In Berlin soll ein Denkmal gebaut werden, das an 1989 erinnert, an die Einheit und alle Freiheitsbewegungen überhaupt. Das Projekt wackelt, fällt aber nicht. Der Bundestag hat vor Jahren einem Denkmal für Freiheit und Einheit den falschen Ort und die falsche Form bestimmt. Trotzdem wird das Denkmal womöglich gebaut. Falls nicht doch wieder was dazwischenkommt. Am Anfang stand vor zwanzig Jahren die noble Idee, die DDR-Bürgerrechtsbewegung in der Berliner Erinnerungslandschaft zu ehren. Neben den Mahnmalen für die grässlichen Perioden deutscher Geschichte sollte auch an das leuchtende Vorbild der BürgerrechtlerInnen und der friedlichen Revolution in der DDR erinnert werden. Außerdem soll die deutsche Einheit gewürdigt werden, die daraus folgte, und alle anderen deutschen Freiheitsbewegungen. Bereits durch diese Vielfalt erschien das Vorhaben etwas überfrachtet.
Das falsche Fundament
Die Idee fand dennoch Anklang, warum auch nicht. 2007 beschloss der Bundestag: Ein Freiheits- und Einheitsdenkmal wird gebaut. Genau genommen: zwei Denkmäler. Eines in Berlin, ein zweites in Leipzig, denn es waren die Leipziger Montagsdemonstrationen, auf denen Bürgerinnen und Bürger die Macht der Diktatur gebrochen hatten. Seltsam rechthaberisch wirkt allerdings die Wahl des Ortes, die seine Vorgeschichte planiert: Denn das ausgelobte Erinnerungsstück soll auf den Fundamenten des pompösen Nationaldenkmals für die Wiedergründung des deutschen Kaiserreichs 1871 stehen. Die Hohenzollern hatten dort ihrem Wilhelm I. ein Denkmal errichtet, für eine Tat, die vor allem Reichkanzler Bismarck vollbracht hatte. Als 1950 das Schloss gesprengt wurde, kamen auch Wilhelms Reste weitgehend weg. Und darauf nun der Neubau für die spätere, kleinere Einheit? Die BefürworterInnen des merkwürdigen Ortes erinnerten hingegen daran, dass nebenan ja der Palast der Republik gestanden habe, der Ort, an dem die DDR-Volkskammer 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik beschlossen hat. Dieser Palast ist längst abgerissen, das neue, alte Schloss entsteht an seiner Stelle. Auch diese Folge von Bauten, Ruinen und Abrissen ist so verworren, dass darunter das Verständnis der Nachgeborenen für den Mut und die Tatkraft der DDR-BürgerrechtlerInnen schier begraben wird.
Metaphorische Schieflage: Die Wippe
Der künstlerische Wettbewerb um das Denkmal verschlimmerte die metaphorische Schieflage noch. Hunderte Entwürfe wurden nach 2008 eingereicht - keiner überzeugte die JurorInnen. Es schien schwierig, eine Darstellung für die schönste Seite deutscher Geschichte zu finden. Also vielleicht doch ein Reiterstandbild alter Schule: Helmut Kohl zu Pferde? Kulturstaatsministerin Monika Grütters war schon damals dafür, es einfach beim Brandenburger Tor als dem Symbol der Einheit zu belassen. Die Jury entschied sich jedoch für einen Entwurf, der die friedliche Revolution als Erlebniswaage inszeniert: Eine riesige, asphaltierte Schale kann durch eine Ansammlung von BesucherInnen in Bewegung versetzt werden. Der Bürger werde, hieß es zur Begründung, "Teil des Denkmals" und könne etwas bewegen. Die Aufschrift "Wir sind das Volk, wir sind ein Volk" sollte zudem an die Parole der Leipziger Montagsdemonstrationen erinnern. Allerdings bewegt sich die Waagschale nach jedem Aufwärts auch wieder abwärts. Von „Kindergeburtstagsniveau" schrieb der frühere Bürgerrechtler und CDU-Abgeordnete Arnold Vaatz. Und das war nur eines der Probleme mit der Wippe: Erst tauchten die üblichen Bauverzögerungen auf, wie seltene Fledermäuse, die umgesiedelt werden müssten und Fragen der Betriebssicherheit. Auch waren zunächst baubedingt Gehbehinderte und RollstuhlfahrerInnen vom Wippe-Erlebnis ausgeschlossen. Sodann müsste die Schale umzäunt werden, damit niemand ohne weiteres von über drei Metern in den Abgrund fallen kann. Das alles machte den Entwurf immer unbeliebter. Die Wettbewerbssieger, ein Eventbüro und die Tanz-Künstlerin Sasha Waltz, entzweiten sich ebenfalls. Dem Vorhaben treu blieb einstweilen der Deutsche Bundestag. Auch das Land Berlin stimmte zu und erteilte eine Baugenehmigung. Gebaut wurde trotzdem nicht. Weder wurde das Vorhaben 2014 zum 25. Jahrestag des Mauerfalls fertig noch seither auch nur begonnen. Einige archäologische Grabungen gab es, viel mehr hat sich nicht gerührt. Inzwischen rücken Berlin und sein rot-rot-grüner Senat immer weiter davon ab. Gewachsen waren allerdings die mutmaßlichen Baukosten. Das Büro Mila soll bis zu 21 Millionen gefordert haben. Derweil sind es nur noch 17, aber ein Vertrag ist immer noch nicht unterschrieben.
Der Fehler mit Nummer 894 03
Denn im letzten Herbst fanden die Wippe-Gegner im Haushaltsausschuss des Bundestages Verbündete. Die mächtigen Kassenwächter von Union und SPD, die bei Bedarf Milliarden verschieben können, fanden: Fünf Millionen Euro Mehrkosten sind zu viel. Sie stoppten das Projekt. Jubel unter den Wippe-GegnerInnen. Das "Mahnmal des historischen Glücks", wie der SPD-Politiker Wolfgang Thierse es genannt hatte, schien erledigt. Während die Feuilletons und Grütters sich freuten, grummelte es in der Führung der Regierungsfraktionen. Dort und im Finanzministerium ärgert man sich seit einiger Zeit über die kreative Planung mancher Haushälter. Einer, der als besonders erfolgreich gilt, wenn es darum geht, Lieblingsprojekte zu finanzieren, ist der Hamburger SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs. Auch in Sachen Freiheitsdenkmal gibt es eine Hamburger Schiene. Denn der früheste Verfechter und engagierteste Freund des Schlossaufbaus ist der Hamburger Unternehmer Wilhelm von Boddien. Er hat es gegen enorme Widerstände geschafft, dem Wiederaufbau des Hohenzollern-Stadtschlosses Mehrheiten und Geld zu verschaffen. Boddien ist seinerseits ein leuchtendes Beispiel dafür, was bürgerliches Engagement bewegen kann. Das findet auch Johannes Kahrs. In der Begeisterung für das erfolgreiche Ende des Projekts "Bundes-Wippe" wurden die SchlossfreundInnen dann allerdings übermütig. Und sie begingen einen Fehler. Dieser Fehler trägt die Nummer 894 03. Hinter dieser Zahl verbirgt sich ein Haushaltstitel im Etat des Bauministeriums. Achtzehn Milliarden Euro wurden im Herbst 2017 eingeplant für ein Bauwerk, das an der Stelle entstehen soll, wo einst Kaiser Wilhelm I. ritt und das Einheitsdenkmal gestrandet war: die historischen Kolonaden auf der Schlossfreiheit. Ungefragt spendierten Kahrs und die anderen Haushälter von Union und SPD Berlin ein Stück Hohenzollern-Architektur ausgerechnet dort, wo sie kurz zuvor das Einheitsdenkmal quasi geschleift hatten. Und wie zufällig lag die Summe mit 18 Millionen knapp über dem, was selbst die teurere Variante der Wippe kosten würde. Das wurde als Provokation verstanden. Vom ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse sogar als "Konterrevolution". Kaiserreich statt Bürgerrecht. Das war zu viel. Es schien aber an der Zeit, dem Parlament zu seinem Recht zu verhelfen, dessen Plenum zweimal das Vorhaben beschlossen hatte.
Leipzig geht voran – wieder mal
Norbert Lammert erwähnte dies sogar in seiner Rede vor der Wahl des Bundespräsidenten Mitte Februar. Kurz danach setzten sich die Fraktionschefs Volker Kauder von der Union und Thomas Oppermann von der SPD beim Arbeitsfrühstück zusammen und legten fest: Die Wippe wird gebaut. Im Juni bekräftige der Bundestag seinen Beschluss abermals. Formal gesehen hat der Bundestag im April 2016 das Projekt beendet - per Beschluss des Haushaltsausschusses, welcher dazu ermächtigt war. Niemand im Bundestag hat diese Entscheidung angefochten, weder der Kulturausschuss noch das Plenum. Im Kanzleramt wurden die Denkmalspläne nicht weiter verfolgt, die Akten geschlossen, die MitarbeiterInnen bekamen neue Aufträge. Dann beschloss der Bundestag mit dem Haushaltsgesetz 2017, was stattdessen auf dem Gelände gebaut werden soll: die besagten Kolonnaden. Das ist die rechtliche Situation.
Nun ist aber wieder alles anders. Oder auch nicht. Denn neue Hürden tauchen auf: Das Büro Mila und Partner soll als Generalunternehmer eine Gesamtkalkulation für alles vorlegen. Erst wenn der Vertrag dafür geschlossen ist, könnte der Haushaltsausschuss die Gelder wieder umschichten. Doch das fällt der Agentur schwer, die solche Vorhaben normalerweise nicht betreut. Und im Berliner Senat kommt man plötzlich auf die Idee, es sollten die alten Mosaike vom Wilhelm-Denkmal wieder verlegt werden, genau dort, wo die Wippe geplant ist. Ob das Bauwerk tatsächlich, wie geplant, im Herbst 2019 fertig wird, darauf legt sich Kanzleramt derzeit niemand fest.
In Leipzig wurde ähnlich lange gestritten, Entwürfe wurden begutachtet und verworfen. Im Frühjahr hat Leipzig das Projekt vorläufig gestoppt. Es sei an der Zeit, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung, alles noch einmal gründlich zu überdenken und dabei vor allem die BürgerrechtlerInnen zu Wort kommen zu lassen. Vielleicht sollte Berlin in dieser Frage einfach Leipzig folgen - so wie im Herbst 1989.
Zum Weiterlesen:
Gabi Dolff-Bonekämper, Großer Sockel. Das Projekt in Berlin ist eine Premiere in der Denkmalpolitik der Nachkriegszeit. Es bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe, in: Das Parlament Nr. 19-20, 8.5.2017
Stefanie Endlich: Künstlerische Ansätze und Darstellungsformen, aus: Materialien zu Besprechungen des Heftes 1/2009, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe. (Reprint)
Zum Weiterhören:
Akademie-Dialog: Schlossattrappe/Wippe/Scheune
am 17. Oktober in der Akademie der Künste Berlin