seine Abrüstungsvereinbarungen mit der Sowjetunion und Friedensinitiativen im Nahost-Konflikt. Vergleichbare Äußerungen sind von Nixon tatsächlich überliefert. Indem der Film seinen eigenen Gegenstand, das Interview mit Frost, systematisch mit Bedeutung auflädt, promoviert er sie jedoch gewissermaßen zu einer Medienwirkungstheorie, der zufolge politischer Erfolg in erster Linie von Fernseh-Kompatibilität abhänge und Interviews im Fernsehen einen überragenden Einfluss auf Wahlen und politische Einstellungen habe.

Dies mag populären Meinungen zu diesem Thema entsprechen, zumindest in dieser Pauschalität ist es aber kaum haltbar. Zwar bleibt Niklas Luhmanns berühmtes Diktum gültig, dass das meiste, was wir über unsere Gesellschaft wissen, wir nur indirekt, durch die Massenmedien erfahren, und niemand zweifelt ernsthaft an der überragenden Bedeutung des Leitmediums Fernsehen für die Politik.[8] Auch scheint gerade die „Watergate-Affäre“ eindrucksvoll die These von den Medien als „Vierte Gewalt“ zu bestätigen. Aber aus Sicht der Forschung deutet vieles darauf hin, dass einzelne TV-Ereignisse wie Interviews oder Wahlkampf-Duelle allenfalls kurzfristige Wirkungen zeitigen. Dazu passt, dass das Interview bis vor wenigen Jahren, als Peter Morgan daraus ein erfolgreiches Theaterstück gemacht hat, nahezu vergessen war. Schon bei der Aufdeckung des Skandals hat seinerzeit die Presse und insbesondere die Washington Post eine Schlüsselrolle gespielt, nicht das Fernsehen, und Nixon gewann die Wahlen trotz deren kritischer Berichterstattung mit überwältigender Mehrheit.[9] Nixons Larmoyanz in Bezug auf seine Medienwirkung ist ohnehin völlig unangebracht: Immerhin hatte er zwei Präsidentschaftswahlkämpfe gewonnen – er war, wie alle amerikanischen Präsidenten seit Kennedy, durchaus eine Fernseh-Persönlichkeit. Wer sich die Originalaufnahmen des Interviews mit David Frost anschaut, kann nicht nur einen eloquenten sondern auch dynamischen, häufig lächelnden, dann wieder seriösen und staatstragenden, keineswegs jedoch unvorteilhaft oder alt wirkenden Richard Nixon erleben;[10] hier gibt es im übrigen eine spürbare Differenz zu Frank Langellas – gleichwohl hervorragender – schauspielerischer Interpretation im Film.

Bezogen auf die Wirkung des Fernsehens neigt der Film also durchaus zur Verbreitung populärer Mythen. Ebenso kann man an einem Politikbild zweifeln, das allein auf persönliche Eigenschaften der Politiker bzw. Journalisten fixiert ist und die historischen Kontexte ausblendet.[11] Aber Frost/Nixon ist weder ein kommunikationswissenschaftliches Seminar noch ein politikwissenschaftlicher Essay. Vielmehr handelt es sich um einen gut gemachten, unterhaltsamen und daher sehenswerten Spielfilm über eine überaus spannende Episode der Zeitgeschichte. Und natürlich lädt er dazu ein, historische Analogien zu einem späteren amerikanischen Präsidenten herzustellen, der ebenfalls großen Herausforderungen gegenüber stand und ihnen nicht gewachsen war.

 

[1] Eine umfassende Darstellung sowohl der Geschichte des Interviews mit Transskripten einiger Schlüsselpassagen sowie der weiteren Rezeptions- und Vermarktungsgeschichte in Büchern, Theaterstücken und dem Film findet sich im Internet unter dem Titel „The Frost-Nixon Bizz 1977-2008“.

[2] Norbert Meyer: „Er wollte sozusagen ein Geweih für die Wand“. Der für den Oscar nominierte Autor Peter Morgan über Medien, Macht, Manipulation und Eitelkeit, in: Die Presse, 4.2.2009 (25.2.2009).

[4] Teile des Originalinterviews sind anlässlich des Filmstarts auf DVD erschienen: Frost/Nixon – Das Originalinterview zur Watergate-Affäre, Edel Records 2009; offenbar war man der Meinung, das Interview in der Originallänge heute niemandem mehr zumuten zu können, jedenfalls wurde es noch einmal drastisch auf ein Viertel der ursprünglichen Länge (nun 90 Minuten) gekürzt; eine ältere VHS-Video-Edition entsprach dagegen der gesendeten Version: The Nixon-Interviews with David Frost. 5 Vol., Universal Studios 1992.

[6] Vgl. "Nixon Talks" In: Time Magazine, 9. Mai 1977.

[7] Ein Ausschnitt der Debatte ist zu sehen unter: http://www.dailymotion.com/video/x2tkwp_archistory-kennedyvs-nixon-debat... (5.3.2009).

[8] Vgl. Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden 3 2004, S. 9.

[9] Entscheidend war, dass die Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein seinerzeit geheime Informationen vom FBI erhielten.

[10] Vgl. für einen Ausschnitt: „Richard Nixon Interviewed by David Frost“ (5.3.2009).

[11] Vgl. in diesem Sinne auch die Kritik des ehemaligen Rechercheurs in David-Frosts Team: James Reston Jr., Frost, Nixon and Me, in: Smithsonian magazine, January 2009.