ZOL: Die Gerda Henkel Stiftung stand in ihrer 43-jährigen Geschichte immer unter der kuratorischen Leitung eines weiblichen Familienmitgliedes der Henkel-Dynastie: Lisa Maskell (1976 bis 1998); ihrer Tochter Anette Petersen-Brandhorst (1998 bis 1999) und schließlich der Enkelin Julia Schulz-Dornburg (1998 bis heute). Gegründet wurde die Stiftung 1976 von Lisa Maskell (geborene Elisabeth Henkel) zum Gedenken an ihre Mutter Gerda Henkel. Wie kennzeichnet diese, für den Wissenschaftsbetrieb äußerst seltene, weibliche Traditionslinie den Führungsstil der Stiftung und ihre Grundsätze?
Wüstemann: Nicht nur in der Wissenschaft, auch im Stiftungswesen sind Frauen an der Spitze in der Minderzahl. Der Anteil von Frauen, die alleine eine Stiftung errichtet haben, lag 2017 bei 23 Prozent. Doppelt so viele Stiftungsgründungen gingen dagegen auf Stifter zurück. In den 1970er Jahren, als Frau Maskell die Gerda Henkel Stiftung ins Leben rief, lag der Anteil männlicher Gründungen sogar bei knapp 56 Prozent. Zwar sind Frauen heute an der Hälfte der Stiftungsgründungen beteiligt, doch liegt dies auch an der Zahl gemeinsam stiftender Paare. Der Anteil allein tätiger Stifterinnen hat sich hingegen nicht verändert. Frau Maskell wäre auch heute noch eine Ausnahmeerscheinung.
Um die Frage zu beantworten, ob dieses Vermächtnis einen spezifischen Führungsstil bewirkt hat, müsste man sich zunächst darüber verständigen, was ein weiblicher oder männlicher Führungsstil ist. Aber es stimmt schon: Frauen sind auch gegenwärtig in der Gerda Henkel Stiftung präsent. Der Wissenschaftliche Beirat der Stiftung, der Vorschläge für die Gewährung von Stiftungsleistungen unterbreitet und die Stiftung bei der fachlichen Kontrolle der geförderten Vorhaben unterstützt, setzt sich je zur Hälfte aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen. Ebenso besteht der Vorstand aus einem Mann und einer Frau. Von meinen Kolleg*innen in der Geschäftsstelle ist der überwiegende Teil weiblich.
ZOL: Seit ihrem Bestehen hat die Stiftung mehr als 1300 Doktorand*innen mit Stipendien gefördert. Wie groß ist der Anteil der Frauen unter den geförderten Stipendiat*innen und wie sieht gegenwärtig der Anteil der Frauen an den vergebenen Stipendien aus?
Wüstemann: Die Promotionsstipendiatinnen und -stipendiaten liegen bei uns mit einer Quote von 50 : 50 gleich auf. Dieser Wert ist sehr konstant. Er gilt sowohl im Gesamtrückblick auf die letzten Jahrzehnte als auch, wenn man nur die Bewilligungen der Jahre 2012 bis 2018 betrachtet.
ZOL: Der Wunsch der Gründungsstifterin Lisa Maskell war es, vor allem den Nachwuchs zu fördern. Nun ist es jedoch so, dass viele Akademikerinnen höhere Karrierestufen ab der Promotion nicht erreichen bzw. gar nicht erst anstreben. Was tut die Gerda Henkel Stiftung dafür, dass auch Frauen die Hürden, die strukturelle Ungleichheiten hervorbringen, überwinden können?
Wüstemann: Ein flexibles Förderinstrument sind die Forschungsstipendien. Sie können von promovierten oder habilitierten Wissenschaftler*innen beantragt werden. Ein weiteres wichtiges Element sind Angebote, die eine Ausrichtung auf beides, Wissenschaft und Familie, erleichtern. Solche Maßnahmen stehen beiden Geschlechtern offen, mögen der Situation von Frauen aber vielleicht besonders entgegenkommen. Wer Kinder hat, kann bis zu deren Vollendung des 18. Lebensjahres einen Familienzuschlag beantragen. Der Satz beginnt bei 400 EUR,- für das erste Kind und steigt mit der Kinderzahl. Ebenso ist es möglich, Stipendien während einer Elternzeit zu unterbrechen.
ZOL: Welche Gleichstellungsmaßnahmen gibt es innerhalb der Stiftung? Gibt es Regeln im Sinne der Chancengleichheit, die bei der Vergabe von Stipendien eingehalten werden müssen?
Wüstemann: Nehmen wir noch einmal das Beispiel der Doktorandenförderung, so zählt für uns allein das Alter zum Zeitpunkt des Hochschulabschlusses, nicht das Alter, in dem das Promotionsstipendium beantragt wird. Das trägt der Situation von Wissenschaftler*innen Rechnung, die nach dem Studium eine längere Erziehungs- oder Pflegezeit eingelegt haben. Und auch beim Alter zum Zeitpunkt des Hochschulabschlusses werden zweiter Bildungsweg, Kindererziehung und andere besondere Lebensumstände angerechnet.
Die Stiftungsgremien sehen sich das Geschlechterverhältnis bei den Antragsteller*innen übrigens immer wieder sehr genau an. Sie diskutieren mit dem Vorstand über geeignete Maßnahmen, mit denen sich Unterschiede angleichen lassen. Dies gilt jedoch nicht nur für das Geschlechterverhältnis, sondern auch für Benachteiligungen, die sich etwa aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Sozialisationen oder Hochschullandschaften ergeben können.
ZOL: Wie war das bei Ihnen im Verlauf Ihres persönlichen Karriereweges? Haben Sie Hilfestellungen bekommen? Hatten Sie männliche oder weibliche Vorbilder und/oder Mentor*innen?
Wüstemann: Vorbilder gab es in allen Phasen und bei beiden Geschlechtern. Und während der Promotionsphase hat mich die Studienstiftung des deutschen Volkes unterstützt.
Ich selbst war formal nie Mentee. Doch habe ich im vergangenen Jahr als Mentorin an einem Programm zur Berufsorientierung und Persönlichkeitsentwicklung speziell für Studentinnen und Doktorandinnen teilgenommen. Ziel war es, Nachwuchswissenschaftlerinnen einen Einblick in außeruniversitäre Arbeitsfelder zu geben.
ZOL: Sind Sie im Verlauf Ihrer Berufsbiographie an die sogenannte „Gläserne Decke“ gestoßen?
Wüstemann: Nein.
Das Interview mit Sybille Wüstemann wurde schriftlich von Rebecca Wegmann geführt.