Der Coup, dessen Genese Oliver Stone in "Snowden" erzählt, ereignete sich vor dreieinhalb Jahren. Seitdem stellen die Snowden-Enthüllungen, im Film als Drama inszeniert, einen Meilenstein jüngster Zeitgeschichte dar. Denn die brisante Aufdeckung massenhafter anlassloser staatlicher Überwachung hat inzwischen strukturelle Veränderungen im Umgang mit dem permanenten Strom persönlicher Daten eingeleitet, der unser informationstechnologisch bestimmtes Leben und damit unsere Rechte als Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Menschenwürde empfindlich tangiert.
Das Potenzial zum Missbrauch privater Daten mochte bereits vor Snowdens Leaking Thema unter IT-Versierten gewesen sein, eine breite internationale Öffentlichkeit aber wurde erst durch die von dem jungen Amerikaner im Juni 2013 offengelegten US-Geheimdokumente sensibilisiert. Schlagartig wurden in einer schier unvorstellbaren Dimension die umfassenden Möglichkeiten staatlicher Überwachung durch die National Security Agency (NSA) und andere Geheimdienste evident.
Doch die politische Relevanz der Snowden-Enthüllungen im Kampf um die Wahrung von Bürgerrechten und Menschenwürde in unserer digitalen Welt, die Opferbereitschaft, die der IT-Spezialist besaß, samt seines riskanten Daseins im Asyl finden inzwischen kaum noch öffentliche Beachtung. Dabei barg seine spektakuläre Tat die Chance, institutionelle Grundlagen zur Bekämpfung des Missbrauchs unserer freiheitlichen Grundrechte zu etablieren. Es ist das Verdienst Oliver Stones, ein weltweites Filmpublikum daran zu erinnern, in Form eines packenden Politthrillers und illustriert in eindringlichen Bildern.
Anders als im Oscar-prämierten Dokumentarfilm „Citizenfour“ (2014)[1], in dem die Journalistin Laura Poitras – ins reale Geschehen involviert – das Ereignis der sensationellen Publikation von Millionen von Geheimdokumenten in Szene setzte, umfasst der Spielfilm Stones auch die Vorgeschichte der Enthüllung. Stones Anspruch war es, seine fiktive Erzählung nah an den realen Ereignissen zu inszenieren. Aus diesem Grund besuchte der dreifache Oscar-Preisträger Edward Snowden insgesamt neun Mal in seinem russischen Asyl. Beeindruckt habe ihn, so Stone, die „moralische Sicherheit“, mit der dem 29-jährigen Snowden klar gewesen sei, dass er „ein Verbrechen begeht, um ein viel größeres offenzulegen“.[2] Und genau in dieser Haltung liegt das Spannungsfeld, in dem sich der Deutungskampf um die umstrittene Tat bewegt: Ist Snowden „Held“ oder „Verräter“? Der Plot, die Perspektive Snowdens einnehmend, galt in Hollywood als zu brisant, namhafte Studios lehnten die Verfilmung ab. Produziert in Deutschland und Frankreich, wurde der Film vor allem in München gedreht und in Toronto uraufgeführt. Das neun Lebensjahre Edward Snowdens umfassende Biopic beschreibt den Werdegang des jungen, hochbegabten Programmierers und Patrioten (Joseph Gordon-Levitt), der vom Wunsch getrieben war, seinem Land zu dienen, zunächst als Soldat, später als IT-Spezialist für CIA und NSA. Umrahmt von Szenen im Hongkonger Hotel, in dem Snowden sich den Journalisten Glenn Greenwald (Zachary Quinto), Ewen MacAskill (Tom Wilkinson) und Laura Poitras (Melissa Leo) anvertraut, markiert der Spannungsbogen in Rückblenden Schlüsselmomente aufkommender Zweifel angesichts der Überwachungsmaschinerie, an der er selbst mitarbeitet. Gezeigt wird die Entwicklung vom arglosen zum libertären Patrioten, der schließlich, trotz enormer Sanktionsgefahr, seinem Gewissen folgt.
Durch den Plot, seine Figuren und eine faszinierende Bildsprache vermag Stone, die an sich reizlos-nüchterne Erzählung über einen Programmierer zu emotionalisieren. Er kreiert eine fesselnde Handlung, die die historische Bedeutung der Tat und die Genese seiner folgenreichen Entscheidung zeigt. Schließlich gab Snowden sein bisheriges Leben auf, um die Welt über den staatlich legitimierten Verfassungsbruch aufzuklären. Die Vehemenz dieses Entschlusses wird stilistisch über den Szenenwechsel von der statisch-kühl inszenierten Enthüllungssituation im Hotelzimmer zu den Rückblenden in Snowdens erfolgreichen Berufs- und lebendigen Privatalltag transportiert. Über das Verhältnis Snowdens zur Figur des strengen Mentors Corbin O’Brian (Rhys Ifans), insbesondere aber über die Liebesgeschichte zu seiner unbekümmerten Partnerin Lindsay Mills (Shailene Woodley) verdichtet Stone komplexe Prozesse, die seinen Protagonisten schließlich zur Tat motivieren und gleichzeitig die Härte des Verlusts seines bisherigen Lebens spürbar machen.
Die Gefahren der unkontrollierten Digitalisierung privater Informationen, die im World Wide Web vor dem Hintergrund der von uns ständig hinterlassenen Auskünfte über unsere Vorlieben, unsere Gesundheit, unseren Charakter und unser Verhalten lauern, illustriert der Film in eindringlichen Schlüsselszenen. Der permanente Scan unserer Bewegungen etwa wird visualisiert, indem Menschen nicht über Zebrastreifen gehen, sondern über binäre Strichcodes. Versinnbildlicht wird: Solange unsere digitalen Spuren nicht von uns selbst kontrolliert, sondern von Regierungen und Wirtschaftsunternehmen zugunsten von Machtinteressen instrumentalisiert werden, verlieren wir mit jedem „Klick“ nicht nur an Privatsphäre, sondern auch an Möglichkeiten der Selbstbestimmung. Snowden belegte mit seinen Enthüllungen, inwiefern unsichtbar operierende Suchmaschinen über Metadaten-Analysen anlasslos Personenprofile von uns anlegen und uns damit von Kunden zu Waren, zu gläsernen Patientinnen und Patienten, zu überwachten Bürgerinnen und Bürgern machen. Die Möglichkeit sekundenschneller Vernetzung all unserer Daten visualisiert Stone als ein die Erde umkreisendes Wirrwarr rasend-leuchtender Energiestrahlen, das mal als überdimensionales Auge, mal als gigantisches Mosaik tausender Portraitfotos endet.
Die Prozesse personenbezogener Datenverarbeitung ermöglichen nicht nur in Diktaturen effiziente Repression, sie führen auch in demokratischen Gesellschaften zu heiklen Grundrechtsbeschränkungen wie der Meinungs- oder der Demonstrationsfreiheit. Zu wissen, im Netz gespeicherte Daten über unsere Einstellungen und Vorhaben können Versicherern, Arbeitgebern oder Behörden zukommen, evoziert Sanktionsbefürchtungen, die unseren digitalen Austausch zensieren. Denn das Wissen über eine Person impliziert immer die Gefahr vielfältiger Diskriminierungen. Die Entscheidungsfreiheit über das, was wir von uns preisgeben wollen, ist essenziell für die Wahrung der Menschenwürde. Darum muss die Verfügungsgewalt über unsere privaten Informationen jedem und jeder selbst obliegen und vor jedwedem Zugriff geschützt werden. Datenschutz impliziert somit nichts anderes als unser „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“.[3]
Die Offenbarung real existierender Möglichkeiten totaler Kontrolle unter Einsatz seines Lebens ist das Vermächtnis des jungen Amerikaners, das der Film zu Recht würdigt. Produziert in der Endphase der Regierungsperiode eines ursprünglich überwachungskritischen US-Präsidenten, wird der Film Teil der Debatte um die Begnadigung Snowdens. Ein „presidential pardon“ wäre möglich, weil seine illegalen Enthüllungen in einem erheblichen Maße im öffentlichen Interesse standen. Obama aber beharrt nach wie vor auf einen Prozess in den USA, in dem Snowden als „Verräter“ aufgrund des längst überkommenen „Espionage Act“ von 1919 angeklagt würde, was ein dramatisches Strafmaß nach sich zöge. Das nahezu hundertjährige Gesetz, das jedem gesellschaftlichen Wandel trotzte, lässt keinen Raum für eine faire gerichtliche Abwägung des Verrats gegenüber dem Handeln Snowdens im öffentlichen Interesse.
Siehe dazu außerdem den Beitrag auf filmportal.de
[1] Citizenfour, Regie: Laura Poitras, USA/Dtld. 2014.
[2] Hierzu und zum Folgenden: Stone, Oliver: „Ich sorge mich um mein Land“. Interview von Nicodemus, Katja, in: DIE ZEIT Nr. 38/2016, vom 8. September 2016. (letzter Zugriff: 28.10.2016)
[3] Vgl. hierzu: Albrecht, Jan Philipp: Finger weg von unseren Daten! Wie wir entmündigt und ausgenommen werden, München 2014.
Zur Vertiefung des Themas empfiehlt die Redaktion:
William E. Scheuerman, Edward Snowden. Ziviler Ungehorsam im Zeitalter der totalen Überwachung, in: Mittelweg 36 23 (2014), Heft 2, S. 4-31.