von Yuki Saito , Lena Ying Hohmann

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7. August 2024

Die Dokumentarfilmerin Park Soo-nam, Japanisch-Koreanerin zweiter Generation, drehte und bewahrte ihr ganzes Leben lang einmalige Zeitzeugnisse der koreanischen Minderheit in Japan, in Film-und Schriftform. Rund 50 Stunden an 16mm-Filmmaterial sowie Tonaufnahmen sind bis zur Entstehung von Voices of the Silenced noch nicht filmisch verarbeitet. Es sind Einblicke in die Schicksale und den Alltag einer Bevölkerungsgruppe, die bis in unsere Gegenwart hinein mit Ausgrenzung und Diskriminierung zu kämpfen hat.

Park Maeui, die Tochter Park-Soo-nams, widmet sich für das Filmprojekt der Aufgabe, die Werke ihrer Mutter in transgenerationaler Zusammenarbeit vor dem Verfall zu sichern. Ein Erinnerungsprozess, der der Öffentlichkeit Zugang zu den dokumentierten Lebensgeschichten der koreanischen Diaspora verschafft.

Der Film zeigt das Ergebnis und den Weg zu diesem Vermittlungsprozess. Park Maeui ermöglichte die Digitalisierung des Films durch ein Crowdfunding-Projekt. Sie schnitt und setzte das Filmmaterial mit Hilfe ihrer teils erblindeten Mutter zusammen. In einer Verflechtung aus den historischen Aufnahmen, einer Einführung in die Beziehungsgeschichte zwischen Korea und Japan, der Dokumentation des Austauschs zwischen Mutter und Tochter und der Offenlegung der Arbeitsprozesse entsteht ein eindrückliches Werk, dass der koreanisch-japanischen Identität gewidmet ist.

 

Die Geschichte zweier Nachbarn

Über die Beziehungen und die Geschichte zwischen Korea und Japan wird im europäischen Kontext nur selten gesprochen. Desto wichtiger erscheint nun dieser Beitrag auf der Berlinale 2024, der es unter anderem schafft, Aufklärungsarbeit in dieser Hinsicht zu leisten. Auch aus japanischer Perspektive zeigt er Bilder einer Realität, die nur selten angemessen Beachtung erhält. Zainichi-Koreaner gilt als die geläufige Bezeichnung der koreanisch-japanischen Gemeinschaft in Japan. Zainichi meint dabei in Übersetzung, Personen, die in Japan langfristig leben, dennoch nicht als japanische Bürger*innen wahrgenommen werden.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird das damalige Korea als Kolonie an das japanische Kaiserreich angegliedert. In der Folge kommt es, zu Fluchtbewegungen vor den prekären Zuständen unter der japanischen Fremdherrschaft und zur Einwanderung von Koreanerinnen und Koreanern nach Japan.
Ein Ereignis steht in besonderem Maße für die Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe. Im Jahre 1923 erschütterte das große Kanto-Erdbeben das dicht besiedelte Stadtgebiet Tokyos. In zahlreichen Häusern, die damals vorwiegend aus Holz gebaut waren, brachen Brände aus. Zurück blieben die ausgebrannten Flächen, die von überall zu sehen waren. Im Chaos der Zerstörung verbreiteten sich in rasanter Geschwindigkeit falsche Gerüchte um die koreanische Bevölkerung in der Stadt. Man warf ihnen unter anderem vor, die Aufbauarbeiten zu sabotieren und die Brunnen zu vergiften. Die Zunahme dieser Gerüchte mündete schließlich in dem schrecklichen Massaker durch die japanische Polizei und die Bevölkerung an schätzungsweise 6000 Koreanerinnen und Koreaner.
Auch anderen koreanischen Opfern von Gewalt und Unterdrückung gedenkt Park Soo-nam in ihren bisherigen Arbeiten, die in Voices of the Silenced in einzelnen Sequenzen dargestellt werden. Im Dokumentarfilm The Other Hiroshima (1986) porträtiert sie das Schicksal eines koreanischen Überlebenden des Atombombenabwurfs über Hiroshima, in Song of Ariran - Voices from Okinawa (1991) gibt sie koreanischen Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs in japanischen Bordellen zur Prostitution gezwungen wurden und mit dem Euphemismus „Trostfrauen“ bezeichnet worden sind, eine Stimme. Das Buch The Collected Letters of Lee-Jin Woo ist Zeugnis ihres Austauschs mit dem für Mord verurteilten und anschließend zu Tode verurteilten Japanisch-Koreaner Lee-Jin Woo, für dessen gerechtes Gerichtsverfahren sie sich aktivistisch einsetzte.

 

Blick nach vorne

Die Thematik des Films wird nie zu einer einseitigen Kritik an der japanischen Geschichte und strebt ebenso wenig an, eine Linie zwischen Opfern und Tätern zu ziehen. Genau das ist es auch, was an diesem fast zweieinhalbstündigen Dokumentarfilm so fasziniert. Die Archivierung und Digitalisierung des Materials sowie die Aufklärungsarbeit über die Konflikte sind notwendig und zugleich Instrument, um in einem fragmentarischen Gesamtwerk den Blick von der Vergangenheit auf die Zukunft zu lenken. Für ein Interview legt eine koreanische Überlebende eines Massakers der japanischen Armee eine chima jeogori an, ein traditionell koreanisches Kleidungsstück. Trotz ihrer Demenzerkrankung erzählt sie sehr lebhaft von ihren Erinnerungen. Park Soo-nam verleiht der Geschichte Gesichter und ermöglicht es jenen, denen es bisher verwehrt geblieben ist, ihre Erfahrungen zu teilen.

Voices of the Silenced entfaltet sein ganzes Potential darin, einer Frau Platz einzuräumen, die ihr Leben der Dokumentation und der aktivistischen Aufarbeitung der Unterdrückung der koreanischen Minderheit in Japan widmete, sei es als Dokumentarfilmerin, Autorin oder Betreiberin eines Barbecue-Restaurants, das zum beliebten Treffpunkt wurde. Der Film erzählt die Emanzipationsgeschichte der koreanisch-japanischen Identität und schafft, nicht zuletzt durch seine Rahmenentstehung als Kooperation der beiden Frauen, eine hoffnungsvolle Perspektive für die nachfolgenden Generationen.

 

Voices of the Silenced, Regie: Park Soo-nam, Park Maeui, Japan/Südkorea 2023, Laufzeit: 142 Min.

Datenblatt der 74. Berlinale zum Film