von Rüdiger Gerlach

  |  

1. März 2013

In Anbetracht der guten Geschäftslage der Volkswagen AG oder von BMW erscheint die für 2016 angekündigte Schließung des Opel-Werkes in Bochum als hausgemachtes Problem. Der Niedergang der einstigen Erfolgsmarke begann in den 1980er Jahren, als Opel stärker in den Konzernverbund von General Motors integriert wurde. Die „Managementfehler“ – insbesondere unklare Leitungsbefugnisse, überzogene Sparmaßnahmen, missglückte Öffentlichkeitsarbeit und die Entscheidung, Opel nicht auf dem boomenden asiatischen Markt expandieren zu lassen –, wurden in der Wirtschaftspresse intensiv diskutiert. Aus historischer Perspektive stellt sich jedoch die Frage, ob die erste Schließung eines westdeutschen Automobilwerkes – seit dem spektakulären Zusammenbruch von Borgward im Jahr 1961 – gleichfalls auf verfehlte unternehmerische Entscheidungen zurückzuführen ist oder ob sie eine Konsequenz längerer struktureller Veränderungen der deutschen Industrielandschaft ist.

Die Gründung des Opel-Standortes in Bochum fällt in das „fordistische Zeitalter“, das durch die Massenproduktion standardisierter Güter auf Basis eines stark arbeitsteiligen Fertigungsprozesses geprägt war. Das Werk nahm im Jahr 1962 die Produktion des Kadett A auf, der als direkter Konkurrent zum VW-Käfer konzipiert worden war. Mit seiner anfänglichen Spezialisierung auf ein Produkt, einer jährlichen Kapazität von 250 000 Fahrzeugen und über 20 000 Beschäftigten entsprach es dem Prototyp eines fordistischen Betriebs. Die seit 1966 etwa im Zehnjahreszyklus auftretenden Absatzkrisen machten jedoch die Grenzen der Massenproduktion in Deutschland deutlich. Standardisierte Produkte, starre Produktionsformen und arbeitsintensive Fertigungsprozesse schienen immer weniger geeignet, um das Bestehen der Automobilbauer unter verschärften Wettbewerbsbedingungen auf den volatilen Märkten zu sichern. In den 1970er Jahren kristallisierten sich die zentralen Herausforderungen, welche die Branche bis heute bestimmen, deutlich heraus.

Erstens erreichte der Produktlebenszyklus des Automobils langsam sein Ende. Sättigungserscheinungen auf den Märkten, Sicherheitsrisiken, Umweltschutzfragen und steigende Energiekosten führten zu wachsenden Zweifeln an der Zukunftsfähigkeit der Branche. Auch wenn die Unternehmen immer wieder Wege fanden, die Nachfrage nach Automobilen zu beleben, indem sie diese weiterentwickelten, zusätzliche Käuferschichten erschlossen und neue Bedürfnisse weckten, stagnierte die Zahl der Neuzulassungen in Deutschland seit den späten 1980er Jahren. Das Nachfrageproblem betraf weniger die sogenannten Premiummarken, die weiterhin gehobene Konsumwünsche erfüllten, als Massenanbieter wie Ford oder Opel, die immer wieder unter Absatzschwierigkeiten litten. Während das Rüsselsheimer Unternehmen in seinen Glanzzeiten fast ein Viertel der Neuzulassungen in Deutschland stellte, fiel sein Marktanteil bis 2012 auf knapp 7%. In der Folge sank die Kapazitätsauslastung des Bochumer Werkes auf 61,5% und damit unter die Profitabilitätsgrenze.

Zweitens veränderten sich die Arbeits- und Produktionsverhältnisse im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel. Automatisierung, Flexibilisierung und steigende Forschungsintensität im Automobilbau waren Anpassungsprozesse an den schärferen Wettbewerb, steigende Faktorkosten und die sich wandelnde Nachfrage. In diesem Zusammenhang gewannen produktionsbezogene Dienstleistungen – insbesondere bei der Implementierung neuer Technik, in der Produktentwicklung, im Marketing und der Logistik – an Bedeutung. Während die Zahl der Angestellten im deutschen Automobilbau zunahm, wurden Arbeiter tendenziell abgebaut. Im Jahr 1966 stellten letztere 82% der im Fahrzeugbau Beschäftigten, 35 Jahre später war ihr Anteil auf 72% gefallen. Im Umfeld der Konzernzentralen entstanden neue Forschungs- und Dienstleistungszentren, während klassische Produktionsstätten wie das Bochumer Werk an Bedeutung verloren. In Anbetracht dessen, dass die dortige Belegschaft zwischen 1980 und 2001 um fast 50% reduziert worden war und sie in den darauffolgenden zehn Jahren ein weiteres Mal halbiert wurde, erscheint die angekündigte Werksschließung als Fortführung struktureller Anpassungsmaßnahmen.

Drittens bestimmte die Globalisierung zunehmend die Unternehmensstrategien der Automobilhersteller. Zum einen führte sie zu steigendem Kostendruck und letztlich zur Gefährdung des Industriestandortes Deutschland. Zum anderen eröffnete sie neue Märkte und Möglichkeiten zur internationalen Arbeitsteilung. Die Kraftfahrzeugproduktion in Deutschland verlor relativ gesehen an Bedeutung. Während im Jahr 1970 ca. 14% aller Automobile in der Bundesrepublik gefertigt wurden, waren es 2011 nur noch knapp 8%. In der Folge verzeichnete die Branche zunächst stagnierende und seit der Jahrtausendwende fallende Beschäftigtenzahlen. Treibende Kraft dieser Entwicklung sind die unterschiedlichen Lohnniveaus. Die Arbeitskosten der GM Standorte in Großbritannien, Spanien, Ungarn und Polen lagen in den letzten Jahren zwischen 30 und 80% niedriger als in den deutschen Werken. Während andere Automobilbauer die Probleme des deutschen Produktionsstandortes teilweise durch eine gelungene Internationalisierungsstrategie kompensieren konnten, bauten Ford und Opel ihre deutsche Belegschaft seit den frühen 1990er Jahren konsequent ab.

Aus historischer Perspektive ist die Schließung des Bochumer Werkes die logische Konsequenz der gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüche im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Der Wandel des Konsumverhaltens, der Übergang vom Fordismus zum Postfordismus und die Globalisierung der Wirtschaft waren eng miteinander verschränkte Entwicklungen, die zum Niedergang traditioneller Automobilstandorte in den westlichen Industrieländern führten. Bemerkenswert ist, dass vergleichbare Werksschließungen in Deutschland nicht schon früher erfolgten. Dies mag dem korporatistischen System der Bundesrepublik zugutezuhalten sein, in dem Eingriffe der Politik oder Arrangements zwischen den Sozialpartnern bisher größere Einschnitte verhindern konnten.