von Isabel Enzenbach

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21. Februar 2025

 „Abschiebeticket - One way economy“. Der Form nach ein Flugticket, tatsächlich Wahlkampfmaterial der AfD. Zahlreiche Karlsruher:innen fanden es im Januar 2025 in ihren Briefkästen. Farbwahl und das AfD-Logo am oberen Rand lassen den Absender schnell erkennen, doch wer sind die Adressaten? Im Tonfall der verfolgten Unschuld erklärte ein AfD-Kandidat, man hätte nicht gezielt nach „ausländisch klingenden Namen“ gesucht, als etwa 30.000 Exemplare in Briefkästen geworfen und auf der Straße verteilt wurden. Ohnehin läge die Aufregung darin, dass man die Rückseite nicht lesen würde, da stünden die politischen Vorschläge der AfD und das Versprechen „Staatsbürger werden nicht abgeschoben!" Wohin auch, könnte man fragen.

Als das Verteilen dieses AfD-Wahlkampfmaterials publik wurde, kritisierten das einige in Karlsruhe und auch in der überregionalen Presse aus gutem Grund. Schließlich war der Kniff bekannt: Bereits in den 2010er-Jahren hatte die NPD ähnliche Ticketimitate verteilt. Und die mediale Tradition ist noch viel älter. Im März 1883 beklagte der »Verein zur Abwehr des Antisemitismus« in seinem Mitteilungsblatt: »In letzter Zeit haben antisemitische Straßenjungen sich das Vergnügen gemacht, in der Friedrichstraße ›Fahrkarten nach Jerusalem, aber nicht zurück‹ in ärgerniserregender Weise feilbieten zu lassen, ohne daß dagegen eingeschritten wäre.“[1] Der Verein intervenierte beim Kaiser.

Einmal in der Welt, blieb das Medium, passte sich der Zeit an und bot seinen Verbreitern ein Mittel ihre antisemitischen Vertreibungsfantasien in zahlreichen Variationen auszuleben und einen Wettbewerb in zynischen Aufschriften auszutragen. „Hin und nicht wieder zurück“, darin waren sich die Hetzer einig. Ein vermutlich um 1900 gedrucktes Exemplar, ein schmaler Pappkarton im Hochformat mit farbigem Streifen, der Form nach eine Eisenbahnfahrkarte, trug als Aufschrift: „Gültig ab jeder Deutschen Bahnstation nach Jerusalem. Rückfahrkarten werden nicht ausgehändigt. Viehwagen – Frachtfrei“.[2] Im Nationalsozialismus waren die Imitate im Bürobedarf als Dekorations- und Propagandamaterial erhältlich. Max Tabaschnik, der im März 1933 in das sächsische Konzentrationslager Königstein verschleppt wurde, berichtet von seiner Entlassung nach tagelanger Folter: Vor dem Gehen »drückten mir die Quäler unter Hohngelächter eine ›Freifahrkarte nach Jerusalem‹ in die Hand«.[3]

Das Beispiel des Ticketimitats steht also in einer klaren Tradition: Statt Eisenbahnbillets sind es nun Flugtickets, statt Juden werden nun „illegale Einwanderer“ ­­- so der Text des AfD-Tickets - aufgefordert, eine Reise ins „sichere Herkunftsland“ anzutreten. „Zuhause ist es auch schön“, heißt es zynisch, Deutschland ist damit wohl nicht gemeint. Als Reisedatum ist der Tag der Bundestagswahl angegeben. Vom ersten Tag an stehen Abschiebungen an, signalisiert das Datum und erinnert an Trump.

In der Aufmachung eines Flugtickets verkleidet sich medial Gewaltandrohung als Normalität und als Spiel. Die Referenz zum Nationalsozialismus ist als Zahlencode („Einstiegszeit 8 – 18 Uhr“) für Eingeweihte erkennbar und auch der Begriff der Remigration darf nicht fehlen. Nur sie „kann Deutschland noch retten“. Die Bezüge zur antisemitischen Vertreibung und Vernichtung der europäischen Juden sind den historisch Gebildeten erkennbar, ebenso die positive Bezugnahme zum NS durch die Zahlencodes. Auch wenn die Bildsprache auf eine eindeutige NS-Ästhetik verzichtet.

Sieht man sich die von der AfD-Bundespartei gedruckte Wahlwerbung an, lässt sich das visuelle Konzept nicht auf einen Nenner bringen. Hinter dem sofort erkennbaren Logo und dem etablierten Blau mit hohem Wiedererkennungseffekt sammeln sich Ästhetiken für jeden Bedarf. Ein angepasster Nationalismus für verschiedene Zwecke: eine glänzende 1-Euromünze bebildert die Haushaltpolitik, ein Mädchen in rosa Kleidern symbolisiert wer das Volk ist, Containerschiffe, wie Entwicklungszusammenarbeit funktionieren soll, während Migrant:innen auf überfüllten Booten auf hoher See, wen wunderts, kein Land sehen. Abstraktes, neben Fotografien und comichaften Zeichnungen. Als Corporate Design genügen Logo und Farbe. Alles andere wird dem Zielpublikum, der gewünschten Erscheinungsweise angepasst. Manchmal schimmert der Rechtsextremismus deutlich durch, manchmal die Ligne claire frankobelgischer Comics, manchmal die Einfallslosigkeit des Gestalters.

Die Einschätzung, die AfD bediene sich einer flexiblen Bildsprache, in der Bezüge zum Nationalsozialismus vorhanden sind, doch nicht charakteristisch, gilt vor allem für Gedrucktes. Social Media ist ein eigenes Kapitel, hier ist laut Redaktions Netzwerk Deutschland der Hauptschauplatz des Winterwahlkampfes.[4] Die AfD hat dafür unter anderen die Leipziger Agentur Tannwald Media beauftragt, die aus dem Spektrum der Identitären stammt. Sie arbeitet mit KI-generierten Memes, die pure NS-Ästhetik reproduzieren. Der Arier sieht dort aus, wie auf den Wahlplakaten der NSDAP, jedoch mit einem zeitgemäßen Spruch: „Bio-Öko, aber von rechts!“ oder „Rechtsextrem? Ich bin nur ein chilliger Typ.“ Für die Zielgruppe hier wird der affirmative Bezug zum Nationalsozialismus nicht mehr verschleiert. Und in den Bilderfantasien auch wieder per Eisenbahn abgeschoben, wieder mit einem flotten Spruch: „Nächster Halt Damaskus“.[5]

Wer die Bilder auf sich wirken lässt, kann zwei Temperaturen erkennen: die kalkulierte Kälte, mit der gegen die unsichtbar bleibenden „Anderen“ agitiert wird und die wohlige Wärme der Volksgemeinschaft, für die, die sich zu ihr zählen können und wollen. Und: „Ost-, Ost-, Ostdeutschland. Macht die Bundesrepublik erst erträglich.“

Das AfD-Ticket hat zwei Adressaten: einerseits jene, die sich in dem Spiel mit der Gewaltandrohung auf der sicheren Seite wähnen, es lustig finden mögen. Die sich in der Verhaltenslehre der Kälte üben und deren Stimmen man mit dem Appell an die der Lust an Grausamkeiten gewinnen will. „Diese Härte entwickelt sich gerade zu einem neuen gesellschaftlichen und politischen Ideal“, beschreibt Judith Kohlenberger die aktuelle Dynamik.[6]

Andererseits wird auf jene gezielt, denen Angst gemacht werden soll. Der Karlsruher Ahmad Hawarnah antwortete der Tagesschau auf die Frage, wie er sich fühle, nachdem die AfD-Ticketimitate verbreitet wurden: „Ich habe manchmal Tage, an denen ich in den Spiegel schaue und mich frage, ob ich mich anlüge, wenn ich sage: Ich bin deutscher Staatsbürger“.[7] Der Spiegel als Ort, an dem das Infragestellen der Zugehörigkeit auf das Innere der angegriffenen Personen trifft und verhandelt wird, ist auch in Mohammad Sarhangis Buch „Jahre der Angst, Momente der Hoffnung“ eine wichtige Instanz. Als ihm andere Kinder vom Spielplatz aus zurufen, er dürfe nicht mitspielen, denn: „Mit Ausländerkindern spielen wir nicht“, verändert sich etwas in seinem Leben: „Künftig würde ich in den Spiegel sehen und einen Ausländer erkennen.“[8] In seiner Gefühlsgeschichte der Migration beschreibt Sarhangi auch, welche unheilvolle Bedeutung der Briefkasten, also der Ort, in der die Wahlkämpfer der AfD die Tickets steckten, bekommen kann. „Angst und Hoffnung begleiten meine Eltern noch heute, obwohl wir alle längst die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben. Mein Vater gestand mir erst kürzlich, dass sein Magen noch immer »bebt«, wenn er den Briefkasten öffnet.“[9] Der Briefkasten ist das Scharnier zwischen dem Eigenen und der Außenwelt, aus ihm kann der Ablehnungsbescheid kommen, die Zerstörung der Hoffnung. Und in ihm steckten die zynischen Ticketimitate.

Ahmad Hawarnah beschreibt die Ängste, welche die fingierten Tickets in der migrantischen Community auslösten. Seiner Mutter, die fürchtet, sein jüngerer Bruder könne nun abgeschoben werden. Sie überlegt, ob er nun besser nicht sein Abitur machen soll, sondern schnell Arbeit suchen.

Hawarnah selbst organisierte - gegen die Angst, oder auch um mit der Angst umzugehen - , mit der Gruppe „Migrant:innen für Karlsruhe“ in den beiden Wochen nach der Ticketaktion der AfD und der Abstimmung der CDU mit der AfD im Bundestag zwei große Demonstrationen in seiner Stadt.

 


[1] Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus 2 (1893) 13 vom 26. März 1893, S. 136 f.
[2] Abbildung in: Alfred Gottwald, Freie Fahrt ins Nirgendwo, Imitierte Eisenbahnfahrkarten von 1893 bis 1936, in: Isabel Enzenbach, Wolfgang Haney (Hg.), Alltagskultur des Antisemitismus im Kleinformat. Vignetten der Sammlung Wolfgang Haney ab 1880, Berlin 2012, S.142.
[3] Max Tabaschnik, Königstein, in: Konzentrationslager. Ein Appell an das Gewissen der Welt. Das Buch der Greuel. Die Opfer klagen an. Karlsbad 1934, S. 97.
[4] Jan Sternberg, „Alice Weidel und ihr Kampf gegen den „Ersatz-Scholz““, in: Redaktionsnetzwerk Deutschland, 29.11.2024. ​​​
[5] Zu sehen unter: Kira Ayyadi, „AfD beauftragt Rechtsextremen mit KI-Wahlkampf“, in: Belltower News, 18.12.2024.
[6] Judith Kohlenberger, Gegen die neue Härte, München 2024, S. 13f.
[7] „Wahlkampf 2025. Darum haben Migranten in Karlsruhe Angst“, in: Tagesschau, 17.01.2025.
[8] Mohammad Sarhangi, Jahre der Angst, Momente der Hoffnung. Eine Gefühlsgeschichte der Migration, Frankfurt am Main 2024, S. 30.
[9] Sarhangi, Jahre der Angst, S.14.