Die ZDF-Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ von Philipp Kadelbach lässt sich als Melodram vor der Kulisse des Zweiten Weltkriegs beschreiben. Die Produktion des ZDF hat im letzten Jahr einen bedeutenden kommerziellen Erfolg erzielt – in Deutschland sahen sieben Millionen Menschen den Zweiteiler und dank der breit gefächerten Werbung durch die BBC und andere Sender konnten Millionen Zuschauer auf der ganzen Welt die Serie verfolgen.
Erbitterte, geradezu leidenschaftliche Reaktionen erlebte die Serie allerdings in Polen. Der polnische Sender TVP 1 strahlte den Zweiteiler im Juni 2013 zur besten Sendezeit aus. Die Einschaltquote war überwältigend. Unmittelbar nach der Ausstrahlung des Films fand eine Debatte statt, an der unter anderem der polnische Historiker Tomasz Szarota[1] und der ehemalige Botschafter Israels in Polen Szewach Weiss teilnahmen. Die heftigen Reaktionen in Polen riefen in Deutschland wiederum Irritationen hervor. Dabei hätte die Sendeleitung des ZDF mit Kontroversen rechnen müssen.
Der Film Kadelbachs zeichnet sich durch ein simples Drehbuch und eine damit einhergehende mangelnde psychologische Tiefe der einzelnen Figuren aus. Demgegenüber stehen einprägsame und suggestive Bilder, die den Zuschauer emotional überwältigen. Nach bestem amerikanischen Erzählmuster geschnitten, wunderbar fotografiert und montiert, vermittelt die Serie ein düsteres Bild jener Generation, die um 1939 ins Erwachsenenalter eingetreten ist.
Die zum Teil schockierenden Szenen des Films überraschen den Zuschauer und erwecken gleichzeitig den Eindruck von Authentizität. Mit der Thematisierung von Tabus haben die Filmemacher Mut bewiesen. So werden etwa die Verbrechen der Wehrmacht in der UdSSR zum Teil drastisch geschildert, die Gleichgültigkeit der deutschen Bevölkerung gegenüber dem „Verschwinden“ ihrer jüdischen Nachbarn dargestellt oder die Übernahme ehemaliger Gestapomitglieder in die amerikanische Militärverwaltung im besetzen Berlin gezeigt.
Diese Szenen sind nicht zuletzt deshalb beeindruckend, weil sie sich nahe an der historischen Realität bewegen, was schließlich zahlreiche Quellen belegen. Offenbar war der Regisseur mit den historischen Fakten vertraut; Historiker unterstützten die Produktion in beratender Funktion.
Die Kernaussage des Films ist jedoch recht simpel: Krieg tilgt jegliche Lebensbejahung. Filmisch umgesetzt wird diese These durch die aufwendig inszenierten Kriegsszenen.
In den polnischen Debatten wurden dem Regisseur Polenfeindlichkeit und die Verleumdung der Armia Krajowa[2] (AK) vorgeworfen. Allerdings wurde dieser Vorwurf mit dem Verweis auf die Enttabuisierung der historischen Fakten immer wieder zurückgewiesen. Und schließlich werden ja alle Akteure, die deutschen ebenso wie die polnischen, im Verlauf des Films auf die eine oder andere Weise schuldig. Anscheinend stellt es sich nur den Polen so dar, als sei die AK mit blütenweißer Weste aus dem Krieg hervorgegangen.
Für das Verständnis der polnischen Reaktionen auf den Zweiteiler ist vor allem die Frage interessant, welche Rolle der Regisseur den Mitgliedern der AK zugeschrieben hat. So zeigt der Film verschiedene Stufen der Demoralisierung in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Milieus im Verlauf des Krieges. Als Akteure für die Darstellung des Banditentums wurden, wie es scheint, die Partisanen benötigt. In den Partisanenszenen wird allerdings nicht deutlich, ob es sich hierbei um Zivilisten oder Soldaten handelt, die in den Wäldern lebten und die ihren eigenen Krieg mit den Deutschen führten. Die Akteure der AK werden als moralisch enthemmte und schäbig gekleidete Asoziale dargestellt, von denen alles zu befürchten ist. Ihr Anführer ist ein merkwürdiger Typ, zynisch und skrupellos. Er ist cholerisch und schurigelt seine Truppe, gleichzeitig fürchtet er sie. Einer der Partisanen hasst Juden. Offenbar gerade deshalb nimmt der Anführer – dem sie egal sind – den Juden Viktor mit in den Wald, um ihn zu töten (und ihn dann aber heimlich freizulassen). Deutlich wird auch die für die Partisanen geltende Devise, dass im Krieg nichts vergeudet werden darf. Nach einer gelungenen Aktion bekommen sie den Befehl, „Patronen, Schuhe und goldene Zähne“ mitzunehmen. Dies wird szenisch besonders anschaulich vermittelt, offenbar mit der Absicht, den polnischen Antisemitismus hervorzuheben. Kadelbach ist dabei nicht zimperlich, denn der Film soll schließlich durch seine Authentizität überzeugen. Der Antisemitismus der AK wird zudem mittels verschiedener Textpassagen unterstrichen: „Die Juden ertränken wir wie Katzen“ oder „Juden, Russkis und Kommunisten sind tot besser als lebendig“.
Als eine Einheit der AK einen Zug in Richtung Auschwitz überfällt und die deutschen Wachen erschießt, kümmern sich die Partisanen nicht um die im Zug eingesperrten Gefangenen, bei denen es sich, so vermuten sie, um Juden handelt. Einzig Viktor Goldstein, das jüdische AK-Mitglied, kehrt um, befreit die Gefangenen und widersetzt sich damit dem Befehl der Anführer. Offensichtlich kommt es keinem der polnischen Partisanen in den Sinn, zu fragen, ob in dem Transport nicht auch Polen sind. Woher wissen sie, dass es Juden sind?
Der Anführer der Partisanen bedroht und rettet immer wieder das Leben des als „Köder“ für die Deutschen benutzten Juden Viktor, um sich dessen Loyalität zu versichern. Als der verzweifelte Viktor ihm ins Gesicht schlägt, antwortet der Pole mit einem Lachen.
Natürlich gibt es auch eine Vielzahl von Szenen, die den deutschen Antisemitismus zeigen, allerdings scheint die größte Schuld der deutschen Bevölkerung ihre Gleichgültigkeit zu sein. Deutsche Staatsbeamte sind Antisemiten, weil es von oben angeordnet wird. Für die Polen dagegen ist der Antisemitismus wie die Luft zum Atmen; sie saugen ihn mit der Muttermilch geradezu ein.
In der Tat fanden während des Krieges vereinzelte, von Mitgliedern der AK begangene Morde an Juden statt, die räuberischen und/oder antisemitischen Charakter trugen.
Aber: Während des Warschauer Aufstandes leitete die Gendarmerie der AK Untersuchungen in diesen Fällen ein; für die Mehrheit der Täter wurden die Todesurteile vollstreckt. Die AK konnte mit Hilfe eines eingenommenen deutschen Panzers das Warschauer Konzentrationslager in der Gęsia-Straße unter Kontrolle bringen und rettete somit 350 Juden aus verschiedenen Ländern Europas das Leben.
Im Film jedoch ist der Widerstand der AK nur sinnlose Aktion – er stachelt lediglich die SS zu immer brutaleren Vergeltungsaktionen an. Dies ist ein weiteres wichtiges Thema, das der Film anspricht: Die Frage nach den Zielen der Widerstandsbewegung und nach dem Preis ihres Handelns. Der Handlungsverlauf lässt den Eindruck entstehen, dass der Massenmord an den Polen durch die Deutschen zwar grausam, aber dennoch rational und logisch war, denn schließlich war Krieg. Diejenigen, die das Dritte Reich angriffen, mussten mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen rechnen. Stillhalten hätte nach dieser Logik das Überleben der Polen gesichert.
In der Realität bestand die große Mehrheit der polnischen Opfer aus Zivilisten, die gemäß der Rassenideologie des Dritten Reiches vernichtet wurden; ihr Tod war ein „politisches“ Ziel.
Die einzige polnische Figur des Films, die die Rolle des Sympathieträgers übernehmen könnte, ist die des Mädchens, das gemeinsam mit Viktor aus einem Transport in ein Konzentrationslager fliehen kann. In der Folge schließt auch sie sich den Partisanen an. Der zunächst positive Eindruck der Figur wird allerdings unmittelbar darauf zerstört, denn das Mädchen ist Verfechterin einer gnadenlosen Rachsucht: „Wir werden sie [die Deutschen, Anm. d. Red.] töten, bis Polen frei sein wird“, sagt die polnische Fanatikerin.
Schließlich haben also auch die Polen in diesem Krieg jegliche Menschlichkeit verloren, ebenso wie die Deutschen. Die Erinnerung daran, wer in diesem Krieg Henker und wer Opfer war, verliert ihren Sinnzusammenhang.
Die Handlung der Serie setzt im Jahr 1941 ein. Wie der Krieg begonnen hat, wird nicht gezeigt, wir wissen nur, dass Wilhelm Winter im Jahr 1939 in Polen gekämpft hat. Aus dieser Erzählstruktur ergibt sich die Frage, warum viele der AK-Mitglieder derart unmenschlich und brutal gehandelt haben. Hier enttäuschen die ansonsten sehr eindrücklichen Szenen, die doch vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Recherchen entstanden sind.
Wer hat dem Regisseur solch absurde Ideen von der Armia Krajowa vermittelt? Warum ist das Bild der AK so unerträglich propagandistisch und gleichzeitig so unwissend und unbeholfen? Der polnische Zuschauer kann angesichts dieser flachen Künstlichkeit nur Irritation empfinden. Unterstrichen wird diese Irritation noch durch die gequälte und teilweise völlig unverständliche polnische Sprache der Schauspieler. Hätte man nicht mit polnischen Schauspielern zusammenarbeiten können?
Die Darstellung der Mitglieder der Armia Krajowa als brutale Banditen steht durchaus in der Kontinuität des historischen Narrativs der Volksrepublik Polen. In der offiziellen staatlichen Propaganda Polens wurde im Zusammenhang mit der AK bis in das Jahr 1989 von den „heruntergekommenen reaktionären Nichtsnutzen“ gesprochen, die es nicht Wert seien, Soldaten genannt zu werden. Im Gegenteil: Meuchelmörder und Diebe, Antisemiten und Kriminelle, die über wehrlose Arbeiter herfielen, ihnen den Lohn wegnahmen und die ihren eigenen Krieg führten; mit dem Ziel sich zu bereichern – so die staatssozialistische Sicht auf die AK.
Zwar nennt Kadelbach die Mitglieder der AK nicht Faschisten, er zeigt sogar, dass sie ihre Lebensmittel bei den Bauern bezahlten, lässt jedoch die Tatsache völlig außer Acht, dass es einen polnischen Untergrundstaat gab, der, zugegebenermaßen, filmisch schwer darstellbar ist.
Dem Regisseur ist zwar keine Polenfeindlichkeit vorzuwerfen, jedoch ist er von dem Vorwurf einer unverantwortlichen Naivität und vor allem einer stereotypen Denkweise kaum freizusprechen.
„Unsere Mütter – unsere Väter“ ist ein Beispiel dafür, dass die Kluft zwischen dem polnischen und deutschen Bild vom Krieg immens ist. Dies ist kein Grund in Panik zu verfallen. Es sollte jedoch dazu anregen, bessere Filme zum Thema zu produzieren.
Übersetzung: Elisa Hiemer
[1] Siehe den Beitrag Szarotas für den Themensachwerpunkt.
[2] Polnische Heimatarmee (Anm. d. Ü.).