von Annette Schuhmann

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19. Februar 2019

Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands hatte dazu eingeladen ein Thema zu diskutieren, das die Zunft bereits geraume Zeit umtreibt, eine Frage, die für den Berufsstand von essentieller Bedeutung ist, gehört sie doch zum Selbstverständnis und Handeln einer ganzen Profession. Unter der Überschrift (Un-)Politisch? Eine Diskussion über die Herausforderungen der Geschichtswissenschaft heute fand sich am 14. Februar im Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ein Podium ein, das die gegenwärtige Verbandsstruktur wahrscheinlich realistisch widerspiegelte: überwiegend männlich und von der Altersstruktur aus betrachtet näher an der Emeritierung als an der Habilitationsfeier.
Auch in der Diskussionskultur zeigte sich (Alt-)Bewährtes: ein Moderator, der seine Funktion vor allem darin sah, selbst zur Diskussion beizutragen, und dem es nicht gelang, die Debatte in eine Richtung zu lenken, die dem brisanten Thema gerecht geworden wäre.

Der Leibniz-Saal in der Berliner Jägerstraße war bis auf den letzten Platz besetzt, im Publikum – anders als auf dem Podium – nicht wenige, auf die der Begriff „Nachwuchswissenschaftler*in“ zutrifft.
Im Laufe der Veranstaltung wurde das Thema, zu dem die Verantwortlichen des Verbandes geladen hatten, jedoch kaum beziehungsweise nur indirekt angesprochen. Vielmehr wurde zwei Stunden lang über die Frage debattiert, ob der Verband im September 2018 die „Resolution [...] zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“ in der Form, in der dies geschehen war, hätte verabschieden dürfen.
Die Podiumsdiskussion verfehlte somit auf irritierend konsequente Weise ihr Thema. Auch wenn die Debatte über die Resolution dazu passte, aber eben nicht zwei Stunden lang. Das lag zum einen am Fehlen einer zielorientierten Moderation, zum anderen aber an einer im Podium und unter den Gästen völlig disparaten Auffassung über die Regelung zur Handhabung von Resolutionen innerhalb des VHD.

Da es an diesem Abend also gar nicht beziehungsweise nur am Rande um das ging, worum es gehen sollte, wäre es interessant gewesen, Dirk Schumann und Petra Terhoeven, jene Wissenschaftler*innen also, die die umstrittene Resolution initiiert hatten, auf dem Podium zu sehen und zu hören. Schließlich waren nicht einmal alle Podiumsgäste im September 2018 an der Diskussion und Verabschiedung der Resolution beteiligt. Was zur Folge hatte, dass der Satzanfang: „Ich war zwar damals nicht dabei, aber...“ viele Kommentare einleitete. Schlimmer noch, wurden Schumann und Terhoeven vom Moderator mit der Aufforderung, „nun doch einmal zu erklären, was sie mit der Resolution eigentlich bewirken, wen sie erreichen wollten“, gleichsam in eine Prüfungssituation gezwungen, die sie zwar klug reagierend bewältigten, die jedoch völlig unangemessen war und viele der Anwesenden zum Fremdschämen einlud.

Es wurde also nicht, wie angekündigt, über die „heutigen Herausforderungen“ diskutiert, man hielt sich vielmehr nahezu über den gesamten Diskussionsverlauf damit auf die Vorgänge des Herbstes zu rekapitulieren. So wurde noch einmal die Frage der „geheimen Abstimmung“ aufgebracht, die auf der damaligen Mitgliederversammlung qua Mehrheitsbeschluss eindeutig abgelehnt worden war. Es wurde die, in der Tat, zunächst einseitige Berichterstattung der FAZ kritisiert, was den verantwortlichen Redakteur Patrick Bahners zu einer vehementen, gleichzeitig irgendwie lahmen und redundanten Selbstverteidigungsrede veranlasste. Und schließlich durfte auch der Konflikt nicht unerwähnt bleiben, der sich im Herbst an einem mehr als nachlässigen Umgang von Seiten des VHD mit den von Doktorand*innen eingereichten Plakaten entzündet hatte. Auch dies ohne Frage ein wichtiges Thema. Allein bot es an diesem Abend keinen substantiellen Beitrag zur Überschrift der Veranstaltung.

Der Abend zeigte neben einem geradezu absurden Diskussionsverlauf einige Probleme des Berufsverbandes auf, über die nachzudenken und zu diskutieren wäre. So kam etwa aus dem Publikum der Einwurf, dass es sich durchaus lohnen würde, über das Verfahren, mit dem Resolutionen diskutiert und auf den Weg gebracht werden, zu beraten und es vielleicht zeitgemäßer zu gestalten.
Zudem wurden auf dem Podium Befindlichkeiten deutlich, die, in der Form, in der sie geäußert wurden, an der Freiheit des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebes zweifeln ließen. So erklärte etwa Andreas Rödder, dass es inzwischen Forschungsthesen und -ergebnisse gebe, die aufgrund der geradezu vorprogrammierten Entrüstungsreaktionen derzeit zum „Unsagbaren“ gehören würden. Man bekam es beinahe mit der Angst zu tun und war Ute Frevert schließlich dankbar, dass sie Rödders Beispiel[1], dass eher dräuend denn klar ausgeführt worden war, nonchalant und humorvoll vom Tisch fegte.
Irritierend war auch das völlige Ausbleiben der Vehemenz, mit der einige Kollegen noch auf dem Historikertag im Herbst Resolution und offene Abstimmung mit großer Geste verteidigt hatten. Der akademische Alltag hat die Diskussionsfreude offensichtlich vollständig erlahmen lassen, sodass die Vorsitzende des VHD relativ alleingelassen immer wieder in eine Verteidigungsposition geriet. Das ist nicht nur wenig solidarisch, sondern spiegelt die Stimmung des Herbstes in keiner Weise wider.
Demgegenüber fand sich ein durchaus diskussionsfreudiges Publikum, das sich nur leider mit der Resolutionsfrage festgefahren hatte. Es wäre spannend gewesen, die Frage zu diskutieren, die Petra Terhoeven in die Runde warf:
Wofür brauchen wir im 21. Jahrhundert die Geschichtswissenschaften?

Was wir ganz sicher brauchen, ist eine offene Diskussion über Stand und Bedeutung unseres Faches in einer Zeit, für die die Vokabel des Umbruchs durchaus angemessen ist.
Und wir brauchen dringend und endlich den Nachwuchs auf den Podien.

Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung L.I.S.A. hat die Veranstaltung aufgezeichnet.
Der Mitschnitt ist seit dem 25. Februar 2019 online abrufbar.

 

[1] Rödder erwähnte hier die Debatte um Ulrich Kellers umstrittenes Buch „Schuldfragen – Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914“ (Schöningh, 2017) und bezog das „Unsagbare“ auf die Kritik, die Gerd Krumeich auf sein darin enthaltenes Vorwort erntete. Siehe dazu auch den Beitrag von Jakob Müller: Aus dem Hinterhalt. Erster Weltkrieg. Das Buch „Schuldfragen“ versucht, die Massaker deutscher Truppen in Belgien zu relativieren. Es hat wenig Belastbares anzubieten, in: Freitag, Ausgabe 46 (2017). zuletzt am 19.2.2019.