„I want to make sure, the people understand actually drones had not caused a huge number of civilian casualties. For the most part there have been very precise, precision strikes against al-Qaida and their affiliates.“1
Diese Äußerung von US-Präsident Barack Obama steht symbolisch für die in den 2000er und 2010er Jahren weit verbreitete Auffassung, dass die Drohne ein äußerst effektives Kampfmittel sei. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 (kurz 9/11) etablierten sich im darauffolgenden Globalen Krieg gegen den Terror sogenannte gezielte Tötungen als Taktik der USA in der Bekämpfung der Terrororganisation al-Qaida und deren Unterstützern wie den Taliban. Dabei wurde vor allem von Vertreter:innen des US-amerikanischen Militärs immer wieder betont, wie präzise Drohnen einzelne Ziele finden, überwachen und ausschalten könnten, ohne dabei eigene Soldat:innen in Gefahr zu bringen oder große Kollateralschäden zu verursachen. Gleichzeitig gab es vonseiten einiger Menschenrechtsorganisationen Kritik an diesen Drohnenoperationen. Zum einen wurde deren Vereinbarkeit mit dem internationalen Völkerrecht angezweifelt, zum anderen seien Informationen zu deren Planung und Durchführung für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, wodurch die Behauptung der Effektivität nicht überprüft werden könne.
Kriegsführung aus der Luft
Meine Beschäftigung mit dem Phänomen Luftkrieg wurde durch ein Seminar ausgelöst, in dem ich mich mit Fluchtgeschichten auseinandersetzte. In diesem Rahmen entstand eine Publikation, für die ich meine Großmutter zu ihrer Flucht aus Berlin vor den Bomben der Alliierten im Zweiten Weltkrieg interviewte.2 Zur gleichen Zeit diskutierten wir in meiner Familie ständig über den verkürzten medialen Diskurs zu Drohnenangriffen. Diese beiden Impulse weckten in ihrer Kombination bei mir das Interesse, mich mit der Weiterentwicklung des Luftkriegs durch die neue Technologie bewaffneter Drohnen zu beschäftigen. Die eindrucksvollen Erzählungen meiner Großmutter sorgten zudem dafür, dass ich direkt die Perspektive der Zivilist:innen in den Blick nahm, die den Angriffen aus der Luft ausgesetzt sind. Ein Blick, der in der Geschichtswissenschaft unter anderem in Ansätzen der Oral History aufgegriffen wird, der jedoch in der öffentlichen Debatte über Drohneneinsätze wenig vorkommt. In Bezug auf Drohnenangriffe erweist sich diese Perspektive als sehr aufschlussreich. Denn der Wechsel des Blicks ermöglicht es, der Erzählung der effektiven und präzisen Kampfdrohne ein anderes Narrativ entgegenzustellen.
„Humanitäre Kriegsführung“
Durch die 2002 erstmals mit Raketen ausgestatteten Drohnen des Typs Predator nahm die über Jahrzehnte angehaltene Entwicklung reiner Aufklärungsdrohnen eine neue Wendung. Seinen vorläufigen Höhepunkt nahm ihr Einsatz jedoch erst unter der Administration Barack Obamas (2009-2017), die sich vermehrt für die Taktik der sogenannten gezielten Tötungen entschied. Zwar wurden durch Drohnenangriffe meistens auch anvisierte Terroristen (bzw. Personen, die als solche eingestuft wurden) getötet, doch die Frage ist, mit welchen Konsequenzen, vor allem für die Zivilbevölkerung vor Ort. Nicht selten litten nach einem Drohnenangriff Zivilist:innen unter Verletzungen, zerstörtem Eigentum oder dem Tod von Angehörigen. Bereits zeitgenössische Beobachter:innen stellten deshalb die Effektivität der US-amerikanischen Drohnenangriffe in Frage. Kritisiert wurden beispielsweise die Einstufung aller Männer in der Region zwischen 16 und 65 Jahren als Kombattanten, was das Verhältnis von als legitim eingestuften Zielen und Kollateralschäden in den offiziellen US-amerikanischen Zahlen stark zu Ungunsten von Zivilist:innen beeinflusste.
Umsetzungen des Drohnenprogramms wie diese standen im starken Kontrast zu den ursprünglich mit ihm verbundenen Erwartungen. Denn den neu bewaffneten unbemannten Flugobjekten wurde zu Beginn teilweise prognostiziert, aufgrund ihrer unvergleichbaren Präzision eine wirklich „humanitäre Kriegsführung“ ermöglichen zu können. Allein die Paarung dieser beiden Wörter wirkt wie ein Widerspruch in sich. Doch in Bezug auf Drohnenangriffe ist sie regelrecht absurd, wenn man aus der Perspektive der betroffenen Zivilbevölkerung auf sie schaut.
Living Under Drones
Auf den ersten Blick waren die in acht Kilometern Höhe schwebenden Drohnen vom Boden der Federally Administered Tribal Areas (FATA) aus nicht mehr als kleine dunkle Flecken am Himmel. Die semiautonomen Gebiete im Nordwesten Pakistans an der Grenze zu Afghanistan erlangten Bekanntheit, da sich dort die US-amerikanische Drohnenangriffe im Krieg gegen den Terror konzentrierten. Diese begannen in einer Zeit, als die Menschen in den Gebieten bereits regelmäßig mit Bombenangriffen durch die pakistanische Regierung oder Selbstmordattentaten verschiedener islamistischer Gruppierungen rechnen mussten. Trotzdem nehmen die Drohnenangriffe in der Erinnerung vieler Zivilist:innen, die sie miterlebt haben, eine gesonderte Stellung ein. Denn sie hatten nicht nur direkten Einfluss auf deren alltägliches Leben, sie verursachten auch tiefgreifende Veränderungen, was die Erwartungshaltung in Bezug auf ihre persönliche Zukunft betraf.
Eine der wenigen Forschungen, in der Erinnerungen von Drohnenangriffen systematisch zusammengetragen wurden, ist die Studie Living Under Drones, in der Rechtswissenschaftler:innen über 130 Interviews mit Opfern, Zeug:innen und Expert:innen durchführten.3 Hier wird vor allem anhand dreier Beispiele deutlich, wieso die Effektivitätsthese der US-Drohnen untragbar wird, sobald man die Perspektive der unter ihnen leidenden Zivilbevölkerung miteinbezieht.
Erstens sorgte allein die Anwesenheit von Drohnen, aufgrund der Erinnerung an vergangene Angriffe, bei Menschen für Angstzustände, Panikattacken und Schlafstörungen. Diese wurden laut den in der Studie zusammengetragenen Berichten häufig durch das durchgängige Geräusch eines kräftigen Summens verursacht, welches eines der Anzeichen dafür ist, dass eine Drohne über einem schwebt. Da die Drohnen bis zu 24 Stunden am Stück über einem Gebiet kreisten, wurden diese psychischen Folgen teilweise zum Dauerzustand: „Drones are always on my mind. It makes it difficult to sleep. They are like a mosquito. Even when you don’t see them, you can hear them, you know they are there.“4
Zweitens waren die Drohnenangriffe in den FATA für die Zivilist:innen unberechenbar. Beispielhafte Aussagen wie „God knows, if they’ll strike us again or not“ zeigen das genauso wie konkret geäußerte Ängste: „If I am walking in the market, I have this fear that maybe the person walking next to me is going to be a target of the drone.“5 Nicht nur in diesen Aussagen wird deutlich, dass Menschen in den FATA immer und überall mit einem erneuten Angriff rechneten. Diese Ungewissheit prägte nahezu jeden Aspekt des Alltags. Einen Alltag, dem sie nicht entkommen konnten. Denn die Drohnen zeichneten sich durch eine räumliche und eine zeitliche Entgrenzung aus. Weder gab es Orte, die dezidiert nicht Ziel der Angriffe wurden, noch konnte man durch Sirenen oder Ähnliches vor ihnen gewarnt werden. Die Rakete trifft einen schneller, als man die Schallwelle ihres Abschusses hören kann.
Hinzu kommt drittens, dass spezifisch bei Angriffen durch Drohnen immer wieder Erste Hilfe leistende Personen von einem nach wenigen Minuten folgenden, zweiten Angriff getroffen wurden. Diese als double taps bezeichnete Taktik der USA sollte dafür sorgen, dass der Effektivitätsthese nach wirklich alle anvisierten Ziele ausgeschaltet werden. Für die Bewohner:innen der FATA bedeutete dieses Phänomen, dass Erste Hilfe oft aus Angst um das eigene Leben nicht mehr geleistet wurde. In der Studie beschreibt ein Mann z.B. eine Situation, in der er sich vorsichtig dem kurz zuvor von einer Drohne getroffenen Autowrack nähert. Doch sogar der überlebende Fahrer schreit ihm zu, dass er sofort verschwinden solle, weshalb er anfängt zu rennen und nur dadurch knapp einer zweiten, auf das Auto abgeschossenen Rakete entkommt.
Die Effektivität der Drohne
Die in der Studie Living Under Drones zusammengetragenen Beispiele zeigen eines deutlich: Je mehr man sich mit der Perspektive der Geschädigten beschäftigt, desto schwieriger wird es, von Effektivität in Bezug auf Drohnen zu sprechen. Es stellt sich die Frage, wie man überhaupt über die Effektivität von gezielten Tötungen diskutieren kann, wenn diese für Zivilist:innen, die bereits ohne Drohnen in einer unsicheren und von Attacken geprägten Zeit lebten, Panikzustände, Ungewissheit und ein von Angst um das eigene Leben bestimmten Alltag bedeutet. Demnach ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Folgen von Drohnenangriffen aus der Sicht der Zivilbevölkerung vor Ort dringend geboten und diese Perspektive sollte bei aller Begeisterung für neue Technologien viel stärker in den Vordergrund gerückt werden.
Was bedeutet also diese Entwicklung des Luftkrieges? Auch wenn viele Fragen offenbleiben, wird eines klar: Meine Großmutter konnte die Flucht aus Berlin im Zweiten Weltkrieg in Erwägung ziehen, weil sie wusste, dass Raum und Zeit der Angriffe begrenzt waren. Wohn- und Lagergebiete waren als kritische Infrastruktur der anvisierte Raum, die Zeit wurde im besten Fall durch das Heulen der Alarmsirenen verkündet. Diese Begrenzungen gab es im Krieg gegen den Terror nicht. Die Drohnenangriffe in den FATA konnten jederzeit und überall stattfinden. Sowohl deren systematische Plötzlichkeit als auch Schnelligkeit machte jegliche Form des Umgangs mit ihnen für Zivilist:innen unmöglich. An Flucht war schlicht nicht zu denken. Dadurch entstand ein Gefühl der Ohnmacht, da man der Ungewissheit in keinem Moment des Alltags etwas entgegenzusetzen hat. Dieses Phänomen, welches sich meiner Meinung nach in diesem Ausmaß spezifisch dem Drohnenkrieg zuordnen lässt, verdeutlicht, warum dieser nicht als effektiv betrachtet werden kann.
Disclaimer: Dieser Artikel beruht auf Recherchen, Erkenntnissen und Passagen meiner Bachelorarbeit „Auswirkungen US-amerikanischer Drohnenangriffe auf Zivilist:innen in Pakistan im sogenannten Global War on Terror“ im Fachbereich Globalgeschichte an der Universität Potsdam.
1 Obama, B. „US President Brack Obama confirms drone strikes in Pakistan,“ The Telegraph, 31. Januar, 2012, 0 Min., 52 Sek., online auf YouTube, Zugang am 15.09.2025.
2 Schenck, M.C. (Hrsg), Border Crossing (Universitätsverlag Potsdam, 2024), online unter Border Crossing.
3 International human rights and conflict resolution clinic at Stanford law school and global justice clinic at NYU school of law, Living under Drones: Death, Injury, and Trauma to civilians from US Drone Practices in Pakistan, September, 2012, online unter Living Under Drones, Zugang am 15.09.2025.
4 Living Under Drones, 84.
5 Living Under Drones, 81, 97.
Zitation
Lasse Gräf, Dark specks in a blue sky. Ein Perspektivwechsel auf die Effektivität der Drohne im Krieg gegen den Terror, in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/dark-specks-blue-sky