von Pia Dressler

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17. Februar 2022

Am Sonntag feierte eine ganz besondere Produktion ihre Weltpremiere auf der Berlinale. Der Dokumentarfilm „Komm mit mir in das Cinema. Die Gregors“ zeichnet die Lebenswege von Erika und Ulrich Gregor nach, die als Schlüsselfiguren der Berliner Film- und Festivalgeschichte gelten. Das Ehepaar Gregor, unter anderem als frühere Organisatoren der Sektion „Internationales Forum des Jungen Films“ auf der Berlinale tätig, setzte sich dafür ein, Filme aus aller Welt und abseits des Mainstreams dem Berliner Publikum zugänglich zu machen.

zeitgeschichte|online sprach mit Jacob Schlesinger, der in „Die Gregors“ als zweiter Kameramann tätig war, ein Job, der selten im Vordergrund steht und dennoch elementar für die Produktion von Filmen ist.
Im Interview fragten wir nach dem Zusammenspiel von Kamera- und Regiearbeit, den Herausforderungen dieser ganz besonderen Produktion und nach den Veränderungen der Produktionsbedingungen für Kamerateams in den letzten Jahren.

 

zeitgeschichte|online: Wie bist du zur Produktion von Die Gregors gekommen?

Jacob Schlesinger: Mein ehemaliger Ausbilder Jan Kerhart hat mich angesprochen und gefragt ob ich nicht Interesse hätte, an einem interessanten Projekt mitzumachen. Ich war da gerade am Beginn meiner Selbstständigkeit und habe mich über die Gelegenheit gefreut, neue Erfahrungen zu sammeln. Dass die Thematik des Projekts so spannend ist und als Grundstein für meine Folgeprojekte dient, war natürlich besonders toll. Durch die Gregors habe ich, durch ihre sehr persönlichen Erzählungen viel über die Filmgeschichte gelernt – das ist schon besonders. Außerdem war das Projekt eine Herzensangelegenheit der Regisseurin Alice Agneskirchner und ich habe mich gefreut, im Team dabei sein zu dürfen. Alice kannte die Gregors schon vor den Dreharbeiten und hatte über längere Zeit versucht, die beiden für ein Projekt über ihre Arbeit zu gewinnen.

 

zeitgeschichte|online: Wie genau habt ihr gearbeitet?

Jacob Schlesinger: Ich bin anfangs als Assistent in die Produktion eingestiegen. Wir haben dann jedoch schnell gemerkt, dass die Arbeitsweise von Alice es gar nicht zulässt mit nur einer Kamera zu agieren. Sie hat eine ganz besondere Herangehensweise, indem sie „einfach mal laufen lassen wollte“, das heißt beobachten und schauen wie die beiden sich im Gespräch zueinander verhalten. Da man in solchen spontanen Situationen oft nicht schnell genug reagieren kann, haben wir uns für zwei Kameras entschieden und so habe ich die zweite Kamera übernommen und mit Jan Kerhart im Team gearbeitet. Jan war der bildgestaltende Kameramann und ich war in diesem Fall zweite, ausführende Kamera.

Wir haben viel bei den Gregors Zuhause gedreht. Es gibt eine Einstellung, da sitzen die beiden in ihrem Büro; Ulrich am Schreibtisch und Erika einen Film schauend vor dem Fernseher der im gleichen Raum steht. Eine Kamera ist bei Erika, die andere begleitet Ulrich um das Zusammenspiel der beiden festzuhalten. Das ist ein sehr wichtiges Element im Film; die beiden interagierend zu zeigen. Dabei sind die Kameraeinstellungen immer sehr ruhig; also klassisch dokumentarisch beobachtend. Zudem wurden von einem anderen Team, in dem Ines Thomsen die Kamera übernahm, von Schauspieler:innen nachgestellte Szenen gedreht.

 

zeitgeschichte|online: Was waren die größten Herausforderungen im Verlauf der Arbeit?

Jacob Schlesinger: Die größte Herausforderung für uns Kameramänner war die Arbeitsweise von Alice. Wir mussten immer schnell auf alles reagieren und es konnten keine Einstellungen oder Dialoge wiederholt werden. Alice hat versucht, so authentisch wie möglich zu bleiben. Wir haben teilweise richtig angespannt auf die nächste Interaktion, den nächsten Dialog der Gregors gewartet. Ansonsten haben wir in einer sicheren Umgebung gefilmt, weil wir drinnen und am Stativ gedreht haben. Es ging vor allem um Feingefühl und Geschick.

 

zeitgeschichte|online: Gibt es große technische Veränderungen bei der Filmproduktion in den letzten Jahren?

Jacob Schlesinger: Auf diesen Film bezogen kann man sagen, dass man dieses Projekt so nicht hätte umsetzen können, wenn man es wie früher auf Filmrollen gespielt hätte. Im digitalen Zeitalter hingegen kann man ohne Ende aufnehmen. Da gibt es in diesem Sinne keine finanziellen Grenzen; es kostet nicht mehr wenn man mehr aufnimmt. Das Digitale bringt neue Chancen, die man vorher nicht nutzen konnte. Allgemein sind Kameras jetzt leichter und kleiner, man kann mit viel weniger Mitteln ganz einfach Sachen darstellen. Aber nichtsdestotrotz muss man gucken ob die neueste Technik immer sinnvoll ist; Drohnen werden inzwischen inflationär genutzt. Jan und ich drehen trotzdem nach wie vor noch mit dem Kran, weil die Wirkung eine ganz andere ist. Da kann man mit größeren Brennweiten arbeiten. Eine Drohne ist immer recht weitwinklig und das sehen die Zuschauer:innen dann auch.

Es sollte eine nachvollziehbar begründete Motivation dahinter stecken, welche Technik man wofür nutzt. Etwas anzuwenden nur weil man es kann ist unprofessionell. Das ist meine größte Kritik an dieser Form der Consumer-Technik. Manchmal ist es besser, wenn man begrenzte Mittel zur Verfügung hat. Wenn etwa nur eine Kamera da ist, dann wird man auch ganz anders kreativ. In den verschiedenen Projekten haben wir nie die gleiche Technik dabei, sondern schauen immer, welches Equipment für diesen Film sinnvoll ist.

 

zeitgeschichte|online: Welchen Stellenwert hat das Kino für dich?

Jacob Schlesinger: Also ich gehe heute Abend ins Kino und verzichte aufs Streaming! Durch den Film Die Gregors habe ich noch einmal verstehen können, wie wichtig Kino war und auch immer noch ist. Beispielweise für eine Diskussionskultur und den Zugang zu anderen Welten, die uns sonst verschlossen bleiben würden. Das meine ich auch im Sinne von realen Kontakten zum Beispiel in Form von Zusammentreffen Filmschaffender und -interessierter auf internationalen Festivals wie jetzt auf der Berlinale. Für mich ist das Kino auch ein Ort an dem man sich mit Freund:innen und Bekannten trifft und austauscht. Das ist ein viel direkterer Austausch als wenn man sich etwas bei Netflix anguckt und Wochen später darüber redet. Darauf freue ich mich heute Abend neben dem eigentlichen Film schauen auch.

 

zeitgeschichte|online: Was hat sich durch die Arbeit am Film über die Gregors an Deinem Denken über das Kino verändert?

Jacob Schlesinger: Die Arbeit am Film hat mich sehr inspiriert, ich habe sehr viel über Filmgeschichte gelernt. Der Film ist der Grund dafür, dass ich die dort gelernten Kenntnisse jetzt noch mehr vertiefen möchte. Deswegen habe ich mich an verschiedenen Filmuniversitäten beworben. Der Film hat mich überhaupt ganz persönlich weitergebracht. Ich möchte in Zukunft nicht nur bei einem Dreh dabei sein und mich um die Technik kümmern, sondern im Vorfeld und in der Nachbereitung mehr in den Prozess der Filmproduktion eingebunden werden.

 

Komm mit mir in das Cinema. Die Gregors.
Regie: Alice Agneskirchner (Deutschland 2022)
Datenblatt der Berlinale zum Film, inkl. aller Aufführungszeiten.

 

Das Interview mit Jacob Schlesinger hat Pia Dressler im Vorfeld der Berlinale am 9. Februar 2022 über Zoom geführt.