Der Film „Riefenstahl“ von Regisseur Andres Veiel und Produzentin Sandra Maischberger ist ein Dokumentarfilm. Zudem ist es ein Archivfilm, der sich ausschließlich aus dem im Nachlass Riefenstahls gefundenen Material zusammensetzt. Von hier an beginnt es problematisch zu werden, da die 2003 verstorbene, nach 1945 stets kontrovers diskutierte Leni Riefenstahl durch diesen Film noch einmal zu uns spricht – es ist ihr letztes großes Werk.
Der „Mythos Riefenstahl“
Über die Filmemacherin Leni Riefenstahl, die ihre größten Erfolge in den 1930er und 1940er Jahren verzeichnete, ist viel geschrieben und diskutiert worden. Für ihre innovativen Filmtechniken ist sie in der Filmbranche gefeiert worden, für die Nutzung dieser Techniken zum Zwecke der nationalsozialistischen Propaganda ist sie nach 1945 kritisiert oder gar verachtet worden. Wie sehr ihr Schaffen und ihr Erfolg mit dem nationalsozialistischen Regime verknüpft waren, zeigt der Karrierebruch, den sie mit dem Kriegsende 1945 erlebte. Auf die Frage eines US-amerikanischen Moderators nach ihrer Abwesenheit nach 1945, antwortete Riefenstahl lapidar: „We lost the war.“
Den größten Anteil an der Entstehung des „Mythos Riefenstahl“ lieferte sie selbst. In einer erstaunlichen Ausdauer strickte sie von 1945 bis zu ihrem Tod an ihrem Image der Unpolitischen und der Kunst Verpflichteten. Sie trennte sich selbst und ihr Werk vom Nationalsozialismus und den Verbrechen ab, leugnete immer wieder eine aktive Rolle in der Vermittlung der Propaganda gespielt zu haben und schwieg in Momenten, in denen es gefährlich werden konnte. Das „kommunikative Beschweigen“ (These des Philosophen Hermann Lübbe 1983) wendete Riefenstahl geschickt auf ihre eigene Biografie an. Der Film zeigt anhand von Briefen und Telefonaten, die sie beispielsweise nach dem Auftritt in der WDR-Talkshow „Je später der Abend“ 1976 in großer Menge bekam, wie dieses konstruierte Image verfing und sie viel Zuspruch erhielt.
Die filmische Auswertung des Nachlasses
Fügt der Dokumentarfilm „Riefenstahl“ diesem Mythos eine neue Komponente hinzu? Oder vermag er sogar, um in der Sprache der Kameratechnik zu sprechen, einen Gegenschuss zum Riefenstahl’schen Image zu erzeugen?
Die enttäuschende Antwort lautet: Mitnichten. „Riefenstahl“ sind die filmgewordenen Memoiren Leni Riefenstahls, die sie über viele Jahre verfasste und die 1987 veröffentlicht wurden. Im Interview verweist die Produzentin Sandra Maischberger auf die Fähigkeit Riefenstahls zur Manipulation.[1] Letztlich fällt Maischberger, zusammen mit ihrem Regisseur Veiel, selbst auf die „große Manipulatorin“ herein.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz erhält 2018 den 700 Kisten umfassenden Nachlass Leni Riefenstahls aus den Händen Gisela Jahns, der ehemaligen Sekretärin Riefenstahls. Die Stiftung ist sich der besonderen Verantwortung bewusst und beginnt mit der kritischen Auseinandersetzung. Maischberger sichert sich den Erstzugriff und bekommt die Möglichkeit, mit ihrem Team die Fülle an Interviews, Telefonmitschnitten, Skripten, Fotografien und Filmrollen aufzubereiten. Dabei stellt Maischberger sogar die offenbare Manipulation und Kuration des Materials fest.[2] Das hält sie dennoch nicht davon ab, Riefenstahls letztes großes Werk in Szene zu setzen.
Riefenstahl letztes großes Werk – posthum erzeugt
Leni Riefenstahl war so sehr darauf bedacht, wie ihre Person in der Öffentlichkeit gesehen wird, dass sie auch ihren Nachlass daraufhin untersuchte und beschnitt. Als Produzentin lässt sich Maischberger davon vereinnahmen und erzählt Riefenstahls Geschichte nach, wie es der Filmemacherin sicher selbst gut gefallen hätte. Das Opfer-Narrativ, in das sich Riefenstahl immer wieder begab, wird ausführlich gezeigt, das naiv-ignorante „Wir haben von nichts gewusst“ wird reproduziert und Regisseur Veiel tut Riefenstahl sogar den Gefallen und baut lange Strecken ihres propagandistischen Œuvres à la „Triumph des Willens“ oder „Olympia“ ein. Leni Riefenstahl wird somit posthum noch einmal die Bühne bereitet.
Eine Einordnung des Gezeigten findet nicht statt. Das Publikum wird mit dem archivalischen Nachlass allein gelassen. Es ist gut vorstellbar, dass dieser Film im Jahr 2024 bei einigen sogar Sympathien und Solidarität mit Riefenstahl weckt, schließlich ist die nach 1945 so kritisierte Filmemacherin ein Opfer, deren „Wahrheit“ nicht gehört würde und die manche Dinge nicht aussprechen könne.
Eine verpasste Chance
Eine kritische Einordnung, wie sie Nina Gladitz in ihrer nicht autorisierten Biografie „Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin“ vornimmt,[3] wäre wünschenswert gewesen, um den „Mythos Riefenstahl“ endlich einer gründlichen Dekonstruktion zu unterziehen. Leider ist das den Macher:innen nicht gelungen, obwohl das Archivmaterial dafür vorlag. Stattdessen lassen sie Riefenstahl noch einmal in ihrem Narrativ und ihrem konstruierten Selbst ausführlich zu Wort kommen. Es ist bei weitem nicht sicher, dass sich das allgemein interessierte Publikum davon nicht manipulieren lässt und nach dem Schauen des Films Riefenstahl als bemitleidenswertes Opfer einer jahrzehntelangen medialen Hetzjagd sieht. Ein dumpfes Gefühl, getäuscht worden zu sein, bleibt nach dem Film zurück.
Aus der Perspektive der Geschichtsschreibung bietet der Film Anlass zu dem Gedanken, dass sich eine weitere Beschäftigung mit dem Nachlass noch einmal lohnt. Schlaglichtartig werden einige interessante Funde sichtbar, denen man auf den Grund gehen könnte. Hierzu zählen beispielsweise die entfernten Passagen aus „Triumph des Willens“, die antisemitische Reden Joseph Goebbels zeigen. Die Entstehungsgeschichte und Inszenierung des Films könnten mithilfe dieser Archivalien gewinnbringend ergänzt werden. Ebenso wären detaillierte Informationen zu den Anrufer:innen der überlieferten Telefonmitschnitte wünschenswert. In diesen Privatsequenzen steckt noch einiges Potenzial.
Diese Beobachtungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film „Riefenstahl“ sehr viel Bekanntes zur Person Leni Riefenstahl und deren Werk zeigt. Die Filmemacherin kämpfte zeitlebens darum, wie sie erinnert und in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Maischberger und Veiel fügen diesem Kampf leider einen weiteren, posthum errungenen, Sieg hinzu.
Filmcredits:
"Riefenstahl", Regie: Andres Veiel, Produktion: Sandra Maischberger, Deutschland, 2024, 115 min.
[1] O.A., „Sie war eine große Manipulatorin“, 30.10.2024, URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/leni-riefenstahl-doku-maischberger-andres-veiel-100.html (zuletzt abgerufen am 07.11.2024).
[2] Sandra Maischberger im Deutschlandfunk Kultur-Interview am 28.08.2024: https://www.deutschlandfunkkultur.de/neue-doku-ueber-leni-riefenstahl-endlich-die-wahrheit-ueber-die-ns-filmerin-dlf-kultur-015cf925-100.html (zuletzt abgerufen am 07.11.2024).
[3] Nina Gladitz, Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin. Zürich 2020.