von Juliane Röleke

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1. April 2021

Mehrere Männer und Jungen werden an einem Militärcheckpoint kontrolliert, ließe sich auf den ersten Blick über obiges Foto festhalten. Im Zentrum des Bildes steht ein Mann in Lederjacke, zerissenem Netzhemd über der nackten Brust, enger Hose und Springerstiefeln, der die Kontrolle bereits durchlaufen hat und einen bewaffneten Soldaten passiert, der wiederum auf sein Gewehr gestützt am linken Bildrand zu sehen ist. Ein weiterer Mann in ähnlichem Outfit wird noch abgetastet, während ein dritter in Anzug und Mantel den Checkpoint bereits verlässt. Zwei Jungen in der Warteschlange schauen als einzige direkt in die Kamera, einer von ihnen lehnt fast gelangweilt auf der Absperrung. Sie kennen, im Gegensatz zu den vor ihnen Kontrollierten, das Prozedere vermutlich: Während des Nordirlandkonflikts (1969 – 1998), aus dem das Foto stammt, stellten Checkpoints der britischen Armee für die Einwohner*innen der Hauptstadt Belfast eine umstrittene Alltäglichkeit auf dem Weg in die vollkommen abgeriegelte Innenstadt dar. Dass es sich bei zwei der Personen auf dem Foto jedoch um Mitglieder der britischen Punkband The Clash und damit international gefeierte Stars der Musikszene jener Jahre handelte, verändert die Wahrnehmung des Bildes grundlegend: Es ist ein Beispiel für den auswärtigen Blick auf eine von Gewalt geprägte Gesellschaft und die visuelle Konstruktion verschiedener Männlichkeiten darin.

 

Der Nordirlandkonflikt als Fotokulisse

Nur wenige Tage nach der Entstehung des Bildes druckte die britische Musikzeitschrift Melody Maker das Foto auf dem Cover ihrer Ausgabe vom 29. Oktober 1977. Es ist unterhalb eines Fotos des rauchenden David Bowie platziert, der im Gegensatz zu The Clash mit einem kariertem Hemd und Jeans auf einem Sessel lehnend schon fast bürgerlich erscheint. Eingebettet wird die Aufnahme von den Worten: „Rock'n'roll 1977-style – from Berlin to Belfast. While DAVID BOWIE relaxes in London to talk about his life and times, [...], the CLASH were out on the streets of Belfast with their backs against a wall being frisked at an Army checkpoint.“[1] Durch den Zuschnitt des Bildes sind der Mann im Anzug sowie die Jungen und damit diejenigen Personen, die die Belfaster Alltäglichkeit ausdrücken, verschwunden: Das Bild vermittelt nun den Eindruck, die Kontrolle habe explizit mit dem Auftreten von The Clash zu tun, und bedient das für den Punk zentrale Motiv der Rebellion und Auflehnung gegen staatliche Autorität.

Gleichzeitig erscheint die Stadt Belfast in Text- und Bildanordnung des Covers als ein Symbol für die Brutalität des Lebens, der Band-Besuch wird als authentische Erfahrung in Kontrast gesetzt zum sicheren und gemütlichen London. Derlei Inszenierungen schließen an eine Erzählung über den Punk in Nordirland an, die sich im vielzitierten Satz „New York has the haircuts, London has the trousers, but Belfast has the reason“[2] ausdrückt. Tatsächlich war Nordirland seit 1969 geprägt von gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen irisch-republikanischen und loyalistischen Paramilitärs sowie der nordirischen Polizei und der britischen Armee. In einem Interview hebt Paul Burgess, der selbst als Jugendlicher und Mitglied der bekannten Belfaster Band Ruefrex auf das The Clash-Konzert hinfieberte, die Bedeutung des Punk für seine Jugend hervor: „It was a pretty tough time back then in Belfast with a lot of sectarian murder and random bombings, and there was kind of strenghth in the collective of being in a close-knit group. And it also meant that being in such a group of like-minded people, you could avoid the interest of paramilitaries who were looking to recruit young guys in that age.“[3] Von dieser Lebensrealität waren Superstars wie The Clash im Jahr 1977 weit entfernt – dennoch rekurrieren die Fotos der Band in Belfast in fast schon ikonographischer Weise auf eben diese. Belfast und der Nordirlandkonflikt stellten gleichermaßen eine Projektionsfläche und spektakuläre Fotokulisse dar.

 

Streetphotography und die Vermarktung von Punk

The Clash waren zum Zeitpunkt ihres Besuchs bereits international erfolgreiche Musiker, die im Habitus des Punk vermarktet wurden. Ihr Konzert war für den 20. Oktober 1977 als Auftakt für die „Get Out Of Control“-Tournee geplant und hätte einen der ersten Gigs einer bekannten britischen Punk- oder New Wave-Band in Nordirland dargestellt. Als der Auftritt kurzfristig aus Versicherungsgründen abgesagt wurde, entstand ein Zeitfenster und es fehlten Bilder, die schließlich der vom Plattenlabel CBS beauftragte Musikfotograf Adrian Boot mit der Band an verschiedenen Orten der Stadt aufnahm. Begleitet wurden er und die Musiker vom Fahrer eines Minibusses und der Aktivistin, Fotografin und späteren Band-Managerin Caroline Coon, die auf folgendem Foto zu sehen ist. 

The Clash und Caroline Coon während der Fotosession im Westen Belfasts, Oktober 1977, Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Fotografen Adrian Boot.

Der aufwändige Produktionsprozess dieser Bilder wird gerade in den weniger bekannten und nicht-gestellten Aufnahmen Boots offensichtlich: Sie zeugen von Begegnungen mit Menschen auf der Straße, vom Suchen nach der geeigneten Pose und einer latenten Unsicherheit der beteiligten Bandmitglieder, die in Kontrast zum entschlossenen Gestus der verbreiteteren Bilder steht. Die explosive Atmosphäre der Stadt fing Caroline Coon ein, die in einem ausführlichen Bericht für die britische Musikzeitschrift Sounds schreibt: „Army trucks roll by, soldiers run and crouch with their rifles loaded. Your palms begin sweating. There's no dynamite hidden in your handbag. But suspicion and fear prevail. On what side are the people next to you? Do you look Catholic or Protestant? And anyway, extremists on either side are frequently apologising for killing the wrong person. Danger stranger? You'd better believe it.“[4] Coon gehört zu den wenigen Frauen, die sehr früh in der männlich dominierten Punkszene Einfluss besaßen. Auf den Bildern wirkt sie angespannt, anders als die Bandmitglieder stand sie nicht bewusst im Fokus der Kamera von Adrian Boot und hatte so möglicherweise mehr Gelegenheit, die Gesamtsituation der Fotosessions zu erfassen. Sie trägt ebenfalls eine Kamera, auch von ihr existieren zahlreiche Aufnahmen von The Clash und anderen Musiker*innen. Den Artikel in der Sounds zieren jedoch die Bilder von Adrian Boot. Dessen Beschreibung der Fahrt durch Belfast wirkt fast wie ein Abenteuer, in dem er sich gleichermaßen mit den Rollen des Marketingbeaufragten und Kriegsfotografen beschäftigt gibt: „We wandered around, climbed back into the car, found another warzone location, and another and then returned to the Europa our scalps intact. [...] CBS were thrilled, they even forgave me for putting one of their top acts at risk.“[5] Auf vielen Fotografien, die Boot anfertigte, sind Joe Strummer, Mick Jones, Paul Simonon und Nicky „Topper“ Headon dementsprechend vor Armeefahrzeugen, Stacheldraht, Sicherungsanlagen und neben britischen Soldaten zu sehen. Insgesamt lassen sie sich der Streetphotography zuordnen, die den Eindruck von authentischen Begegnungen und zufälligen Blickwinkeln vermitteln will. Boots The Clash-Fotografien stehen in der Tradition einer Ästhetik, die im Sinne des No Future urbane Hoffnungslosigkeit darstellt und typisch ist für den Punk jener Jahre. Hinzu komme aber, so der in Belfast aufgewachsene Soziologe Colin Coulter, ein weiterer Punkt: „There is an irony there, that is, that punk only had the force it had in Belfast because of the Troubles.“[6] Die Faszination für den nordirischen Punk sei unmittelbar mit dem Konflikt verbunden, umso mehr, als dass mit dem Aufkommen von The Clash eine politisch bewusste Ausrichtung der Bewegung prägend geworden sei. Noch im Jahr 2002 blickte Joe Strummer auf seinen Aufenthalt in Belfast zurück mit den Worten: "If Punk was chaos, Ulster was ‘war zone’. Punk was the perfect soundtrack to the ravaged cities.“[7] Fotos auf den Straßen Belfasts, so eine mögliche Deutung, zeugten von einer ersehnten Authentizität des dortigen Punk, die es im englischsprachigen Raum Europas kaum in vergleichbarem Ausmaß gab.

 

Authentizität, Rebellion und Bilder von Männlichkeit

Wie viele weitere Aufnahmen zeigt das folgende Foto entschlossene Gesichter, junge Männer in Stiefeln, Röhrenjeans und Lederjacken, die Hände lässig verschränkt oder in den Hosentaschen, gerade in die Kamera schauend, Raum einnehmend durch breitbeiniges Stehen oder entschiedenes Laufen. Es ist auf der Crumlin Road im Westen Belfasts aufgenommen, nur wenige Meter entfernt vom Crumlin Road Jail, in dem während des Nordirlandkonflikts zahlreiche seiner Gefangenen inhaftiert waren und das 1991 Ziel eines Bombenanschlags wurde.

Paul Simonon (vorne), Nicky „Topper“ Headon und Joe Strummer (hinten) mit zwei britischen Soldaten auf der Crumlin Road, Belfast, Oktober 1977, Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Fotografen Adrian Boot.

Die Inszenierung der jungen Männer, in einer wahlweise zerstörten oder hoch militarisierten Stadtlandschaft, fügt sich in den männlich konnotierten Gestus der Rebellion und Grenzüberschreitung ein, sich abseits des Belfaster Innenstadtkerns zu bewegen, mitten in einem „echtem Kriegsgebiet“. Für die Konstruktion von Identitäten in der Musik spielen solch performative Inszenierungen und Expressivität als Formen der Selbstdarstellung gemeinsam mit Kleidung, der Musik selbst sowie den Songtexten eine grundlegende Rolle. Rebellion gilt, besonders im Punk, dabei als ein zumeist jungen Männern zugeschriebene Verhaltensweise und steht „als identitätsstiftendes Konzept trotz der implizierten Abgrenzung von 'männlichen' Pflichten in der Tradition 'männlicher' Sinn- und Identititässuche, deren zentrales Element schon immer die Erörterung des Verhältnisses von Individuum und sozialer Struktur war.“[8] Die Soldaten auf den Fotos können so als Versinnbildlichung einer traditionellen männlichen Pflichterfüllung betrachtet werden, von denen die Musiker sich durch Kleidung und Habitus bewusst abgrenzen. Gerade im Kontrast zu den uniformierten und bewaffneten Soldaten der britischen Armee performen die Bandmitglieder von The Clash jedoch eine eigene Form von Männlichkeit. Sie verwendet gleichzeitig Anleihen aus der militärischen Ästhetik „klassischer Männlichkeit“, wie die Springerstiefel, die die Soldaten ebenfalls tragen, bricht diese aber durch die Kombination mit anderen Kleidungsstücken wie offenen Lederjacken oder Netzhemden über der nackten Brust. Auch die Frisuren einiger Bandmitglieder spielen und brechen mit klassischen Männlichkeitskonzeptionen. Ganz im Widerspruch zur Bildsprache der souveränen Punks jedoch steht wiederum ein Foto, das nur wenige Minuten vor oder nach dem zuvor beschriebenen Bild aufgenommen worden sein muss.

Joe Strummer im Gespräch mit einem britischen Soldaten auf der Crumlin Road, Belfast, Oktober 1977, Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Fotografen Adrian Boot.

Es zeigt die Band ebenfalls auf der Crumlin Road, nur aus einer anderen Blickrichtung: Während die drei übrigen Bandmitglieder eher unentschlossen herumstehen, zum Teil einem bewaffneten Soldaten zugewandt, unterhält sich Joe Strummer offensichtlich mit eben diesem. Es entsteht ein konträrer Eindruck zu den übrigen Fotos, in denen die Bandmitglieder meist ohne Augenkontakt durch die Sicherheitskontrollen laufen oder britische Soldaten auf der Straße passieren. Und auch in Coons Artikel für die Sounds findet diese Ambivalenz der Bandmitglieder im Verhältnis zu den Soldaten einen Ausdruck: „At first The Clash were reluctant to have their picture taken anywhere near the soldiers. 'They'll think we're here to entertain the troops,' said Strummer. They all felt they didn't know enough about the political situation. They learned fast. Belfast is one nervously obsessive security check.“[9] Generell ist die Interaktion der Fotografierten mit ihrer Umwelt in vielen Fotos unübersehbar, in den Veröffentlichungen jedoch finden sich davon kaum Spuren. Mehrere Fotos zeigen so Kinder und Jugendliche, die vermutlich auf das Fotoshooting aufmerksam geworden waren und mit den Bandmitgliedern ins Gespräch kamen. Dieser Kontrast zwischen der Kontaktfreudigkeit der Lokalbevölkerung und dem gewollten Eindruck von einsamen Männern im Bürgerkriegsgebiet andererseits lässt sich auch in der Erinnerung des Fotografen Adrian Boot ablesen: „Anyway, the photo-session proceeded without any hint of trouble, no bad vibes, nothing.The locals we met we're friendly, even the British Army lads on duty at every street corner were friendly.“[10]

Mick Jones, Joe Strummer, Paul Simonon und Nicky „Topper“ Headon vor einer sogenannten Peace Line in Belfast, Oktober 1977, Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Fotografen Adrian Boot.

 

Verunsichernde Wirklichkeit

Die Fotos von The Clash in Belfast sind bis heute so berühmt wie umstritten. Zweifelsfrei rekurrieren sie auf visuelle Momente von Rebellion und Authentizität, klassisch männlich konnotierten Motiven des Punk. Gleichzeitig sind sie Ausdruck einer international erfolgreichen Band, die sich zwischen Vermarktung und politischer Haltung in einem sie durchaus überfordernden Konfliktgebiet wiederfand. Auch Colin Coulter sieht die Fotos ambivalent und versteht sie in erster Linie als Kunstwerke: „Everything which is said critically about the photographs is true – but it misses the point. The point is: They were a rockband. They were cultural producers, they were performers, they were artists, this was not meant to be reality. Even if it was packaged as such.“[11] Fotos hin oder her, nur wenige Wochen nach dem ausgefallenen Konzert reisten The Clash erneut in die nordirische Hauptstadt. Im Private World Zine wurde der Auftritt am 17. Dezember 1977, trotz Kritik an der Fotosession, wertgeschätzt: „This was more important than any gig played in Belfast. The last time The Clash attempted to play they were thwarted by authority and were attacked by the cops. The group suffered from the trip because of those Army photos. They said they'd be back, I didn't believe them, but they kept their word.“ Und mit Blick auf die Autogrammstunde am nächsten Morgen bleibt auch in diesem Bericht letztlich der Eindruck einer in erster Linie verunsicherten Band angesichts der Realität in Nordirland: „They didn't say much of interest. They were probably afraid to say anything in case they said it to the wrong person. Even I feel that way sometimes and I fucking live here.“[12]


 

[1] Melody Maker, 29. Oktober 1977.

[2] Der Satz wird Terri Hooley, dem Gründer des nordirischen Plattenlabels Good Vibrations, zugesprochen.

[3] Interview der Autorin mit Paul Burgess am 2. November 2020.

[4] Sounds, 27. Oktober 1977, S.27.

[5] Schilderungen zum Fotoshooting in Belfast durch Adrian Boot auf seiner Homepage.

[6] Interview der Autorin mit Colin Coulter am 22. Januar 2021.

[7] Sean O’Neill, It Makes You Want To Spit!, Belfast 2003.

[8] Grundlegend für Männlichkeitskonzepte im Punk und Rap: Stephanie Grimm, Die Repräsentation von Männlickeit im Punk und Rap. Tübingen 1998.

[9] Sounds, 29. Oktober 1977, S.27.

[10] Schilderungen zum Fotoshooting in Belfast durch Adrian Boot auf seiner Homepage.

[11] Interview der Autorin mit Colin Coulter am 22. Januar 2021.

[12] Private World Fanzine, December 1977. Für zahlreiche Hinweise und die Veröffentlichung von Fanzines sei Sean O'Neill von SpitRecords gedankt.