von Martin Schmitt

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28. Dezember 2018

Die digitale Beeinflussung des Menschen erfolgt subtil. Sie ist abstrakt, lautlos und oft schwer nachzuvollziehen. Eine Ausstellung in der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) versucht, dieser Abstraktion beizukommen. Dabei findet sie selten die notwendige neue Sprache, sondern verharrt allzu oft in bekannten Topoi.

Erschöpfung schlägt einem bei Betreten der Ausstellung entgegen. Man muss sich die Ausstellungsfläche der neuen Gesellschaft für bildende Kunst wie einen langen Schlauch vorstellen. An dessen Ende flimmert das Video eines erschöpften Mannes, eventuell ein Chinese? Er sitzt auf den hölzernen Planken eines imaginären Schiffes und hat den Endzustand digitaler Beeinflussung erreicht. Gedrillt auf datengesättigte Optimierung lässt die Beeinflussungsmaschinerie nur das erschöpfte Subjekt zurück. In den Händen des Mannes rinnt die schmatzende Masse eines Kraken, der als nicht zu fassender, fluider Datenkraken Sinnbild der Überwachung im Digitalen Zeitalter wurde. Wie konnte es soweit kommen? Was machen digitale Technologien mit dem Menschen? In zwanzig Werken spüren ausschließlich Künstlerinnen diesen Fragen nach.

Die Kuratoren der Ausstellung The Influencing Machine greifen damit ein heiß diskutiertes Thema auf. Im Oktober erschien Shoshana Zuboffs Buch zum „Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ im Campus-Verlag, in dem sie die soziotechnischen Bedingungen kapitalistischer Überwachung und deren Folgen analysierte. Die Arbeiten der Künstlerinnen blicken aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf dieses Themenfeld. Das Kuratorenteam traf bewusst die Entscheidung, nur Arbeiten weiblicher Künstlerinnen zu zeigen, um den klassisch männlichen Blick auf Informationstechnologie zu durchbrechen. Das funktioniert teilweise, führt aber nur aufgrund des Geschlechts der Künstlerinnen nicht zwangsläufig zu neuen Blickwinkeln.  So mögen etwa die ersten Arbeiten interessieren: Den Touchscreens von Smartphones nachempfundene Scheiben erzeugen einen Kontrast zwischen den un-aktiven Interfaces und gefühlvollen Slogans aus dem Vokabular von Netzaktivisten. Der ubiquitäre „call to action“, also die Handlungsaufforderung am Ende jeder Werbung verläuft sich jedoch schnell.

Denn bereits bei der zweiten Arbeit drängt sich die Frage auf, ob der Begriff des Smart Home eigentlich verstanden wurde: Nicht das Objekt ist dabei notwendigerweise „smart“ gebaut, sondern seine Integration in einen datengesteuerten Haushalt macht den Unterschied. Die versteinerten Objekte, welche Laura Yulie präsentierte, wurden von ihren BesitzerInnen vermutlich eher auf die Straße gestellt, weil sie kaputt gingen. Auch ein wichtiges Thema, aber nicht das der Ausstellung. Wie so oft wurde die analoge Dimension des Digitalen vergessen.

Weiter geht es mit einer Video-Serie des Tactical Tech Collective, die zusammenfasst, was seit den Facebook-Skandalen längst den letzten Facebook-Nutzern in den USA dämmerte: die Nutzung privater Daten durch politische Parteien. In verständlichen Erklär-Videos wird die BesucherIn zwar infografikmäßig gut abgeholt. Sie wird nur leider nirgends hingebracht, und sei es zu einer interessanten Frage. Ähnlich liegt der Fall bei den großflächigen Postern gegenüber, ebenfalls von Tactical Tech: Seit der Debatte über die Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz ist das Wissen weit verbreitet, nach welchen Mustern Gesichter erkannt und was aus ihnen herausgelesen werden kann. Ausstellungen wie die im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe oder das Vorspiel der Transmediale vor über zwei Jahren spielten bereits mit dem Effekt künstlicher Intelligenz, die das Gesicht der BesucherInnen erfasste und daraus Alter, Geschlecht und Stimmung ableitete. Jetzt ist es an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen.

 

Produktionsbedingungen der Beeinflussungsmaschine

Historisch wertvoll mögen die Interviews von Kajsa Dahlberg mit Arbeitern und Arbeiterinnen von Foxconn und anderen chinesischen Hardwareherstellern sein, die über ihre Arbeitsbedingungen berichten. Das Schummeln bei der Erfassung der Arbeitszeit in China mit den exakten Erfassungszeiten bei Amazon Deutschland zu paaren, macht die Temporalisierung des Digitalen erfahrbar. Aber neu ist es nicht. Das Zusammenspiel digitaler Erfassungstechnologien, der Arbeit bei Foxconn und der dort hohen Selbstmordrate thematisierte der Theaterkünstler Mike Daisey auf seiner Tournee bereits seit dem Jahr 2010. Und auch die genetischen Schnipsel, entstanden aus der menschlichen Reproduktion einer Ursprungszeichnung über den Arbeitsmarkt für Mikrojobs auf Amazon, haben interessierte BesucherInnen bereits gesehen - unbedarfte BesucherInnen werden sie ohne Erklärung indes kaum verstehen. Die Lektüre des Begleithefts, das an der Kasse gegen eine geringe Schutzgebühr ausgegeben wird, ist dringend zu empfehlen. Die Ausstellungsstücke sind ohne Beschreibungstext gehängt, sodass sie kaum barrierefrei sind.

Entlang der irritierenden Büroarbeitsbedingungen im digitalen Finanzmarktkapitalismus und den Widerstandsmöglichkeiten einzelner ArbeiterInnen führt die Großinstallation von Eva und Franko Mattes. Nun mag es Pech gewesen sein, dass bei einer der drei Stationen kurzfristig der Ton ausfiel, ein Sinnbild der sprachlosen Situation vieler BüroarbeiterInnen in heutigen Zeiten. Sie stellte sich aber immerhin in den Weg und rieb sich mit umgestürzten Bürotischen, in denen perfekte Avatare auf Monitoren flimmerten, verbunden von der Lebensader der Elektrizität. Die berichten anonymisiert aus dem Lebensalltag von Facebook-Zensoren, die Sex- und Gewaltvideos oder Terrorismus ansehen und zu löschen haben. Die Verdrehung ihrer gedanklichen Körper durch den permanenten und wiederholten Tabubruch spiegelt sich nur annähernd in den umgestürzten Bürotischen.
 

Leerstellen: Material, Akteur, Verhalten

Wie sehr die Leerstelle des Materiellen im Digitalen prangt, verdeutlicht eine Kooperation mit dem Museum für Naturkunde Berlin. In einem Schaukasten liegen als Steine ausgestellt die Mineralien, die das Digitale Zeitalter erst möglich machen: Kobalt, Coltan und viele mehr. Sie liegen dort unverarbeitet, roh, steinern und erinnern an den Ursprung all der glatt designten Computerhardware, die der Erde mit manueller Arbeit entrissen und auf verschlungenen, geldgetränkten Pfaden bis in die Industrieländer transportiert wurden. Die Künstlerinnen beobachten eine ebenso ärgerliche wie häufig übersehene Falle: dass alle Daten menschgemacht sind und niemals „roh“ sein können. Daten, welche Bots verarbeiten, sind keine Rohstoffe aus der Erde. Daten haben immer einen Kontext, wurden erhoben zu einem Zweck, sind selbst in ihrer Urform immer schon interpretativ.

Auch über den Bot-Begriff der Künstlerinnen lässt sich streiten. In der Ausstellungsbeschreibung werden sie als „sozio-technische Phänomene“ begriffen. Das widerspricht dem gängigeren Verständnis vom Bot als autonomen Computerprogramm - oder erweitert dieses Verständnis durch soziale Rekonfigurierbarkeit. In beiden Fällen verschwimmt Handlungsmacht und wird der eigentliche Bot nur schwer zu greifen. So gehen die AkteurInnen in Abstraktionen verloren, welche Teil der Influencing Machine sind. Am auffälligsten wird so die Leerstelle der Verhaltensforschung. Wie verändert sich menschliches Verhalten in der digitalen Gegenwart? Die Künstlerinnen spüren einer Vorstufe nach. Mit investigativem Gestus offenbaren sie die problematischen Datenpraktiken von seltsam anonym bleibenden AkteurInnen. Aber wie sich Verhalten verändert, was die Konsequenzen sind, dessen, was so subtil aufgebaut wird, danach fragen sie kaum.

Und so bleibt dem erschöpften Besucher nicht viel mehr übrig, als sich vor den Film am Ende des Ausstellungsraums zu setzen, in dem der Seemann über das imaginierte Meer segelt. Der Film stammt aus dem Jahr 1953. Der Seemann ist kein Chinese, keiner der Millionen Pekinger, die ab dem Jahr 2020 Gegenstand des Social Score werden. Es ist Alan Turing. Er sollte als Homosexueller mit Hilfe einer Hormontherapie „normiert“, also an die Regeln der Gesellschaft angepasst werden. Nicht anders ergeht es all den Datensubjekten in der Influencing Machine von Facebook und Instagram.

 

Die Ausstellung „The Influencing Machine“ ist noch bis zum 20. Januar 2019 in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), Oranienstraße 25, zu sehen. Die NGBK ist am  31. Dezember 2018 sowie am 1. Januar 2019 geschlossen. Am 12.01.2019 finden eine KuratorInnenführung ind vom 19.-20.01.2019 zwei Diskussionsveranstaltungen statt.

 

Zum Weiterlesen:

Martin Schmitt, 30 Jahre Transmediale - immer noch flüchtig? Ein Bericht von dem Berliner Medienkunst-Festival, in: Zeitgeschichte-online, Februar 2017.

Martin Schmitt, Identität im Digitalen Zeitalter. Ausstellungsbesprechung „Nervöse Systeme – Quantifiziertes Leben und die soziale Frage“, in: Zeitgeschichte-online, April 2016.