von Thordis Kokot

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30. April 2024

Fingerfertig, fleißig, folgsam – so wurden die ‚Gastarbeiterinnen‘ aus Südeuropa in den 1960er und 1970er Jahren in bundesdeutschen Medien charakterisiert und von westdeutschen Unternehmen geschätzt. Im Rahmen der staatlich regulierten Arbeitsmigration wurden die Frauen gezielt und in großer Zahl für feinmotorisch geprägte Arbeitsplätze in der bundesdeutschen Industrie angeworben. Da westdeutsche Frauen für die monotone, teils gesundheitsgefährdende Arbeit nicht (mehr) zur Verfügung standen, rekrutierten die Betriebe seit 1960 vermehrt Arbeiterinnen aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Portugal und Jugoslawien. Insgesamt lag der Frauenanteil unter den sogenannten ‚ausländischen Arbeitnehmern‘ bei einem Drittel, bei einzelnen Herkunftsländern, wie etwa Griechenland, sogar deutlich darüber.

Dennoch wurden die weiblichen Arbeitsmigrantinnen in Forschung und Gesellschaft bisher kaum als elementarer Part der damaligen Migrationsprozesse wahrgenommen. Abgesehen von der Pionierstudie von Monika Mattes aus dem Jahr 2005[1], tragen in jüngster Zeit vor allem journalistische Projekte dazu bei, die Geschichtsbilder diesbezüglich zu erweitern.[2] Im Fokus stehen dabei das Arbeits- und Privatleben der ‚Gastarbeiterinnen‘, politische Themen werden hingegen weitgehend ausgeklammert. Mit Blick auf eine umfassende Geschichte der ‚Gastarbeit(erinnen)‘ ist ergänzend jedoch auch zu fragen, ob und für welche Themen die Arbeitsmigrantinnen der sogenannten ersten Generation ein politisches Interesse hegten, wie sie selbst bestehende soziale Machthierarchien wahrnahmen und ob, wann und mit wem sie dagegen aufbegehrten.

Mit Ausnahme des „Pierburg-Streiks“ 1973 in Neuss, bei dem Arbeitsmigrantinnen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen den Wegfall der Lohngruppe II „erstreikten“, ist über die politischen Kämpfe der südeuropäischen Industriearbeiterinnen bis dato wenig bekannt – obgleich sie bei näherer Betrachtung auf verschiedensten Ebenen an politischen Aushandlungsprozessen partizipierten. Ein bisher gänzlich vernachlässigtes, aber von ‚Gastarbeiterinnen‘ regelmäßig genutztes Protestmittel stellen beispielsweise juristische Klageverfahren gegen die Arbeitgeber dar.

 

Juristische Prozesse als Protestmittel?

In Bezug auf das politische Engagement von Frauen gilt es gemeinhin, über klassische politische Betätigungsfelder wie Parteien und Parlamente hinauszublicken, da weibliche Akteurinnen in diesen Gremien kaum bis gar nicht vertreten waren. Vielmehr wurden sie als „politisch desinteressiert beziehungsweise ungebildet“[3] diffamiert, was sich bei migrantischer Herkunft noch verstärkte. Diese geschlechterspezifische Exklusion aus der institutionalisierten Politik nutzten Frauen jedoch oft produktiv, indem sie sich alternative politische Räume suchten, insbesondere durch „Bewegungspolitiken“[4], also zivilgesellschaftliche Initiativen, Demonstrationen u.ä.. Aber auch die vermeintlich unpolitische juristische Sphäre eigneten sich Frauen an, um ihre politischen Forderungen zu artikulieren und idealerweise durchzusetzen. Im ‚Arbeitermilieu‘ bezogen sich diese Prozesse meist auf ungleiche Lohnzahlungen und wurden als ultima ratio eingesetzt, wenn andere Artikulationswege versperrt oder erfolgslos geblieben waren. Durch Sammelklagen konvergierten die Arbeiterinnen die arbeitsgerichtlichen Verfahren von Einzelfallprüfungen zu einem individuums- und betriebsübergreifenden Politikum, das bisweilen erhebliche mediale Aufmerksamkeit zur Folge hatte. Einer der populärsten Fälle ist der Prozess der „Heinze-Frauen“ aus Gelsenkirchen, die 1979 in erster Instanz „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ erstritten, bevor sie ihn in zweiter Instanz wieder verloren, in dritter Instanz aber wiedergewannen.[5] Weniger bekannt sind dagegen Prozesse, die bereits seit Mitte der 1970er Jahre von Arbeitsmigrantinnen initiiert wurden. Dies liegt nicht nur daran, dass es ‚die Anderen‘ waren, die diese Verfahren führten, sondern auch an den mangelnden (medialen) Repräsentationsmöglichkeiten der Südeuropäerinnen. Denn anders als die westdeutschen Arbeiterinnen verfügten sie oft weder über das sprachliche Wissen noch über die personellen Kontakte, um jene wirksamen Selbstdarstellungen zu publizieren, durch die etwa die „Heinze-Frauen“ sich fortdauernd in die Geschichte einschrieben.[6] Gerade in Anbetracht dieser sozialen Randstellung verdeutlichen die Gerichtsverfahren der ‚Gastarbeiterinnen‘ aber, mit wie viel Stärke und Durchhaltevermögen sie sich sozialen Ungleichheiten widersetzten.

 

Vom Scheitern … – Der Fall Gotthilf Roth GmbH & Co. KG, Frankfurt

War die sogenannte Leichtlohngruppe II bei einzelnen Betrieben wie „Pierburg“ in der ersten Hälfte der 1970er Jahre abgeschafft worden, bestand die Lohngruppe in zahlreichen anderen Firmen unverändert fort. Diese Eingruppierung bot vielen Arbeitsmigrantinnen Anlass zur Beschwerde, da der Lohn nicht nur äußerst niedrig, sondern ihrer Meinung nach verglichen mit den physischen und psychischen Arbeitsumständen schlicht hochgradig unverhältnismäßig war. So strengten 14 Arbeiterinnen verschiedener Nationalität[7] im Jahr 1976 eine der ersten Einstufungsklagen gegen ihren Arbeitgeber „EMW Elektro-Motoren-Feinbauwerk Groschopp & Co. GmbH“ in Mönchengladbach-Rheydt an. Vor dem dortigen Arbeitsgericht machten sie mit Erfolg gegen das Antriebstechnik-Unternehmen geltend, dass ihre Arbeit nicht mit „nur geringen körperlichen Belastungen“ verbunden sei, wie für Lohngruppe II legitimiert.[8]

Weniger erfolgreich verlief unterdessen das Verfahren von drei griechischen und zwei türkischen Arbeiterinnen gegen die Firma „Gotthilf Roth GmbH & Co. KG“ in Frankfurt.[9] Der Zulieferungsbetrieb für die Automobilbranche beschäftigte zahlreiche ‚angeworbene‘ Arbeitskräfte aus sieben Herkunftsstaaten, die 62 Prozent der Gesamtbelegschaft ausmachten. Dabei wurden 350 von 410 Arbeiterinnen nach Lohngruppe II entlohnt, während nahezu alle männlichen Beschäftigten in Lohngruppe V eingestuft waren. Auslöser für den juristischen Protest im Jahr 1979 bildete schließlich der Einsatz von niedrigentlohnten Frauen an Arbeitsplätzen, die zuvor von den höherbezahlten Männern besetzt waren.

Drei der fünf Klägerinnen lebten bereits seit 1965 in der Bundesrepublik, die anderen beiden seit 1971. Die meisten waren zum Zeitpunkt der Klage etwa 30 Jahre alt, eine der Beteiligten zehn Jahre älter. Es handelt sich somit um selbstständig ‚angeworbene‘ Migrantinnen der ersten Generation, die in den Herkunftsländern sozialisiert wurden und möglicherweise gerade vor diesem Hintergrund die Rechtsmittel der bundesdeutschen Demokratie in Anspruch nahmen. Zu betonen ist darüber hinaus, dass alle fünf Frauen verheiratet sowie zwei-, drei- oder vierfache Mutter waren. Doch die Mehrfachbelastung durch die Erwerbstätigkeit einerseits und die ‚zweite Schicht‘ im Haushalt andererseits hinderte die Arbeitsmigrantinnen nicht, sich für Lohngerechtigkeit einzusetzen. Auch die Skepsis ihrer Ehemänner blockierte ihre Bemühungen nicht; sie hielten auch ohne deren Unterstützung an ihrem Vorhaben fest. Beistand erhielten die ‚Gastarbeiterinnen‘ der Roth GmbH indes von der IG Metall, die ihnen einen Gewerkschaftssekretär als Rechtsbeistand zur Seite stellte. Als Antriebsfaktor gaben die Klägerinnen derweil nicht nur die geschlechterbezogene Ungleichheit im Betrieb an, sondern auch das Gefühl „als Ausländerinnen in ganz besonderer Weise ausgenutzt“ zu werden. Unabhängig davon befand auch das Arbeitsgericht Frankfurt die Entlohnung nach Lohngruppe II für unzulässig: Die Richter folgten der Argumentation der Klageseite und verurteilten den Arbeitgeber auf Grundlage einer Arbeitsplatzbegehung zur sofortigen Umgruppierung.

Die Firma Roth ging allerdings in Berufung. Daraufhin forderte das Landesarbeitsgericht Frankfurt ein Sachverständigengutachten ein, über dessen Verfasser die beiden Streitparteien über zwei Jahre lang keine Einigung erzielen konnten. Als ein Wuppertaler Arbeitsmediziner schließlich ein Gutachten erstellt hatte, gestaltete sich dieses kaum im Sinne der Arbeitnehmerinnen. Im Ergebnis wies das Landesarbeitsgericht die Klage auf Basis des Gutachtens Anfang 1983 zurück und übertrug der Klageseite die Verfahrenskosten.[10] Eine Revision wurde zwar zugelassen, von den IG-Metall-Rechtssekretären aber als aussichtslos eingeschätzt, weshalb sie auf die Berufung verzichteten.

 

… und Gewinnen – Der Fall Kromberg & Schubert Kabelwerke KG, Witten

Etwa zur gleichen Zeit, seit Herbst 1979, führten zwei Griechinnen (später ergänzt durch zwei deutsche Kolleginnen) einen Rechtsstreit gegen ihren Arbeitgeber „Kromberg & Schubert Kabelwerke KG“ („Kroschu“).[11] Auch diese Firma produzierte für die Automobilindustrie. Die betroffenen Arbeiterinnen waren im Wittener Werk an Fließbändern eingesetzt, an denen sie einbaufertige Kabelbäume für Personenwagen herstellten. Diese Kabelbäume waren etwa fünf Meter lang und durchschnittlich 4,6 kg schwer. Nach Ansicht der Betriebsleitung übten die Arbeiterinnen dennoch eine Tätigkeit mit „nur geringen körperlichen Belastungen“ aus und wurden dementsprechend nach Lohngruppe II entlohnt. Diese Eingruppierung wollte neben den Betroffenen vor allem der Betriebsrat nicht akzeptieren, sodass er fortan den Einstufungen in Lohngruppe II die notwendige Zustimmung verweigerte. Als die Firma, vertreten durch Anwälte des Arbeitgeberverbandes Wuppertal, daraufhin vor dem Arbeitsgericht Bochum den Ersatz der Zustimmung beantragte, warfen diese dem Betriebsrat vor, „ohne nähere Begründung und mit pauschalen Behauptungen“ eine Umgruppierung zu fordern und zweifelten zudem an, dass sich die Arbeiterinnen selbst überhaupt „unrichtig eingruppiert“ fühlten. Ferner machten sie darauf aufmerksam, dass eine Umstufung der fraglichen Arbeiterinnen 90 weitere Umgruppierungen von an denselben Fließbändern tätigen Kolleginnen zur Folge hätte. Was aus Sicht der Geschäftsleitung unzumutbar schien, verdeutlicht jedoch auf der Gegenseite den Kern des Protests vor Gericht: Hier ging es nicht um individuellen Rechtsstreit, sondern um politisch konnotierten Widerstand gegen strukturelle Ungerechtigkeiten.

Unterstützt wurden die Arbeiterinnen und der Betriebsrat auch in diesem Fall durch den Rechtsbeistand der IG Metall. Der zuständige Rechtssekretär argumentierte, dass das Gewicht der Kabelbäume stetig zunehme, die Beschäftigten acht Stunden im Stehen arbeiteten und dass obendrein die Bandgeschwindigkeit auf ein Leistungsniveau von 125 % eingestellt sei, weshalb die körperlichen Belastungen keineswegs der Lohngruppe II entsprächen. Das Gericht rief die Parteien daraufhin auf, einen Sachverständigen vorzuschlagen. Sie einigten sich Anfang 1980 auf jenen Wuppertaler Arbeitsmediziner, der später auch im Fall Roth das Gutachten verfasste. Dieser kam im Rahmen seiner Untersuchungen auch hier zu dem Schluss, dass es sich in der Tat um Tätigkeiten mit „nur geringen körperlichen Belastungen“ handele.

Gegen dieses Urteil protestierten die Arbeitnehmerinnen-Vertreter vehement. Es liege eine „gravierende Fehleinschätzung des Gutachters“ vor. Den Arbeiterinnen die Lohngruppe III zu versagen, bedeute „an ihnen eine ungerechte, inhumane Handlung zu begehen“. Daran anknüpfend ordnete die Vorsitzende Richterin eine gemeinsame Arbeitsplatzbegehung an. In der anschließenden Verhandlung räumte der Arbeitsmediziner selbst ein, dass Untersuchungen zur „Kategorisierung der Arbeitsbelastung nach Energieumsatz“ bei Frauen bisher gar „nicht durchgeführt“ worden seien. Daher fungiere „die Regel 2/3 als Daumenregel“ für die Beurteilung. Dem Arbeitsgericht Bochum ging es allerdings noch grundsätzlicher um die Frage, durch welche Parameter die Belastung überhaupt zu messen sei. In seinem Urteil kam es im September 1980 zu dem Schluss, dass die Schwere der Arbeit „nicht allein auf die Muskelbeanspruchung abgestellt“ werden könne. Vielmehr seien auch die Umgebungseinflüsse, die Monotonie, die Nervenbelastung sowie die Auswirkungen der Arbeit auf das Herz- und Kreislaufsystem zu berücksichtigen. Zudem verbiete sich eine „generelle Schlechterstellung wegen des Geschlechts“. Folglich wurde der Antrag der „Kroschu“ zurückgewiesen und eine Umgruppierung in Lohngruppe III angeordnet.

Der Rechtsstreit ging jedoch weiter, indem die Anwälte des Arbeitgeberverbandes Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Hamm einlegten. Sie monierten, dass der „Sachverständige […] vom Gericht, dass ihn ja schließlich bestellt hat, abqualifiziert und in der Presse von der Gegenseite als ‚ziemlich weltfremd‘ und ‚wenig objektiv‘ unter anderem angegriffen“ worden sei. Ihres Erachtens sei das Gutachten einwandfrei und der Sachverständige erneut zu vernehmen. Im Gegensatz dazu verteidigte die Gegenseite, nunmehr vertreten durch Rechtssekretäre des DGB, die Entscheidung der ersten Instanz. Die beiden Griechinnen wurden in der Gewerkschaftspresse unterdessen als „Vorreiterinnen für rund 100 Kolleginnen, die unter annähernd gleichen Bedingungen arbeiten“[12], gefeiert. Nicht bei allen der über zwei Jahre stattfindenden Verhandlungen waren die Arbeitsmigrantinnen jedoch selbst anwesend.

Am Ende entschied das Landesarbeitsgericht zugunsten der Arbeiterinnen. Es sah im Urteil des Arbeitsmediziners eine „nicht begründete Wertung“ und erklärte, dass „[d]ie gesamten Umstände (Lärm, Arme heben, Pulsmessung etc.), unter denen die Arbeit verrichtet werden muss, in ihrer Gesamtheit eine solche Belastung [ergeben], dass nicht mehr von leichter körperlicher Arbeit gesprochen werden kann“. Dieser erste Prozess bei „Kroschu“ evozierte zwischen 1983 und 1993 dann weitere Eingruppierungsklagen, an denen erneut mehrere Arbeitsmigrantinnen beteiligt waren.

 

Vom Gewinnen und Scheitern – Der Fall Triumph-Adler AG, Frankfurt

Auch die ‚Gastarbeiterinnen‘ der Triumph-Adler AG in Frankfurt artikulierten ihre Unzufriedenheit vor bundesdeutschen Arbeitsgerichten. In diesem Fall ging es, wie bei den „Heinze-Frauen“, explizit um „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“. Seinen Anfang nahm der Konflikt, als 32 Arbeiterinnen unterschiedlicher Nationalität im Frühjahr 1980 zwei Briefe an die Betriebsleitung richteten, in denen sie die Ungleichbehandlung bei den Löhnen kritisierten. Seitens der Firmenvertreter erfolgte darauf keine Reaktion. Aus diesem Grund thematisierten die Frauen das Problem in einer Betriebsversammlung. Sie konstatierten: „Die Frau hat einen Anteil an der Produktion wie der Mann. Es ist nicht wahr, dass es für Frauen leichtere Arbeiten gibt und sie darum weniger verdienen. Die männlichen und weiblichen Kollegen stehen am gleichen Arbeitsplatz und haben den gleichen Akkord.“[13]

Ein halbes Jahr später beschlossen sieben nicht-organisierte Arbeitsmigrantinnen auf Rat des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit der Evangelischen Kirche Klage einzureichen. Anders als in den oben geschilderten Fällen, wurden die ‚Gastarbeiterinnen‘ bei Triumph-Adler dabei nicht vom Betriebsrat unterstützt. Vielmehr versuchte das Gremium, die Kolleginnen vom Prozess abzuhalten, „weil dadurch das gesamte Lohngefüge des Betriebes ins Wanken gerät und dann bei den Männern Abgruppierungen erfolgen würden“[14], obwohl dies in anderen Fällen noch nie vorgekommen war. Außerdem wurden die Arbeiterinnen vor den Kosten eines solchen Verfahrens ‚gewarnt‘, was letztlich dazu führte, dass die Frauen ihre Klage tatsächlich zurückzogen.

Während diese migrantischen Pionierinnen bei Triumph-Adler folglich in die (mediale) Bedeutungslosigkeit gerieten, strengten nur einen Monat später 13 gewerkschaftlich organisierte Arbeitsmigrantinnen ein eigenes Verfahren mit demselben Inhalt an. Dieses Mal unterstützt von der IG-Metall-Rechtsabteilung, waren diese Klägerinnen vor Gericht erfolgreich: Das Unternehmen wurde verurteilt, die Arbeiterinnen rückwirkend nach Lohngruppe V zu entlohnen, in der auch die Männer der Abteilung eingruppiert waren.[15] Eine zunächst in Anspruch genommene Berufung durch die Firma wurde nach einem Vorstandswechsel wieder verworfen.

Allerdings hatte man betriebsintern bereits eine andere Lösung gefunden, um die Mitarbeiterinnen trotz des Urteils nicht nach Lohngruppe V entlohnen zu müssen. So wurden die Klägerinnen kurzerhand auf Arbeitsplätze, die der Lohngruppe II entsprachen, versetzt und dadurch zusätzlich am Austausch untereinander gehindert. Fünf der Frauen wurden gar mittels Abfindung angeregt, den Betrieb zu verlassen. Aufgrund dieser und weiterer Sanktionierungen durch die Betriebsleitung stellten schließlich fast alle der anfangs 32 ‚Vorkämpferinnen‘ ihr Engagement ein. In der Presse wurde derweil die Herkunft der Klägerinnen zur Ursache dieses schlussendlich doch ‚negativen‘ Ausgangs erklärt. Die „Frankfurter Rundschau“ schlussfolgerte etwa, dass „das größte Hindernis bei den Auseinandersetzungen die Tatsache gewesen sein [dürfte], dass die Frauen […] Ausländerinnen“[16] waren.

Nicht immer reagierten die Betriebe jedoch so widerstrebend auf verlorene Klageverfahren wie bei Triumph-Adler. Die „Vereinigte Papierwerke KG“ in Neuss etablierte etwa nach einem Lohn-Prozess gegen 52 teils migrantische Arbeitnehmerinnen im Jahr 1982 sogar ein neues Qualifizierungsprogramm, von dem auch ‚Gastarbeiterinnen‘ profitierten, wie zumindest die „Informationen für die Frau“ des „Deutschen Frauenrats“ berichtete.[17]

 

Fazit

Die von ‚Gastarbeiterinnen‘ angestrengten juristischen Prozesse bilden insgesamt einen erkenntnisreichen Untersuchungsgegenstand. Sie veranschaulichen exemplarisch, dass die Arbeitsmigrantinnen keineswegs nur „fingerfertig, fleißig, folgsam“ waren, sondern dass sie soziale Ungleichheiten reflektierten und sich auch aktiv dagegen zur Wehr setzten. Gleichwohl – oder gerade weil – ihre Handlungsoptionen durch soziale Machthierarchien allgemein beschränkt waren, stellten gerichtliche Verfahren ein ihnen zugängliches und relativ erfolgversprechendes Instrumentarium des (impliziten) politischen Protests dar. Dabei mussten sich die ‚ausländischen‘ Industriearbeiterinnen teilweise über mehrere Jahre hinweg gegen die Kritik ihrer Ehemänner, gegen antagonistische Betriebsräte und vor allem gegen den Druck der Arbeitgeberseite behaupten. Wie die Prozesse jeweils ausgingen, hing entscheidend von diesen Faktoren, aber auch von weiteren betriebs- und verfahrensspezifischen Umständen ab. Jeder Prozess steht daher für sich. In der Gesamtheit deuten die Verfahren jedoch an, dass die vermeintlich passiven und unpolitischen ‚Gastarbeiterinnen‘ der ‚ersten Generation‘ durchaus aktive und politisch denkende Akteurinnen innerhalb der bundesdeutschen Demokratie waren. Die Öffentlichkeit, aber auch die zeithistorische Forschung hat sie als solche, wie auch generell, lange unterschätzt.

 


[1] Vgl. Monika Mattes: „Gastarbeiterinnen" in der Bundesrepublik. Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den 50er bis 70er Jahren. Frankfurt am Main 2005.
[2] Vgl. Die Gastarbeiterinnen, Voice Versa Podcast Folgen 11-13, in: Deutschlandfunk Kultur, 2023; Mut und Glaube – „Gastarbeiterinnen“ in Deutschland, in: SWR2 Glauben, 15.02.2024; In Deutschland war es kalt, aber sie war frei, in: Die Zeit Online, 08.03.2024.
[3] Kirsten Heinsohn: Gruppenbild ohne Dame. Demokratie in der frühen Bundesrepublik, in: VfZ 69 (2021) H.4, S. 679-687, hier S. 685.
[4] Barbara Holland-Cunz: Demokratiekritik: Zu Staatsbilder, Politikbegriffen und Demokratieformen, in: Ruth Becker/Beate Kortendiek (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. 3. Aufl., Wiesbaden 2010, S. 538-546, hier S. 542.
[5] Vgl. Marianne Kaiser (Hrsg.): Wir wollen gleiche Löhne! Dokumentation zum Kampf der 29 „Heinze“-Frauen. Hamburg 1980.
[6] Vgl. ebd.
[7] Auf Namensnennungen von sämtlichen Beteiligten wird aus datenschutzrechtlichen Gründen verzichtet.
[8] Vgl. Archiv der sozialen Demokratie (AdsD), 5/IGMZ210599: Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach, Geschäfts-Nr. 1 Ca 251/75, 16.12.1976.
[9] Die Skizzierung dieses Verfahrens beruht auf den Akten des IG-Metall-Bestands „5/IGMZ“ im AdsD.
[10] Vgl. Nicht mehr Lohn für Frauen. Karosserie-Firma siegte in Berufung gegen Arbeiterinnen, in: Frankfurter Rundschau, 22.01.1983.
[11] Die Skizzierung dieses Verfahrens beruht auf den Akten des Bestands „Q 810 Arbeitsgerichte“ im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen.
[12] Klagen wagen, in: Metall 4 (1981).
[13] AdsD, 5/IGMZ620186: Betriebsversammlung der Triumphwerke in Frankfurt am 8. Mai 1980, o.D.
[14] Prozeß gewonnen, doch von Gleichheit keine Spur. Arbeitnehmerinnen wurden auf mindere Arbeitsplätze versetzt, in: Frankfurter Rundschau, 08.12.1982.
[15] Vgl. Lohngleichheit endlich durchgesetzt. Sieg der Adler-Frauen, in: Metall 23 (1982).
[16] Prozeß gewonnen, doch von Gleichheit keine Spur. Arbeitnehmerinnen wurden auf mindere Arbeitsplätze versetzt, in: Frankfurter Rundschau, 08.12.1982.
[17] Vgl. Arbeitsplätze der „Schickedanz“-Frauen in Gefahr, in: Informationen für die Frau 2 (1986).