Am 18. März 1967 strandete der von British Petroleum (BP) gecharterte Öltanker Torrey Canyon auf einem Riff vor der Küste Südenglands. Das auslaufende Öl verursachte die erste große Ölpest und in deren Folge beträchtliche Umweltschäden an den Küsten Englands und Frankreichs. Die Katastrophe traf die britischen Rettungskräfte, damals vor allem die Armee, völlig unvorbereitet. Für solche Fälle gab es kein Reglement, keine Handlungsanweisungen – keine Vorstellungswelt. Schließlich wurden Marineflieger der Royal Navy beauftragt, das Schiff zu bombardieren, um das Öl zu verbrennen; ein Großteil der Bomben verfehlte allerdings ihr Ziel. Knapp 300 Kilometer Küstenregion waren nach dem Tankerunglück und den darauf folgenden Rettungsversuchen verseucht. Der Schaden wuchs nicht zuletzt durch den Einsatz von Napalm und ca. 10.000 Tonnen extrem giftiger Reinigungsmittel. Fünf Jahre nach der Katastrophe vor den Küsten Cornwalls, im Jahr 1972, erschien die vom „Club of Rome“ in Auftrag gegebene Studie The Limits to Growth. Die Untersuchung simulierte erstmals mittels Computermodell die Szenarien künftiger Industrialisierungsprozesse, des Bevölkerungswachstums, des Fortschreitens von Unterernährung und Umweltzerstörung und der Endlichkeit der Rohstoffreserven. In ihren Ergebnissen stellten die Autoren Kernthesen zeitgenössischer Wachstumstheorien in Frage – in erster Linie die Vorstellung von der Unerschöpflichkeit der Ressourcen und einem stetig wachsenden Wohlstand der Weltbevölkerung. Innovatives Moment der Studie war die Einspeisung vorhandener Daten, etwa zur Entwicklung der Weltbevölkerung, der Industrieproduktion oder der Umweltverschmutzung, in ein „World3“ genanntes Computerprogramm zur Simulation künftiger globaler Entwicklungsszenarien. Die Ergebnisse klangen wenig optimistisch. Sollten etwa Konsum und Bevölkerungswachstum auf dem bisherigen Niveau bleiben, würden die globalen Ressourcen in den nächsten hundert Jahren erschöpft sein. Allerdings wurde die Aussagekraft des Modells eingeschränkt: zum einen von den Möglichkeiten der damaligen Computertechnologie und zum anderen von der Qualität der verwendeten Daten, die die globale Situation nur unzureichend widerspiegelten. In den 1970er-Jahren waren die Methoden der Datenerfassung aus heutiger Sicht rudimentär. Für viele Länder existierten keine Erhebungen. Noch heute sind wir weit davon entfernt, all jene Daten zu besitzen, die exakte Prognose-Modelle möglich machen. Die Autor/innen von The Limits to Growth betonten jedoch von Beginn ihrer Arbeit an, dass es sich bei ihren Ergebnissen nicht um detailgenaue Zukunftsprognosen handeln könne, man stelle lediglich Tendenzen fest. Dem für die frühen siebziger Jahre typischen Fortschrittsoptimismus entsprechend galt dieser Prozess des Niedergangs den Autor/innen jedoch als umkehrbar – durch administrative, juristische und technologische Maßnahmen. Computersimulationen und neue Methoden der Kybernetik gaben dem Diskurs über die (Un-)Endlichkeit des Wachstums insgesamt eine größere Reichweite und den westeuropäischen Industriestaaten wichtige Impulse, die zu einer Wende im allgemeinen Umweltbewusstsein und zur Institutionalisierung der Umweltpolitik in einigen Ländern führen sollten. So fand etwa im Erscheinungsjahr von Limits to Growth die erste UN-Umweltkonferenz in Stockholm unter dem Slogan „Only One Earth“ statt. Im Laufe der siebziger Jahre vergrößerte sich nicht nur die Reichweite des Umweltdiskurses, die Umweltproblematik insgesamt wurde zu einem politischen und medialen Leitthema und schließlich zu einer kulturellen Bewegung in den westlichen Industriestaaten. Darunter litt auch das nahezu grenzenlose Vertrauen in den technischen Fortschritt. Technikeuphorie und der Glaube an die rein administrative Lösbarkeit aller Probleme der 1950er und 1960er Jahre veränderten sich nicht zuletzt durch die visuelle Wahrnehmung der Umweltzerstörung durch die Medien.
Die jüngsten Ereignisse im Golf von Mexiko offenbaren, trotz der inzwischen auch von der zeithistorischen Forschung festgestellten Wende des Umweltbewusstseins seit den siebziger Jahren, eine geradezu atemberaubende Kontinuität eines Mythos. Ein Mythos, der die Einführung moderner Technologien und die Vorstellungen vom technologischen Fortschritt seit über hundert Jahren begleitete und schließlich als kommunikatives Element immer noch begleitet. Die Idee allumfassender technischer Machbarkeit von der Frühphase der Industrialisierung bis zur Entwicklung der Informationstechnologien des späten 20. Jahrhunderts hat sich im Handeln, vor allem aber in der Kommunikation der politischen und wirtschaftlichen Eliten in den Industrieländern derart konserviert, dass der erwähnte Bruch hinsichtlich des Umweltbewusstseins und -handelns nicht zuletzt angesichts der Katastrophe nur mehr als oberflächlicher Riss wahrzunehmen ist. Dem Mythos immanent ist die Ausblendung des Normalen, Alltäglichen. Nur das, was herausragt, das Einzigartige taugt zum Mythos. So suggerieren etwa die Konkurrenten des derzeitigen Katastrophenkonzerns BP, dieser sei Risiken eingegangen, die nicht branchenüblich seien. Erwiesenermaßen sind jedoch Bohrungen in so großen Tiefen für jedes Unternehmen in hohem Maße riskant und weder sicherheitstechnisch noch juristisch (im Falle einer Katastrophe) ausreichend eingerahmt. Gleichzeitig ist die Erdölbranche auf Bohrungen in großer Meerestiefe angewiesen. Die Reserven in der Tiefsee gelten fast allen Erdöl fördernden Unternehmen, Politikern und Verbrauchern – vor allem in den USA – als unverzichtbar. Abgesehen jedoch von der vor laufendem Bildschirm zu beobachtenden Ölkatastrophe im Golf von Mexiko gilt die Offshore-Industrie seit mehr als einem Jahrzehnt als extrem folgenreich für die Ökosysteme der Meere. Drei Millionen Tonnen Öl fließen unter „normalen“ Bedingungen täglich in die Weltmeere. Davon sind lediglich 13 % Unfällen geschuldet. Der weitaus größte Anteil stammt vom regulären Schiffsverkehr, aus kommunalen Abwässern, aus natürlichen Quellen und vom täglichen Betrieb auf den Ölbohrplattformen. Zwar hat der Unfall der Torrey Canyon vor 43 Jahren unter anderem dazu geführt, auf internationaler Ebene eine Haftung von Schiffsbesitzern bei nachgewiesener Fahrlässigkeit zu verankern, für die Offshore-Industrie gibt es dagegen bis heute keine verbindlichen Regeln im Falle von Katastrophen. Am 20. April dieses Jahres explodierte die von BP betriebene Ölbohrplattform Deepwater Horizon und verursachte eine der größten Umweltkatastrophen der Geschichte. Führt man sich heute die Ereignisse von 1967 vor Augen, haben sich vor allem das Ausmaß der Katastrophe und der Name des Verursachers geändert. Nach der Fusion von BP mit dem amerikanischen Ölkonzern Amoco 1998 wurde das British im Firmennamen eliminiert. Seitdem nennt sich das seit 1917 bestehende Unternehmen Beyond Petroleum (mehr als Benzin). Mit der neuen Bezeichnung und einer unter PR-Strategen als „Greenwashing“ genannten Marketingstrategie sollte das Engagement des Unternehmens in erneuerbare Energien kommuniziert und ein neuer Mythos konstruiert werden. Der Historiker Matthias Waechter hat sich eingehend mit der Begriffsgeschichte des Mythos beschäftigt. Demnach erwachsen seit dem späten 20. Jahrhundert und der Einführung der neuen Informationstechnologien Mythen stets aus einem kommunikativen Prozess zwischen Produzenten- und Empfängerseite. Die Empfänger, so Waechter, reagieren auf die Produktion von Mythen kreativ, indem sie „in die idealisierte Mythen-Figur alle nur denkbaren Sehnsüchte und Wünsche projizier(en)“.[1] Vergleicht man die historischen Filmaufnahmen, die die Rettungsmaßnahmen der Royal Navy im Jahr 1967 vor der englischen Küste zeigen, mit jenen, die uns heute aus dem Golf von Mexiko erreichen, hat sich auf Seiten der Mythenproduzenten lediglich die Form der Medialisierung verändert. Die Empfängerseite richtet ihre Sehnsucht nach dem Motto „Alles wird wieder gut“ auf Tauchroboter, Stahldomen und –trichter, Static- Top- und Bottom-Kill Methoden…
[1] Matthias Waechter, Mythos, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11. 2.2010, URL: http://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Mythos&oldid=68895
Torrey Canyon Disaster 1967 zeitgenössische britische Dokumentation, URL: http://www.youtube.com/watch?v=IV-EhBesVjg
Limits to Growth, London 1972
Rezension: Kai F. Hünemörder, Die Frühgeschichte der globalen Umweltkrise und die Formierung der deutschen Umweltpolitik (1950-1973), Stuttgart 2004.
Melanie Arndt, Umweltgeschichte, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.2. 2010, URL: http://docupedia.de/docupedia/index.php?title=Umweltgeschichte&oldid=68747
Undiszipliniert: Ein Forschungsbericht zur Umweltgeschichte
Saubere Energie? Utopien im Kino – „Moon“ ein Film von Duncan Jones. Seit Juli 2010 im Kino.
Die 4. Revolution – Energy Autonomy. Dokumentarfilm von Carl-A. Fechner
Die Welt im Klimawandel. Strategien zum Klimaschutz und ihre Grenzen. Ein Podiumsgespräch am 26.8.2010 im Deutschen Museum München.
Interdisziplinäre Sommerakademie Prometheus 2010: „Wo kommen unsere Energien her?“ vom 30.8.2010 bis 8.9.2010, Zeche Zollverein